TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/22 2001/01/0002

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2002
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des A in Wien, geboren 1976, vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kohlmarkt 11/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. September 2000, Zl. 213.196/1-III/07/00, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia und - seinen Behauptungen zufolge - (zuletzt) am 8. Juli 1999 in das Bundesgebiet eingereist. Seinen in der Folge gestellten Asylantrag begründete er im Wesentlichen damit, dass er der Volksgruppe der "Midgo" angehöre und als Angehöriger dieses in Somalia unterdrückten Stammes keine Rechte habe. Sein Stamm gehöre zu den Minderheiten in Somalia, besitze kein bestimmtes Stammesgebiet und seine Mitglieder würden aus rassistischen Gründen verfolgt.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab; weiters stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Somalia zulässig sei. Dieser Entscheidung legte die belangte Behörde zugrunde, dass der Beschwerdeführer seit seinem vierten Lebensjahr in den Vereinigten Arabischen Emiraten gelebt habe. Nach der Endigung des Arbeitsvertrages seines Vaters sei er mangels Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung gezwungen gewesen, gemeinsam mit seiner Familie die Vereinigten Arabischen Emirate zu verlassen. In der Folge habe die Familie des Beschwerdeführers in ihr Haus nach Mogadischu zurückkehren wollen, doch sei dieses Haus von einer bewaffneten Gruppe in Besitz genommen und der Beschwerdeführer mit seiner Familie letztlich aus diesem Haus hinausgeworfen worden. Daraufhin habe sich der Beschwerdeführer nach Bossaso begeben. Dort sei er 1997 auf der Straße von Personen, die ihn und seinen Bruder als Angehörige des Migdan Stammes erkannten, angegriffen und mit einem Messer am Bein verletzt worden. Der Beschwerdeführer und sein Bruder hätten fliehen können. Einen Versuch, sich wegen dieses Vorfalls "an die Behörden Somalias um Hilfe zu wenden", habe der Beschwerdeführer nicht unternommen.

Die belangte Behörde traf überdies - gestützt auf einen Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Somalia vom 3. Februar 2000 und auf einen Somalia betreffenden Bericht des (deutschen) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom Juni/Juli 1999 (Teile I und II) - Feststellungen zur Situation in Nordostsomalia. Demnach sei dort im August 1998 der Regionalstaat "Puntland" ausgerufen worden, der sich zur territorialen Einheit des Landes bekenne und sich als Nukleus eines künftigen, föderal organisierten Somalia begreife. "Präsident" sei der frühere SSDF-Milizführer Oberst Abdullahi Jusuf Ahmed. Die SSDF sei in eine "staatliche Polizei" umbenannt worden, die im Wesentlichen das Gewaltmonopol in Puntland ausübe. Der Aufbau von Regierung, Verwaltung, Parlament und unabhängiger Justiz sei jedoch mangels ausreichender Staatseinnahmen, aber auch wegen Dissenses mit örtlichen Clanführern, noch nicht weit vorangekommen. Während die bisherigen Verwaltungsstrukturen auf örtlicher Ebene von Dauerhaftigkeit gekennzeichnet seien, sei die Puntland-Verwaltung von der Vollendung eines Staatsaufbaues noch weit entfernt. Nordostsomalia werde überwiegend von Angehörigen des Darod-Clans bewohnt. Dazu zählten zahlreiche Darod-Flüchtlinge aus anderen Teilen Somalias. Aber auch Angehörige anderer Clans, in erster Linie Flüchtlinge, lebten in Nordostsomalia unbehelligt. Vor allem in der Hafenstadt Bossaso nähmen sie an dem regen Geschäftsleben teil.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass ausgehend von den eben wiedergegebenen Feststellungen zu Nordostsomalia nicht erkannt werden könne, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr dorthin eine Gefahr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen würde. Überdies würden sich die von ihm ins Treffen geführten Übergriffe durch Angehörige anderer Clans als Übergriffe von Privaten darstellen, die nur dann seinem Heimatstaat zurechenbar wären, wenn dieser nicht gewillt oder nicht in der Lage wäre, vor solchen Übergriffen Schutz zu gewähren. Im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen könne jedoch nicht davon gesprochen werden, dass der Heimatstaat des Beschwerdeführers mangels jeglicher staatlicher Ordnungsmacht grundsätzlich nicht zur Schutzgewährung in der Lage sei. Was den Angriff aus dem Jahr 1997 anlange, so habe der Beschwerdeführer diesbezüglich nicht einmal versucht, sich an die regionalen Behörden um Schutz zu wenden. Dies wäre ihm jedoch angesichts der vorliegenden Berichte, wonach die regionalen Strukturen in Puntland funktionierten, zweifellos zumutbar gewesen. Insgesamt betrachtet könnten die vom Beschwerdeführer befürchteten Übergriffe durch Private letztlich nicht seinem Heimatstaat zugerechnet werden, wobei darauf hinzuweisen sei, dass es genüge, wenn der Asylwerber in einem Teil seines Heimatlandes vor Verfolgungen sicher sei. Es seien daher der Asylantrag des Beschwerdeführers abzuweisen und die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Somalia auszusprechen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Bezüglich ihrer Beurteilung, es könne nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Nordostsomalia, insbesondere Bossaso, eine Gefahr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen würde, knüpft die belangte Behörde an eine Passage im erwähnten Bericht des Auswärtigen Amtes vom 3. Februar 2000 an, wonach (neben Angehörigen des Darod-Clans) auch Angehörige anderer Clans, in erster Linie Flüchtlinge, unbehelligt in Nordostsomalia lebten und vor allem in der Hafenstadt Bossaso am regen Geschäftsleben teilnähmen. Im selben Bericht wird allerdings zum Thema "Rückkehrfragen" (Punkt IV.) ua. ausgeführt, dass der zwangsweisen Rückführung von Somalis in ihre Heimat nach wie vor erhebliche praktische Probleme entgegenstünden; nach Somaliland und Nordostsomalia sei eine Rückkehr grundsätzlich möglich; es werde allerdings erwartet, dass die Rückkehrer eine individuelle Wiedereingliederungshilfe in Form eines Geldbetrages mitbringen; wegen der allgemein schwierigen Wirtschafts- und Sicherheitslage seien jedoch die Überlebensmöglichkeiten von Personen in Frage gestellt, die nicht über familiäre Bindungen verfügten und in diesem Rahmen unterstützt werden könnten. Der Beschwerdeführer stammt nicht aus Bossaso und es deutet ausgehend von seinem Vorbringen und den darauf gestützten Feststellungen des bekämpften Bescheides nichts darauf hin, dass er dort über familiäre Bindungen verfüge. Vor diesem Hintergrund ergibt sich zunächst einmal, dass die belangte Behörde jedenfalls nicht ohne weiteres zu der von ihr getroffenen Feststellung nach § 8 AsylG gelangen durfte. Unter asylrechtlichem Blickwinkel ist darüber hinaus zu beachten, dass der Beschwerdeführer unstrittig der Volksgruppe der "Midgo" (= Midgan) angehört. Davon ausgehend hätte die belangte Behörde überdies auf den Abschnitt "Minderheiten" des ihrem Bescheid weiter zu Grunde gelegten Berichtes des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge betreffend Somalia (Punkt 4.3 in Teil I) Bedacht nehmen müssen. Dort ist auszugsweise Folgendes wiedergegeben:

"...

Weitere Minderheiten stellen die 'Clanlosen' oder 'Berufsgruppen' der Tomal, Midgan (Gaboye) und Yibir dar, die in ihrer Gesamtheit (im Norden Somalias) auch Sab oder Bon genannt werden.

Die Bezeichnung als 'clanlos' rührt von ihrer fehlenden genealogischen Beziehung zu den somalischen Clans, obwohl sie Somali sprechen und sich auch von ihrem physischen Erscheinungsbild her nicht von anderen Somali unterscheiden. Diese betrachten sie als 'unrein'. Traditionell dürfen Clanlose nur untereinander heiraten. Sie leben in eigenen Ansiedlungen unter der nomadisierenden Bevölkerung der Landes und haben sich auf Handwerksberufe und Dienstleistungen für die herrschenden Clans ihres Gebietes spezialisiert. ...

Die gesellschaftliche Benachteiligung aller angesprochenen somalischen Minderheiten führt zwar nicht zwangsläufig zu Verfolgungsmaßnahmen. Eine Diskriminierung kleinerer Gruppen (auch ethnischer Somalis) durch mächtigere Clans entspricht somalischer Tradition. Generell müssen die Minderheiten in Somalia nach amnesty international jedoch als bedroht angesehen werden. Auch nach Erkenntnissen von UNHCR sind Angehörige der Minderheiten wie die Bantus, die Midgans, ... besonders gefährdet, Opfer von Verfolgungsmaßnahmen zu werden, da sie sich nicht auf den Rückhalt der an der Macht beteiligten Clans berufen können.

UNHCR stellt jedoch auch fest, dass die Midgan (Gaboye) seit 1997 in Nordwestsomalia von der Egal-Verwaltung als autonome politische Gruppe anerkannt werden und eine unabhängige Vertretung im Parlament haben. Ihnen ist die Garantie gegeben worden, dass sie ihr Eigentum wieder erhalten. Im Vertrauen auf diese Entwicklung kehrten zwischen April und Juni 1998 ca. 1.100 Midgan-Flüchtlinge aus den Flüchtlingslagern im östlichen Äthiopien in die 'Republik Somaliland' zurück. Eine Beurteilung der Frage, ob sie tatsächlich keinen Verfolgungsmaßnahmen mehr ausgesetzt sind, konnte UNHCR nicht treffen.

Nach Erkenntnissen des niederländischen Außenministeriums sind keinerlei Fälle einer Verfolgung von Personen lediglich auf Grund ihrer Herkunft oder ihrer gesellschaftlichen Stellung bekannt. Im allgemeinen waren die Minderheitengruppen in der Lage, sich aus Clandifferenzen herauszuhalten. Ihre wirtschaftliche Situation ist deshalb oftmals besser als die von clanangehörigen Somalis, da sie fähige Arbeitskräfte sind.

Nach amnesty international gehören neben den bereits angesprochenen Gruppen zu den Minderheiten, die als bedroht anzusehen sind, auch die ..."

An einer anderen Stelle des eben erwähnten Berichtes

(Teil II. 1.8) "Rückkehrfragen") heißt es weiter:

"...

UNHCR ist der Auffassung, dass abgelehnte Asylwerber nur in Regionen und Gegenden abgeschoben werden sollten, in denen keine bewaffneten Auseinandersetzungen stattfinden, und in denen der Clan oder Subclan der betreffenden Person beheimatet ist. Voraussetzung sei allerdings, dass Gebiete, die von anderen Clans kontrolliert werden, nicht durchquert werden müssen. Zudem sollte vor Abschiebung das Einverständnis der lokalen Behörden für eine Rückkehr abgelehnter Asylsuchender eingeholt werden, um sicherzustellen, dass der Betroffene einem aus dieser Gegend stammenden Clan angehört und nicht in Gebiete ab- bzw. weitergeschoben wird, in denen ihm Verfolgung droht.

Eine Rückkehr oder Abschiebung in die nordwestlichen und nordöstlichen Regionen Somalias sei in Sicherheit nur für Personen möglich, die zu den in diesen Regionen beheimateten Clans gehörten. Hierzu zählten für den Nordwesten neben den Issaq die Gadabursi sowie die Minderheit der Midgan; für den Nordosten die Darod, Dulbahante und Warsangeli, die zu dem Harti/Kombe Clan der Darod gehörten.

Weitergehend als UNHCR stellt Prof. Dr. Maho Aves in seinem Gutachten an das VG Frankfurt am Main hinsichtlich Nordostsomalias fest, dass eine Rückkehr im allgemeinen äußerst gefährlich sei. Rückkehrer liefen angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der herrschenden sozialen Spannungen Gefahr, von Privatmilizen bzw. freiwilligen Sicherheitskräften oder aber von auf eigene Rechnung agierenden bewaffneten Gruppen beraubt und ausgeplündert, vergewaltigt oder gar ermordet zu werden.

Zumindest für Personen, die Clan- oder Familienverbindungen nach Nordostsomalia besitzen, wird dieses Gutachten jedoch von anderen Quellen nicht bestätigt. ..."

Angesichts dieser, im bekämpften Bescheid allerdings nicht offen gelegten Berichtslage hätte es - auch im Hinblick auf die Entscheidung nach § 7 AsylG - einer näheren Auseinandersetzung mit der spezifischen Situation des Beschwerdeführers als Angehörigem des Midgan-Stammes bedurft. Indem die belangte Behörde lediglich die allgemeine Lage in Nordostsomalia ("Puntland") beschrieb - nur diese Region erachtete sie offenkundig (ohne Auseinandersetzung mit den zitierten gegenteiligen Berichtspassagen) als "sicher" -, wurde sie dem für den Beschwerdeführer maßgeblichen Bedrohungsszenario nicht gerecht und gelangte demzufolge auf Basis unzulänglicher Ermittlungen zu dem Ergebnis, dem Beschwerdeführer würde in Nordostsomalia (Bossaso) eine relevante Gefahr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen. An der demnach bestehenden Ergänzungsbedürftigkeit des bekämpften Bescheides kann auch der Verweis auf "funktionierende regionale Strukturen", die staatsähnlich und von Dauerhaftigkeit gekennzeichnet seien, nichts ändern, zumal - losgelöst von der Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, dass der Beschwerdeführer einer Minderheit angehört - die Existenz derartiger Strukturen noch nichts darüber aussagt, inwieweit effektiv mit "staatlicher" Schutzgewährung gerechnet werden kann. Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang abgesehen vom Willen zur Schutzgewährung allein darauf abgestellt hat, ob "der Heimatstaat des Asylwerbers mangels jeglicher staatlicher Ordnungsmacht grundsätzlich nicht in der Lage sei", vor Übergriffen durch Private - in diesem Sinn hat sie den 1997 in Bossaso gegenüber dem Beschwerdeführer und seinem Bruder erfolgten Angriff gewertet - Schutz zu gewähren (was sie in concreto verneinte), so hat sie die Rechtslage verkannt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509). Auf die Frage der Staatlichkeit der Verwaltung von "Puntland" braucht vor diesem Hintergrund nicht mehr eingegangen zu werden.

Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid auch mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 22. Oktober 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001010002.X00

Im RIS seit

23.01.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten