TE Vfgh Erkenntnis 2009/2/24 U212/08

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Veröffentlicht am 24.02.2009
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AsylG 1997 §7, §8
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verstoß einer Entscheidung des Asylgerichtshofes über eine Beschwerdegegen die Abweisung eines Asylantrags und Ausweisung gegen dasWillkürverbot des Gebots der Gleichbehandlung von Fremden infolgeUnterlassung der Ermittlungstätigkeit in mehreren wesentlichenPunkten

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das BVG BGBl. I Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger der

Elfenbeinküste, reiste im Mai 2003 illegal nach Österreich ein und stellte am 26. Mai 2003 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass seine Eltern und seine Schwester von den Gendarmen seines Heimatdorfes getötet worden seien und diese auch das Haus der Familie niedergebrannt hätten. Er habe nur deshalb überlebt, da er zum Zeitpunkt des Vorfalls nicht zu Hause gewesen sei. Angeordnet seien die Übergriffe durch den Chef der Gendarmerie worden, weshalb der Beschwerdeführer zusammen mit weiteren Jugendlichen dessen Haus in Brand gesetzt habe. Daraufhin habe der Beschwerdeführer sein Land verlassen.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Asylantrag mit Bescheid vom 23. Juni 2005 gemäß §7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I 126/2002 ab, erklärte gemäß §8 Abs1 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung in die Elfenbeinküste für zulässig und wies den nunmehrigen Beschwerdeführer gemäß §8 Abs2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

3. Die dagegen, vom gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers, erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom 27. Juni 2005 hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß §§7 AsylG 1997 idF BGBl. I 101/2003 als unbegründet abgewiesen, nachdem er insgesamt drei mündliche Verhandlungen durchgeführt hatte. Im Erkenntnis führt der AsylGH u.a. aus, dass nach Einholung eines Sachverständigengutachtens feststehe, dass dem Beschwerdeführer sein gesamtes Vorbringen inhaltlich zuzurechnen sei. Der Beschwerdeführer könne demnach kein logisch-nachvollziehbares Bild eines Eigenerlebnisses zeichnen. Er sei ungenau, widerspreche sich und könne auch zur angeblichen Wahrnehmung der Leichen seiner Familie kein klares Bild geben. Dies habe der Beschwerdeführer lediglich mit seiner posttraumatischen Belastungsstörung, die ihm ein Privatgutachten attestieren würde, zu erklären versucht. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen.

Zur psychischen Gesundheit führte der AsylGH aus, dass den vom Beschwerdeführer vorgelegten Befundberichten aufgrund der mangelnden Qualität nicht gefolgt werden könne. Vielmehr seien diese unschlüssig und im Vergleich zum schließlich eingeholten Sachverständigengutachten nicht logisch nachvollziehbar.

Am Ende der Feststellungen zur Elfenbeinküste generell zitiert der AsylGH mit Augenmerk auf die medizinische Versorgung einen Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 19. Jänner 2007, wonach öffentliche wie private Einrichtungen zur Behandlung psychiatrischer/psychologischer Störungen existieren würden und die medizinische Versorgung nach Rückzug internationaler Organisationen wieder vom Staat organisiert werde.

Der Beschwerdeführer habe schließlich keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention geltend machen können. Hinsichtlich der Refoulementprüfung kam der AsylGH zu folgendem Schluss:

"Auch war es dem Antragsteller sohin nicht möglich, objektivierbare Gründe eines Risikos im Sinne des §50 FPG aufzuzeigen.

Insbesondere ist in casu nicht erweislich, dass der Beschwerdeführer aus medizinischen Gründen einem bezughabenden Risiko einer Art3 EMRK Verletzung ausgesetzt wäre.

Dem vorliegenden Dokumentationsmaterial ist entnehmbar, dass im Staat Elfenbeinküste insbesondere nach Stabilisierung der Situation nach der Bürgerkriegslage, ein Basisangebot an medizinischen bzw. speziell psychiatrisch-psychologischen Leistungen angeboten wird. Eine akute Behandlungsnotwendigkeit, welche mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in der Elfenbeinküste als unwahrscheinlich zu qualifizieren wäre, ist im Verfahren nicht hervorgetreten. Dass sich der psychische Status bei Rückkehr des Antragstellers nach der Elfenbeinküste in drastischer Weise bzw. akut lebensbedrohlich verschlechtern würde, ist im Verfahren ebenfalls nicht mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit erwiesen."

Ein Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers sei, bis auf eine vage Andeutung des Beschwerdeführers, im Verfahren nicht hervorgekommen, weshalb eine Prüfung und Abwägung der Interessen nach Art8 EMRK unterbleiben könne.

4. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die auf Art144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom 28. November 2008. Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie der in Art3 und 8 EMRK gewährleisteten Rechte geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Beschwerdeführer behauptet, dass der AsylGH gegen das Willkürverbot deshalb verstoßen habe, da er entscheidungswesentliche Ermittlungen nicht getätigt habe, wie zum Beispiel zum Familienleben des Beschwerdeführers, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre. Auch sei das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz vor Folter und erniedrigender oder unmenschlicher Behandlung verletzt worden, als der AsylGH die Länderberichte zur medizinischen Versorgung nur auszugsweise wiedergibt. Bei genauem Studium sei aus den zitierten Berichten, insbesondere jenem der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 19. Jänner 2007, erkennbar, dass es keine spezielle Behandlungsmöglichkeit für eine posttraumatische Belastungsstörung gebe. Unter dieser leide der Beschwerdeführer, wie auch aus dem Sachverständigengutachten zu entnehmen sei und wäre eine Rückkehr mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden. Der Beschwerdeführer bedürfe ständiger Medikation. Das Fehlen erforderlicher Behandlungsmöglichkeiten würde den Beschwerdeführer bei Rückkehr in die Elfenbeinküste einer die Existenz bedrohenden Lage aussetzen.

Weiters wäre der Beschwerdeführer bei Rückkehr in seine Heimat willkürlichen Übergriffen ausgesetzt, welche aufgrund des fehlenden Justizsystems straffrei bleiben würden. Es bestünde die ernstliche Gefahr von Folter oder unmenschlicher und erniedrigender Bestrafung oder Behandlung. Diese Lebensbedingungen seien unzumutbar und ausweglos.

Der AsylGH habe zudem das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe Familie in Österreich, ignoriert. Jedoch habe der Beschwerdeführer, wie in der Verhandlung vom 5. Februar 2008 vorgebracht, einen unehelichen Sohn, der österreichischer Staatsbürger sei und für den der Beschwerdeführer am 8. April 2008 die Vaterschaft anerkannt habe. Der Sohn, C K, geboren am 20. Juli 2007, würde bei Langzeitpflegeeltern leben und der Beschwerdeführer besuche ihn eigenständig sowie beaufsichtigt durch das Amt für Jugend und Familie des Magistrats Wien, wobei als Beweise dafür Besuchsprotokolle und eine Stellungnahme der Langzeitpflegeltern Dr. U R und Mag. V E vorgelegt wurden. Es sei weiters keine Abwägung dahingehend vorgenommen worden, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland als Minderjähriger verlassen habe und seine unmittelbare Familie getötet worden sei. Er habe keine Bindungen mehr in der Elfenbeinküste.

5. Der AsylGH hat als belangtes Gericht von einer Gegenschrift abgesehen, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen und die Verfahrensakten übermittelt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen:

Betreffend die Gefährdungssituation des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine Gesundheit und eine mögliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung lässt das Erkenntnis eine umfassende Auseinandersetzung vermissen. Zumal das vom AsylGH eingeholte Gutachten durch den Sachverständigen Primarius Dr. H P vom 12. Februar 2008 dem Beschwerdeführer auf Seite 7 wie folgt attestiert:

"Es besteht also eine Kombination von psychischen und körperlichen Störungen und können diese daher durchaus neurotischen-, Belastungs- und somatoformen Störungen (ICD 10: F 4) zugeordnet werden.

...

Zusammenfassend kann - aufgrund der vorliegenden Befundberichte und der eigenen Untersuchung - wie schon oben von einer Belastungsstörung gesprochen werden, wobei hier auch die zeitliche Ebene einzuziehen ist und man davon ausgehen kann, dass am Beginn sicherlich eine posttraumatische Belastungsstörung vorlag, die sich nunmehr in einer Angst und depressive Reaktion verändert hat (ICD 10: F 43.1, derzeit F 43.22)."

In diese Diagnose fügen sich dem Sachverständigen nach auch sämtliche Befundberichte der privaten Ärzte des Beschwerdeführers ein, welche im Verfahren vorgelegt wurden und dem Sachverständigen durch Akteneinsicht bekannt waren; im Erkenntnis jedoch werden die Befundberichte als widersprüchlich zum Sachverständigengutachten gewertet.

Weiters führt das Gutachten zur Rückkehrmöglichkeit für den Beschwerdeführer auf Seite 8 und 9 wie folgt an:

"b) Dem Untersuchten ist also eine Rückkehr in die Gegend, von der er das Land verlassen hat, wahrscheinlich nicht zuzumuten, aber eine Rückkehr in eine religionsfreundlich gestimmte Umgebung, in der er auch entsprechende Unterstützung erfahren könnte, wäre zumutbar.

...

d) Diese Frage ist dahingehend zu beantworten, dass eine generelle Rückkehr nur dann durchgeführt werden kann, wenn sie in eine gesicherte Umgebung erfolgt, da ansonsten doch mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu rechnen ist."

Nun werden vom AsylGH einige Quellen zitiert, zur medizinischen Versorgung wird im Besonderen ein Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 19. Jänner 2007 herangezogen, aus dem klar hervorgeht, dass die dem Beschwerdeführer attestierte posttraumatische Belastungsstörung in der Elfenbeinküste nicht behandelbar ist. Dies wird im Erkenntnis verschwiegen, führt bei einer Rückführung dazu, dass keine Behandlungsmöglichkeit vor Ort gegeben ist, zudem kann die vom Sachverständigen als notwendig erachtete sichere Lage im Herkunftsstaat auch nicht erkannt werden.

Weiters verabsäumt der AsylGH jegliche Prüfung des Familien- und Privatlebens des Beschwerdeführers vorzunehmen. In Anbetracht der vorliegenden Berichte des Amtes für Jugend und Familie des Magistrats Wien, der Langzeitpflegeeltern wäre es aber bereits im Februar 2008, als die Verhandlung stattfand, in welcher der Beschwerdeführer über seinen Sohn berichtete, möglich gewesen, Ermittlungen dahingehend zu tätigen. Dies wurde aber unterlassen, ein Manko, welches ebenfalls grob willkürliches Verhalten darstellt, vor allem, da der entscheidende Richter um die psychische Gesundheit des Beschwerdeführers Bescheid wusste und dennoch dessen Vorbringen als vage und unglaubwürdig deklarierte.

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in mehreren wesentlichen Punkten führt dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde nicht mehr einzugehen.

Hinsichtlich der mangelnden Begründung im Allgemeinen verweist der Verfassungsgerichtshof jedoch auf seine Erkenntnisse U67/08 vom 7. November 2008 und U131/08 vom 3. Dezember 2008, in dem er sich ausführlich mit den wie im vorliegenden Fall gegebenen Begründungsmängeln einer Entscheidung des Asylgerichtshofes auseinandergesetzt hat.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylgerichtshof, Asylrecht, Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2009:U212.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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