TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/12 S2 400960-1/2008

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Veröffentlicht am 12.08.2008
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Spruch

S2 400.960-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des K.A., geb. 00.00.1991, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.2008, Zahl: 08 01.860-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. 1. Der minderjährige Beschwerdeführer - vertreten durch den Rechtsberater bzw. nunmehr durch den von diesem bevollmächtigten gewillkürten Vertreter - reiste aus dem Herkunftsstaat mit der Ehegattin seines volljährigen Bruders, K.Z., und deren Kindern aus. Nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet brachte er - wie auch die genannten Familienangehörigen - am 21.02.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

 

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 12.12.2007 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte (AS 7).

 

Das Bundesasylamt richtete am 26.02.2008 ein Wiederaufnahmeersuchen an Polen, mit Schreiben vom 28.02.2008, eingelangt am 04.03.2008, stimmte Polen dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO ausdrücklich zu (AS 67).

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Prüfung dieses Antrages zuständig ist, sowie II. der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der ua vorgebracht wird, dass seit dem Tod des Vaters des Beschwerdeführers dessen volljähriger Bruder K.M. die Obsorgepflicht für den Beschwerdeführer innehabe. Zum Beweis dafür wurden tschetschenische Schriftstücke vorgelegt (AS 245f).

 

Die Beschwerdevorlage langte laut Eingangsstempel des Asylgerichtshofes am 11.08..2008 bei diesem Gerichtshof ein.

 

3. Auch die Anträge auf internationalen Schutz der oben genannten Familienangehörigen, wurden zunächst - nach gleichgelagerten Verfahren - gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Mit hg. Erkenntnissen vom 11.08.2008 (GZ: S2 400.937-1/2008/2E; S2 400.936-1/2008/2; E S2 400.935-1/2008/2E) wurden jedoch in Stattgebung der jeweiligen Beschwerden diese die Familienangehörigen betreffenden erstinstanzlichen Bescheide gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 behoben, weswegen deren Verfahren - wie auch das des obsorgepflichtigen Bruders K.M. - nunmehr zugelassen sind.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Mit 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag im Februar 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG idF BGBI. I Nr. 100/2005 zur Anwendung gelangt.

 

2. Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährig, er reiste zunächst mit seiner Schwägerin und deren Kindern, in Österreich befindet sich sein obsorgepflichtiger Bruder K.M., dessen Verfahren zugelassen ist. Im erstinstanzlichen Verfahren blieb ungeklärt, welches Familienverhältnis der Beschwerdefrührer zu K.M. konkret hat.

 

3. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Nach der Rechtsprechung beider Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zur Vorläuferbestimmung des Asylgesetzes 1997 ist trotz Unzuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Asylbegehrens vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dann Gebrauch zu machen, wenn eine strikte Handhabung der Unzuständigkeit zu einer Grundrechtswidrigkeit führen würde (VfGH 15.10.2004, G 237/03u.a., VfGH 17.06.2005, B 336/05, VwGH 31.05.2005. Zl. 2005/20/0095, VwGH 26.07.2005, Zl. 2005/20/0224). Die zur verfassungskonformen Auslegung des § 5 AsylG 1997 ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung lässt sich auf die neue Rechtslage unter dem AsylG 2005 übertragen (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Gemäß § 41 Abs. 3 erster Satz AsylG ist in einem Verfahren über eine Berufung gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Berufung gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG zugelassen. Der Berufung gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist gemäß § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat. Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag des Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

 

Im Beschwerdefall ist zunächst zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zu K.M. in einem Verhältnis steht, das dem zwischen Familienangehörigen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG gleichkommt. Diesfalls wären die betreffenden Verfahren von vornherein als Familienverfahren (im Inland) gemäß § 34 AsylG zu führen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur - insoweit vergleichbaren - Vorgängerbestimmung (§ 10 Abs. 5 AsylG 1997) bedeutete dies auch, dass dann, wenn das Verfahren auch nur eines Familienangehörigen zuzulassen ist, dies auch für die Verfahren aller anderen gilt (VwGH 18.10.2005, Zl. 2005/01/0402), im Beschwerdefall also das Verfahren des Beschwerdeführers schon aus diesem Grund materiell in Österreich zu führen wäre.

 

Sollte dem Beschwerdeführer nicht die verfahrensrechtliche Stellung als Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG zukommen, wäre im Lichte der oben dargestellten Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu prüfen, ob die strikte Handhabung der Unzuständigkeit Österreichs zu einer Grundrechtswidrigkeit, hier besonders unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK führen würde. Demgemäß bedürfte es in der hier vorliegenden Konstellation jedenfalls einer Sachaufklärung dahingehend, ob die Beziehungen des minderjährigen Beschwerdeführers zu seinem obsorgepflichtigen Bruder als dergestalt anzusehen sind, dass von einem (bestehenden) Familienleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK auszugehen wäre; sollte dies der Fall sein, müssten die so ermittelten persönlichen Beziehungen in eine Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK einfließen, zumal es - vor dem Hintergrund der Zulassung der Verfahren der anderen Familienmitglieder - nunmehr zu einer Trennung der Familie käme.

 

Bei Zugrundelegung dessen mangelt es schon an Feststellungen bzw. Ermittlungsergebnissen dahingehend, wie sich die Beziehungen zwischen den genannten Angehörigen darstellen. Da nach dem Gesagten der vorliegende Sachverhalt sich als im Sinne des § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG mangelhaft erweist, war schon aus den genannten Gründen der Beschwerde gegen die vorliegende Entscheidung im Zulassungsverfahren spruchgemäß stattzugeben; demgemäß ist das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG zugelassen.

Schlagworte
familiäre Situation, Intensität, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
14.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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