TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/24 D5 300572-1/2008

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Veröffentlicht am 24.09.2008
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Spruch

D5 300572-1/2008/8E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Christine AMANN als Vorsitzende und den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Beisitzer über die Beschwerde des M.G., geb. 00.00.1966, StA. von Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.3.2006, FZ. 04 17.404-BAT, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsangehöriger, reiste seinen Angaben zufolge am 28.8.2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 29.8.2004 einen Asylantrag. Am 7.9.2004 fand seine Ersteinvernahme und am 3.3.2005 seine Zweiteinvernahme vor dem Bundesasylamt statt. Mit Bescheid vom 22.3.2006, Zahl: 04 17.404-BAT, wies das Bundesasylamt seinen Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 ab (= Spruchteil I.) und erklärte das Bundesasylamt seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 für zulässig (= Spruchteil II.); gleichzeitig verfügte das Bundesasylamt die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl. Nr. 101/2003 (= Spruchteil III.). Nachdem dieser Bescheid dem Beschwerdeführer am 26.3.2006 zugestellt worden war, erhob er dagegen fristgerecht eine Beschwerde.

 

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 7.9.2004 beim Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer vor dem Organwalter Hr. S. zu seinem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er sei Kriminalbeamter gewesen. Er habe damals den Rauschgifthandel untersucht. Im Zuge dieser Ermittlungen habe sich herausgestellt, dass ein hoher Beamter, den Rauschgifthandel organisiert habe. Er habe die Ergebnisse seiner Untersuchung berichtet. Ab diesem Zeitpunkt hätten die Verfolgungen gegen ihn begonnen. Er sei mehrmals bedroht und geschlagen worden und in weiterer Folge habe er seinen Job verloren. Er habe im Fernsehen ein Interview gegeben, wo er über die kriminellen Machenschaften der Polizei erzählt habe. Daraufhin sei er nach einigen Tagen von einer unbekannten Person mit einem Messer niedergestochen worden. Er sei nach B. gefahren und habe sich dort versteckt. In B. habe er als einfacher Arbeiter gelebt. Nach dem Machtwechsel 2003 sei er zurückgekehrt und habe er Arbeit bei einer Spezialeinheit bekommen. Er habe an vielen Operationen dieser Einheit teilgenommen. 2004 sei er ohne Gründe geschlagen und entlassen worden. Es habe sich herausgestellt, dass seine Verfolger in der neuen Regierung wieder wichtige Positionen inne hätten. Daraufhin habe er sein Heimatland verlassen.

 

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 3.3.2005 beim Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer vor dem Organwalter Hr. L. zu seinem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er sei von 1988 bis zum Jahr 1998 in Georgien als Kriminalbeamter tätig gewesen. Er sei dort von seinem ersten Tag an im Drogendezernat eingesetzt gewesen. Seine Dienststelle habe direkt dem Innenministerium unterstanden. Sein Abteilungschef habe XY geheißen, dieser wiederum sei dem Verwaltungschef XX untergeordnet gewesen. Im Jahr 1994 habe er zwei Drogenhändler festgenommen. Beide hätten ausgesagt, dass sie im Auftrag von XY und XX die Drogen verkauft hätten. Er habe sich an die Innere Polizei im Innenministerium gewandt. 1996 sei er entführt und brutal verprügelt worden. Nachdem ihn die Entführer freigelassen hätten, sei er wieder seiner Arbeit nachgegangen. Er habe diese Leute verhaften wollen, weil sie das ganze Land mit Drogen versorgt hätten. Im Jahr 1997 sei ihm wieder eine Festnahme einer Drogenhändlerin gelungen, die wiederum bestätigt habe, dass sie im Auftrag von XY die Drogen verkauft habe. Während er als Kriminalbeamter weitergearbeitet habe, sei auf ihn geschossen worden. Im Jahr 1998 sei ihm gekündigt worden, obwohl es keinen Kündigungsgrund gegeben habe. Er sei dann auf das Land gezogen. Im Jahr 2001 sei er zurückgekehrt und habe eine NGO aufgesucht, damit ihm geholfen werde. Danach sei er von einer Journalistin im Fernsehen interviewt worden. Im Zuge dieses Interviews habe er über XY und XX und deren Drogenhandel geredet. Er sei während dieses Interviews erkennbar gewesen. Danach sei er in seinem Haus von mehreren Polizeibeamten festgenommen worden. Sie hätten ihn auf die Polizeistelle gebracht und hätten ihm Drogen auf den Tisch gelegt. Er gab vor, dass er sich auf ihre Seite schlagen werde, denn er habe gewusst, dass diese Festnahme im Auftrag seiner Vorgesetzten XY und XX geschehen sei. Auf dem Weg nach Hause, sei er von jemandem angeschossen und am Bein verletzt worden. Am nächsten Tag sei er nach B. geflohen. Im Jahr 2003 sei er, nach dem Machtwechsel in der Regierung zurückgekehrt. Es sei innerhalb der inneren Truppen eine Spezialeinheit gegründet worden, welche die Korruption bekämpft habe. In diese Spezialeinheit sei er aufgenommen worden. Er sei während seiner Tätigkeit von den Kollegen verprügelt worden, denn auch in dieser Spezialeinheit hätte XY seine Leute gehabt. Er habe niemanden angezeigt, sondern sich wieder an die NGO¿s gewendet. Er habe jedoch nicht mehr abgewartet, sondern sei nach Österreich geflüchtet. Wenn er zurückkehre, könne er in Georgien überall gefunden werden, denn er habe viele Informationen über gewisse Leute und hätten diese Angst vor ihm. Wenn er zurückkehre, dann werde er umgebracht.

 

Im o.a. Bescheid vom 22.3.2006 stellte das Bundesasylamt (durch die Organwalterin Fr. G.) zunächst als maßgebenden Sachverhalt fest:

 

Die Identität des Beschwerdeführers sei in Ermangelung geeigneter Identitätsdokumente nicht feststellbar gewesen. Hinsichtlich der Ausführungen zu den Gründen für das Verlassen seines Heimatlandes wird dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Mit der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme könne kein Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers festgestellt werden.

 

In der Folge traf das Bundesasylamt auf Seite 15 bis 41 des o.a. Bescheides Länderfeststellungen zur Lage in Georgien.

 

Das Bundesasylamt führte sodann im o.a. Bescheid als Beweiswürdigung aus:

 

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers habe keine Glaubwürdigkeit zuerkannt werden können. Den Voraussetzungen für die Qualifizierung eines Erlebnisberichtes als glaubhaft, habe der Beschwerdeführer nicht entsprochen. Vor dem Hintergrund dieser Prämissen sei die vom Beschwerdeführer vor der Behörde präsentierte Fluchtgeschichte tatsächlich als zu blass, wenig detailreich sowie gänzlich oberflächlich und daher in der Folge als nicht glaubhaft zu qualifizieren gewesen. In diesem Zusammenhang sei konkret anzuführen, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner Einvernahme am 3.3.2005 ausgeführt habe, dass er als Kriminalbeamter in der Drogenbekämpfung gearbeitet habe und im Zuge dieses Tätigkeit zwei Drogenhändler verhaftet habe, welche behauptet hätten, im Auftrag von XY, tätig gewesen zu sein und habe es aus diesem Grund diverse Verfolgungshandlungen gegen ihn gegeben, wobei allerdings diesem Vorbringen aus den folgenden Gründen keine Glaubwürdigkeit zukomme:

So sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zu Beginn seiner Niederschrift behauptet habe, dass er einmal und zwar im Jahre 1995 entführt worden sei und ein Monat lang gefoltert worden wäre, jedoch in seiner erstinstanzlichen Ersteinvernahme diese Geschehnisse nicht einmal ansatzweise erwähnt habe. Des Weiteren sei den Ausführungen des Beschwerdeführers entgegenzuhalten, dass er wiederum behauptete, zweimal und zwar 1996 für eine Woche und 2007 ebenfalls für eine Woche entführt worden zu sein. Wiederum sei den Ausführungen des Beschwerdeführers entgegenzuhalten, dass dessen Ehegattin im Rahmen ihrer Einvernahmen angegeben habe, dass sie nicht wisse, an welcher Dienststelle ihr Ehemann beschäftigt gewesen sei bzw. wann genau die Probleme begonnen hätten, sie glaube es sei 1996 oder 1997 gewesen. Weiters habe sie im Widerspruch zum Ehegatten behauptet, dass dieser einmal im Februar 1997 für eine Woche entführt worden wäre und dass der Ehegatte zwei Mal, nämlich auch im Jahre 1996, zwei Wochen nach der am 00.00.1996 stattgefunden Eheschließung entführt worden sei und somit aus diesen Gründen dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht einmal ansatzweise Glaubwürdigkeit zugesprochen werden könne. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei weiters entgegenzuhalten, dass er anfänglich behauptet habe, im Jahr 2001 bei einem Fernsehsender ein Interview gegeben zu haben und sei er im Anschluss daran von unbekannten Personen mit einem Messer niedergestochen worden, wohingegen er in einer späteren Einvernahme ausführte, dass dieses Interview am 00.00.2001 ausgestrahlt worden sei und er in weiterer Folge auf dem Nachhauseweg angeschossen worden sei. Hinsichtlich dieser widersprüchlichen Vorbringensteile sei weiters festzuhalten, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers wiederum behauptet habe, dass dieses Schussattentat am 00.00. oder 00.00.2004 passiert sei und das behauptete Fernsehinterview am 00.00.2001 stattgefunden habe. Aufgrund all dieser Ausführungen des Beschwerdeführers sei somit nicht einmal ansatzweise glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer aus den angeführten Gründen Georgien verlassen habe und könne aufgrund obiger Ausführungen den vom Beschwerdeführer in Kopie vorgelegten Schreiben ebenfalls keine Beweiskraft zukommen.

 

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes führte das Bundesasylamt im o.a. Bescheid zu § 7 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 (= Spruchteil I.) insbesondere aus:

 

Grundsätzliches Erfordernis für die Gewährung von Asyl sei, dass der Beschwerdeführer glaubhaft mache, dass er in seiner Heimat einer Verfolgung aus politischen, religiösen, rassischen, ethnischen oder sozialen Gründen ausgesetzt sei bzw. im Falle der Rückkehr in seine Heimat eine solche zu befürchten habe. Wie bereits ausführlich dargelegt worden sei, sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, die Gründe für das Verlassen des Heimatlandes glaubhaft zu machen.

 

In Bezug auf die Entscheidung über den subsidiären Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (= Spruchteil II.) führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus:

 

Wie bereits in der Begründung zur Entscheidung über den Asylantrag ausgeführt worden sei, könne in Fall des Beschwerdeführers von einer Glaubhaftmachung der Fluchtgründe nicht gesprochen werden, weshalb auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 57 FrG ausgegangen werden könne. Aus der allgemeinen Lage im Heimatland des Beschwerdeführers allein ergebe sich eine solche Gefährdung nicht.

 

Soweit der Beschwerdeführer eine zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aktive Hepatitis C Koinfektion bzw. eine HIV Infektion (ohne erforderliche Therapie) bzw. ein Drogenersatzprogramm in Vorlage gebracht habe, sei darauf hinzuweisen, dass mit der - mit einer derartigen Behandlung verbundenen - finanziellen Belastung im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK kein wesentlicher Aspekt angesprochen werde. Dem Umstand schließlich, dass der Beschwerdeführer auch unter medizinischen Gesichtspunkten in Georgien schwierigere Verhältnisse vorfinden würde als in Österreich, komme unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK keine entscheidende Bedeutung zu (vgl. insbesondere das Urteil des EGMR vom 6.2.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Case of Bensaid v. The United Kingdom).

 

In Bezug auf die Entscheidung gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (= Spruchteil III.) stellte das Bundesasylamt fest, dass Hinweise auf das Vorliegen eines Eingriffes in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers iSd. Art. 8 EMRK dem gesamten Vorbringen nicht zu entnehmen seien. Es liege somit kein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich vor. Die Ausweisung stelle daher keinen Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

 

Gegen diesen o.a. Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 4.4.2006 fristgerecht eine Beschwerde, in der er in inhaltlicher Hinsicht seine Angaben vor dem Bundesasylamt wiederholte und eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Verfahrensmängel geltend machte. Schließlich stellte er folgende Anträge:

 

Der Asylgerichtshof möge

 

den angefochtenen Bescheid, allenfalls nach Verfahrensergänzung dahingehend abändern, dass ihm Asyl gewährt werde, in eventu

 

den angefochtenen Bescheid zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Behörde 1. Instanz zurückverweisen, in eventu

 

den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass die Unzulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in sein Heimatland ausgesprochen werde und ihm ein befristetes Aufenthaltsrecht gemäß § 15 AsylG erteilt werde, in eventu

 

den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass der Bescheid im Spruchpunkt betreffend die Ausweisung ersatzlos behoben werde und festgestellt werde, dass seine Abschiebung in sein Heimatland gemäß § 57 FrG unzulässig sei.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

 

Der Beschwerdeführer hat in seinem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht:

 

Er sei als Kriminalbeamter in der Drogenbekämpfung tätig gewesen. Er habe den Rauschgifthandel untersucht. Im Zuge der Ermittlungen habe er herausgefunden, dass ein hoher Beamter den Rauschgifthandel organisiert habe. Er habe seine Ergebnisse berichtet. Danach hätten seine Verfolgungen begonnen. Er sei mehrmals bedroht und geschlagen worden. Nach einer Interviewübertragung im Fernsehen im Jahr 2001, wo er über die Machenschaften der Polizei berichtet habe, sei er von unbekannten Personen schwer verletzt worden. Im Jahr 2003 sei er, nach dem Machtwechsel in der Regierung zurückgekehrt. Es sei innerhalb der inneren Truppen eine Spezialeinheit gegründet worden, welche die Korruption bekämpft habe. In diese Spezialeinheit sei er aufgenommen worden. Er sei während seiner Tätigkeit von den Kollegen verprügelt worden, denn auch in dieser Spezialeinheit hätte XY seine Leute gehabt. Er habe niemanden angezeigt, sondern sei nach Österreich geflüchtet. Wenn er nach Georgien zurückkehre, werde er überall gefunden und umgebracht, denn er habe einige Informationen über gewisse Leute und hätten diese Angst vor ihm.

 

Die Beweiswürdigung im o.a. Bescheides hält in mehrfacher Hinsicht einer näheren Betrachtung nicht stand:

 

1.1. Die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes erschöpft sich zunächst darin, Voraussetzungen für die "Glaubhaftmachung" aufzustellen, und führt dann zur Schlussfolgerung, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht einmal ansatzweise Glaubwürdigkeit zukomme. Der Organwalterin des Bundesasylamtes, die den o.a. Bescheid genehmigt hat, ist auf der einen Seite zuzugestehen, dass die aufgeführten Widersprüche im Vorbringen des Beschwerdeführers sowie die teilweise vorhandenen Unstimmigkeiten zum Vorbringen der Ehefrau auf den ersten Blick den Eindruck einer Unglaubwürdigkeit erwecken mögen. Auf der anderen Seite lässt sich mit diesen kleineren Widersprüchen bzw. Unstimmigkeiten aber nicht die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens des Beschwerdeführers begründen, weil der Beschwerdeführer sehr wohl seine "Fluchtgeschichte" detailreich und mit eigenen Erlebniswahrnehmungen geschildert hat. So kann auch den äußerst knappen Ausführungen des Bundesasylamtes hinsichtlich der vom Beschwerdeführer in Kopie vorgelegten Schreiben und Urkunden nicht gefolgt werden, wenn darin festgehalten wird, dass aufgrund der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens den vorgelegten Schreiben "keine Beweiskraft" zukommen könne, zumal die Beurteilung der Beweiskraft der vorgelegten Schreiben jedenfalls eine inhaltliche Auseinandersetzung damit voraussetzt.

 

1.2. Im gegenständlichen Fall wurde die erstinstanzliche Ersteinvernahme am 7.9.2004 von Hr. S. durchgeführt, die Zweiteinvernahme am 3.3.2005 von Hr. L. und den abschließenden Bescheid des Bundesasylamtes genehmigte Fr. G.. Fest steht jedenfalls, dass bereits die erfolgten erstinstanzlichen Einvernahmen des Beschwerdeführers von jeweils unterschiedlichen Organwaltern durchgeführt wurden und dass in weiterer Folge wiederum eine ganz andere Organwalterin den erstinstanzlichen Bescheid vom 22.3.2006 genehmigt hat. Dass diese Vorgehensweise lediglich deshalb erfolgt wäre, um unverhältnismäßigen Aufwand abzuwenden, lässt sich dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt nicht ansatzweise entnehmen.

 

Der hier im Ermittlungsverfahren unterlaufene Fehler durch unterschiedliche Organwalter wiegt insofern umso schwerer, als die den Bescheid genehmigende Organwalterin im o.a. Bescheid die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers, ohne persönliche Eindrücke aus der Einvernahme, festgestellt hat, wodurch sich auch die oben bereits genannten Begründungen als mangelhaft erweisen.

 

1.3. Zusammenfassend bleibt an dieser Stelle als maßgebend festzuhalten, dass im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren vor dem Bundesasylamt basierend auf dem Verfahrensfehler iSd § 27 Abs. 1 AsylG schwere Mängel - insbesondere mangelhafte Begründungen im o.a. Bescheid - aufgetreten sind.

 

2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich für den zuständigen Senat des Asylgerichtshofes rechtlich Folgendes:

 

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I Nr. 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1.7.2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nichts anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom Asylgerichtshof (konkret: von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat) weiterzuführen.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren nach leg. cit. gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes. Daher ist das Verfahren des Beschwerdeführers von dem zuständigen Senat des Asylgerichtshofes (D/5) weiterzuführen.

 

2.2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.

(...)

 

Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt: "Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20.4.2006, Zl. 2003/01/0285)."

 

Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.6.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr gleichermaßen für den Asylgerichtshof.

 

2.4. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen; § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 27 Abs. 1 erster Satz AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 ist der Asylwerber persönlich von dem zur jeweiligen Entscheidung berufenen Organwalter zu vernehmen, soweit dies ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist.

 

Gegen die in dieser Bestimmung auferlegte Verpflichtung hat das Bundesasylamt im erstinstanzlichen Verfahren des Beschwerdeführers verstoßen (siehe oben 1.2.). Dass hier bereits unterschiedliche Organwalter des Bundesasylamtes die erstinstanzlichen Einvernahmen am 7.9.2004 (Hr. S.) sowie am 3.3.2005 (Hr. L.) durchgeführt haben und nicht auch den in der Folge erlassenen erstinstanzlichen Bescheid vom 22.3.2006 genehmigt haben, oder umgekehrt dass hier die den Bescheid genehmigende Organwalterin des Bundesasylamtes (Fr. G.) nicht auch die erstinstanzlichen Einvernahmen durchgeführt hat, lässt sich laut vorgelegtem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes nicht ansatzweise damit begründen, dass ein unverhältnismäßiger Aufwand abzuwenden gewesen wäre (vgl. VwGH 30.8.2005, Zl. 2004/01/0602).

 

Der erfolgte Verstoß gegen die asylrechtliche Verfahrensregel des § 27 Abs. 1 erster Satz AsylG 1997 wurde in der gegenständlichen Fallkonstellation dadurch zum schweren Verfahrensfehler, dass die den Bescheid genehmigende Organwalterin (Fr. G.) seine Entscheidung mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers begründet hat, ohne diesen persönlich einvernommen zu haben.

 

Bereits in der älteren Judikatur zum AsylG 1997 hat der Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass durch die Bestimmung des § 27 Abs. 1 AsylG die Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes des entscheidenden Organs des Bundesasylamtes zur Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers im besonderen Maße und abweichend von den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes hervorgehoben werde (VwGH 11.11.1998, Zl. 98/01/0308).

 

Der im Fall des Beschwerdeführers gesetzte Verfahrensfehler iSd § 27 Abs. 1 AsylG ist wesentlich, weil nicht auszuschließen ist, dass die den erstinstanzlichen Bescheid genehmigende Organwalterin aufgrund des persönlichen Eindruckes des Beschwerdeführers in einer Einvernahme zu einer anderen Glaubwürdigkeitsbeurteilung und somit zu anderen Feststellungen im o.a. Bescheid gelangen hätte können.

 

Daneben sind im erstinstanzlichen Asylverfahren des Beschwerdeführers noch weitere Mängel - insbesondere mangelhafte Begründung im erstinstanzlichen Bescheid - aufgetreten.

 

Die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft mit dem Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers könnte im gegenständlichen Fall nach Ansicht des zuständigen Senates des Asylgerichtshofes nur dann das maßgebende Ergebnis einer Prüfung sein, wenn dem Beschwerdeführer damit entgegengetreten werden könnte, dass nach vollständiger Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes - insbesondere unter Berücksichtigung und inhaltlicher Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer in Kopie vorgelegten Schreiben und Urkunden - keine Umstände zu Tage treten, die auf eine Gefährdung iSd GFK schließen lassen. Nur in dieser Form hätte das Bundesasylamt im gegenständlichen Fall eine abschließende (negative) Glaubwürdigkeitsprüfung in schlüssiger Weise vornehmen können.

 

Folglich ist das Ermittlungsverfahren betreffend die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers mangelhaft geblieben. Die aufgezeigten Mängel sind wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Vermeidung der Mängel zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte führen können.

 

Fest steht, dass das Bundesasylamt den Sachverhalt im gegenständlichen Fall mangelhaft ermittelt hat, dass die Durchführung oder Wiederholung einer Einvernahme unvermeidlich erscheint.

 

Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes ist der Ansicht, dass die schweren Mängel vom Bundesasylamt zu sanieren sind, da im gegenteiligen Fall der Großteil des Ermittlungsverfahrens vor den Asylgerichtshof als gerichtliche Beschwerdeinstanz verlagert würde und somit - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - der zweiinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen würde.

 

Aus den dargelegten Gründen ist gemäß § 66 Abs. 2 AVG der o.a. Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
05.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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