TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/03 S8 309552-4/2008

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Veröffentlicht am 03.10.2008
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Spruch

S8 309.552-4/2008/6E

 

S8 319.751-1/2008/4E

 

S8 319.752-1/2008/4E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. BÜCHELE als Einzelrichter über die Beschwerde

 

des G.R., geb. 00.00.1976,

 

der T.R. auch C.R., geb. 00.00.1985 und

 

der mj. G.M., geb. 00.00.2005,

 

alle StA. Russische Föderation, 2. gesetzlich vertreten durch T.R. auch C.R., gegen die Bescheide des Bundesasylamtes jeweils vom 29.05.2008, Zahlen: 07 03.337-BAI (Außenstelle Innsbruck), 08 00.072 (Erstaufnahmestelle West) und 08 00.074 (Erstaufnahmestelle West), zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG, BGBL. I Nr. 51/1991, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1. Der Erstbeschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, ist am 04.01.2007 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und stellte am 16.01.2007 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz (in der Folge: Asylantrag).

 

Das Bundesasylamtes wies mit Bescheid vom 25.01.2007, Zl. 07 00.204-EAST Ost, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 den Antrag als unzulässig zurück und stellt fest, dass für die Prüfung gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (kurz: Dublin-Verordnung) die Slowakei zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde der Erstbeschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Erstbeschwerdeführers in die Slowakei gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt II.).

 

Diese Entscheidung wurde vom Unabhängigen Bundesasylsenat (kurz: UBAS) mit Berufungsbescheid vom 26.02.2007 bestätigt. Gegen diese Entscheidung ist ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bis dato unter der Zahl 2007/20/1012 anhängig; dem mit der Beschwerde verbundenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluss vom 22.6.2007 stattgegeben.

 

Der Erstbeschwerdeführer wurde am 13.03.2007 den slowakischen Behörden zur Durchführung des Asylverfahrens rücküberstellt, reiste in der Folge jedoch noch am selben Tag abermals illegal nach Österreich ein und hielt sich in der Folge bis 03.04.2007 in Wien auf.

 

1.2. Nach einem erfolglosen Versuch illegal in die Schweiz zu gelangen wurde der Erstbeschwerdeführer am 04.04.2007 nach Österreich rücküberstellt. Er stellte sodann den zweiten - vor dem Asylgerichtshof verfahrensgegenständlichen - Asylantrag.

 

Das Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, hat, nachdem zuvor die Slowakei einer Rückübernahme des Erstbeschwerdeführers abermals mit Nachricht vom 27.04.2007 zugestimmt hatte, den gegenständlichen Antrag wiederum mit Bescheid vom 16.06.2007 zurückgewiesen und den Erstbeschwerdeführer in die Slowakei ausgewiesen.

 

Der dagegen erhobenen Berufung gab der UBAS mit Bescheid vom 12.07.2007, Zl. 309.552-2/2E-VI/18/07, statt und behob den angefochtenen Bescheid gem. § 41 Abs. 3 AsylG 2005. Die medizinischen Gutachten zum psychischen Zustand des Beschwerdeführers seien widersprüchlich; eine Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens durch das Bundesasylamt gem. § 43 Abs. 3 AsylG 2005 sei erforderlich.

 

1.3. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge am 08.08.2007 im Auftrag des Bundesasylamtes durch einen Facharzt für Psychologie und Neurologie untersucht. In der gutachterlichen Stellungnahme wurde einbelastungsabhängige psychische Störung diagnostiziert; diese hindere aber nicht die Überstellung des Beschwerdeführers in die Slowakei. Nach Ergänzung des Verfahrens wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 12.09.2007, Zl. 07 03.337-BAI, den zweiten Asylantrag zurück und den Erstbeschwerdeführer wiederum in die Slowakei aus.

 

Gegen diesen Bescheid wurde am 28.09.2007 neuerlich eine Berufung eingebracht. Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass sich nunmehr auch seine Ehefrau sowie seine Tochter im österreichischen Bundesgebiet aufhalten würden und einen Asylantrag gestellt hätten. Er könne aber derzeit nur eingeschränkten persönlichen Kontakt zu ihnen halten; er sei in einem Flüchtlingsheim der Charitas in Vorarlberg untergebracht. Seine Familie befände sich jedoch noch in der Erstaufnahmestelle West, und hoffe auf baldige Zulassung ihrer Asylverfahren in Österreich, damit sie wieder alle als Familie zusammenwohnen können. Zugleich übersandte der Erstbeschwerdeführer eine russische Vaterschaftsurkunde sowie die Geburtsurkunde seiner Tochter. Am 25.03.2008 langte weiters beim UBAS eine Kopie der russischen Heiratsurkunde des Erstbeschwerdeführers ein.

 

Auf Anfrage des UBAS vom 02.04.2008 zur weiteren geplanten Vorgangsweise, teilte das Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, mit Schreiben vom 04.04.2008 mit, dass bezüglich der Gattin und der Tochter des Erstbeschwerdeführers die Republik Polen ihre Zuständigkeit zur Führung eines Asylverfahrens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung bejaht habe. Die für die Führung des Asylverfahrens des Erstbeschwerdeführers zuständige Slowakische Republik hingegen habe ein entsprechendes Aufnahmeersuchen bezüglich der Ehegattin und der Tochter gem. Art. 8 Dublin-Verordnung (Familienzusammenführung) erstmals am 21.02.2008 sowie neuerlich am 12.03.2008 abgelehnt.

 

Der Berufung vom 28.09.2007 gab der UBAS mit Bescheid vom 09.04.2008, Zl. 309552-3-VI/18/2007, statt und behob den angefochtenen Bescheid neuerlich gem. § 41 Abs. 3 AsylG 2005. Begründend wurde unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 (Familienverfahren) und des Art. 2 lit. i Dublin-Verordnung (die hier relevanten gemeinschaftsrechtliche Definition des Begriffs "Familienangehörige") ausgeführt, dass durch die Vorlage von Urkunden die Eigenschaft der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin als Familienangehörige iS dieser Normen nachgewiesen worden sei. Weiters wird im Berufungsbescheid des UBAS vom 09.04.2008 sodann wörtlich ausgeführt:

 

"Somit wäre vor dem Hintergrund einer drohenden Ausweisung des Berufungswerbers in die Slowakei - die seiner Wiederaufnahme mit Erklärung vom 27.04.2007 ausdrücklich zugestimmt hat - eine damit einhergehende Trennung von den sich seit 02.01.2008 nachweislich im Bundesgebiet befindlichen (mutmaßlichen) Familienmitgliedern verbunden, was wiederum eine Verletzung seines verfassungsgesetzlich verankerten, durch Art. 8 EMRK geschützten Rechts auf Familien- und Privatleben darstellen würde.

 

3. Auch unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe Nr. 6 und 7 der Dublin II-VO, die das Prinzip der Familienzusammenführung bzw. die Wichtigkeit des Grundsatzes der Wahrung der Familieneinheit im europäischen Asylzuständigkeitssystem hervorstreichen (vgl. dazu Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, 2. Auflage, S. 45 f.) und die nicht zuletzt in den Art. 4 bis 9 (Zuständigkeitskriterien mit Familienkonnex) sowie Art. 14 Dublin II-VO ihren Ausfluss finden, war im gegenständlichen Fall aufgrund der neuen Sachlage der Berufung stattzugeben und der erstinstanzliche Bescheid zu beheben.

 

Das Bundesasylamt wird somit eine Übersetzung der dem Akt beiliegenden Geburtsurkunde der Tochter, des Vaterschaftsbeweises sowie der Heiratsurkunde zu veranlassen haben sowie in weiterer Folge eine Entscheidung im Lichte des Prinzips der Wahrung der Familieneinheit der drei Antragsteller zu treffen haben."

 

1.4.1. Mit dem verfahrensgegenständlichen - nunmehr beim Asylgerichtshof angefochtenen - Bescheid vom 29.05.2008, Zl. 07 03.337-BAI, wies das Bundesasylamt (Außenstelle Innsbruck) den Asylantrag abermals gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und stellt fest, dass für die Prüfung gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung die Slowakei zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurden der Erstbeschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei neuerlich ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Erstbeschwerdeführers in die Slowakei gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt II.).

 

Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zur Slowakei, insbesondere zum slowakischen Asylverfahren und zur Versorgung von Flüchtlingen. Beweiswürdigend hielt das Bundesasylamt im Wesentlichen fest, dass aus den Angaben der Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass diese konkret Gefahr liefen, in der Slowakei verfolgt zu werden. Es drohe dem Beschwerdeführer keine Verletzung der durch Art. 3 und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte; ein Selbsteintritt Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung sei daher jeweils nicht geboten.

 

Das Bundesasylamt erwähnte im bekämpften Bescheid, dass die Asylanträge der Ehegattin und der Tochter des Beschwerdeführers wegen Zuständigkeit Polens zurückgewiesen werden. Weiters wird wörtlich ausgeführt (Bescheid Seite 28, Aktenseite 821):

 

"Es liegt ein iS von Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben in Österreich vor. Aber die Mitglieder der Kernfamilie sind jedoch im selben Umfang wie der Antragsteller von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen, weshalb diesbezüglich die Ausweisung keinen Eingriff in das Familienleben des Antragstellers darstellt.

 

Im Rahmen einer umfassenden Interessensabwägung ist festzustellen, dass die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, dem privaten Interesse des Antragstellers an einem Verbleib in Österreich überwiegen.

 

Noch einmal wird darauf hingewiesen, dass die drei Familienmitglieder getrennt das Herkunftsland verlassen haben. Der Antragsteller hat sein Herkunftsland bereits im Jahr 2006 verlassen, wo hingegen die Ehegattin und die Tochter erst am 07.08.2007 die Flucht aus dem Herkunftsland angetreten haben. Zudem wird darauf hingewiesen, dass der Antragsteller in der Slowakei, die Ehegattin und die Tochter hingegen in Polen den ersten Asylantrag stellten.

 

Da jedoch weder für den Antragsteller, noch für die Ehegattin und die Tochter Österreich gem. der Dublin II - VO zuständig ist, ist ein gemeinsames Zusammenleben der Familie in Österreich ausgeschlossen. Auch wenn der Antragsteller kurzfristig von seiner Ehegattin und Tochter getrennt wird, so steht einer späteren Familienzusammenführung - entweder in Polen oder in der Slowakei - nicht im Wege."

 

1.4.2. Gegen diesen Bescheid wurde mit dem innerhalb offener Frist die Berufung eingebracht. Begründend wurde ausgeführt, dass er in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt werde; verschiedene relevante Gutachten zu seinem psychischen Zustand seien ihm nicht zur Wahrung des Parteiengehörs zur Stellungnahme übermittelt worden. Diese kämen überdies zum Ergebnis, dass eine Überstellung in die Slowakei unzulässig sei. Weiters wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer durch seine Ausweisung in die Slowakei von seiner Ehegattin und seiner Tochter getrennt werde, die wiederum nach Polen ausgewiesen würden; er werde dadurch in seinen Rechten nach Art. 8 EMRK verletzt. Gerade wegen seines psychischen Zustandes wegen der bei ihm diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung stelle eine Trennung von seinen Familienangehörigen eine Verletzung der durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte. Weiters sei seine Frau neuerlich schwanger. Um eine erneute Trennung der Familie zu verhindern, sei eine Familienzusammenführung aus humanitären Gründen nach Art. 15 Dublin-Verordnung geboten. Weiters wird auf die schlechten Zustände in slowakischen Flüchtlingslagern und das mangelhafte "Asylsystem" der Slowakei hingewiesen.

 

Am 23.06.2008 langte beim Bundesasylamt ein als Berufungsergänzung bezeichneter Schriftsatz ein, worin auf die Weitergabe von Daten der Asylwerber durch die slowakischen Behörden kritisiert wird. Weiters vertrete die Slowakei gegenüber Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe rechtliche Sonderpositionen. Laut Statistik des slowakischen Innenministeriums habe in den Jahren 2005 und 2006 kein einziger Tschetschene in der Slowakei bei einem inhaltlichen Verfahren Asyl bekommen.

 

2.1. Die Zweitbeschwerdeführerin, Ehegattin des Erstbeschwerdeführers, ebenfalls eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, ist am 02.01.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und stellte am Tag der Einreise einen Asylantrag.

 

2.2. Bei der Erstbefragung am 03.01.2008 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion in Anwesenheit eines Dolmetschers für Russisch gab die Zweitbeschwerdeführerin im Wesentlich an, sie habe Grosny mit ihrer damals knapp zwei Jahre alten Tochter - der Drittbeschwerdeführerin des asylgerichtlichen Verfahrens - am 07.08.2007 nach Moskau verlassen. Von dort seien sie nach Polen gelangt. In Polen hätten sie und ihre Tochter einen Asylantrag gestellt. Sie sei am 01.01.2008 von Polen nach Österreich gereist.

 

2.3. Am 04.01.2008 richtete das Bundesasylamt auf der Grundlage der Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin zu ihrem Reiseweg ein Aufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung an die zuständige polnische Behörde. Am selben Tag wurde der Zweitbeschwerdeführerin - dieser auch stellvertretend für ihre Tochter - gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass mit Polen Konsultationen nach der Dublin-Verordnung geführt werden und aus diesem Grund die im § 28 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 normierte 20-Tages-Frist nicht gelte; es sei beabsichtigt, ihre Asylanträge wegen Unzuständigkeit Österreichs zurückzuweisen. Am 22.01.2008 langte ein Schreiben der polnischen Behörden vom 17.01.2008 beim Bundesasylamt ein, worin die Zuständigkeit Polens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung für die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin bestätigt wurde.

 

Mit Nachricht vom 30.01.2008 wurde vom Bundesasylamt im Hinblick auf die Zuständigkeitszusage der Slowakei vom 16.04.2007 für den Erstbeschwerdeführer ein Aufnahmeersuchen nach Art. 8 Dublin-Verordnung bzgl. der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin an die Slowakei gerichtet. Dies wurde der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt. Mit Nachricht vom 21.02.2008 der Slowakei wurde die Übernahme der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin verweigert. Die dagegen nach Art. 5 Abs. 2 Durchführungsverordnung 1560/2003 zur Dublin-Verordnung am 27.02.2007 eingebrachte Remonstration blieb erfolglos.

 

2.4. Am 28.01.2008 wurde die Zweitbeschwerdeführerin vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für Russisch niederschriftlich einvernommen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab u.a. an, dass ihr Ehegatte und Vater ihres gemeinsamen Kindes bereits in Österreich sei.

 

3. Die Drittbeschwerdeführerin ist die dreijährige Tochter des Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin. Sie reiste gemeinsam mit ihrer Mutter in das österreichische Bundesgebiet ein (oben Punkt I.2.). 4. Gegen die zurückweisenden Bescheide des Bundesasylamtes erhoben die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass sie mit den bekämpften Bescheiden nach Polen ausgewiesen werden; der Erstbeschwerdeführer werde hingegen in die Slowakei ausgewiesen. Sie würden dadurch in ihrem Recht auf Familienleben nach Art. 8 EMRK verletzt.

 

5. Mit Bescheiden jeweils vom 19.06.2008 wurde durch den - damals noch zuständigen - UBAS den drei Berufungen die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die drei Beschwerden wie folgt erwogen:

 

1. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus den dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakten des Bundesasylamtes und des UBAS.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.2. Gemäß § 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008, (in der Folge: AsylG 2005) ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs.1 Z1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs.3 und Abs.4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin-Verordnung ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der ersten Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.3. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs.1 Dublin-Verordnung) Kriterien der Art. 6 bis Art. 12 bzw. Art. 14 und Art. 15 Dublin-Verordnung, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin-Verordnung zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.4. Das Bundesasylamt hat von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung keinen Gebrauch gemacht. Es war daher - entsprechend den Ausführungen in den Beschwerden - noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der durch Art. 3 und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Art. 3 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung lauten:

 

"ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE

 

Artikel 3

 

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

 

(2) Abweichend von Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde."

 

Der 6. und 7. Erwägungsgrund der Dublin-Verordnung lauten:

 

"(6) Die Einheit der Familie sollte gewahrt werden, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit der Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden.

 

(7) Die gemeinsame Bearbeitung der Asylanträge der Mitglieder einer Familie durch ein und denselben Mitgliedstaat ermöglicht eine genauere Prüfung der Anträge und kohärente damit zusammenhängende Entscheidungen. Die Mitgliedstaaten sollten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von Familienmitgliedern vorzunehmen, sofern dies aus humanitären Gründen erforderlich ist."

 

Art. 15 Abs. 1 Dublin-Verordnung lautet:

 

"(1) Jeder Mitgliedstaat kann aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen dem zustimmen."

 

Die Slowakei hat sich einerseits geweigert die Zuständigkeit für die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin nach der Dublin-Verordnung zu übernehmen; andererseits wurde von Österreich kein Übernahmeansuchen nach der Dublin-Verordnung bzgl. des Erstbeschwerdeführers an Polen gerichtet.

 

Die Familie würde beim Vollzug der drei bekämpften Bescheide getrennt. Dass ein schützenswertes Familienleben der Beschwerdeführer iS von Art. 8 EMRK in Österreich besteht, wird auch von der belangten Behörde eingeräumt. Dass durch die gleichzeitige Ausweisung aller drei Familienmitglieder in zwei unterschiedliche Staaten dadurch Art. 8 EMRK nicht verletzt würde, kann jedoch durch den Asylgerichtshof nicht erkannt werden. Dies ändert auch nichts an der Tatsache, dass der Erstbeschwerdeführer einerseits über die Slowakei, die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin anderseits über Polen in die EU eingereist sind. Eine umfassende Interessensabwägung, dass das öffentliche Interesse an einer Ausweisung der drei Beschwerdeführer gegenüber einem Verbleib in Österreich wurde - entgegen den diesbezüglichen Ausführungen im bekämpften Bescheid - nicht vorgenommen; ein solches Überwiegen öffentlicher Interesse an der Ausweisung gegenüber dem Verbleib der drei Beschwerdeführer ist durch den Asylgerichtshof nicht zu erkennen.

 

Im Lichte des oben wiedergegebenen 6. und 7. Erwägungsgrund zur Dublin-Verordnung sowie dessen Art. 15 im Zusammenklang mit Art. 8 EMRK ist somit festzustellen, dass die Asylverfahren der drei Beschwerdeführer in Österreich zugelassen werden.

 

2.5. Ob der Erstbeschwerdeführer durch die ihm angeordnete Überstellung in die Slowakei in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK insbesonders in einer Gesamtschau der möglichen Eingriffe in die Rechte nach Art. 3 in Verbindung mit Art. 8 EMRK verletzt worden ist, ist bei diesem Ergebnis nicht mehr erforderlich.

 

3. Das Bundesasylamt wird die nunmehr zugelassenen Asylverfahren der drei Beschwerdeführer nun in geeigneter Weise inhaltlich zu prüfen haben. Eine neuerliche Unzuständigkeitsentscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 kommt bei der gegebenen Sachlage nicht mehr in Frage.

 

4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Schlagworte
EMRK, Interessensabwägung
Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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