TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/11 S10 400123-1/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.08.2008
beobachten
merken
Spruch

S10 400.123-1/2008-2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde des S. P., geb. 00.00.1984, StA. Russland, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.06.2008, Zahl: 08 03.494 - EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

Die Beschwerdeführerin hat am 20.4.2008 bei der Polizeiinspektion Traiskirchen einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei dieser Behörde gab sie im Wesentlichen Folgendes an:

 

Sie sei am 13.04.2008 zusammen mit ihrer Schwägerin und deren fünf Kinder mit dem Zug von Grosny nach Moskau und von dort weiter nach Brest (Weissrussland) gefahren. Am 16.04.2008 seien sie mit dem Schnellzug weiter nach Terespol (Polen) gefahren, in Polen habe man ihnen Fingerabdrücke abgenommen, sie hätten in Polen um Asyl angesucht und seien in der Folge mit einem Taxi nach Warschau gefahren, wo sie von einem Mann angesprochen worden sei. Ihre Schwester habe ein Auto gefunden, mit welchem sie schließlich nach Österreich gefahren seien.

 

Am 24.04.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass seit 22.04.2008 Konsultationen mit Polen geführt wurden.

 

Mit Erklärung vom 25.04.2008 (bei der Erstbehörde eingelangt am 28.04.2008) erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO) zur Durchführung des Asylverfahrens der Beschwerdeführerin zuständig.

 

Am 15.05.2008 wurde die Beschwerdeführerin von einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, Dr. med. H. untersucht. Aus der gutachtlichen Stellungnahme geht hervor, dass nach Angaben deren Wohnung in der Heimat durchsucht worden sei, ihren Mann habe man daraufhin mitgenommen, danach habe man ihr das Kind weggenommen. Die Sachverständige kam zum Ergebnis, dass der Überstellung nach Polen keine schweren psychischen Störungen entgegenstehen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.

 

Zur Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 29 Abs. 5 AsylG erfolgte am 04.06.2008 eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin, in der im Wesentlichen - insbesondere zur Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG - Folgendes vorgebracht wurde:

 

Im Zuge dieser Einvernahme verwies die Beschwerdeführerin auf die anlässlich ihrer Erstbefragung getätigten Angaben und erklärte, dass sie gemeinsam mit ihrer Schwägerin und deren fünf minderjährigen Kindern in Österreich im gemeinsamen Haushalt lebe. In Österreich lebe zudem ihr Vater mit dessen Gattin und ihren vier Halbgeschwistern. Es bestehe telefonischer Kontakt zu diesen. Sie werde von ihrem Vater nicht unterstützt, sie habe mit ihm ein bis zwei Mal telefoniert. Sie habe zuletzt im Jahr1995 mit ihrem Vater im gemeinsamen Haushalt gelebt, dieser habe dann eine andere Frau geheiratet, dann habe sie nicht mehr bei ihrem Vater gelebt. Sie hätten in der Heimat ein Haus gehabt, in einer Haushälfte habe sie mit ihrer Mutter, dem Bruder und der Schwester gelebt. In der zweiten Hälfte habe der Vater mit der zweiten Frau gelebt. Als ihre Mutter im Jahr 1999 gestorben sei, habe ihr Vater das Haus verkauft und sei ihr Vater mit dessen neuer Familie nach Grosny gezogen und sie habe bei ihrer Großmutter gelebt. Den letzten Kontakt zum Vater habe sie beim Begräbnis der Mutter gehabt.

 

Sie wolle nicht nach Polen zurück, weil sie dort niemanden habe. Sie wolle hier bei ihrem Vater und ihren Verwandten bleiben, sie werde wieder nach Österreich kommen. In Polen habe sie noch keine Entscheidung erhalten.

 

Zum psychologischen Gutachten vom 16.05.2008, wonach bei der Beschwerdeführerin keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege, erklärte diese: "Hat dies der Psychologe gesagt?"

 

2. Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 13.06.2008, Zahl: 08 03.494-EAST-Ost, den Antrag auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

Die Erstbehörde stellte in diesem Bescheid unter anderem fest, dass die Antragstellerin gemeinsam mit ihrer Schwägerin Z. M., sowie mit deren Kindern S. R., S. R., S. A., S. S., S. T. von Polen illegal nach Österreich eingereist sei, bzw. vor der illegalen Einreise in Polen aufhältig gewesen sei. Der Bruder der Beschwerdeführerin S. K. sei bereits vor der Antragstellerin nach Österreich eingereist. Es liege ein Familienverfahren vor.

 

Aufgrund der Zustimmungserklärung der polnischen Asylbehörde sowie des Eurodac - Treffers stehe eindeutig fest, dass die Antragstellerin in Polen am 16.04.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht habe.

 

Die Beschwerdeführerin leide an keiner Erkrankung - weder körperlich noch psychisch -, die bei einer Überstellung nach Polen eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass aufgrund der Zustimmungserklärung der polnischen Asylbehörde sowie des aufliegenden Eurodac - Treffers eindeutig feststehe, dass die Antragstellerin in Polen am 16.04.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht habe. Die gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin habe in ihrem gesamten Vorbringen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht, die objektiv die Annahme rechtfertigen könnten, dass sie tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihr eine Verletzung ihrer durch Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleisteten Rechte drohe, dies auch aufgrund der allgemeinen Lage in Polen. Die von der Antragstellerin pauschal in den Raum gestellten Angaben, dass sie nicht nach Polen wolle und dort niemanden habe, dass es in Polen keine Schulen für die Kinder gäbe und sie wegen der Probleme ihres Gatten Angst habe in Polen zu bleiben, seien jedenfalls nicht geeignet, die Versorgung und die Sicherheit der Antragstellerin und deren Familie in Polen in Zweifel zu ziehen. Die allgemein gehaltenen Darstellungen der Antragstellerin seien nicht geeignet, die Unzulässigkeit der Anwendung der Dublin II VO im konkreten Fall darzulegen. Die Antragstellerin leide weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit, noch leide sie an einer schweren psychischen Störung, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde, wie dies nach einer diesbezüglichen Untersuchung in der Ärztestation (Psy-III) am 15.05.2008 der EAST - Ost mitgeteilt wurde. Die Antragstellerin habe derartiges auch in keinster Weise ins Treffen geführt. Polen habe sich mit Zustimmungserklärung vom 25.04.2008 dazu bereit erklärt, die Antragstellerin zur Prüfung ihres Antrages zu übernehmen, es sei daher nicht erkennbar, dass der Antragstellerin der Zugang zum Asylverfahren verweigert würde.

 

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 01.07.2008 Berufung erhoben. Darin wird angeführt, dass der Vater der Beschwerdeführerin sowie deren Stiefmutter und vier Halbgeschwister in Österreich leben würden. Die belangte Behörde habe angeführt, dass die Verwandten der Beschwerdeführerin nicht zu dessen Kernfamilie gehören, diese habe von 1999 bis 2007 keinen Kontakt zum Vater gehabt. Das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Familienleben umfasse über die Kleinfamilie hinaus auch entfernte verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese eine gewisse Intensität erreichen. Die Erstbehörde habe angeführt, dass im Falle der Beschwerdeführerin jedoch nicht von einem Familienleben im Sinne der EMRK gesprochen werden könne, diese Behauptung entbehre jeder Grundlage. Die belangte Behörde stütze sich lediglich auf den Umstand, dass der Kontakt der Beschwerdeführerin zu deren Vater durch äußere Umstände unterbrochen worden sei, dies könne nicht als freiwilliger Verzicht auf ein Familienleben betrachtet werden. Die Erstbehörde habe keine Ermittlungen hinsichtlich der Intensität der Familienbindung zwischen der Beschwerdeführerin und deren Vater durchgeführt. Aus diesem Grund sei das Verfahren mangelhaft und zur Klärung des Sachverhaltes eine Verhandlung unumgänglich, im Zuge welcher eine zeugenschaftliche Befragung des Vaters, der Stiefmutter sowie der Halbgeschwister der Beschwerdeführerin unumgänglich sei. Ein aktuelles Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt sei nicht erforderlich, um ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zu begründen. In diesem Zusammenhang sei auf den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates (UBAS) GZ 314.583-1/4E-II/04/07 vom 01.10.2007 zu verweisen. Auch im Falle der Beschwerdeführerin liege eine ausgeprägte persönliche Nahebeziehung zu deren Vater im Sinne der oben zitierten Judikatur vor, sodass schon aus diesem Grund eine Selbsteintrittspflicht Österreichs vorliege. Die Erstbehörde hätte angesichts des schwerwiegenden Eingriffes in das Privat- und Familienleben eine Abwägung im Sinne des Art. 8 EMRK vorzunehmen gehabt, das diesbezügliche Vorbringen sei jedoch nicht nachvollziehbar. Art. 8 Abs. 1 EMRK stelle die Regel, Abs. 2 die Ausnahme dar; ein Abgehen von Art. 8 Abs. 1 EMRK könne nur in wenigen, seltenen, streng zu prüfenden Ausnahmefällen zulässig sein. Dabei genüge es nicht, dass ein solcher Eingriff gesetzlich vorgesehen sei, vielmehr müsse er aus einem der in Abs. 2 aufgezählten Gründe notwendig sein. Dabei reiche es nicht aus, dass die belangte Behörde die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung als "legitimes Ziel" deklariere.

 

Diese Berufung gilt gemäß Asylgerichtshofeinrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, als Beschwerde.

 

Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 08.07.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1 Mit dem Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, mit dem unter anderem das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) erlassen und das Asylgesetz 2005 (AsylG) und das Bundesverfassungsgesetz (B-VG) geändert worden sind, ist der Asylgerichtshof eingerichtet worden.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag des Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

 

Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Berufung erhoben, gilt diese gemäß § 36 Abs. 3 AsylG auch als Berufung gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

Aus der Wendung in § 34 Abs. 4 zweiter Satz AsylG, Familienverfahren seien "unter einem" zu führen, ist abzuleiten, dass diese - jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation - von derselben Behörde zu führen sind. Demgemäß gehen die Materialien zum AsylG 2005 davon aus, dass Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne ihnen ein Verfahren im Einzelfall zu verwehren. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle "dieser allen anderen Familienmitgliedern - im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde - zuerkannt werden" (Erläut. zur RV, 952 BlgNR XXII. GP; vgl. zu § 10 Abs. 5 AsylG 1997 - bezogen auf die Frage der Zulassung - auch VwGH 18.10.2005, Zl. 2005/01/0402).

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Gemäß Art. 14 lit a Dublin II VO ist für den Fall, dass mehrere Mitglieder einer Familie in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig einen Asylantrag stellen, für die Prüfung der Asylanträge sämtlicher Familienmitglieder der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils der Familienmitglieder zuständig ist.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Polens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO besteht, zumal die Beschwerdeführerin sowie ihre Schwägerin und deren fünf Kinder am 16.04.2008 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigenden notorischen Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist."

(VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art. 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13 zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten, wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Im konkreten Fall sind der Bruder der Beschwerdeführerin, S. K. sowie ihre Schwägerin Z. M., ihre Neffen S. R., S. R. und Nichten S. A., S. S. und S. T. in Österreich aufhältig, deren Anträge auf internationalen Schutz ebenfalls - wie auch jener der Beschwerdeführerin - zurückgewiesen werden.

 

Zum behaupteten besonderen Naheverhältnis der Beschwerdeführerin zu ihren in Österreich lebenden Verwandten (Vater, Stiefmutter, Halbgeschwister) ist anzumerken, dass - in Übereinstimmung mit der Beurteilung der Erstbehörde - nicht vom Vorliegen eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK auszugehen ist. Bezüglich seines nunmehr in Österreich lebenden Vaters erklärte der Bruder der Beschwerdeführerin - wie auch die belangte Behörde in ihrer Argumentation zutreffend ausführt - selbst, nur bis zum Jahr 1995 gemeinsam mit dem Vater in G. gewohnt zu haben, anschließend habe er bei seiner Mutter gelebt, seine Eltern hätten sich 1995 oder 1996 getrennt. Den Angaben des Bruders der Beschwerdeführerin zufolge ist ein Teil des Hauses seiner Mutter, der andere Teil dem Vater zugesprochen worden. Zwar führte der Bruder der Beschwerdeführerin in Bezug auf seinen Vater an, dass dieser fallweise (mit seinen Halbgeschwistern und seiner Stiefmutter) in dessen Teil des Hauses gelebt habe, ein Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt während dieser Zeit ist jedoch im gegenständlichen Fall nicht ersichtlich, dies aus folgenden Erwägungen: Auf konkrete Nachfrage, wie regelmäßig der Kontakt zu seinem Vater in dieser Zeit gewesen sei, erklärte der Bruder der Genannten lediglich, dass er seinen Vater einmal in der Woche, alle zwei Wochen oder einmal im Monat gesehen habe. Mit dieser Angabe sind auch die übrigen Aussagen des Bruders der Beschwerdeführerin in Einklang zu bringen, wonach dessen Vater zusätzlich (zu seinem Teil des Hauses) noch über eine Wohnung in Grosny verfügt habe und einmal da und einmal dort gelebt habe, wodurch sich auch der lediglich sporadisch bestehende Kontakt zum Bruder der Beschwerdeführerin erklären lässt. Den Angaben des Bruders der Beschwerdeführerin ist daher zu entnehmen, dass dieser nach der Trennung der Eltern offensichtlich nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit seinem Vater gelebt hat, vielmehr dürfte der Bruder der Beschwerdeführerin bei seiner Mutter gelebt haben und mit dem Vater nur fallweise bei Besuchen in Kontakt gestanden sein, sodass schon zu dieser Zeit von einer geringen Beziehungsintensität des Bruders der Beschwerdeführerin zu dessen Vater auszugehen war. Zudem erklärte der Bruder der Beschwerdeführerin auf konkrete Nachfrage, ob er von seinem Vater unterstützt werde, dass dieser ihm lediglich Kleider gekauft habe und ihm insgesamt ¿ 150,-- gegeben habe, sein Vater gehe keiner Arbeit nach. Auch das Vorliegen einer finanziellen Abhängigkeit zum Vater ist daher nicht ersichtlich (sondern lediglich fallweise finanzielle Zuwendungen - wie unter Verwandten üblich). Dieselben Erwägungen sprechen im Übrigen gegen das Vorliegen eines Familienlebens mit der Stiefmutter bzw. den Halbgeschwistern. Dieser Eindruck wird auch durch die Angaben der Beschwerdeführerin gestützt, indem diese anführte, dass sie lediglich bis zum Jahr 1995 mit dem Vater im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. In einer Haushälfte habe sie mit der Mutter, ihrem Bruder und der Schwester gelebt, in der anderen Hälfte habe ihr Vater mit seiner zweiten Frau gelebt. Als die Mutter im Jahr 1999 gestorben sei, habe der Vater das Haus verkauft und sei dieser mit seiner neuen Familie nach Grosny gezogen. Den letzten Kontakt zum Vater habe sie im Jahr 1999 beim Begräbnis der Mutter gehabt.

 

Sofern nunmehr in der Beschwerdeschrift moniert wird, dass sich die Erstbehörde in ihrer Entscheidung lediglich darauf gestützt habe, dass der Kontakt der Beschwerdeführerin zu ihrem Vater nur durch äußere Umstände unterbrochen worden sei, so kann dieser Ansicht schon aus den oben erörterten Gründen nicht gefolgt werden. Bereits vor dem Jahr 1999 lag daher kein gemeinsamer Haushalt, sondern lediglich spärlicher Kontakt zum Vater vor, bzw. ist dieser Kontakt ab dem Jahr 1999 nach Angaben der Beschwerdeführerin bzw. deren Bruder gänzlich abgebrochen. Es kann daher im vorliegenden Fall der Beschwerde auch nicht der Verweis auf die Entscheidung des UBAS vom 01.10.2007, GZ 314.583-1/4E-II/04/07 zum Erfolg verhelfen, da in diesem Fall - im Gegensatz zum gegenwärtigen Fall - bis zur Ausreise des Bruders des Beschwerdeführers offensichtlich ein gemeinsamer Haushalt vorgelegen war, welcher erst durch die Flucht des Beschwerdeführers beendet wurde, der gegenständliche Fall ist jedoch, wie bereits ausführlich erörtert, anders gelagert. Auch dem Einwand, die Erstbehörde habe im Falle der Beschwerdeführerin keine Ermittlungen im Hinblick auf die Intensität der Familienbindungen durchgeführt, kann im gegenständlichen Fall nicht beigetreten werden. Vielmehr hat die belangte Behörde in Bezug auf den Vater der Beschwerdeführerin eine ausführliche Befragung durchgeführt und ist durch ihre Fragestellung auch auf ein allfälliges Zusammenleben oder das Vorliegen einer finanziellen Abhängigkeit ausreichend eingegangen. Eine gesonderte Befragung des Vaters sowie der Stiefmutter und. der Halbgeschwister konnte daher auch aus Sicht des Asylgerichtshofes unterbleiben, dies auch angesichts der Tatsache, dass die diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Bruders übereinstimmen.

 

Auch wenn man in Betracht zieht, dass die Beschwerdeführerin in Hinkunft eventuell beim Vater ihres Ehemannes oder in dessen Nähe wohnen könnte, so vermag ein erst in Österreich (nach Asylantragstellung) gegründeter gemeinsamer Haushalt im vorliegenden Fall jedoch kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zu begründen, welches einer Überstellung nach Polen im Wege steht.

 

Die Beschwerdeführerin hat überdies selbst angegeben, dass sie darüber hinaus keine Verwandten in Österreich sowie im Bereich der EU hat, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder eine besondere Nahebeziehung besteht. Folglich würde die Beschwerdeführerin bei einer Überstellung nach Polen in dem durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt werden.

 

Aber auch im Fall eines Eingriffs in das Grundrecht ergäbe eine Interessenabwägung nach den Gesichtspunkten des Art. 8 Abs. 2 EMRK, insbesondere der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Asylwesens (vgl. VwGH 98.09.2000, 2000/19/0043), dass dieser notwendig und verhältnismäßig ist. Die Beschwerdeführerin reiste erst im April 2008 in das Bundesgebiet ein, ihr Aufenthalt in Österreich stützte sich von Anfang an nur auf den vorliegenden Asylantrag. Zu einem möglichen Eingriff in das Recht auf Privatleben ist auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 26.6.2007, Zl. 2007/01/0479-7 zu verweisen, wonach ein dreijähriger Aufenthalt während des laufenden Asylverfahrens jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte. Umstände, die auf eine besondere Integration in Österreich hinweisen würden, kamen im Verfahren nicht hervor.

 

2.1.2.2. Polnisches Asylverfahren, mögliche Verletzung des Art. 3

EMRK

 

Im gegenständlichen Fall kann nicht gesagt werden, dass die Beschwerdeführerin ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihr auf Grund der persönlichen Situation ausnahmsweise durch eine Rückverbringung nach Polen entgegen der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde (sog. "real risk"). Die Beschwerdeführerin beschränkte sich im Wesentlichen darauf vorzubringen, dass sie in Polen niemanden habe. Die Widerlegung der in § 5 Abs. 3 AsylG normierten Rechtsvermutung ist der Beschwerdeführerin damit nicht gelungen.

 

Nicht nur, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem pauschalen Vorbringen, wie bereits dargelegt, die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG nicht widerlegen konnte, verfügt der Asylgerichthof darüber hinaus aktuell über kein Amtswissen hinsichtlich solch offenkundiger, besonderer Gründe, die die Annahme rechtfertigen, die Beschwerdeführerin wäre in Polen einer realen Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung ausgesetzt.

 

Im Ergebnis stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK noch des Art. 8 EMRK dar und besteht somit auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO.

 

2.1.2.3. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zur Anwendung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, EMRK, familiäre Situation, Intensität, real risk
Zuletzt aktualisiert am
15.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten