TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/31 D15 257822-6/2008

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Veröffentlicht am 31.10.2008
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Spruch

D15 257822-6/2008/33E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Riepl als Vorsitzende und den Richter Mag. Windhager als Beisitzer über die Beschwerde der E.Z., geb. 00.00.1977, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.11.2005, FZ. 04 26.190-BAG, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die (nunmehrige) Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 31.12.2004 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem minderjährigen Kind illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen Antrag auf die Gewährung von Asyl.

 

2. Im Rahmen einer niederschriftlichen Befragung vor Beamten der Bundesgendarmerie, Grenzkontrollstelle Gmünd, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie ihren Herkunftsstaat Ende April verlassen habe und mit ihrem Ehemann nach Polen gereist sei und dort um Asyl angesucht habe. In der Folge hätten sie jedoch den Antrag wieder zurückgezogen und seien dann mit dem Taxi zur polnisch-tschechischen Grenze gefahren, welche sie zu Fuß überschritten hätten. Gleich darauf seien sie von tschechischen Polizisten festgenommen worden. Nach ihrer Freilassung seien sie wiederum mit einem Taxi zur tschechisch-österreichischen Grenze gefahren und hätten diese zu Fuß überquert. Ihren Herkunftsstaat hätten sie verlassen, da ihr Mann dort sowohl von den Russen als auch von der heutigen tschetschenischen Regierung verfolgt werde (AS 13).

 

3. Am 10.01.2005 wurde die Beschwerdeführerin von einem Organwalter des Bundesasylamtes, Erstaufnahmestelle Ost, niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie neuerlich an, dass ihr Mann und sie im April 2004 ihre Heimat verlassen hätten und nach Polen gereist seien. Dort hätten sie einen Asylantrag gestellt, diesen aber wieder zurückgezogen, da es dort nicht mehr sicher gewesen sei und sie zudem in Österreich weitschichtige Verwandte hätten. In ihrem Herkunftsstaat würden sie von den russischen Behörden und Leuten von Kadirov verfolgt (AS 43 ff.).

 

4. Nachdem ein mit der Republik Polen eingeleitetes Konsultationsverfahren die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaates zur Abwicklung des Asylverfahrens ergab (AS 77), wies das Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, den gegenständlichen Asylantrag vom 31.12.2004 mit Bescheid vom 27.01.2005, FZ. 04 26.190-EAST Ost, gem. § 5 Abs. 1 AsylG 1997 als unzulässig zurück und stellte gem. Art. 16 Abs. 1 lit. d Dublin II-VO fest, dass für die Prüfung des Asylantrages Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen (AS 81 ff.).

 

5. Gegen diesen Bescheid wurde am 10.02.2005 fristgerecht Berufung erhoben (AS 73 ff.).

 

6. Am 11.02.2005 erfolgte durch die Ärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. I.H. ein Gespräch mit der Beschwerdeführerin, in welchem diese unter anderem vorbrachte, dass sie und ihre Mutter im Jahre 1995 von russischen Soldaten geschlagen worden seien, wobei sie selbst auch einem Vergewaltigungsversuch entgangen sei, wovon eine Narbe an ihrem linken Oberarm zeuge. Weiters habe sie seit damals Kopfschmerzen

 

(AS 123).

 

7. Aus einem am 05.04.2005 durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F.M. erstellten Befundbericht bezüglich der Beschwerdeführerin geht hervor, dass diese an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin in der dem Befund zugrunde liegenden Anamnese angegeben, dass sie seit 1985 im Rahmen des Tschetschenienkrieges sehr viel mitgemacht habe, selbst gekämpft und mehrere Onkel und Brüder verloren habe. Sie sei auch von russischen Soldaten geschlagen und vergewaltigt worden. Ebenso sei ihr Gatte verhaftet und gefoltert worden; seit einem Gefängnisaufenthalt sei dieser auch in der Persönlichkeit verändert (AS 153 im Akt des Ehegatten der Beschwerdeführerin).

 

8. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 18.07.2005, Zl.

 

257.822/5-II/04/05, wurde der Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.01.2005 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen (AS 161 ff.).

 

9. Nach erfolgter Zulassung zum Verfahren fand am 25.10.2005 vor einem Organwalter des Bundesasylamtes, Außenstelle Graz, eine weitere niederschriftliche Einvernahme mit der Beschwerdeführerin statt. Dabei gab diese - kurz zusammengefasst - an, dass sie zuletzt in Inguschetien gelebt habe und ihren Herkunftsstaat wegen der Probleme ihres Mannes verlassen habe. Zudem habe allgemein eine schlechte Situation geherrscht, worunter auch ihre Gesundheit gelitten habe. 1995 sei sie von Russen geschlagen worden, ein Jahr später sei ihr Haus abgebrannt. 2002 sei ihr Onkel von maskierten Russen umgebracht worden (AS 225 ff.).

 

10. Das Bundesasylamt hat den gegenständlichen Asylantrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.11.2005, FZ. 04 26.190-BAG, gem. § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.), festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der nunmehrigen Beschwerdeführerin nach Russland gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997 zulässig sei (Spruchpunkt II.) und sie gem. § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Russland ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

11. Gegen diesen - am 14.11.2005 zugestellten - Bescheid richtet sich die am 23.11.2005 eingebrachte Berufung. (AS 289 ff.).

 

12. Nach einem am 15.05.2006 abgehaltenen "selbständigen Augenschein" der Ländersachverständigen Dr. L.L. und Einführung zweier Gutachten zur "Situation von tschetschenischen Vertriebenen in Russland" und "Innerstaatlichen Fluchtalternative in Tschetschenien" sowie der Gewährung von Parteiengehör zu diesen Beweismitteln kam der Unabhängige Bundesasylsenat in seinem "Erkenntnis" vom 09.10.2006 zum Ergebnis, dass der "Beschwerde" vom 23.11.2005 stattzugeben und der nunmehrigen Beschwerdeführerin gem. § 7 AsylG 1997 Asyl zu gewähren sei. Gemäß § 12 leg. cit. wurde festgestellt, dass diesem somit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es aufgrund des durch den Unabhängigen Bundesasylsenat durchgeführten ergänzenden Ermittlungsverfahrens ausreichend wahrscheinlich sei, dass im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen für die Annahme einer ausreichend intensiven "Verfolgung" aus zumindest einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe vorliege.

 

13. Gegen dieses "Erkenntnis" wurde mit Schriftsatz vom 14.12.2006 wegen Begründungsmängel, mangelnder Nachvollziehbarkeit des Bescheides, fehlender Nachvollziehbarkeit der in das Verfahren eingeführten Gutachten, der fraglichen Zulässigkeit einer "einseitigen Anhörung" und des "selbständigen Augenscheins" sowie allgemein aufgrund eines mangelnden Ermittlungsverfahrens seitens der zweiten Instanz, Amtsbeschwerde gem. § 38 Abs. 5 AsylG 1997 durch das Bundesministerium für Inneres erhoben.

 

14. Dieser Amtsbeschwerde gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 26.06.2008, Zl. 2006/20/0794-5, statt und hob den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Begründend wurde auf das d.g. Erkenntnis vom 19.12.2007 verwiesen, in welchem der Verwaltungsgerichtshof bereits ausführlich dargelegt hat, dass die gutachterlichen Äußerungen der - auch im gegenständlichen Fall beigezogenen - Sachverständigen widersprüchlich und nicht nachvollziehbar seien. Da die Feststellungen des Unabhängigen Bundesasylsenates ausschließlich auf diese mangelhaften gutachterlichen Äußerungen gestützt seien, sei schon aus diesem Grund von einer Rechtswidrigkeit des Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auszugehen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (in der Folge: AsylGHG) nimmt der Asylgerichtshof mit 01.07.2008 seine Tätigkeit auf. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

1.2. Gemäß § 61 Abs. 1 Asylgesetz 2005 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

1.3. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Das gegenständliche Verfahren war am 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig und ist daher vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Es handelt sich um ein Beschwerdeverfahren gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes, welches von einem nicht zum Richter des Asylgerichtshofes ernannten Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurde. Demnach hatte über die vorliegende Beschwerde unter sinngemäßer Anwendung von § 75 Abs. 7 Z 3 AsylG 2005 der Asylgerichtshof, und zwar durch den nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat zu entscheiden.

 

1.4. Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

1.5. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen. Der gegenständliche Asylantrag wurde am 31.12.2004 gestellt. Es ist im vorliegenden Fall somit das AsylG 1997 i.d.F. BGBl. I Nr.101/2003 anzuwenden.

 

2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, "wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist."

 

2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gem. § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG i.d.F. BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gem. § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden. (...)

 

Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gem. § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

2.3. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Einem zurückweisenden Bescheid i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis v. 20.04.2006, Zl. 2003/01/0285)."

 

Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.06.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr sinngemäß gleichermaßen für den Asylgerichtshof als dessen Nachfolgebehörde.

 

3.1. Die erstinstanzliche Behörde kommt im gegenständlichen Fall im Rahmen ihrer Beweiswürdigung zum Schluss, dass die nunmehrige Beschwerdeführerin keine eigenen Asylgründe vorgebracht habe, sondern lediglich wegen der Probleme ihres Ehegatten, die als nicht glaubhaft gewürdigt wurden, nach Österreich geflohen sei (S. 19 des bekämpften Bescheides).

 

Dazu ist jedoch ausdrücklich zu bemerken, dass den im erstinstanzlichen Verwaltungsakt aufliegenden psychologischen Gutachten bzw. Befunden jeweils eine Anamnese [Gespräch des Arztes mit dem Patienten u.a. über dessen biographische Vorgeschichte] zugrunde liegt, in welcher die Beschwerdeführerin nach Auffassung des Asylgerichtshofes durchaus asylrelevante Aussagen getroffen hat. So ist z.B. auf AS 123 hinzuweisen, wo die Beschwerdeführerin im Rahmen eines Gesprächs mit der Ärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. I.H. am 11.02.2005 schildert, dass sie mit einem Gewehr[kolben] geschlagen worden sei und dass versucht worden sei, sie zu vergewaltigen.

 

Diese Informationen wurden vom Bundesasylamt der Beschwerdeführerin in der Folge jedoch weder vorgehalten, noch wurde sie dazu näher befragt, noch wurden sie sonst irgendwie im weiteren Verfahrensverlauf entsprechend gewürdigt. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass aus dem Einvernahmeprotokoll vom 25.10.2005 sehr wohl hervorgeht, dass dieses Gespräch dem Organwalter des Bundesasylamtes bekannt war (zit. "Bei ihrer Befragung am 12.02.2005 durch eine Ärztin führten sie an ...." - AS 227).

 

Dieselben Angaben sind auch dem vom Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F.M. verfassten Befundbericht zu entnehmen, wo die Beschwerdeführerin abermals schildert, dass sie von russischen Soldaten mit einem Gewehrkolben geschlagen sowie auch vergewaltigt worden sei und dabei eine Bissverletzung davongetragen habe.

 

Es muss im vorliegenden Fall daher davon ausgegangen werden, dass der gegenständliche verfahrensrelevante Sachverhalt durch das Bundesasylamt nur unzulänglich und damit mangelhaft erhoben wurde und war in Anbetracht der Tatsache, dass somit fast das gesamte Ermittlungsverfahren vor die zweite Instanz verlagert werden würde, spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.2. Im konkreten Fall wäre aufgrund der dargestellten Mängel im Zuge des weiteren Verfahrens jedenfalls eine neuerliche Vernehmung anzuberaumen und mit der Beschwerdeführerin die offen gebliebenen bzw. mangelhaft erhobenen Sachverhaltselemente abzuklären.

 

3.3. Abschließend ist noch zu bemerken dass im gegenständlichen Fall ein sogenanntes Familienverfahren nach § 10 AsylG 1997 i.d.F. BGBl. I Nr. 101/2003, vorliegt.

 

Die hier relevanten Bestimmungen lauten:

 

Familienangehöriger i.S.d. § 1 Z 6 AsylG ist, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragsstellung unverheiratetes minderjähriges Kind (Kernfamilie) eines Asylwerbers oder eines Asylberechtigten ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 5 AsylG hat die Behörde Asylanträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Dies ist entweder die Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz, wobei die Gewährung von Asyl vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Antragssteller erhält einen gesonderten Bescheid.

 

Mit dem am heutigen Tage ergangenen Erkenntnis zu GZ. D15 257823-6/2008/33E, hat der Asylgerichtshof jenen Bescheid, mit dem der Asylantrag des Ehegatten der Beschwerdeführerin, K.M., durch das Bundesasylamt gem. § 7 AsylG abgewiesen worden war, aufgehoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

Im Hinblick darauf, dass der über den Asylantrag des Ehemannes der Beschwerdeführerin ergangene Bescheid des Bundesasylamtes behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen wurde, kann im Lichte des § 10 Abs. 5 AsylG (wonach die Verfahren unter einem zu führen sind) auch der gegenständliche angefochtene Bescheid keinen Bestand haben.

 

Somit war schon allein aufgrund dieser gesetzlichen Bestimmung spruchgemäß zu entscheiden.

 

4. Auch die Zielsetzungen der im gegenständlichen Fall anzuwendenden Asylgesetznovelle 2003 lassen eine kassatorische Entscheidung geboten erscheinen. So wird im allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Asylgesetznovelle 2003 Folgendes ausgeführt:

 

"Die vorgeschlagene Novelle sieht eine Konzentration der Tatsachenermittlung beim Bundesasylamt vor. Eine vollständige Tatsachenermittlung erfordert einerseits eine umfassende Befragung, Rechtsberatung und Information des Asylwerbers und andererseits auch dessen umfassende Mitwirkung am Verfahren..."

 

Im besonderen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage der Asylgesetznovelle 2003 wird zur vorgeschlagenen Neufassung des § 32 ausgeführt: "Die vorgeschlagene Neufassung des § 32 trägt dem Konzept Rechnung, dass die Kompetenzen des Bundesasylamtes als Tatsacheninstanz erweitert werden. ..." Diese durch die Asylgesetznovelle 2003 eingeführten Bestimmungen bewirken nach dem Willen des Gesetzgebers eindeutig eine Festlegung der Grundausrichtung der Tätigkeit des Bundesasylamtes als auch im vorliegenden Fall zuständiger Behörde erster Instanz. Diesen normativen Anliegen des Gesetzgebers kann nur durch die vollständige Ermittlung und Feststellung des Sachverhaltes durch das Bundesasylamt auch im vorliegenden Fall Rechnung getragen werden, weshalb die Behebung des angefochtenen Bescheides und Verweisung der Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zu erfolgen hat.

 

5. Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall der Berufung (nunmehr: Beschwerde) Rechnung zu tragen und das der zweiten Instanz gem. § 66 Abs. 2 und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben. Besondere Gesichtspunkte, die aus Sicht der Beschwerdeführerin gegen eine Kassation des erstinstanzlichen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

 

4. Von der Durchführung einer öffentlichen Beschwerdeverhandlung konnte gem. § 67d AVG i.V.m. § 41 Abs. 7 AsylG 2005 abgesehen werden.

Schlagworte
gesundheitliche Beeinträchtigung, Gutachten, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
05.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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