TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/25 B4 250558-0/2008

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Veröffentlicht am 25.09.2008
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Spruch

B4 250558-0/2008/1E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Florian NEWALD als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Karin WINTER als Beisitzerin über die Beschwerde der K.I., geboren am 00.00.1983, serbische Staatsangehörige, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.5.2004, Zl. 04 10.195-EAST Ost, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

1. Die Beschwerdeführerin reiste am 10.5.2004 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich ein und begehrte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl.

 

2. Am 11.5.2004 beim Bundesasylamt zu ihren Fluchtgründen einvernommen, gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes an: Sie sei jugoslawische Staatangehörige albanischer Volksgruppenzugehörigkeit und muslimischen Glaubens und stamme aus dem in der südserbischen Gemeinde Presevo gelegenen Ort D.. Ihr Heimtort liege genau an der Grenze zum Kosovo. Sie habe Probleme mit den serbischen Polizisten gehabt, die sich im Dorf aufgehalten hätten. Diese hätten sie sehr oft für mehrere Stunden angehalten, wenn sie die Grenze passiert habe. Man habe ihr zu verstehen gegeben, dass sie als Albanerin dort nichts verloren habe. Auch sei sie von serbischen Polizisten oft, wenn sie allein auf der Straße gewesen sei, angesprochen worden; alle hätten gewusst, dass sie nur einen sehr alten Onkel habe und daher so gut wie alleinstehend sei. Sie sei in ihrem Heimatland nicht mehr sicher und alles, was schon bisher mit ihr passiert sei, würde nach einer Rückkehr ebenso passieren; sie würde wieder von der Polizei schikaniert werden. In einem anderen Ort ihres Heimatlandes könne sie nicht leben, da sie als Albanerin nirgends Arbeit finden würde.

 

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 ab (Spruchpunkt I.), erklärte gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach Kosovo/Serbien und Montenegro" für zulässig (Spruchpunkt II) und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 leg.cit. - ohne Bestimmung eines Zielstaates - aus dem Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.). Zur Abweisung des Asylantrages hielt das Bundesasylamt, das die Angaben der Beschwerdeführerin als glaubwürdig der rechtlichen Beurteilung zugrundelegte, fest, dass ihr eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe. Aufgrund der Bezugnahme des Bundesasylamtes auf Prishtina (vgl. S 49 des Verwaltungsaktes des Bundesasylamtes) muss angenommen werden, dass der Kosovo jenes Gebiet ist, in dem die Relokationsmöglichkeit als gegeben erachtet und hinsichtlich dessen auch in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides das Refoulement der Beschwerdeführerin für zulässig befunden wird.

 

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

Die Beschwerdeführerin hat ihren Asylantrag am 10.5.2004 gestellt; das Verfahren ist daher nach dem AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 zu führen.

 

1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).

 

2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.

 

Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

3.1. Für Personen mit (ehemaliger) jugoslawischer Staatsangehörigkeit, die wie die Beschwerdeführerin nicht aus dem Kosovo stammen, ist das Gebiet des Kosovo - ausgehend vom Konzept zweier Herkunftsstaaten (und zwar dem Kosovo einerseits und der Bundesrepublik Jugoslawien, jetzt Serbien, ohne den Kosovo andererseits) - nicht als Teil ihres "Herkunftsstaates" in Betracht zu ziehen bzw. war dies schon vor der Unabhängigkeit des Kosovo nicht der Fall (vgl. VwGH 9.7.2002, 2001/01/0550). Daher scheidet im vorliegenden Fall - entgegen der Ansicht des Bundesasylamts - für die Beschwerdeführerin eine innerstaatliche Fluchtalternative im Kosovo aus rechtlichen Gründen aus. Somit hat es das Bundesasylamt unterlassen, sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe in Serbien Verfolgung befürchten zu müssen, hinreichend auseinanderzusetzen.

 

3.2. Da die Beschwerdeführerin zum Ergebnis dieser Ermittlungen zu hören ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.

 

3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.

 

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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