TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/23 S2 401572-1/2008

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Veröffentlicht am 23.09.2008
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Spruch

S2 401.572-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde von A.A.Q., angeblich geb. 00.00.1992, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.09.2008, GZ 08 03.693, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 25.04.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 25.04.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

 

1.2. Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 15.02.2008 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden war (AS 89).

 

1.3. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25.04.2008 (AS 19ff) gab der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Dolmetschers der Sprache Dari im Wesentlichen an, er sei ca. 1992 in B. Afghanistan geboren und habe sein Heimatland 1999 verlassen. Er sei mit seiner Familie nach Pakistan gegangen, wo er sich acht Jahre aufgehalten habe. Von Pakistan sei er in den Iran und von dort in die Türkei. Von der Türkei sei er mit einem kleinen Boot am 24.04.2008 nach Italien gereist. Danach sei er mit einem LKW ca. zwei Stunden bis nach Udine gefahren. Dort habe er sich eine Zugkarte nach Villach gekauft und sei kurz vor Villach aufgegriffen worden. Er habe in keinem anderen Land um Asyl angesucht.

 

1.4. Am 15.05.2008 wird dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass Konsultationen mit Griechenland geführt werden. (AS 85f)

 

1.5. Aufgrund der Zweifel des Bundesasylamtes an der behaupteten Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde dieser zu einer ärztlichen Altersfeststellung geladen. Am 08.05.2008 wurde er von Dr. K. untersucht. In dem als Sachverständigengutachten bezeichneten Befund werden Größe, Gewicht, Geschlecht, Körperbau, Kopfumfang, Anzahl der Zähne, Art der Behaarung, Farbe der Nägel und Größe der Nieren und Volumen der Schilddrüse wiedergegeben. Ohne nähere fallbezogene Begründung folgt eine Zusammenfassung, wonach "aufgrund der äußeren Inspektion, des äußeren Eindrucks sowie der sonographischen Messgrößen von Nieren und Schilddrüse das Alter von Herrn A.A.Q. auf 20 bis 22 Jahre, jedoch deutlich über dem 18. Lebensjahr eingeschätzt" werde (AS 115f).

 

1.6. Das Bundesasylamt richtete am 26.06.2008 ein auf Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO") gestütztes Aufnahmeersuchen an Griechenland (AS 133ff).

 

1.7. Am 27.06.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass Konsultationen mit Griechenland geführt würden und aus diesem Grund beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (AS 169f).

 

1.8. Das diesbezügliche Aufnahmeersuchen blieb indes - jedenfalls bis 28.07.2008 - unbeantwortet, woraufhin Österreich den griechischen Behörden mit einem weiteren Schreiben des Bundesasylamtes vom 28.07.2008 mitteilte, dass aufgrund der unterbliebenen Antwort betreffend den Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 7 und Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO die Aufnahmeverpflichtung bei Griechenland liege (AS 181).

 

1.9. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 31.07.2008 gab der Beschwerdeführer nach ausführlicher Rechtsberatung im Wesentlichen an, er sei 1992 in Afghanistan geboren und daher minderjährig. Er sei gesund und nehme keine Medikamente ein. Auf den Vorhalt, die Untersuchungen von Dr. K. hätten ergeben, dass er in einem Alter von 20-22 Jahren sei, führte er aus, dass in Afghanistan das Geburtsdatum nicht aufgeschrieben werde, man aber in der Schule festgehalten hätte, er sei 1992 geboren. Der Beschwerdeführer wurde darüber informiert, dass die Behörde davon ausgehe, dass er volljährig sei. Er teilte weiters mit, dass er unbegleitet sei und weder er noch jemand anderer aus seiner Familie je einen Asylantrag gestellt hätten. Er gäbe in Österreich weder Personen zu denen er abhängig wäre noch Personen zu denen ein enges Verhältnis bestehe. Der Beschwerdeführer gab an, vor ca. sieben Monaten sein Heimatland verlassen zu haben. Am 31.12.2007 sei er in Pakistan angekommen. Von dort sei er in den Iran weitergereist um am 18.01.2008 in Teheran angekommen. Vom Iran sei er in die Türkei, wo er sich drei Wochen aufgehalten habe. Von Izmir sei er mit einem Motorboot nach Griechenland gefahren wo er ca. zwei Monate geblieben sei. Von dort sei er versteckt auf einem LKW nach Italien und anschließend mit dem Zug nach Villach, wo er von der Polizei aufgegriffen wurde. Dadurch dass sein Vater 1995 als Märtyrer gestorben sei und seine Familie danach viele Probleme gehabt hätte, hätten sie nach Pakistan flüchten müssen. 1997 seien sie nach Afghanistan zurückgekehrt. Sie hätten aber 2007 wieder flüchten müssen, da der Feind seines Vaters immer noch Rache gewollt hätte. In Bezug auf seine Abschiebung nach Griechenland gab der Beschwerdeführer an, in Griechenland würde ein Asylwerber keine Dokumente und weder Unterkunft noch Verpflegung bekommen. Asylwerber müssten nach einem Monat das Land verlassen und sich diese Reise selbst organisieren. Ohne Dokumente könne man keine medizinische Behandlung bekommen. (AS 209ff)

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Griechenland gemäß Art. 10 Abs. 1 iVm Art 18 Abs. 7 Dublin II-VO zur Prüfung dieses Antrages zuständig sei, sowie II. der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei. (AS 221)

 

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende fristgerechte Beschwerde, eingelangt am 09.09.2008, in der im Wesentlichen geltend gemacht wird, dass man in Griechenland keine menschenwürdige Aufnahme im Asylverfahren finden könne, da es keinen Arzt, kein Quartier und kein Essen für Asylwerber gäbe. Außerdem gäbe es in Griechenland andere Afghanen, die den Beschwerdeführer kennen würden und dadurch würden seine Feinde ihn finden und umbringen. In Griechenland sei daher ebenfalls sein Leben in Gefahr. (AS 303f)

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich folgendes:

 

2.1. Mit 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag im April 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG idF BGBI. I Nr. 100/2005 zur Anwendung gelangt.

 

2.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Dublin II-VO lauten:

 

"Artikel 6

 

Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt.

 

Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig.

 

(...)

 

Artikel 10

 

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

 

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Asylbewerber - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich zum Zeitpunkt der Antragstellung zuvor während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

 

Hat der Asylbewerber sich für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo dies zuletzt der Fall war, für die Prüfung des Asylantrags zuständig."

 

Im Beschwerdefall ist entscheidungsrelevant, ob der Beschwerdeführer - wie durchgehend behauptet - minderjährig ist, da diesfalls gemäß Art. 6 der Dublin II-VO die Zuständigkeit Österreichs gegeben wäre. Da die Erstbehörde Zweifel an der vom Beschwerdeführer behaupteten Minderjährigkeit hatte, beauftragte sie Dr. K. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des Alters des Beschwerdeführers. Dieses Gutachten ist - wie der Asylgerichtshof bereits in gleichgelagerten Fällen ausgesprochen hat (z.B. AsylGH vom 24.07.2008, S12 400.630-1/2008/2E, ua) - ausgesprochen kursorisch gehalten, Angaben über die Gewichtung der verschiedenen Methoden untereinander fehlen ebenso wie fallbezogene Wertungen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht möglich, schlüssig nachzuvollziehen, wie der Gutachter zu der von ihm festgelegten Altersbestimmung gelangen konnte. Eine Abwägung sonstiger Umstände, die den Befund der Volljährigkeit decken könnten (z.B. widersprüchliche Aussagen zur Schulbesuchsdauer oä) ist ebenso nicht ersichtlich. Unter diesen Prämissen kann aber der Kritik in der Beschwerde hinsichtlich der Abschiebung nach Griechenland auf Basis der Aktenlage nicht hinreichend begegnet werden. Die Behörde hat gerade in einem wissenschaftlich notorischerweise sensiblen Bereich wie jenem der "Altersfeststellung" die Aufgabe, auf die Schlüssigkeit des diesbezüglichen Gutachtens zu dringen und darauf Bedacht zu nehmen, dass die angewandten Methoden anerkannt sind.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 3 erster Satz AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist gemäß § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Da die Erstbehörde - wie oben dargelegt - die entscheidungsrelevante Frage der Volljährigkeit des Beschwerdeführers zur Beurteilung der Unzuständigkeit Österreichs nicht hinreichend geklärt hat, erweist sich der vorliegende Sachverhalt als so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Klärung dieser Frage hat in einem mängelfreien Verfahren durch Einholung eines schlüssigen Gutachtens samt Parteiengehörsgewährung und allenfalls ergänzender Befragung des Beschwerdeführers sowie gegebenenfalls Überprüfung seiner Altersangaben in Griechenland zu erfolgen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Bei dieser Sachlage konnte auch auf eine Erörterung der weiteren Kritik in der Beschwerde am maltesischen Asylverfahren nicht eingegangen zu werden.

Schlagworte
Gutachten, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Minderjährigkeit
Zuletzt aktualisiert am
11.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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