TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/29 S10 401587-1/2008

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Veröffentlicht am 29.09.2008
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Spruch

S10 401.587-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn M.S., geb. 00.00.1985 alias 00.00.1989, StA. Georgien alias Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.09.2008, Zahl: 08 07.287-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

BEGRÜNDUNG

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF) ist seinen nunmehrigen Angaben zufolge georgischer Staatsbürger und gehört der kurdischen Volksgruppe an, Geburtsort Tbilisi, ledig, und hat am 17.08.2008 beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der PI EAST Ost Traiskirchen am selben Tag gab er im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er habe am 09.08.2008 seinen Heimatort Tbilisi (Georgien) mit einem LKW verlassen und sei illegal, versteckt auf der Ladefläche, durch die Türkei nach Österreich gefahren. Die Reise habe 7 Tage gedauert. Die genaue Reiseroute könne er nicht angeben. In Wien sei er ausgestiegen und mit dem Taxi nach Traiskirchen gefahren, wo er um Asyl angesucht habe. Er habe auch schon im Jahr 2007 in Frankreich und in Österreich um Asyl angesucht.

 

Er sei im August 2007 in Frankreich bei seiner Tante gewesen. Sein Asylantrag sei abgewiesen worden. In Frankreich habe er Tschetschenen kennengelernt, die ihm vorgeschlagen hätten, unter falschem (Anmerkung: tschetschenischem) Namen einen neuen Asylantrag zu stellen. Er sei im November 2007 von Frankreich per Bus nach Österreich gefahren. In Österreich sei er 25 Tage in Schubhaft gewesen und nach einem Hungerstreik freigelassen worden, er sollte nämlich abgeschoben werden. Er wisse nicht, ob er nach Frankreich oder Russland hätte zurückmüssen. Er habe nach seiner Entlassung aus der Schubhaft eine Nacht auf dem Bahnhof geschlafen, dann mit seiner Mutter telefoniert, die ihm gesagt hätte, er solle nach Bratislava fahren und dort jemand treffen. Danach sei er mit diesem Mann nach Kiew in die Ukraine gefahren und hätte dort bei der georgischen Botschaft einen Antrag auf einen Reisepass gestellt, mit dem er per Flugzeug nach Tbilisi geflogen sei. In Frankreich hätte er sich im Jahr 2007 1 Monat aufgehalten, dann 25 Tage in Österreich. Dann wäre er 8 Monate lang in seiner Heimat in Georgien gewesen.

 

Als Fluchtgrund gab er an, dass er Zeuge Jehovas sei und daher ständig Probleme mit seinen Verwandten und Nachbarn wegen seiner Religion hätte. Zuletzt sei er von Männern der georgischen Armee in einem Autobus mitgenommen worden, man hätte ihn zum Militär einberufen wollen. Seine Religion verbiete ihm den Umgang mit Waffen, daher sei er wieder geflüchtet.

 

1.2. Am 25.08.2008 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme, in der der BF im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache im Wesentlichen Folgendes vorbrachte:

 

Seine Muttersprache sei Yesidisch (Kurdisch), er spreche aber auch Russisch und sei damit einverstanden, dass die Einvernahme in dieser Sprache vorgenommen werde. Er sei erstmals am 30.11.2007 nach Österreich gekommen und am 25.12.2007 über die Slowakei per PKW in die Ukraine gereist. Dort hätte er bei der georgischen Botschaft angegeben, dass er seinen Reisepass verloren habe und hätte ein Schreiben erhalten, mit dem er nach Georgien hätte fliegen können. Dieses Schreiben könne er nun nicht vorlegen, er hätte es in Georgien zurückgelassen. Er könne keine Beweismittel vorlegen, dass er in dieser Zeit in Georgien gewesen wäre.

 

Befragt, aus welchem Grund er Georgien wieder verlassen habe und nach Österreich gekommen sei gab er an, dass er Probleme mit seiner Familie und seinen Verwandten bekommen habe. Dann sei noch der Krieg dazu gekommen, deswegen sei er ausgereist.

 

1.3. Bei der Einvernahme des BF am 28.08.2008 im Beisein eines Dolmetsch für die russische Sprache gab der BF im Wesentlichen Folgendes an:

 

Auf die Frage, wie er von der Slowakei in die Ukraine gereist sei gab er an, er hätte bei der Busstation in Bratislava Slowaken kennen gelernt, sie hätten ihn per PKW in die Ukraine gebracht. In Österreich sei er am 26.12.2007 aus der Schubhaft entlassen worden, er hätte seine Mutter angerufen, die ihm gesagt hätte, dass sie einen Verwandten in der Ukraine habe und dieser etwas für ihn tun solle. Das genaue Datum, wo er an der georgischen Botschaft gewesen wäre, konnte der BF nicht angeben, ebenso nicht die Dauer der Ausstellung des Reisedokumentes, er sei müde gewesen und hätte andere Sorgen gehabt. Er hätte sich in der Ukraine bei einem Verwandten aufgehalten, er wisse aber nicht, wo dieser wohne. Er heiße T., den Familiennamen wisse er nicht.

 

Dem Vorhalt, sein Vorbringen sei nicht glaubwürdig, das Bundesasylamt gehe davon aus, dass der BF das EU-Gebiet nicht verlassen habe, hielt der BF keine Sachargumente oder Belege entgegen. Zum Vorhalt, er würde nach Frankreich ausgewiesen werden und möge konkrete Gründe nennen, die dem entgegenstünden, sagte der BF, er wisse nicht, was er dazu sagen wolle.

 

Da die erstinstanzliche Behörde ein Vorgehen nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) beabsichtigte, wurde dem Asylwerber in dieser Einvernahme am 28.08.2008 eine schriftliche Mitteilung mit demselben Datum ausgefolgt, wonach "seit dem 13.12.2007 eine Zustimmung von Frankreich "vorliegt.und noch immer gültig ist,". (Text und Satzzeichen aus Originalschreiben des Bundesasylamtes). Durch diese Mitteilung gelte die 20-Tages-Frist des Zulassungsverfahrens (§ 5 AsylG, § 28 Abs. 2 AsylG) nicht. Die Einvernahme wurde unterbrochen.

 

1.4. Am 04.09.2008 erfolgte in Anwesenheit eines Rechtsberaters sowie eines Dolmetsch für die russische Sprache eine niederschriftliche Einvernahme des BF zur Wahrung des Parteiengehörs.

 

Im Zuge dieser Einvernahme erklärte der BF, er habe bei seinem Aufenthalt in Frankreich bei seiner Tante gelebt, diese habe ihn jedoch nach einem Streit "hinausgeschmissen". Er sei ca. einen Monat lang in Frankreich aufhältig gewesen und habe in Frankreich auch einen Asylantrag gestellt, jedoch in der Folge einen negativen Bescheid erhalten. Dies sei der Grund gewesen, warum er schließlich Frankreich verlassen habe. In Frankreich habe er keine Probleme gehabt. Es würde jedoch lieber in Österreich bleiben, weil er ein wenig Deutsch spreche.

 

1.5. Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 09.09.2008, Zahl: 08 07.287-EAST Ost, den Antrag auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (in der Folge Dublin II VO) Frankreich zuständig sei. Gleichzeitig wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen (gemeint wohl: Frankreich) ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Frankreich zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zur Person des BF, zur Begründung des Dublin-Tatbestandes, zu seinem Privat- und Familienleben sowie zur Lage im Mitgliedstaat Frankreich betreffend das Asylverfahren, insbesondere zu Refoulementprüfung und Schubhaftpraxis, zum Zugang zum Asylverfahren nach einer Rücküberstellung, wie auch zur allgemeinen und medizinischen Versorgung in Frankreich und zur Anerkennungsquote.

 

Festgestellt wurde weiters, dass keine Umstände, die gegen eine Ausweisung des Beschwerdeführers sprechen, ermittelt werden konnten.

 

Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich aus den erkennungsdienstlichen Behandlungen jedenfalls ergebe, dass die Person des BF unter dem NamenM.S. ident wäre mit jener Person, die unter dem Namen I.D. bereits im Jahr 2007 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht hätte. Das Vorbringen des BF über seinen Verbleib nach der Haftentlassung 2007 und seine Rückreise nach Georgien sei nicht glaubhaft, zumal der BF dafür entweder keine konkreten Angaben machen noch für gemachte Angaben irgendwelche Bescheinigungs- oder Beweismittel vorlegen konnte. Die vorgebrachten Modalitäten seiner Rückreise seien auch deshalb unglaubwürdig, da sein angegebenes Verhalten nicht folgerichtig gewesen wäre.

 

In der Begründung wurde weiters der Verfahrensgang erläutert. Zur Wahrung der Fristen des Dublin-Tatbestandes wurde ausgeführt, dass sich Frankreich am 13.12.2007 (eingelangt am 18.12.2007) gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c für zuständig erklärt hätte. Dieser Irrtum in der maßgeblichen Littera wiederholt sich in der Begründung mehrmals, währenddessen im Gegensatz dazu im Spruch des Bescheides die Rechtsgrundlage für die Wiederaufnahmeerklärung seitens Frankreichs vom Dezember 2007 richtig mit Art. 16 Abs. 1 lit. e der Dublin II VO zitiert wurde. Weiters wird in der Begründung ausgeführt: "Diese Zustimmung ist noch immer gültig".

 

Bezüglich der Entscheidung über die Überstellung nach Frankreich war sowohl in Hinsicht auf medizinische Umstände, als auch hinsichtlich sonstiger Umstände - einschließlich verwandtschaftlicher Anknüpfungspunkte - nach Ansicht der Erstbehörde unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen eine Verletzung von Art. 3 und Art. 8 EMRK nicht festzustellen, wodurch von der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO kein Gebrauch zu machen war.

 

1.6. Gegen diesen Bescheid hat der BF fristgerecht mit Schriftsatz vom 11.09.2008, am Ende des Schreibens datiert mit 13.09.2008, eingelangt am 13.09.2008 bei der Erstbehörde, Beschwerde erhoben ("Klage"). Darin ersucht er, den Bescheid noch einmal zu überprüfen, weil ihm in seinem Heimatland Gefahr drohe und die Möglichkeit des Todes vorhanden sei. Weiters habe er nach dem Dublin-Gesetz das Recht, in einem anderen Staat um Asyl anzusuchen, nachdem er nach Hause zurückgekehrt sei und dort Probleme bekommen hätte.

 

1.7. Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 23.09.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

2. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2.1. Anzuwendendes Recht:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Gemäß § 41 Abs. 3 AsylG ist in einem Verfahren über eine Berufung gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Berufung gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Berufung gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt festgestellt, dass eine Zuständigkeit Frankreichs gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Dublin II VO bestehe, da der BF am 29.08.2007 in Frankreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und sich Frankreich am 13.12.2007 (eingelangt am 18.12.2009) für zuständig erklärt habe; diese Zustimmung sei noch immer gültig.

 

Gemäß Art. 20 Dublin II VO beträgt die Frist für die Wiederaufnahme eines Asylbewerbers durch den ersuchten Mitgliedstaat gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c bis e 6 Monate. Diese Frist kann gemäß Art. 20 Abs. 2 aus bestimmten Gründen auf 12 bzw. 18 Monate verlängert werden.

 

2.2. Rechtlich folgt daraus:

 

2.2.1. Was die unter Punkt 1.2. und Punkt 1.4. angeführten Unrichtigkeiten in Sprache, Datierung und Zitierung anbelangt, so werden diese nicht als so schwerwiegend erachtet, dass nicht eine Richtigstellung durch das erkennende Gericht möglich wäre. Die wiederholte irrige Zitierung des Art. 16 Abs. 1 lit. c statt richtig lit. e mag auch auf Lesefehler (vielleicht infolge schlechter Papierqualität von Faxen oder Kopien) zurückführbar sein. Sie hat aber auch keine wesentliche rechtliche Konsequenz (und hätte dies selbst dann nicht, wenn die Fehler nicht nur in der Begründung, sondern auch im Spruch erfolgt wären, da an beide Tatbestände im Wesentlichen gleiche Rechtsfolgen geknüpft sind). Dies gilt auch für die Falschdatierung der Asylantragstellung in Frankreich in der Bescheidbegründung und sogar für die Falschnennung des Mitgliedstaates, in den die Ausweisung im Spruch ausgesprochen wird, mit Polen statt richtig mit Frankreich, die offensichtlich auf einem Schreibfehler beruht, da aus dem gesamten Verfahren wie auch aus dem umfangreichen Bescheid klar hervorgeht, dass nur Frankreich gemeint sein kann.

 

2.2.2. Anders verhält es sich jedoch mit den Fristen des Art. 20 Dublin II VO. Die Zustimmung Frankreichs stammt aus dem Dezember 2007, der erstinstanzliche angefochtene Bescheid trägt das Datum 09.09.2008 und wurde dem BF am 11.09.2008 zugestellt. Abgesehen vom allfälligen weiteren Zeitablauf bis zur tatsächlichen Effektuierung einer Ausweisung ist die Frist von 6 Monaten daher schon zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung abgelaufen.

 

Die Frist von 6 Monaten gemäß Art. 20 Abs. 2 lit. d kann zwar gemäß Abs. 2 leg. cit. verlängert werden, sie verlängert sich jedoch nicht automatisch - und ist insofern indisponibel -, sondern bedarf der Kommunikation zwischen ersuchtem und ersuchendem Mitgliedstaat vor Ablauf der Frist. Ist die 6-Monatsfrist abgelaufen, erscheint eine "einvernehmliche Verlängerung" zwischen den Mitgliedstaaten sowohl gemeinschaftsrechtlich als auch im Sinne der Judikatur des VwGH regelmäßig als nicht rechtskonform und legt ein grob fehlerhaftes, willkürliches Handeln nahe, das zu einer Aufhebung der Entscheidung führt. Eine grob fehlerhafte Vollziehung der Dublin II VO begründet kraft Gemeinschaftsrecht das subjektive Recht auf zwingende Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO (Filzwieser, migraLex, 2007, 18).

 

Davon abgesehen ist im vorliegenden Fall eine Kommunikation zwischen den Mitgliedstaaten Österreich und Frankreich auch nach dem Dezember 2007 aus dem Akt nicht erschließbar.

 

2.3. Im fortgesetzten Verfahren wird die Erstbehörde (sofern eine neuerliche Erlassung einer Unzuständigkeitsentscheidung nach § 5 AsylG beabsichtigt ist) ein ergänztes Beweisverfahren durchzuführen und diese Unrichtigkeiten zu korrigieren haben.

 

2.4. Als maßgebliche Determinante für die Anwendbarkeit des § 41 Abs. 3 AsylG in diesem Zusammenhang ist die Judikatur zum § 66 Abs. 2 AVG heranzuziehen, wobei allerdings kein Ermessen des Asylgerichtshofes besteht.

 

Auch der Asylgerichtshof ist - wenn auch gemäß § 41 Abs. 3 AsylG nicht bei Beschwerden gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung (in diesem Fall ist statt dessen die fast gleichlautende Bestimmung des § 41 Abs. 3 3. Satz AsylG anzuwenden) - zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315 und 21.11.2002, 2000/20/0084; ferner VwGH 21.09.2004, Zl. 2001/01/0348). Eine kassatorische Entscheidung darf vom Asylgerichtshof nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt, wie dargestellt, keine ordnungsgemäß begründete Entscheidung (vgl. Art. 19 Abs. 2 1. Satz Dublin II VO und Art. 20 Abs. 1 lit. e 2. Satz Dublin II VO) erlassen. Der Asylgerichtshof war auf Basis der Ergebnisse des Verfahrens des Bundesasylamtes praktisch nicht mehr in der Lage, innerhalb der zur Verfügung stehenden kurzen Entscheidungsfristen (§ 37 Abs. 3 AsylG) eine inhaltliche Entscheidung zu treffen. Der angefochtene Bescheid konnte daher unter dem Gesichtspunkt des § 41 Abs. 3 AsylG keinen Bestand mehr haben.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden. Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG entfallen.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
16.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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