TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/21 S6 401061-1/2008

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Veröffentlicht am 21.08.2008
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Spruch

S6 401.061-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Singer als Einzelrichterin über die Beschwerde des A.A., geboren ungeklärt, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.07.2008, FZ. 08 04.785 EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 01.06.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Eine Eurodac-Abfrage vom 01.06.2008 ergab, dass der Beschwerdeführer am 08.05.2006 oder 8.5.2007 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden war.

 

Bei der Erstbefragung am 01.06.2008 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen EAST in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei ca. 1992 geboren und habe sein Heimatland im Jahre 2000 mit seiner Familie verlassen, um in den Iran zu flüchten. 2007 reiste er vom Iran in die Türkei ein. 2006 und 2007 wäre er auch nach Griechenland gereist, wäre aber von der griechischen Polizei festgenommen und in die Türkei zurückgeschickt worden. Im Mai 2008 sei der Beschwerdeführer von der Türkei nach Griechenland, von Griechenland über Italien mit einem LKW nach Österreich gereist. Am 12.05.2008 seien ihm von österreichischen Sicherheitskräften Fingerabdrücke abgenommen worden und sei er wieder nach Italien zurückgereist, wo er sich bis 30.05.2008 aufhielt. Am 01.06.2008 ist er wieder mit dem Zug nach Österreich gekommen. Weder in Griechenland noch in Italien hätte er einen Asylantrag gestellt. In seine Heimat könne er nicht zurück, er habe Angst, von den Taliban getötet zu werden.

 

Am 05.06.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein des gesetzlichen Vertreters, Dr. ZACH, sowie eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass er am 00.00.1992 geboren wäre und die Geburtsurkunde sich bei seinen Eltern im Iran befinde. Ca. im Mai 2007 wäre er illegal in Griechenland eingereist, von der griechischen Küstenwache aufgegriffen worden, dann auf eine unbewohnte Insel gebracht worden und von dort mit der türkischen Küstenwache zurück in die Türkei gebracht worden. Nochmals seinen Schlepper kontaktierend, wurde der Beschwerdeführer von diesem, in einem LKW versteckt, mittels einer Fähre nach Venedig gebracht; hierauf mit demselben LKW bis in die Nähe von Klagenfurt, wo der Beschwerdeführer von der Polizei angehalten wurde und wieder freiwillig nach Italien ausreiste, von wo er wiederum mit dem Zug nach Wien einreiste.

 

Am 09.06.2008 richtete das Bundesasylamt ein Aufnahmeersuchen gem. Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003, welches am selben Tage elektronisch über Dublinet übermittelt wurde: Ein Treffer aus dem Eurodac-System hätte eine Einreise des Beschwerdeführers am 08.05.2006 in Griechenland ergeben; weiters sei es nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer minderjährig sei.

 

Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen gem. § 29 Abs. 3 AsylG wurde dem nunmehrigen Beschwerdeführer am 11.06.2008 fristgerecht übermittelt.

 

Mit Schreiben vom 11.07.2008 informierte das Bundesasylamt die zuständige griechische Behörde darüber, dass aufgrund des Fristablaufes die Zuständigkeit zur Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO auf Griechenland übergegangen sei.

 

Am 30.06.2008 wurde der Beschwerdeführer von Dr. A.K. zwecks Feststellung seines Alters untersucht. In dem als Sachverständigengutachten titulierten Befund werden Größe, Gewicht, Geschlecht, Hautfarbe, Kopfumfang, Körperbau, Art der Behaarung, Farbe der Nägel, Anzahl der Zähne, Größe der Nieren und Volumen der Schilddrüse wiedergegeben. Ohne nähere Begründung folgt eine Zusammenfassung, wonach "aufgrund der äußeren Inspektion, des äußeren Eindruckes sowie der sonographischen Messgrößen von Nieren und Schilddrüse das Alter von Herrn A.A. auf 23 bis 25 Jahre, jedoch deutlich über dem 18. Lebensjahr eingeschätzt" werde (As. 90f).

 

Dem Arztbrief beigelegt wurde ein Auszug aus dem Lehrbuch "Ultraschalldiagnostik in Pädiatrie und Kinderchirurgie", Hofmann et al, 3.Aufl., aus dem hervorgeht, dass Länge und Volumen der Nieren mit dem Alter der Patienten korrelieren "- besser aber mit der Körperlänge" (As. 97ff).

 

Weiters eine Stellungnahme seitens Dr. K. bezüglich der Untermauerung der Altersfeststellung von Asylanten mittels Ultraschalluntersuchung von Niere und Schilddrüse (As. 93).

 

Am 21.07.2008 wurde seitens des gesetzlichen Vertreters des nunmehrigen Beschwerdeführers eine Stellungnahme zum Sachverständigengutachten von Dr. K. abgegeben, wonach vorliegendes Gutachten grobe formale und inhaltliche Mängel aufweise, nicht nachvollziehbar wäre und sohin keine Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens möglich wäre.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gem. Art. 10 Abs. 1 der Dublin II-VO Griechenland zuständig sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland gem. § 10 Abs. 4 zulässig sei.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass durch die Vollziehung der Ausweisung und die Zurück- und Abschiebung nach Griechenland für ihn ein "real risk" bestehe, dass er in seinen Grundrechten verletzt würde. Überdies sei bezüglich der Frage seiner Voll- oder Minderjährigkeit einerseits das Gutachten unschlüssig, andererseits die angewandte Methode zur Altersfeststellung ungeeignet, seine Volljährigkeit festzustellen. Aufgrund seiner Minderjährigkeit seien auch die Konsultationen mit Griechenland rechtswidrig gewesen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde tritt.

 

2.2. § 41 Abs. 3 AsylG besagt, dass in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden ist. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Der Gesetzgeber hat einerseits für das Verfahren über Berufungen gegen zurückweisende Bescheide in Asylangelegenheiten sehr kurze Fristen vorgesehen (siehe §§ 41 Abs. 2 und 37 Abs. 3 AsylG), andererseits aber die Berufungsbehörde dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Beschwerde stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (vgl. § 41 Abs. 3 AsylG). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG der Beschwerdebehörde einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und in der Sache zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Materialien (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängeln die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Beschwerdebehörde im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des § 41 Abs. 3 AsylG ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn der Beschwerdebehörde - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Beschwerde unmöglich ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin II-VO ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Staates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Dublin II-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

2.3. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im konkreten Fall hat der Beschwerdeführer unterschiedliche Angaben betreffend seine Reiseroute gegeben. In der Erstbefragung vom 01.06.2008 wäre er zuerst schlepperunterstützt von der Türkei nach Griechenland eingereist und von dort über Italien nach Österreich gekommen, in der Einvernahme vom 05.06.2008 in der Erstaufnahmestelle Ost sprach er davon, dass er in der Türkei in einen LKW gestiegen wäre, der mittels einer Fähre nach 40 Stunden in Venedig angekommen wäre.

 

Dies wurde von der erstinstanzlichen Behörde ebenso wenig gewürdigt wie die verschiedenen Datumsangaben bezüglich des Eurodac-Treffers. Die Erstbehörde hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass im AVIS-Abgleich vom 01.06.2008 (As. 21) der Eurodac-Treffer einmal mit 08.05.2006, dann mit 08.05.2007 eingegeben wurde, der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme ausdrücklich festhielt, dass er 2006 nicht in Griechenland eingereist wäre.

 

Im erstinstanzlichen Bescheid wird von der Erstbehörde dann sogar festgehalten, dass der Beschwerdeführer "am 08.05.2008 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt wurde.

 

Ebenso im erstinstanzlichen Bescheid unter "D. Beweiswürdigung" wird weiters festgehalten, dass aufgrund der Zustimmungserklärung der griechischen Asylbehörde sowie des nach der erkennungsdienstlichen Behandlung aufliegenden Eurodac-Treffers, eindeutig feststehe, dass "Sie am 30.03.2008 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt wurden".

 

Weder lässt sich ein Eurodac-Treffer vom 30.03.2008 noch eine Zustimmungserklärung der griechischen Asylbehörde im erstinstanzlichen Verwaltungsakt finden.

 

Sowohl in der Erstbefragung als auch in seiner Einvernahme gab der Beschwerdeführer an, umgehend nach seinen Einreisen in Griechenland von den griechischen bzw. türkischen Behörden wieder in die Türkei zurückgebracht worden zu sein. Es lässt sich daher auch daraus nicht erkennen, warum das Bundesasylamt davon ausgegangen ist, dass Griechenland und nicht vielleicht Italien für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig wäre.

 

Wenn es im Verfahren durch die Mitgliedstaaten zu einer Zuständigkeitserklärung eines Mitgliedstaates kommt, welche auf Umständen beruht, die zweifelhaft sein können (etwa: Vorliegen einer illegalen Einreise oder eines illegalen Aufenthaltes nach Art 10; Nicht-Vorliegen des Endigungstatbestandes nach Art 16 Abs 3), so kann dies im Rechtsmittelverfahren im allgemeinen nur erfolgreich geltend gemacht werden, wenn die Überstellung aus anderen Gründen zu einer Verletzung der EMRK führt; ansonsten ist es mit dem System der Verordnung unvereinbar, die Richtigkeit einer Zustimmungserklärung durch einen Mitgliedstaat im zwischenstaatlichen Verfahren durch nationale Rechtsmittelinstanzen neu aufzurollen: Angesichts des Umstandes, dass sich Beweisfragen oft einer klaren rechtlichen Determinierung entziehen, hätte dies zur Folge, dass die Gerichte des ersuchenden Mitgliedstaates über die Richtigkeit der von den Behörden des ersuchten Mitgliedstaates herangezogenen Maßstäbe urteilten, was nicht nur die Vorhersehbarkeit und somit Rechtssicherheit reduzieren und Verfahrensverzögerungen bewirken würde, sondern vor allem hieße, dass derartige Auslegungsfragen (die nur durch den EuGH final einheitlich zu entscheiden sind; allenfalls im Zuge eines Vertragsverletzungsverfahrens) durch diese nationalen Instanzen kompetenzwidrigerweise "vorentschieden" würden (im Zusammenhang mit Wiederaufnahmeverfahren käme es auch zu einer rechtswidrigen Vermischung der Konzepte von Aufnahme und Wiederaufnahme). Dies ist, solange ein möglicher Anwendungsfehler bei der Auslegung der Dublin II VO nicht in individuell durch die EMRK geschützte Rechtspositionen des Drittstaatsangehörigen eingreift, im Allgemeinen nicht zu rechtfertigen. Die Dublin II VO kennt ihrem System nach kein Recht des Einzelnen, wonach bei jeder fehlerhaften Anwendung der VO ein subjektives Recht des Einzelnen entstünde, dass sein Verfahren im Antragsstaat durchgeführt wird.

 

Dieser gerade herausgearbeitete Grundsatz, wonach das Konsultationsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten und dessen Ergebnis der Rechtskontrolle des einzelnen entzogen ist, wenn die Umsetzung dieses Ergebnisses durch die Überstellung nicht zu einer Verletzung der EMRK führt, steht aber unter der allgemeinen Bedingung, dass das Konsultationsverfahren und die daraus resultierende Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates nicht grob fehlerhaft war. Grob fehlerhaftes Handeln wäre insbesondere dann denkbar, wenn der ersuchende Mitgliedstaat dem ersuchten Mitgliedstaat wichtige Informationen vorenthalten hat (zB im Zuge eines Verfahrens nach Art 10 Abs 1 VO 343/2003 über eine vorangegangene Ersteinreise in einen anderen Mitgliedstaat) und die Zustimmung sodann auf Basis dieser unzureichenden Information erfolgt ist (zur Abgrenzung der "groben Fehlerhaftigkeit" in diesem Zusammenhang siehe etwa rechtsvergleichend Dt. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.10.2005, 3 BS 290). Solche manifesten Verletzungen der Grundsätze der guten Zusammenarbeit und des guten Glaubens (Vertrauensgrundsatz) müssen (sofern sie erst im Rechtsmittelverfahren bekannt werden) insofern releviert werden können, als sie zu einer - im Individualverfahren rügbaren - Unwirksamkeit der Zustimmungserklärung führen, hier auch ausnahmsweise wenn sonst keine Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK vorliegt. Der oben beschriebene Grundsatz existiert somit unter der allgemeinen Schranke des Willkürverbotes der beteiligten Mitgliedstaaten: Wenn diese also ein Konsultationsverfahren in einer Weise führen, dass Bestimmungen bzw rechtliche Grundsätze der Dublin II VO manifest verletzt werden, kann eine darauf gestützte Entscheidung im Sinne des Art 19 Abs 1 VO 343/2003 keinen Bestand haben. Es handelt sich hier insgesamt um einen Ausfluss des Vertrauensgrundsatzes; die Rechtsunterworfenen müssen darauf vertrauen können, dass die Staatsorgane in Vollzug des primär an sie gerichteten Rechts nicht qualifiziert rechtswidrig handeln.

 

Verfahrensgegenständlich liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines grob fehlerhaften Konsultationsverfahrens manifesterweise vor, da wie schon oben ausgeführt, weder die unterschiedlichen Angaben zur Reiseroute noch zum Eurodac-Treffer in irgendeiner Weise gewürdigt wurden.

 

Hinzu kommt, dass die Erstbehörde das Verfahren auch insofern mangelhaft geführt hat, als die Würdigung des Vorbringens des Berufungswerbers als unglaubwürdig nicht nachvollziehbar ist:

Möglicherweise stimmt die Aussage des Beschwerdeführers, 2006 nicht in Griechenland gewesen zu sein, wenn der jahresmäßige Unterschied in der Eintragung des Eurodac-Treffers aufgeklärt wird, was eine unrichtige Behauptung im Konsultationsschreiben an Griechenland zur Folge hätte.

 

Selbst wenn man obige Ausführungen gänzlich außer Acht lässt, ist entscheidungsrelevant, ob der Beschwerdeführer tatsächlich volljährig ist, da andernfalls jedenfalls eine Zuständigkeit Österreichs gemäß Art. 6 der Dublin-II VO bestünde.

 

Da die Erstbehörde Zweifel an der vom Beschwerdeführer behaupteten Minderjährigkeit hatte, beauftragte sie Dr. K. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des Alters des Beschwerdeführers (AS 123 ff). Das Gutachten ist ausgesprochen kursorisch gehalten, Angaben über die spezifische Qualifikation des Gutachters und die Verlässlichkeit der von ihm verwendeten Methoden, sowie die Gewichtung der verschiedenen Methoden untereinander fehlen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht möglich, schlüssig nachzuvollziehen, wie der Gutachter zu der von ihm festgelegten Altersbestimmung gelangen konnte. Sonstige Umstände, die den Befund der Volljährigkeit decken könnten (zB widersprüchliche Aussagen zu Lebensgeschichte) sind ebenso nicht ersichtlich. Unter diesen Prämissen kann aber der Kritik in der Beschwerde hinsichtlich vermeintlicher Unschlüssigkeit des Gutachtens und Ungeeignetheit der Untersuchungsergebnisse auf Basis der Aktenlage nicht hinreichend begegnet werden.

 

Es muss von Amts wegen Aufgabe der Erstbehörde sein, gerade in einem wissenschaftlich notorischerweise sensiblen Bereich wie jenem der "Altersfeststellung" vor Befassung eines Gutachters Erhebungen zu dessen Untersuchungsmethodik und Reputation (sofern diese nicht als notorisch anzusehen ist) zu machen.

 

An dieser Einschätzung vermag auch die Stellungnahme von Dr. K. nichts zu ändern, in der er die von ihm angewandte Methode zur Altersfeststellung mittels Ultraschalluntersuchung von Niere und Schilddrüse zu untermauern versucht. In dieser Stellungnahme wird nämlich einerseits keinerlei spezifische ausgewiesene Expertise Dris. K. zur Altersfeststellung dargelegt und andererseits bestätigt, dass für die Feststellung des Alters einer Person die Methode der Vermessung von Niere und Schilddrüse lediglich als Unterstützung des subjektiven Eindrucks der körperlichen Stigmata und der persönlichen Einschätzung dienen könne. Zudem gesteht die Stellungnahme zu, dass Überschneidungen der Messdaten aus dem Kinder- und Jugendalter und aus dem Erwachsenenalter möglich seien und eine genaue Feststellung des chronologischen Alters mit der Methode der Vermessung von Nieren- und Schilddrüsenvolumen nicht möglich seien. Dies sei nach Ansicht Dris. K. nur mittels eines Handwurzelröntgens und Bestimmung des Knochenalters möglich. Aus dem Gutachten von Dr. K. geht nun geradezu nicht hervor, in wie weit im gegenständlichen Fall in nachvollziehbar dargestellter Weise andere Methoden zwecks Feststellung des Alters konkret angewandt worden sind. Im Gutachten von Dr. K. wird somit nicht dargestellt, wie und in wie fern unter Zugrundelegung anderer Methoden Rückschlüsse auf das konkrete Alter des Beschwerdeführers gezogen werden konnten.

 

Da die Erstbehörde also überdies eine entscheidungsrelevante Vorfrage hinsichtlich der Zuständigkeit Griechenlands nicht hinreichend geklärt hat, war gemäß § 41 Abs 3 3. Satz AsylG vorzugehen. So die Erlassung einer neuerlichen Unzuständigkeitsentscheidung beabsichtigt ist, werden zum Thema des Alters des Beschwerdeführers ergänzende Entscheidungsgrundlagen dem Verfahren zugrunde zulegen und dem Parteiengehör zu unterwerfen sein.

 

3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte nunmehr angesichts des Spruchinhaltes entfallen. Bei dieser Sachlage konnte auch auf eine Erörterung der weiteren Kritik in der Beschwerde am griechischen Asylverfahren verzichtet werden.

Schlagworte
Kassation
Zuletzt aktualisiert am
14.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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