TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/28 S6 402125-1/2008

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Veröffentlicht am 28.10.2008
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Spruch

S6 402.125-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des M.A. alias M., geb. 00.00.1992 alias 00.00.1991, StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch RB Mag. SALEM, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.10.2008, Zahl: 08 06.238 - EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Das Bundesasylamt hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.10.2008, Zl: 08 06.238 EAST Ost, den Asylantrag des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Artikel 10 Abs 1 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Griechenland zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen und gemäß § 10 Abs 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Griechenland zulässig sei.

 

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 17.10.2008 Beschwerde erhoben. Darin wird zunächst das Gutachten von Dr. K. zur Altersfeststellung des Beschwerdeführers kritisiert. Dr. K. habe fragwürdige, ungeeignete medizinischen Methoden zur Altersfeststellung angewandt und wurde diese Behauptung durch eine Stellungnahme von Dr. A.S. (Priv.-Doz. Dr. med., M.A., Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Münster) untermauert. Bezüglich der Geburtsurkunde habe der Beschwerdeführer immer nur von einer Kopie der Originalurkunde gesprochen, was nicht ausschließen würde, dass es sich dabei um eine Farbkopie im Inkjetverfahren handeln könne, wie ihm die Erstinstanz vorgeworfen hätte. In der Beschwerdeschrift ebenso beanstandet wurde, dass dem Beschwerdeführer das Führen von Konsultationen mit Griechenland erst nach Ablauf der 20 Tages-Frist mitgeteilt worden wäre. In weiterer Folge wurde die schlechte Situation von Asylwerbern in Griechenland beschrieben und wurden Berichte und Stellungnahmen einiger Organisationen (z.B. CPT, UNHCR, amnesty international, ECRE, proasyl, ...), teilweise in englischer Sprache, auszugsweise in der Beschwerdeschrift zitiert. Im Falle der Ausweisung bzw. Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland, bestehe ein "real risk" der Verletzung seiner Grundrechte.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Hier ist entscheidungsrelevant, ob der Beschwerdeführer tatsächlich volljährig ist, da andernfalls jedenfalls eine Zuständigkeit Österreichs gemäß Art. 6 VO 343/2003 bestünde.

 

Die Erstbehörde hat hiezu ein Sachverständigengutachten Dris K. (As. 41) veranlasst.

 

Zu einem derartigen Gutachten hat der AsylGH mit Erkenntnis vom 14.07.2008 (GZ: S1 400.131-1/2008/2E) wie folgt judiziert: "Das Gutachten ist kursorisch gehalten, Angaben über die Qualifikation des Gutachters und die Verlässlichkeit der von ihm verwendeten Methoden, sowie die Gewichtung der verschiedenen Methoden untereinander fehlen. Sonstige Umstände, die den Befund der Volljährigkeit decken könnten (z.B. widersprüchliche Aussagen zu Lebensgeschichte) sind ebenso nicht ersichtlich. Unter diesen Prämissen kann aber der Kritik in der Beschwerde hinsichtlich vermeintlicher Unschlüssigkeit des Gutachtens und Ungeeignetheit der Untersuchungsergebnisse auf Basis der Aktenlage nicht hinreichend begegnet werden. Es muss von Amts wegen Aufgabe der Erstbehörde sein, gerade in einem sensiblen und wissenschaftlich notorischerweise sensiblen Bereich wie den der "Altersfeststellung" vor Befassung eines Gutachters Erhebungen zu dessen Untersuchungsmethodik und Reputation (sofern diese nicht als notorische anzusehen ist) zu machen."

 

Die Erstbehörde hat nun zwar dem Gutachten allgemeine Ausführungen zum Gutachter und den von ihm verwendeten Methoden angeschlossen, doch im Gutachten selbst keine individuellen Darlegungen dahingehend getroffen, wie "die äußere Inspektion, der äußere Eindruck und der, der somatischen Messgrösse" in concreto zu einer Alterseinschätzung von 20-22 Jahren geführt haben. Trotz der im Verhältnis zu Vorgutachten betreffend anderer Antragsteller geänderten Textierung scheint de facto somit das Schwergewicht der Beurteilung weiterhin auf den erwähnten sonographischen Messgrößen von Niere und Schilddrüse zu liegen. Diesbezüglich hat sich die Erstbehörde aber trotz der notorischen Kritik an dieser Methode (wie sie nunmehr offenbar auch seitens des Bundesministeriums für Inneres geäußert wurde) weiterhin nicht abwägend damit auseinandergesetzt, wie es aber im oben zitierten Erkenntnis und weiteren Erkenntnissen des AsylGH eingefordert worden war, sondern stützt sich lediglich ausschließlich auf die entsprechenden, wenn auch erweiterten, Darlegungen des Gutachters. Die oben angeführten Ausführungen des AsylGH (die aber andererseits weiterhin nicht als grundsätzliche Ablehnung fundierter "Altersfeststellungen" zu verstehen sind) sind sohin im individuellen Fall nicht entkräftet.

 

Zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Bescheiderlassung musste der Erstbehörde notorisch bekannt sein, dass UNHCR sich in einem Positionspapier vom 15.04.2008 gegen die Überstellung von Asylwerbern nach der Dublin II VO nach Griechenland ausgesprochen hat. Daher kommt dem Vorbringen des nunmehrigen Beschwerdeführers in Griechenland einem "real risk" ausgesetzt und in seinen insbesondere durch Art 3 EMRK gewährleisteten Grundrechten verletzt zu werden, eine qualifizierte Relevanz zu. Die angenommene Unglaubwürdigkeit dieses Vorbringens des Beschwerdeführers wird seitens der Erstbehörde jedoch zentral mit einem Verweis auf die dortigen Länderfeststellungen begründet, was aber schon deshalb zu kurz greift, als eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit Berichten über fehlenden Zugang zu einem fairen Verfahren und relativ häufige Misshandlungen von Fremden durch griechische Staatsorgane (vgl zB Bericht von NOAS, Norvegian Helsinki Committee und Greek Helsinki Monitor vom 09.04.2008 "A gamble with the rights of asylum-seekers in Europe, Greek asylum-policy and the Dublin II regulation") nicht stattfindet. Unter diesem Gesichtspunkt kann die vorliegende Entscheidung mangels geeigneter sachverhaltsmäßiger Grundlagen zur Beurteilung der Notwendigkeit eines Selbsteintritts im gegenständlichen Einzelfall keinen Bestand haben (siehe schon ähnlich UBAS 05.05.2008, 318.977-1/2E-XV/53/08). Die notwendige Einzelfallprüfung macht es hier erforderlich, zunächst den Beschwerdeführer näher zu den von ihm behaupteten Schwierigkeiten während seines bisherigen Aufenthaltes in Griechenland zu befragen und sodann diese Aussagen nachvollziehbar auf deren Glaubwürdigkeit zu prüfen. Weiters werden, zu den hier entscheidungsrelevanten Punkten (wie oben erörtert), geeignete weitere Erhebungen einzuholen sein, wozu auch eine Stellungnahme der griechischen Behörden (allenfalls auch Zusicherungen im konkreten Fall) zweckmäßig erscheinen könnte. Es mag durch eine solche Anfrage auch möglich sein, die Glaubwürdigkeit der Behauptungen des Beschwerdeführers zu seinen tatsächlichen Erfahrungen in Griechenland zu überprüfen, die diesbezügliche Anführung eines Widerspruchs in den Ausführungen des Beschwerdeführers greift mangels Eindeutigkeit und näherer Befragung zu kurz. Dem Ergebnis einer solchen Stellungnahme Griechenlands wird wahrscheinlich erhöhtes Gewicht zukommen können. Jedenfalls ohne die solcherart bezeichneten Erhebungen kann aber aus Sicht des Asylgerichtshofes aus den dargestellten Gründen nicht von Entscheidungsreife gesprochen werden (vgl dazu vollumfänglich bereits AsylGH 14.07.2008, GZ: S1 400.054-1/2008/2E).

 

Der Asylgerichtshof vertritt zum Entscheidungszeitpunkt und im Einklang mit der Ansicht der Europäischen Kommission (siehe Pressemitteilung vom 09.04.2008) und dem englischen Court of Appeal (EWCA Civ 464) weiterhin nicht die Ansicht, dass die derzeitige Erkenntnislage den Schluss rechtfertigt, dass in allen Dublin II-Fällen in Bezug auf Griechenland pauschal das Selbsteintrittsrecht ausgeübt werden muss. Hierbei ist es aber Aufgabe des Bundesasylamtes sich ein ständig aktualisiertes Bild von der Situation zu machen, wobei in concreto die letzte Aktualisierung der Berichtslage offenbar aus Juli 2008 stammt. Dies kann jedoch im Fall Griechenlands - substantiiertes Vorbringen des Beschwerdeführers vorausgesetzt - nicht genügen, als etwa in aktuellen dem AsylGH notorischen Pressetexten (Bezug nehmend auf Ausführungen eines UNHCR-Vertreters in Athen) von einer Verweigerung der Entgegennahme von Asylanträgen die Rede ist, was zumindest einer näheren Prüfung in Hinblick auf Relevanz in Verfahren nach der Dublin II VO bedarf.

 

Da die Erstbehörde ein in mehrerer Hinsicht mangelhaftes Verfahren durchgeführt hat, war gemäß § 41 Abs 3 AsylG vorzugehen.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte nunmehr angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Schlagworte
Gutachten, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Rechtsschutzstandard, Sicherheitslage
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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