TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/24 D8 400364-1/2008

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Veröffentlicht am 24.09.2008
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Spruch

D8 400364-1/2008/6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Gollegger als Vorsitzende und den Richter Mag. Kanhäuser als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Thurner über die Beschwerde des D.O., geb. 00.00.1989, StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. Juni 2008, Z 06 14.198-BAS, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I.

 

1.1 Der (nunmehrige) Beschwerdeführer reiste am 10. Dezember 2006 in das Bundesgebiet ein und brachte am 30. Dezember 2006 beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz ein. In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass sein Vater in einer Fabrik, die nach dem Zerfall der Sowjetunion an den Staat Ukraine übergegangen sei, gearbeitet habe und sein Vater einen Treueid leisten hätte müssen, was er verweigert habe. Sein Vater habe Probleme mit den Behörden bekommen und sei gerichtlich verfolgt worden. Seine Mutter sei nach dem Aufenthalt des Vaters gefragt worden. Seine Eltern hätten sich deshalb pro forma scheiden lassen. Er selber sei auch vernommen worden. Er sei von einem Mann Ende August 2006 bedroht und nach dem Verbleib seines Vaters gefragt worden. Er habe sein Stipendium an der Universität in der Ukraine aufgegeben und um ein Visum für Österreich angesucht, damit seine Mutter in Ruhe gelassen werde. Er habe, da sein Vater Weißrusse und seine Mutter Russin sei, ein Problem, wenn er nach seiner Nationalität gefragt werde. Als Russe werde man in der Ukraine benachteiligt. Er habe Angst, dass seine gesamte Familie aufgrund seines Auslandsaufenthaltes Probleme bekommen werde.

 

In seiner Einvernahme vor dem BAA, EAST-West, am 18. Jänner 2007 gab der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Vaters D.G. im Wesentlichen an, dass sein Leben in der Ukraine in Gefahr gewesen sei. Seine Ängste hätten mit seinem Vater zu tun. Sein Vater sei unter Druck gesetzt worden und hätte einen Eid für das ukrainische Militär leisten müssen. Sein Vater sei außerdem versetzt worden. Nach einem siegreichen Gerichtsverfahren habe der Direktor dem Vater des Beschwerdeführers angekündigt, dass er keine Entschädigung bekommen werde. Er selbst sei nach den Gerichtsverfahren mit einem Messer, sein Vater mit einer Pistole bedroht worden. Er sei im August 2006 bedroht und unter Androhung von "Schwierigkeiten für die ganze Familie" nach dem Aufenthaltsort seines Vaters befragt worden. Er habe sich zur Ausreise entschlossen, nachdem er Angst gehabt habe, weiter in der Ukraine zu verbleiben. Er gehe davon aus, dass seine Schwester und Mutter nach seiner Ausreise in Ruhe gelassen würden. Sein Vater habe auch gesundheitliche Probleme, einen Schlaganfall erlitten und eine 20%ige Behinderung. In der Schule sei er diskriminiert worden aufgrund seiner russischen Volksgruppenzugehörigkeit. Er habe auch kein Vertrauen in die Miliz und nach dem Überfall keine Anzeige erstattet. Auf seiner Reise nach Kiew sei seine Mutter in der U-Bahn beraubt worden, weshalb sie Anzeige erstattet hätten. Von den Beamten seien sie beschimpft worden und man hätte ihnen ein Protokoll verweigert. Die Beamten der Miliz würden mit den Tätern zusammenarbeiten. Seine Familie habe aktuell keine Probleme in seinem Herkunftsstaat. Er gab weiters an, an der Kadettenschule wegen angeblich mangelhafter Kenntnisse der ukrainischen Sprache nicht aufgenommen worden zu sein. An der Schule bzw. Uni sei er als Russe beschimpft worden. Über Nachfrage des einvernehmenden Organwalters des BAA gab der Beschwerdeführer an, dass in der Ukraine Meldepflicht herrsche. Für den Fall seiner Rückkehr fürchte er dieselben Probleme, die er bereits gehabt habe. Sein Leben sei in Gefahr.

 

In einer weiteren Einvernahme vor dem BAA, Außenstelle Salzburg, am 28. November 2007 gab der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Vaters als Vertrauensperson im Wesentlichen an, dass seine Schwester im Sommer in Österreich gewesen sei und von seiner Mutter ausrichten habe lassen, dass er keinesfalls in die Ukraine zurückkehren solle. Seine Mutter sei im Sommer nach seinem Aufenthalt befragt worden. Er sei bereits ein Mal mit einem Messer bedroht worden und habe Angst, dass sich ein derartiger Vorfall wiederhole. Er sei für die Verfolger seines Vaters von Interesse, da diese davon ausgehen würden, dass er Kontakt mit seinem Vater habe. Seine Schwester sei nicht nach ihrem Vater befragt worden. Seine Mutter erkläre den Verfolgern, dass sie von seinem Vater geschieden sei und keinen Kontakt zu ihm pflege. Ihm glaube man hingegen nicht, dass er den Aufenthaltsort seines Vaters nicht kenne und habe er deshalb ausreisen müssen. Zum Hergang des Überfalles auf seine Person gab der Beschwerdeführer an, dass er im August 2006 untertags von einem Mann gepackt und mit einem Messer bedroht worden sei. Dieser Mann habe nach seinem Vater gefragt und ihm "ernsthafte Probleme" für den Fall, dass er lüge, angedroht. Zur ukrainischen Polizei habe er überhaupt kein Vertrauen, weshalb er keine Anzeige erstattet habe. Außerdem habe sein Vater Probleme mit den "Personen, die an der Macht stünden", gehabt. Es könne nicht sein, dass solche Personen keine Verbindungen zur Polizei hätten. Es sei kein Geheimnis, dass in allen UdSSR-Ländern Korruption in der Polizei herrsche. Der Beschwerdeführer schilderte, dass er nach einem Diebstahl von der Polizei belächelt worden sei, als er die Erstellung eines Protokolls verlangt habe. Von den Tätern sei er in Anwesenheit der Polizisten beleidigt worden. Bisher habe keine Verhandlung gegen diese Täter stattgefunden. Er sei außerdem im Frühjahr 2006 nach dem Aufenthalt des Vaters befragt, jedoch nicht bedroht worden. Sein Vater hätte in der Ukraine eine Gerichtsverhandlung gewonnen, deren Entscheidung jedoch nicht vollzogen worden sei. Der Beschwerdeführer führte näher aus, inwiefern er als Russe diskriminiert worden sei. Hinter der Bedrohung aus dem August 2006 stünden hochrangige Personen. Dem Beschwerdeführer wurden Länderdokumente ausgehändigt und eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme eingeräumt. Er gab an, dass er in einem Land, in dem die Menschenrechte eingehalten werden, leben wolle. In der Ukraine fühle er sich nicht sicher. Er habe Angst, umgebracht oder zu einem Krüppel gemacht zu werden. Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab er an, dass er an der Universität studiere und Deutsch lerne. Seine Großmutter unterstütze ihn finanziell.

 

Am 11. Dezember 2007 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers beim BAA ein.

 

Mit Schreiben vom 3. März 2008 übermittelte das BAA dem Beschwerdeführer das Ergebnis der durchgeführten Länderrecherche zur Stellungnahme, welche am 19. März 2008 erstattet wurde.

 

Am 8. Mai 2008 fand eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BAA, Außenstelle Salzburg, statt, in der der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Vaters als Vertrauensperson im Wesentlichen angab, dass er in einem Teil der Ukraine wohne, in der die Russen in der Minderheit seien. Die russische Sprachkultur werde vernichtet. Der Beschwerdeführer wurde befragt, wann er sich zur Ausreise entschloss und wie die Zulassung zum Studium in Österreich vonstatten ging. Über Vorhalt des einvernehmenden Organwalters des BAA, wonach die ukrainischen Behörden schutzfähig und -willig seien, führte der Beschwerdeführer aus, dass die Polizei mit den Dieben zusammengearbeitet hätte und nach dem Diebstahl das Geld nicht zurückgegeben worden sei. Er gab weiters an, dass ihn seine Großmutter nicht mehr unterstützen könne. Der Beschwerdeführer führte aus, dass er "vom ersten Tag an" Asyl gewollt habe und erst von seinem Vater unterrichtet worden sei, wie er vorzugehen habe. Er stünde in Österreich nicht in medizinischer Behandlung und müsse keine Medikamente einnehmen. Er gab an, dass er bei seiner Rückkehr in Gefahr sei und nicht zurückkehren könne. Zu seiner persönlichen Lebenssituation in Österreich gab er an, dass er an der Universität studiere und aufgrund guter Leistungen ein Stipendium erhalten habe. Er sei in Grundversorgung, arbeiten würde er nicht. Er sei in Kontakt mit anderen Studenten und werde von Bekannten seines Vaters öfters eingeladen. Außer seinem Vater würden sich keine weiteren Verwandten oder Angehörigen in Österreich befinden.

 

1.2 Mit Bescheid vom 13. Juni 2008, Z 06 14.198-BAS, wies das BAA den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idgF, ab und erklärte, dass der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt werde (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG nicht zuerkannt und in Spruchpunkt III. wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Ukraine ausgewiesen.

 

1.3 Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 30. Juni 2008 (beim Bundesasylamt am 1. Juli 2008 eingelangt) durch seinen ausgewiesenen Vertreter fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde) wegen behaupteter gravierender Feststellungs- und Begründungsmängel, in der er im Wesentlichen geltend macht, dass dem Beschwerdeführer kraft eigener Asylgründe oder aus dem Familienverfahren Asyl zu gewähren sei. Das BAA habe keine konkreten Feststellungen zu den Ausreisegründen des Vaters des Beschwerdeführers getroffen, sondern fast ausschließlich "Negativ-Feststellungen". Das BAA lasse im Bescheid des Vaters des Beschwerdeführers nicht erkennen, ob es das Vorbringen zu seinen Ausreisegründen als glaubhaft angesehen habe und der rechtlichen Beurteilung zu Grunde lege. Der Vater des Beschwerdeführers moniert in seiner Beschwerde unter Zitierung von Passagen aus dem Bescheid, dass aus der Begründung des Bescheides nicht hervorgehe, von welchem "Individualsachverhalt" die belangte Behörde ausgehe und als glaubwürdig eingestuft werde. Im Übrigen wiederholt der Vater des Beschwerdeführers im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen in chronologischer Reihenfolge. Besonders hervorgehoben wurde vom Vater des Beschwerdeführers, dass er sich im Unternehmen kontinuierlich "hinaufgearbeitet" habe und sich durch seine Schritte gegen die Unternehmensführung zu einer exponierten Person gemacht habe, die aufgrund der Drohungen seitens der Arbeitgeber zur Kündigung gezwungen sah. Den Beschwerdeführer habe man erstmals im Frühling 2006 nach seinem Aufenthalt gefragt und im August 2006 schließlich mit einem Messer bedroht. Seine Mutter habe ihm eröffnet, dass sie bereits mehrere Befragungen über sich ergehen lassen habe müssen. Die belangte Behörde habe die nach der Ausreise des Vaters des Beschwerdeführers erfolgten Verfolgungshandlungen bei der Prüfung des Vorbringens gänzlich ausgeblendet. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass ein Familienverfahren zu führen sei. Der Beschwerdeführer habe eigene Gründe geltend gemacht, die in engem Konnex und Zusammenhang zur Verfolgungsgeschichte und den Ausreisegründen seines Vaters stünden. Die belangte Behörde habe sich trotz intensiver Befragung des Beschwerdeführers auf die Aussage beschränkt, dass der Beschwerdeführer keinen asylrelevanten Sachverhalt geltend gemacht habe und eine Verfolgung seiner Person, jedoch nicht seiner Mutter, nicht glaubhaft sei. Das BAA habe ihrer Beweiswürdigung unbewiesene Tatsachen und Annahmen zu Grunde gelegt habe, weshalb sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften belaste. Der Beschwerdeführer habe Diskriminierung wegen seiner weißrussischen Herkunft geltend gemacht, womit sich das BAA nicht auseinandergesetzt habe. Der Beschwerdeführer führt weiters aus, worin die Benachteiligung des Beschwerdeführers und seines Vaters als Weißrussen bestünden und macht geltend, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers unzumutbar sei. Der Vater des Beschwerdeführers habe sich vor dem Hintergrund der herrschenden politischen und gesellschaftlichen Landschaft der Ukraine politisch und sozial extrem exponiert, was nicht mehr rückgängig zu machen sei. Der Vater des Beschwerdeführers sei Opfer politisch motivierter Verfolgung geworden und grundrechtsrelevanter und intensiver Verfolgungseingriffen und -nachteilen ausgesetzt. Als Auffangtatbestand sei die Zugehörigkeit des Vaters des Beschwerdeführers zur sozialen Gruppe der politisch und rechtlich engagierten Menschen der Ukraine erfüllt. Schließlich wurden Oberflächlichkeit und Mangelhaftigkeit der Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Ukraine geltend gemacht. Der Beschwerdeführer stellte die Anträge, 1. den bekämpften Bescheid dahingehend abzuändern, dass Asyl gewährt werde für den Vater des Beschwerdeführers und den Beschwerdeführer im Familienverfahren oder

2. für beide kraft eigener Flüchtlingseigenschaft, in eventu 3. subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu 4. die Ausweisungsentscheidungen ersatzlos zu beheben. Weiters wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Weiters stellte der Beschwerdeführer die Anträge, den bekämpften Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG zu beheben und die Asylsache an die Erstbehörde zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung und zur neuerlichen Bescheiderlassung zurückzuverweisen, eine spezifische Länderrecherche durchzuführen und einen Sachverständigen für die aktuelle Lage in der Ukraine beizuziehen.

 

2. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tage, Zl. D8 224455-3/2008/5E, wurde - in Erledigung der Beschwerde des Vaters des Beschwerdeführers - der Bescheid des BAA vom 13. Juni 2008, Z 03 20.789-BAS, mit dem der Asylantrag des Vaters des Beschwerdeführers abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Vaters des Beschwerdeführers in die Ukraine für zulässig erklärt wurde und der Vater des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Ukraine ausgewiesen wurde, behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Rechtslage:

 

1.1 Mit 01.07.2008 wurde die ursprünglich zuständige Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, aufgelöst, an seine Stelle trat der neu eingerichtete Asylgerichtshof.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, BGBl. I 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 01.07.2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 des Art. 2 des Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, Änderung des Asylgesetzes 2005, BGBl. I 100/2005 in der Fassung BGBl. I 4/2008 (AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008), ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. 1/1930 dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. 10, nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Nach § 66 Abs. 4 AVG, BGBl. 51/1991, hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren, das gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008 von dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat zu entscheiden ist.

 

1.2 Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl I 100/2005 (AsylG 2005), tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2006 in Kraft. Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 1997), BGBl. I. 76/1997 tritt mit Ausnahme des § 42 Abs. 1 mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft (§ 73 Abs. 2 AsylG 2005). Gemäß § 75 AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz am 30. Dezember 2006 gestellt, weshalb das AsylG 2005 iVm dem AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008 zur Anwendung gelangt.

 

1.3 Gemäß § 66 Abs. 2 AVG, BGBl. 51/1991 idF BGBl. I 158/1998, kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in mehreren Erkenntnissen ausgeführt hat, macht es keinen Unterschied, ob es sich bei der "Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung" um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; 11.12.2003, 2003/07/0079).

 

Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

1.4 § 2 Abs. 1 Z 22 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005-AsylG 2005), BGBl. I 100/2005 (AsylG 2005), definiert als "Familienangehörigen", "wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat."

 

§ 34 AsylG 2005 lautet samt Überschrift:

 

"Familienverfahren

 

(1) Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von

 

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

 

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

 

3. einem Asylwerber

 

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

 

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Familienangehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

 

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines im Bundesgebiet befindlichen Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, es sei denn,

 

1. dass die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Angehörigen in einem anderen Staat möglich ist oder

 

2. dem Asylwerber der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

 

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid."

 

Soweit der Einleitungssatz des § 34 Abs. 1 AsylG 2005 von "§ 2 Z 22" AsylG spricht, handelt es sich offenbar um ein Redaktionsversehen, gemeint ist § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 1997.

 

2. In der Sache:

 

2.1.1 Zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. 11. 2002, Z 2002/20/0315 ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 23. 07. 1998, Zl. 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs. 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f).

 

Der Verwaltungsgerichthof hat im Erkenntnis vom 27. 04. 1989, Zl. 86/09/0012, Slg. Nr. 12.917/A, aus einer in den Verwaltungsvorschriften angeordneten zwingenden und ohne Ausnahme bestehenden Verpflichtung zur Durchführung einer Berufungsverhandlung trotz Fehlens einer ausdrücklichen Ausnahme hinsichtlich der Geltung des § 66 Abs. 2 AVG die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung in einem solchen Berufungsverfahren gefolgert. Das steht aber zu der hier - für das Verfahren vor der belangten Behörde - zu Grunde gelegten gegenteiligen Auffassung schon deshalb nicht im Widerspruch, weil eine derartige uneingeschränkte Verhandlungspflicht für den Unabhängigen Bundesasylsenat nicht besteht. (...) Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unvermeidlich erscheint. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. 03. 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Nach der grundsätzlichen Bejahung der Frage der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21. 11. 2002, Z 2002/20/0315, zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessensübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG Folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht [...]"

 

2.1.2 Gemäß Art. 129c Z 1, Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, BGBl. I 1/1930 in der Fassung BGBl. I 2/2008, erkennt der Asylgerichtshof - und nicht mehr der Unabhängige Bundesasylsenat als "oberste Berufungsbehörde" - nach Erschöpfung des Instanzenzuges über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen. Der Asylgerichtshof sieht keinen Grund dafür, dass sich die o.a. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die neue Rechtslage übertragen ließe. Es ist weiterhin in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren vorgesehen. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Unterbliebe ein umfassendes Ermittlungsverfahren in erster Instanz, würde nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde verlagert werden, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, dass der Asylgerichtshof erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermitteln und beurteilen muss und damit seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der letzten Instanz beginnen und zugleich enden (abgesehen von der - im Bundesverfassungsgesetz, BGBl. I 1/1930 in der Fassung BGBl. 2/2008, neu eingefügten Art. 144a B-VG vorgesehenen - Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes).

 

2.1.3 Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Das Bundesasylamt hat zwar im Fall des Beschwerdeführers umfangreiche Befragungen und Länderrecherchen durchgeführt, sich jedoch mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausreichend auseinandergesetzt. Das BAA gibt in seinem Bescheid nicht zu erkennen, von welchem Sachverhalt es bei seiner Entscheidung ausgeht, weshalb eine Nachprüfung durch den Asylgerichtshof verunmöglicht wird. Wie der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde zutreffend moniert, ergibt sich aus dem Bescheid des Bundesasylamtes nicht schlüssig, ob die Angaben des Beschwerdeführers für glaubhaft erachtet wurden (und wenn ja welche) oder nicht.

 

Das BAA lässt offen, ob der vom Beschwerdeführer behauptete Angriff auf seine Person mit einem Messer nun glaubhaft gemacht wurde oder nicht, was aus dem folgenden Zitat aus dem erstinstanzlichen Bescheid hervorgeht:

 

"Ein einmaliger Angriff - sofern er überhaupt so wie vom Antragsteller geschildert stattgefunden habe - erreicht jedoch jedenfalls nicht die vom Asylgesetz geforderte, erhebliche Intensität eines Eingriffs, welcher für dieses Verfahren erforderlich wäre."

 

Das BAA beantwortet weiters in der Beweiswürdigung nicht - was im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein wird - worin die Diskriminierung des Beschwerdeführers bestehe, sondern führt lediglich folgenden unvollständigen Satz an:

 

"Die vom Antragsteller vorgebrachte Benachteiligung wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit besteht in einer" (erstinstanzlicher Verwaltungsakt Seite 433 bzw. Bescheid Seite 51).

 

Das BAA lässt somit offen, worin die Benachteiligung wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit besteht und fährt fort, dass dem Beschwerdeführer der Zugang zur Universität nicht verwehrt worden sei.

 

Darüber hinaus gab der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung an, sein Vater habe Probleme mit den Behörden bekommen und sei gerichtlich verfolgt worden. Seine Mutter sei nach dem Aufenthalt des Vaters gefragt worden. Seine Eltern hätten sich deshalb pro forma scheiden lassen. Er selber sei auch vernommen worden. Er sei von einem Mann Ende August 2006 bedroht und nach dem Verbleib seines Vaters gefragt worden. Er habe sein Stipendium an der Universität in der Ukraine aufgegeben und um ein Visum für Österreich angesucht, damit seine Mutter in Ruhe gelassen werde. Er habe, da sein Vater Weißrusse und seine Mutter Russin sei, ein Problem, wenn er nach seiner Nationalität gefragt werde. Als Russe werde man in der Ukraine benachteiligt. Er habe Angst, dass seine gesamte Familie aufgrund seines Auslandsaufenthaltes Probleme bekommen werde

 

In seiner Einvernahme am 18. Jänner 2007 gab er an, er selbst sei nach den Gerichtsverfahren seines Vaters mit einem Messer, sein Vater mit einer Pistole bedroht worden. Er sei im August 2006 bedroht und unter Androhung von "Schwierigkeiten für die ganze Familie" nach dem Aufenthaltsort seines Vaters befragt worden. Er habe sich zur Ausreise entschlossen, nachdem er Angst gehabt habe, weiter in der Ukraine zu verbleiben. Er gehe davon aus, dass seine Schwester und Mutter nach seiner Ausreise in Ruhe gelassen würden. Sein Vater habe auch gesundheitliche Probleme, einen Schlaganfall erlitten und eine 20%ige Behinderung. In der Schule sei er diskriminiert worden aufgrund seiner russischen Volksgruppenzugehörigkeit. Er habe auch kein Vertrauen in die Miliz und nach dem Überfall keine Anzeige erstattet. Auf seiner Reise nach Kiew sei seine Mutter in der U-Bahn beraubt worden, weshalb sie Anzeige erstattet hätten. Von den Beamten seien sie beschimpft worden und man hätte ihnen ein Protokoll verweigert. Die Beamten der Miliz würden mit den Tätern zusammenarbeiten. Seine Familie habe aktuell keine Probleme in seinem Herkunftsstaat. Er gab weiters an, an der Kadettenschule wegen angeblich mangelhafter Kenntnisse der ukrainischen Sprache nicht aufgenommen worden zu sein. An der Schule bzw. Uni sei er als Russe beschimpft worden.

 

Der Beschwerdeführer antwortet in seiner Einvernahme am 28. November 2007 auf die Frage "Hatten Sie auf Grund Ihrer Volkssgruppenzugehörigkeit Probleme in -ihrem Herkunftsstaat?" mit "Ja." und führt in Folge aus, worin die Benachteiligung, welche daraus, dass er der Volksgruppe der Weißrussen angehöre, sein Vater Weißrusse und seine Mutter Russin sei, besteht.

 

Wie das Bundesasylamt in seiner Beweiswürdigung zu folgender Aussage kommt, ist auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers in den Einvernahmen für den Asylgerichtshof nicht nachvollziehbar,

 

" Von einer Verfolgung durch Behörden, einer Verfolgung wegen seiner politischen oder religiösen Gesinnung, einer Verfolgung wegen seiner Rasse, Nationalität bzw. Volksgruppenzugehörigkeit oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wurde vom Antragsteller nichts berichtete bzw. im Gegenteil auf Befragung hin ausdrücklich angeführt, dass eine solche Verfolgung oder Benachteiligung aus vor genannten Gründen nicht stattgefunden hat, weshalb allein ob dieser Tatsache de Antrag abzuweisen ist."

 

Das Bundesasylamt hat es somit unterlassen, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nachprüfbar darzustellen und besonders das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers in hinreichender Weise festzustellen und zu würdigen. Obwohl der Beschwerdeführer auf seine Benachteiligung auf Grund der Zugehörigkeit zur weißrussischen Volksgruppe hingewiesen hat, hat das Bundesasylamt dieses Vorbringen nicht in ausreichendem Maße gewürdigt bzw. dementsprechende Feststellungen getroffen und ist auf die Frage, ob beim Beschwerdeführer die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe vorliegt oder nicht und deshalb eine "Verfolgung" im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention angenommen wird oder nicht, gar nicht eingegangen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, Z 2003/20/0389). Aufgrund des mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - unzureichende Feststellungen, mangelhafte Beweiswürdigung - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da die Erstbehörde dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat. Die aufgezeigte Mangelhaftigkeit ist wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass deren Vermeidung für den Beschwerdeführer zu einem günstigeren Ergebnis hätte führen können.

 

Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Bescheid bzw. das diesem zugrunde liegende Verfahren mit so schwerer Mangelhaftigkeit belastet, dass die Durchführung oder Wiederholung eine mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die aufgezeigte Mangelhaftigkeit ist wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass deren Vermeidung für den Beschwerdeführer zu einem günstigeren Ergebnis hätte führen können. Bereits aus diesem Grund war der bekämpfte Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen.

 

2.2 Wenn das Bundesasylamt im bekämpften Bescheid davon ausgeht, dass auf Grund der Volljährigkeit des Beschwerdeführers kein Familienverfahren zu führen sei ist dem zu entgegnen, dass bei Beantwortung der Frage, ob beim Beschwerdeführer Minderjährigkeit vorliegt, auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen ist (VwGH 23.1.2003, 2001/0170429).

 

Die Identität des Beschwerdeführers wurde von der Erstbehörde auf Grund der Vorlage diverser Identitätsdokumente als geklärt angesehen. Der - gemäß den Feststellungen des Bundesasylamtes - am 00.00.1989 geborenen Beschwerdeführers brachte am 30. Dezember 2006 einen Antrag auf internationalen Schutz ein und war somit zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig.

 

Der Vater des Beschwerdeführers hat seinen Asylantrag vor dem 1. Mai 2004 gestellt. Sein Verfahren ist daher - im Unterschied zu jenem des Beschwerdeführers- nach dem AsylG 1997 idF vor der AsylG Novelle 2003, BGBl. 76/1997 idF BGBl. I 101/2003 (im Folgenden AsylG-Nov. 2003), zu führen (§ 75 Abs. 1 AsylG iVm § 44 Abs. 1 AsylG 1997).

 

Der Asylantrag des Vaters des Beschwerdeführers fällt noch unter das AsylG 1997, BGBl. 76/1997 idF BGBl. I 126/2002 (im Folgenden AsylG 1997), somit noch nicht unter die Bestimmungen der AsylG-Nov. 2003. Die auf den Vater des Beschwerdeführers anzuwendende Rechtslage kannte - im Unterschied zur Rechtslage nach der AsylG-Nov. 2003, welche Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 anhängig gemacht werden, erfasst und auf die das "Familienverfahren" iSd § 10 der AsylG-Nov. 2003 anzuwenden ist - noch kein derartiges Familienverfahren.

 

Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ist am 1. Jänner 2006 anhängig gewesen, weshalb dieser unter eine Rechtslage fällt, der das "Familienverfahren" iSd § 34 AsylG 2005 bekannt ist. Werden Verfahren von Personen, die zueinander im Verhältnis von Familienangehörigen (iSd § 1 Z 6 AsylG 1997 idF vor der AsylGNov. 2003 bzw. des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005) stehen, teils vor dem 1. Mai 2004, teils ab dem 1. Jänner 2006 anhängig, so entsteht eine Situation der Art, dass der Antrag - bezogen auf den vorliegenden Fall - des Minderjährigen unter § 34 Abs. 4 AsylG 2005 fällt und der früher gestellten Asylantrag des Vaters unter eine Rechtslage fällt, die noch keine Familienverfahren iSd § 10 AsylG idF der AsylG-Nov. 2003 bzw. § 34 AsylG 2005 kennt, da dessen Verfahren ja unter das AsylG 1997 idF vor der AsylG-Nov. 2003 fällt.

 

Der Antrag des Vaters des Beschwerdeführers ist zwar ohne Rücksicht darauf, zu welchem Ergebnis das Verfahren über den späteren Antrag des Beschwerdeführers führt, zu erledigen, nicht aber umgekehrt: Im Verfahren über den späteren Antrag des Beschwerdeführers ist das Ergebnis zu berücksichtigen, zu dem das Verfahren über den früheren Antrag des Vaters des Beschwerdeführers gelangt ist. Da auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz, der ab dem 1. Jänner 2006 gestellt worden ist, zumindest derselbe Schutzumfang zu gewähren ist wie dem Familienangehörigen der - auf Grund eines vor dem 1. Mai 2004 gestellten Antrages - den stärksten Schutz zu erhalten hat, ist die Entscheidung der Erstbehörde betreffend das Verfahren des Vaters des Beschwerdeführers bei der Entscheidung des Verfahrens des Beschwerdeführers selbst zu berücksichtigen.

 

Mit dem oben unter Punkt I.2. genannten Erkenntnis hat der Asylgerichtshof jenen Bescheid, mit dem der Asylantrag des Vaters des Beschwerdeführers, D.G., vom Bundesasylamt abgewiesen worden war, gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

Der Asylgerichtshof geht davon aus, dass auch in Hinblick auf § 66 Abs. 2 AVG das Schicksal der Beschwerde des (zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährigen) Beschwerdeführers und jener des Vaters das gleiche zu sein hat und aus diesem Grund ebenfalls zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen ist.

 

Im Hinblick darauf, dass der über den Asylantrag des Vaters des Beschwerdeführers ergangene Bescheid des Bundesasylamtes nicht mehr dem Rechtsbestand angehört und die Behörde eine neuerliche Verhandlung und die Erlassung eines neuen Bescheid vorzunehmen hat und dieses Ergebnis jedenfalls in der Entscheidung des vorliegenden Verfahrens des Sohnes im Ergebnis zu berücksichtigen ist, war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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