TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/28 S13 400838-1/2008

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Veröffentlicht am 28.10.2008
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Spruch

S13 400.838-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde der B.Z., geb. 00.00.1963, StA.

Russische Föderation, vertreten durch: Mag. Judith Ruderstaller, p. A. Asyl in Not, Währingerstraße 59/2, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.07.2008, FZ. 08 03.819-EAST

WEST, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verwaltungsverfahren und Sachverhalt

 

Verfahren vor dem Bundesasylamt

 

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und tschetschenischer Volkszugehörigkeit, reiste am 29.04.2008 mit ihrer minderjährigen Tochter und ihrem erwachsenen Sohn in das österreichische Bundesgebiet ein.

 

Am selben Tag stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz. Eine Eurodac-Abfrage (AS 5) ergab, dass sie zuvor (am 27.04.2007) einen Antrag auf internationalen Schutz in Polen gestellt hatte.

 

Am 29.04.2008 wurde die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Grenzpolizeiinspektion Großkrut EAST, in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch durchgeführt. Dabei wurde die Beschwerdeführerin mit dem Ergebnis der Eurodac-Abfrage konfrontiert (AS 15 ff).

 

Am 05.05.2008 stellte das Bundesasylamt an die zuständige Behörde in Polen ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) (AS 53).

 

Am 06.05.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG zurückzuweisen und dass zu diesem Zwecke seit dem 05.05.2008 Konsultationen mit Polen gemäß der Dublin II-VO geführt werden (AS 113).

 

Mit Schreiben vom 06.05.2008, erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin bereit (AS 127).

 

Am 16.05.2008 und am 23.06.2008 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt EAST WEST nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch einvernommen.

 

Mit Bescheid vom 21.07.2008, FZ. 08 03.819 EAST WEST, zugestellt am 23.07.2008, wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück (in der Folge: angefochtener Bescheid) (AS 251).

 

Im angefochtenen Bescheid weist das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (I.). Die Beschwerdeführerin wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und demzufolge festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig ist (II.).

 

Beschwerde (AS 337)

 

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin am 31.07.2008 Beschwerde beim Bundesasylamt erhoben. Die Beschwerde langte am selben Tag beim Asylgerichtshof ein.

 

In der Beschwerdeschrift bringt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, das Bundesasylamt habe seine Ermittlungspflicht nicht wahrgenommen und kein spezifisches Ermittlungsverfahren hinsichtlich ihres Vorbringens zu ihrer Gesundheit durchgeführt sowie ihr Vorbringen hinsichtlich ihres gesundheitlichen Zustandes und ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen in Österreich unrichtig gewürdigt. Beweismittel

 

Als Beweismittel hat der Asylgerichtshof die verschiedenen Vorbringen der Beschwerdeführerin und weitere Beweismittel verwendet.

 

Parteivorbringen der Beschwerdeführerin

 

1. In der Erstbefragung hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes angegeben (AS 15):

 

Sie habe ihr Heimatland verlassen, da sie um das Leben ihres Sohnes fürchte. Dieser sei im Herkunftsland zwei Mal von maskierten Männern entführt und misshandelt worden. Außerdem herrschten in ihrem Heimatland kriegsähnliche Zustände.

 

Zur Flucht nach Österreich hat sie ausgesagt, dass sie mit ihrem erwachsenen Sohn und ihrer minderjährigen Tochter nach Polen gereist und von dort nach Österreich gelangt sei. In Polen habe sie sich ungefähr 10 Stunden aufgehalten und einen Asylantrag gestellt.

 

2. In der ersten Einvernahme am 16.05.2008 hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS 153):

 

Ihr Ehemann seit 2005 in Tschetschenien verschwunden und in der Folge hätten dessen Verwandte ihr die Kinder wegnehmen wollen. Für die Verwandten ihres Mannes sei es leicht möglich, ihren Aufenthaltsort in Polen in Erfahrung zu bringen

 

In Polen sei sie nicht in einem Lager gewesen und sei auch nicht bedroht worden. Polen sei aber wegen seiner Nähe zu Russland allgemein unsicher.

 

Sie habe Probleme mit dem Herzen und nehme deshalb Medikamente ein. Außerdem leide sie unter psychischen Problemen, welche sich in Gedächtnisproblemen äußerten.

 

Sie habe zwei Brüder, welche als anerkannte Flüchtlinge in Österreich lebten. Im Herkunftsland habe sie nicht im gemeinsamen Haushalt mit ihren Brüdern gelebt. In Österreich habe sie ein Bruder einmal besucht, ansonsten bestehe telefonischer Kontakt zu den Brüdern.

 

3. Bei der zweiten Einvernahme am 23.06.2008 hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS 225):

 

Zur gutachterlichen Stellungnahme Dr. M. vom 28.05.2008 (siehe unten 3.2.), gab die Beschwerdeführerin an, dass sie Tabletten einnehme. Weiters gab sie an, dass sie eine Brustuntersuchung benötige.

 

4. In der Beschwerdeschrift hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen wie folgt ergänzt bzw. geändert (AS 337):

 

Zur Sicherheit in Polen hat sie vorgebracht, dass die Grenzkontrollen in Polen mangelhaft seien. Außerdem habe sie von ihrem Sohn erfahren, dass es am 27.04.2008 in einem polnischen Flüchtlingslager zu Übergriffen seitens des russischen Sicherheitsdienstes auf tschetschenische Asylwerber gekommen sei und dass es darüber einen Bericht im Internet gebe. Diesen könne sie aber nicht beschaffen, da der Sohn den Bericht von jemandem im Flüchtlingslager gezeigt bekommen habe, nach der Verlegung aus diesem Lager aber kein Kontakt mehr mit dem Informanten bestehe.

 

Sie gab weiters an, dass sie wie alle Tschetschenen traumatisiert sei und auch an einer Somatisierungsstörung leide.

 

Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, dass ihre in Österreich lebenden Brüder sie finanziell und im Asylverfahren unterstützten und sie deren Hilfe bei alltäglichen Erledigungen wie z.B. Kinderbetreuung benötige, damit sie selber arbeiten gehen könne.

 

Weitere Beweismittel

 

1. Laut Eurodac-Abfrage hatte die Beschwerdeführerin am 27.04.2008 in Lublin (Polen) einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

2. Die polnischen Behörden haben auf den Antrag des Bundesasylamts auf Wiederaufnahme ihre Zustimmung "gemäß Artikel 16 Abs. 1 c)" Dublin II-VO erklärt.

 

3. Am 27.05.2008 langte beim Bundesasylamt EAST WEST per Fax ein mit

00.00.2008 datiertes Schreiben des S.S. - Für die Abteilungen in

Angelegenheiten von Flüchtlingen", mit folgendem Inhalt ein: "Die

Vertretung der tschetschenischen Republik bestätigt, dass ... die

Verwandten von der Seite des Vaters ... versuchen, die Kinder bei

der Mutter B.Z. wegzunehmen, mit der folgenden Übergabe an den Vater und seiner Verwandten" (AS 201, 339).

 

4. Nach Untersuchung der Beschwerdeführerin in Anwesenheit eines Dolmetschers gab Frau Dr. M. am 28.05.2008 eine gutachterliche Stellungnahme ab. Danach leidet die Beschwerdeführerin "bereits seit mehreren Jahren an einer Somatisierungsstörung (unauffällig medizinische Abklärung) und an einer mäßigen depressiv-ändstlichen Verstimmung". "Zusammengefasst" erscheine "sie derzeit ohne Medikation psychisch kompensiert, sodass eine Überstellung möglich ist". Die Ärztin führt weiters aus, dass die "Abklärung der Herzssympthomatik ... keinen Hinweis für einen pathologischen Befund (ergibt)" und dass eine medikamentöse Therapie der Anämie und der Schlafstörungen eingeleitet wurde. (AS 103).

 

5. Laut Befund des LKH vom 30.05.2008 sowie des Röntgenbefunds vom 01.07.2008 wurden bei der Beschwerdeführerin Depressionen, Schlafstörungen, Angststörungen und Eisenmangelanämie sowie einer zystischen Mastopathie ohne Malignomverdacht diagnostiziert (AS 235-249).

 

Sachverhalt nach Beweiswürdigung

 

Nach Würdigung des Beschwerdeführervorbringens und der sonstigen Beweismittel stellt sich dem Asylgerichtshof folgender Sachverhalt dar:

 

1. Die Beschwerdeführerin war am 27.04.2008 mit ihrem erwachsenen Sohn und ihrer minderjährigen Tochter in Polen eingereist und hatte dort Asyl beantragt. Ohne in einem Lager gewesen zu sein, hat sie noch am selben Tag Polen verlassen und ist von dort aus illegal nach Österreich eingereist, wo sie einen erneuten Asylantrag stellte.

 

Die Antragstellung in Polen ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin sowie aus der Eurodac-Abfrage und der Zustimmungserklärung Polens.

 

2. Die Beschwerdeführerin und ihre minderjährige Tochter werden in Polen weder bedroht noch verfolgt.

 

Es besteht keine Gefahr, dass die Beschwerdeführerin der Bedrohung oder Verfolgung der Beschwerdeführerin durch russische Sicherheitsdienste in Polen ungeschützt ausgesetzt ist.

 

Dies ergibt sich aus einer Reihe von Indizien. Dazu zählt zunächst die Tatsache, dass sich die Beschwerdeführerin nur wenige Stunden in Polen selbst aufgehalten hat, und daher das angebliche Bedrohungspotential aus eigener Erfahrung oder Kenntnis kaum beurteilen kann. Was die anderslautenden Hinweise der Beschwerdeführerin im Hinblick auf Übergriffe auf tschetschenische Asylwerber in Polen seitens des russischen Sicherheitsdienstes betrifft, erscheinen diese dem Asylgerichtshof wenig substantiiert, da sie sich auf reine Behauptung beschränken. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin dieses Vorbringen allgemein und den einzigen konkret angeführten Vorfall vom 27.04.2008 - entgegen ihrem Vorbringen in der Beschwerdeschrift - weder in der Erstbefragung noch in den folgenden Einvernahmen erwähnt hat, sondern erstmals in der Beschwerdeschrift. Im Gegenteil hat sie in der Einvernahme eine Verfolgung oder Bedrohung in Polen zunächst ausdrücklich verneint.

 

Es besteht auch keine Gefahr, dass die Beschwerdeführerin einer Kindesentführung durch Verwandte des Ehemannes der Beschwerdeführerin in Polen ungeschützt ausgesetzt ist.

 

Zunächst scheint dem Asylgerichtshof das dahingehende Vorbringen der Beschwerdeführerin insgesamt wenig glaubhaft. Die Beschwerdeführerin hat im gesamten Verfahren nämlich außer der Behauptung an sich und der Annahme, die Verwandten des Ehemannes könnten ihren Aufenthalt in Polen "sehr leicht" ausfindig machen, keine substantiierten Gründe angeführt, woraus sich eine derartige Bedrohung durch Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens und insbesondere in Polen ergeben könnte.

 

Was die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang vorgelegte "Bestätigung" der tschetschenischen Vertretung in Polen betrifft, so handelt es sich offenkundig um eine Fälschung. Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, wie die tschetschenische Vertretung in Polen von den behaupteten Bedrohungen einer einzelnen Person in Polen durch ihre Verwandten in Tschetschenien überhaupt erfahren haben soll, geschweige denn deren Vorliegen tatsächlich ermittelt haben kann, zumal sich die Beschwerdeführerin nach eigenen Angaben in Polen nicht an die Polizei oder andere behördliche Stellen gewendet hat und die Bestätigung zu einem Zeitpunkt erstellt wurde, in der sich die Beschwerdeführerin bereits in Österreich aufhielt. Hinzu kommt - wie im angefochtenen Bescheid auf der Basis eines aktuellen und keinen erkennbaren Zweifeln unterliegenden Länderberichts festgestellt -, dass die Ausfertigung der "Bestätigung" im Namen von S.S. erfolgt sein soll, obwohl dieser im Zeitpunkt der Ausstellung des Schreibens die Funktion in Polen gar nicht mehr innehatte.

 

3. Die Beschwerdeführerin leidet nicht an einer belastungsabhängigen, krankheitswertigen psychischen Störung oder einer sonstigen physischen Erkrankung, welche einer Überstellung nach Polen entgegenstehen könnten.

 

Was zunächst den psychischen Zustand der Beschwerdeführerin betrifft, leidet die Beschwerdeführerin lediglich an einer "mäßig-depressiv-ängstliche Verstimmung", die derzeit ohne Medikation psychisch kompensiert ist und als solche einer Überstellung nach Polen nicht entgegensteht. Bei der zystischen Mastopathie ohne Malignomverdacht (also einer gutartige Veränderung des Brustdrüsengewebes), handelt es sich weiters generell nicht um eine schwere Erkrankung, welche die Transportfähigkeit beeinträchtigt. Gegen den Eisenmangel und die Schlafprobleme wurden eine medikamentöse Schlafregulation und eine Therapie der Anämie eingeleitet. Was schließlich die Herzsypmtomatik betrifft, ergaben die Untersuchungen keinen Hinweis für einen pathologischen Befund. Diese Feststellungen ergeben sich aus der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. M. vom 28.05.2008 sowie aus den aktuellen medizinischen Befunden des LKH vom 30.05.2008 und 01.07.2008.

 

4. Die Beschwerdeführerin hatte weder in Tschetschenien, noch in Österreich mehr als gelegentlichen Kontakt zu ihren beiden Brüdern, welche als anerkannte Flüchtlinge in Österreich leben.

 

Weder im Herkunftsland noch in Österreich lebte die Beschwerdeführerin mit ihren Brüdern im gemeinsamen Haushalt, vielmehr hatte sie in Tschetschenien nur telefonischen Kontakt. Es werden lediglich gelegentlich Geldbeträge an die Beschwerdeführerin gezahlt. Ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis besteht nicht. Diese Tatsachen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Rechtlicher Rahmen

 

Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Asylverfahren das AsylG 2005 anzuwenden ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG, ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Mitgliedstaat der Dublin II-VO Schutz vor Verfolgung findet. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Dabei ist mitzubeachten, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann) (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO) zuständig ist, wobei die dort geregelten Zuständigkeitskriterien nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO bestimmt, dass jener Mitgliedstaat, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, wenn der Grenzübertritt in besondere auf der Grundlage der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 (Eurodac-VO) festgestellt wird.

 

Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c Dublin II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wieder aufzunehmen.

 

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den Kriterien der Art. 6 bis 13 Dublin II-VO nicht zuständig ist.

 

Gemäß § 10 AsylG ist ein Bescheid über einen Asylantrag mit einer Ausweisung in einen bestimmten Staat zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen (Absatz 1 Ziffer 1) wird und keiner der in § 10 Absatz 2 und Absatz 3 AsylG festgelegten Gründe für die Unzulässigkeit der Ausweisung des vorliegt.

 

Gemäß § 10 Absatz 4 AsylG gilt eine Ausweisung wegen Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers.

 

§ 18 Absatz 1 AsylG besagt, dass das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Zulässigkeit der Beschwerde und Verfahren vor dem Asylgerichtshof

 

Die Beschwerde ist fristgerecht beim Asylgerichtshof eingebracht worden und es bestehen keine Bedenken gegen ihre Zulässigkeit.

 

Mit Beschluss vom 11.08.2008 hat der Asylgerichtshof der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte im Verfahren vor dem Asylgerichtshof von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung

 

Die angefochtene Entscheidung ist rechtmäßig, da das Bundesasylamt keine Verfahrensfehler begangen hat sowie zu Recht festgestellt hat, dass Österreich für die Prüfung des Asylantrags der Beschwerdeführerin nicht zuständig ist und zu Recht die Ausweisung nach Polen verfügt hat.

 

Ordnungsgemäßes Verfahren vor dem Bundesasylamt

 

Der Asylgerichtshof stellt zunächst fest, dass das Verwaltungsverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde.

 

Der Beschwerdeführerin wurde insbesondere durch die Erstbefragung und die beiden Einvernahmen mit vorhergehender Rechtsberatung - alle jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt, und ihr wurde vor der Einvernahme und innerhalb von 20 Tagen ab Einbringen ihres Antrags schriftlich mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Asylantrag wegen Zuständigkeit Polens zurückzuweisen (§§ 28, 29 AsylG).

 

Ein Verstoß gegen § 18 AsylG wegen unterlassener Ermittlungen im Hinblick auf die Gefährdung der Beschwerdeführerin in Polen und auf ihren Gesundheitszustand liegt nicht vor.

 

Die Beschwerdeführerin hat nämlich, erstens, keine substantiierten Hinweise darauf gegeben, dass sie in Polen verfolgt werde und seitens der polnischen Behörden kein oder nicht ausreichender Schutz vor Übergriffen gewährt wird. Vielmehr beruft sie sich auf eine nicht als echt festgestellte Urkunde und allgemeine Spekulationen. Eine Gefährdung durch den russischen Sicherheitsdienst und diesbezügliche Internetberichte werden in den Einvernahmen überhaupt nicht erwähnt. Es bestand daher keine Verpflichtung des Bundesasylamts, weitergehende Ermittlungen hinsichtlich der Sicherheit in Polen durchzuführen.

 

Hinsichtlich, zweitens, der psychischen und physischen Probleme hat das Bundesasylamt eine gutachterliche Stellungnahme und mehrere ärztliche Befunde eingeholt. Die Beschwerdeführerin hat keine konkreten Hinweise vorgebracht, die weitergehende Ermittlungen notwendig erscheinen lassen.

 

Unzuständigkeit Österreichs

 

Der Asylgerichtshof stellt fest, dass das Bundesasylamt keine Beurteilungsfehler begangen hat als es feststellte, dass für die Prüfung des Asylantrags der Beschwerdeführerin ausschließlich Polen zuständig ist.

 

Zur Zuständigkeit Polens

 

Was zunächst die Feststellung der Zuständigkeit Polens betrifft, so hat das Bundesasylamt diese Zuständigkeit im angefochtenen Bescheid zwar fälschlicherweise auf Artikel 16 Absatz 1 lit. c) Dublin II-VO gestützt. Inhaltlich ist die Feststellung jedoch richtig, da sich die Zuständigkeit Polens aus Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ergibt. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich nämlich, dass die Beschwerdeführerin aus einem Drittland kommend erstmals das Hoheitsgebiet Polens betreten hat und dieser Nachweis durch Daten der Eurodac erbracht wurde.

 

Zur Zuständigkeit Österreichs durch Selbsteintritt

 

Es besteht keine Pflicht Österreichs, vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Im vorliegenden Fall besteht nämlich kein Grund anzunehmen, dass die Nichtzulassung zum Asylverfahren in Österreich und einer Weiterführung des Verfahrens in Polen im konkreten Fall einen Verstoß der österreichischen Behörde gegen die Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 3 oder Art. 8 EMRK darstellt.

 

Nach der Judikatur ist dieses Selbsteintrittsrecht zwingend anzuwenden, wenn ein Asylbewerber mit dem Vollzug der Ausweisung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat der Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung (Art. 3 EMRK) oder der Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) ausgesetzt wäre (VfGH 08.03.2001, G 117/00 u.a.; VfGH 11.06.2001, B 1541/00; VfGH 15.10.2004, G 237/03 u.a.; VfGH 17.06.2005, B 336/05).

 

Was zunächst die von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr der der Verletzung von Art. 3 EMRK wegen der drohenden Verfolgung in Polen betrifft, erinnert der Asylgerichtshof an die Judikatur, wonach, wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem oben unter I.4. zu 2. festgestellten Sachverhalt, dass im konkreten Fall keine stichhaltigen Gründe vorliegen, anzunehmen, die Beschwerdeführerin liefe konkret Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu sein, weil sie in Polen ohne jeden Schutz durch polnische Behörden und Gerichte der Verfolgung durch russische Sicherheitstruppen oder durch Verwandte ihres Mannes aus Tscheschenien ausgeliefert wäre.

 

Was weiters den von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK wegen durch Überstellung nach Polen trotz ihres schlechten Gesundheitszustand betrifft, erinnert der Asylgerichtshof daran, dass nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK die Überstellung eines Asylwerbers nicht zulässig, wenn im Zielland wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation vorliegen würde. Aus den diesbezüglichen Entscheidungen ergibt sich, dass bei Vorliegen von Erkrankungen im Allgemeinen nur solche relevant sind, die bekanntermaßen zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen und grundsätzlich keine Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bestehen (siehe dazu nunmehr auch VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).

 

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem oben unter I.4. zu 3. festgestellten Sachverhalt, dass der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin einer Überstellung nach Polen nicht entgegensteht.

 

Was schließlich die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verletzung von Art. 8 EMRK wegen der drohenden Trennung von ihren Familienangehörigen (erwachsene Brüder) in Österreich betrifft, erinnert der Asylgerichtshof an die Judikatur von EGMR bzw. EKMR, die zum Vorliegen des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutzes ein "effektiven Familienleben" verlangen, das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushalts, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234). Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst zwar nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entfernter verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen auch solche zwischen erwachsenen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.

 

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem oben unter I.4. zu 4. festgestellten Sachverhalt, dass die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihren in Österreich lebenden erwachsenen Brüdern aus gelegentlichen Kontakten besteht und auch kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis besteht, so dass im Fall der Führung des Asylverfahrens der Beschwerdeführerin in Polen kein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben vorliegt.

 

Rechtmäßigkeit der Ausweisung

 

Was die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach Polen betrifft, so ergibt sich diese zunächst unmittelbar aus § 10 Absatz 1 Z. 1 AsylG, da der Antrag auf internationalen Schutz - wie oben unter 3.2. dargelegt - vom Bundesasylamt zu Recht zurück gewiesen wurde.

 

Es ergeben sich auch weder aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin noch aus sonstigen Anhaltspunkten Gründe dafür anzunehmen, dass die sofortige Ausweisung wegen Verstoßes gegen § 10 Abs. 2 AsylG iVm.

Artikel 3 EMRK oder gegen § 10 Abs. 3 iVm. Artikel 8 EMRK unzulässig wäre.

 

Insoweit verweist der Asylgerichtshof auf die oben unter 3.2. gemachten Ausführungen.

 

Da die Ausweisung nach Polen rechtmäßig ist, hat das Bundesasylamt auch zu Recht festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig ist. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 10 Abs 4 AsylG.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, real risk, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
09.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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