TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/05 E12 307055-1/2008

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Veröffentlicht am 05.11.2008
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Spruch

E12 307.055-1/2008-14E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Maria MITTERMAYR über die Beschwerde des A.M., geb. am 00.00.1976 (alias 03.04.1976), StA. Aserbaidschan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.10.2006, FZ. 05 17.017-BAI, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde von A.M. vom 31.10.2006 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.10.2006, Zl.: 05 17.017-BAI, wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I.

 

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Aserbaidschan, brachte am 13.10.2005 beim Bundesasylamt (BAA) einen Asylantrag ein. Dazu wurde er erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenen Bescheid vollständig wieder gegeben, weshalb an dieser Stelle hierauf verwiesen wird.

 

Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachte er im Wesentlichen vor, er habe am 00.10.2003 in Baku nach den Präsidentenwahlen an einer Demonstration (gegen die nicht ordnungsgemäße Durchführung dieser Wahlen) teilgenommen. Die Demonstration sei durch die Polizei gewaltsam aufgelöst worden; er sei geschlagen und festgenommen worden. Während der Haft sei er misshandelt worden, zudem habe man versucht ihm Suchtmittel unterzuschieben; schließlich sei er am 00.10.2003 aus der Haft entlassen worden. Nach der Haftentlassung habe er feststellen müssen, dass sein Geschäft vollkommen geplündert worden sei. Seine Frau sei wegen seiner Mitgliedschaft zur Partei Musavat zuvor schon entlassen worden. Er und seine Frau seien daraufhin nach Georgien und nach dortigem zweijährigem Aufenthalt weiter nach Österreich geflüchtet.

 

2. Der Asylantrag wurde folglich mit Bescheid des BAA vom 23.10.2006, Zahl: 05 17.017-BAI, gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 AsylG wurde seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Aserbaidschan für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Aserbaidschan verfügt (Spruchpunkt III.).

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Fluchtvorbringen des BF als unglaubwürdig.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 31.10.2006 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

 

Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass dem BF in seiner Heimat asylrelevante Verfolgung drohe. Das BAA habe kein ordentliches Ermittlungsverfahren geführt, habe veraltete Länderfeststellungen herangezogen, die zudem unvollständig seien und das Recht auf Parteiengehör verletzt. Beigelegt wurde ein handschriftliches Schreiben des BF in russischer Sprache.

 

4. Mit Schreiben vom 04.06.2008 gab der rechtsfreundliche Vertreter die Vertretung des BF bekannt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Der Asylgerichtshof hat durch Einsicht in den vorliegenden

Verwaltungsakt Beweis erhoben und Folgendes festgestellt:

 

1. Beim gegenständlichen Verfahren handelt es sich um ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG.

 

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tage, Zahl: E12 307.054, wurde der erstinstanzliche Bescheid vom 24.10.2006, Zahl:

05 17.018-BAI - die Ehefrau des BF betreffend - gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit jeweils zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

2. Zum Bescheid des BF selbst:

 

2.1. In der Beweiswürdigung führte die Erstbehörde aus, die Angaben des BF seien unglaubwürdig, weil er einerseits unzureichende Angaben zu seinem Fluchtweg gemacht habe und andererseits sich in seinem Vorbringen Widersprüche befunden hätten. So habe er angegeben, dass man einen Mitgliedsausweis bei der Partei Musavat erst nach 1 oder 1 1/2 Jahren bekomme, er sei aber seinen Angaben zufolge schon fast zwei Jahre Mitglied gewesen, habe aber trotzdem keinen Mitgliedsausweis gehabt. Er habe auch einmal angegeben, ihm sei von Polizeibeamten Haschisch unterschoben worden, an anderer Stelle dem widersprechend aber ausgesagt, dies sei Heroin gewesen. Schließlich habe er angegeben, die Polizei sei am 16.10.2003 zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr eingeschritten, was allerdings der gesicherten Berichtslage widerspreche.

 

Der Widerspruch zwischen einerseits Haschisch und andererseits Heroin wurde dem BF im Zuge der Einvernahme in Innsbruck auch vorgehalten. Dazu verantwortete sich der BF insoweit, er habe nicht Heroin bekommen, sondern Haschisch. Er wisse, wie Heroin aussehe. Es dürfte sich um ein Missverständnis bei der sprachlichen Übersetzung gehandelt haben. Mit diesem Einwand des BF hat sich das Bundesasylamt Beweis würdigend nicht auseinandergesetzt. Seine diesbezügliche Verantwortung wurde völlig negiert. Dabei liegt es aber durchaus im Bereich des Möglichen, dass hier ein Übersetzungsfehler vorliegt. Mit dem Nichteingehen auf die Verantwortung des BF zum aufgeworfenen Widerspruch macht das BAA folglich seine eigene Beweiswürdigung unschlüssig.

 

Die Beweiswürdigung der Erstbehörde ist daher in einem zentralen Punkt unschlüssig und nicht geeignet, den Befund - sein Fluchtvorbringen sei unglaubwürdig - zu tragen.

 

2.2. Das BAA führte aus, dass nicht festgestellt werden konnte, dass dem Antragsteller im Herkunftsstaat die Lebensgrundlage entzogen gewesen wäre und dass er bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt werde.

 

Zwar wurden umfangreiche Feststellungen zur Situation in Aserbaidschan getroffen, die Feststellungen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage (vgl. AS 179 dritter und vierter Absatz) sind aber nicht geeignet, die Rückkehrsituation des BF vor dem Hintergrund seines Vorbringens (und seiner Ehefrau) beurteilen zu können.

 

Ohne solche Feststellungen ist es aber nicht möglich, zu beurteilen, ob ihm im Herkunftsland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen wäre oder ob er bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt werde. Gleichwohl wurde diese Beurteilung von der Erstbehörde aber vorgenommen.

 

Eine abschließende schlüssige Beurteilung des Vorbringens des BF wird erst nach Vervollständigung der Länderdokumentation möglich sein, da vorher das individuelle Vorbringen zum objektiven Sachverhalt laut Länderdokumentation nicht in Relation gesetzt werden kann.

 

2.3. Im Beschwerde(Berufungs)schriftsatz rügt der BF die Nichtgewährung des Parteiengehörs und ist damit im Recht.

 

Es hätte einer Konfrontation der Partei mit dem amtswegig zu ermittelnden Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln bedurft. Dem BF wurden aber die entsprechenden Länderfeststellungen nicht vorgehalten. Wenn das Ermittlungsergebnis dem BF aber nicht vollinhaltlich zur Kenntnis gebracht worden ist, so hatte er diesbezüglich keine Möglichkeit, sich insoweit dagegen zu äußern.

 

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002). Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062). Durch die genannten fehlenden Sachverhaltsermittlungen sowie die fehlenden Länderfeststellungen und die unschlüssige Beweiswürdigung ist dieses Erfordernis aber mit Sicherheit nicht erfüllt.

 

Ebenso wird darauf hingewiesen, dass die Gewährung des Parteiengehörs mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu Folge hat, welche wiederum ein wesentliches Bescheinigungsmittel zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes darstellen kann und von der Behörde amtswegig herbeizuschaffen sein wird.

 

III. Rechtliche Beurteilung

 

Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1 erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. [.....]

 

(2) [.....]

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

[......]

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG idgF hat der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], sofern die Beschwerde [Berufung] nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er [sie] ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) seine [ihre] Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann der AsylGH [Berufungsbehörde] jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 5 AsylG 1997 in der hier anzuwendenden Fassung hat die Behörde (im Familienverfahren - ein solches liegt hier vor) Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Dies ist entweder die Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz, wobei die Gewährung von Asyl vorgeht, es sei denn alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Antragsteller erhält einen gesonderten Bescheid.

 

Auch der AsylGH ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084 zur Anwendbarkeit von § 66 (2) AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat). Eine kassatorische Entscheidung darf vom AsylGH nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Das erkennende Gericht hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihm vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i. S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, welches sich auf den Unabhängigen Bundesasylsenat bezog und aufgrund der identischen Interessenslage in Bezug auf den AsylGH ebenfalls seine Gültigkeit hat, führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstelle in den Bundesländern erfolgt, während der unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch zu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl.2000/20/0084)."

 

Auch wenn der AsylGH eine Außenstelle in Linz einrichtete, ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des AsylGH und des Bundesasylamtes, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes des BF und der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes eine Weiterführung des Verfahrens durch den AsylGH im Sinne des § 66 (3) AVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Im Hinblick darauf, dass der erstinstanzliche Bescheid der Ehefrau des Beschwerdeführers durch Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag, (Zahl: E12 307.054) behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen wurden, kann im Sinne des § 10 Abs. 5 AsylG, wonach die Verfahren "unter einem zu führen" sind, auch der den Asylantrag abweisende Bescheid des Beschwerdeführers - schon aus diesem Grund allein - keinen Bestand haben (vgl. VwGH v. 18.10.2005, 2005/01/0402 bis 0404).

 

Darüber hinaus wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht im erforderlichen Ausmaß ermittelt, ist die Beweiswürdigung unschlüssig und wurde das Parteiengehör nicht gewahrt.

 

Es wird daher Sache des Bundesasylamtes sein, die gebotenen Ermittlungstätigkeiten im bereits erörterten Umfang nachzuholen.

 

Enthält - wie im gegenständlichen Fall - der Bescheid eine nicht auf den sonstigen Inhalt abgestimmte schlüssige Beweiswürdigung, so führt dies in weiterer Folge dazu, dass auch die hierauf aufbauenden Feststellungen letztlich auf ein mangelhaftes Verfahren fußen und das Ermittlungsverfahren in seiner Gesamtheit als mangelhaft anzusehen ist. Hätte das Bundesasylamt die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung erkannt, hätte es weitere Erhebungen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes getätigt, wozu auch eine weitere Befragung des BF, bzw. eine Konfrontation des BF mit dem Ergebnis der Erhebungen erforderlich gewesen wäre.

 

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass Beweis würdigende Überlegungen zur Stichhaltigkeit einer Fluchtgeschichte sich regelmäßig nicht auf das Vorbringen des Asylwerbers beschränken dürfen. Vielmehr bedarf es idR auch einer Betrachtung der konkreten fallbezogenen Lage im Herkunftsstaat des Betreffenden, weil seine Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich sind (VwGH 18.4.2002, 2001/01/0002; in diesem Sinne auch VwGH 28.1.2005, 2004/01/0476). Von den Asylbehörden ist eine Einbeziehung des realen Hintergrundes der von einem Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in das Ermittlungsverfahren zu erwarten. Die Behauptungen des Asylwerbers sind auch am Verhältnis zu der Berichtslage in Bezug auf das Ereignis, von dem er betroffen gewesen sein will, zu messen (VwGH 30.9.2004, 2001/20/0135, in diesem Sinne auch VwGH 31.5.2005, 2005/20/0176).

 

Auch der Verfassungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis 2001/10/02 B 2136/00 davon aus, dass sich die Asylbehörden nicht mit Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat begnügen dürfen, sondern fallbezogen konkrete Ermittlungen (im gegenständlichen Erkenntnis des VfGH geht es um eine Geheimgesellschaft) in Bezug auf das individuelle Vorbringen tätigen müssen, um dieses einer Plausibilitätskontrolle unterziehen zu können. Nach Ansicht des zitierten VfGH - Erkenntnisses besteht diese Verpflichtung selbst dann, "wenn die vom Beschwerdeführer gegebene Schilderung von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erscheint. Dies entbindet die Asylbehörde nicht von ihrer Verpflichtung, die notwendigen Ermittlungen vorzunehmen".

 

Zur Verletzung des Parteiengehörs wird auf folgenden Umstand hingewiesen:

 

In verschiedenen Erkenntnissen geht der VwGH davon aus, dass die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Berufung in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl. für viele: VwGH vom 11.9.2003, 99/07/0062; VwGH vom 27.2.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 26.2.2002, 98/21/0299).

 

Soweit im erstinstanzlichen Asylverfahren das Parteiengehör verletzt wurde, wird angeführt, dass in diesem Fall der(die) Beschwerdeführer(in) die Gelegenheit hat, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen und es dem(der) BF aufgrund der durch die Verletzung des Parteiengehörs hervorgerufenen Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens im Beschwerdeverfahren weiters frei steht, zulässigerweise einen neuen Sachverhalt vorzubringen bzw. neue Bescheinigungsmittel vorlegen. Hierdurch mag zwar gegenüber dem(der) BF die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Berufung zwar als saniert anzusehen sein, dies ändert aber nichts daran, dass dieser Umstand in weiterer Folge die Verpflichtung zur Durchführung einer Verhandlung und somit die Rechtsfolgen des § 66 (2) AVG auslösen kann.

 

Im vorliegenden Fall wurde vom BF im ergänzenden Beschwerde(Berufungs)schreiben als neuer Sachverhalt vorgebracht, dass die Polizei (angeblich) in seinem Geschäft Drogen (Haschisch) gefunden haben solle. Er werde daher in Aserbaidschan derzeit gesucht. Die Polizei suche überall nach ihm, auch seine Verwandten würden von ihnen belästigt werden (vgl. Seite 2 letzter Absatz der Übersetzung des handschriftlichen Zusatzes zur Beschwerde(Berufung)). Aufgrund der angeführten Mangelhaftigkeit unterfällt dieses Vorbringen grundsätzlich (es ist jedenfalls ohne weitere Erhebungen nicht eindeutig, ob nicht schon die Ziffern 1. oder 3. des § 32 Abs. 1 AsylG 1997 einschlägig sind) nicht dem Neuerungsverbot des § 32 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG 1997.

 

Ebenso wird darauf hingewiesen, dass die Gewährung des Parteiengehörs mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Stellungnahme des(der) Beschwerdeführer(s)(in) zu folge hat, welche wiederum ein wesentliches Bescheinigungsmittel zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes darstellen kann und von der Behörde amtswegig herbeizuschaffen sein wird.

 

Im Rahmen der nachzuholenden Ermittlungstätigkeiten wird das Bundesasylamt auch den BF ein weiteres Mal zu befragen haben. Ebenso wird es dem BF das Ermittlungsergebnis zur Kenntnis zu bringen und ihm die Gelegenheit einzuräumen zu haben, sich hierzu zu äußern. In weiterer Folge wird das BAA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen (wobei selbstverständliche auf die bereits ausgeführten Widersprüche einerseits in den Aussagen bei den einzelnen Einvernahmen und andererseits zu den Aussagen der Ehegattin des BF, das neue Vorbringen und auch das gesteigerte Vorbringen [vgl. die Aussagen zur Erpressung durch Polizeibeamte in der Einvernahme in Innsbruck] einzugehen sein wird) und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
05.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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