TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/07 S10 402287-1/2008

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Veröffentlicht am 07.11.2008
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Spruch

S10 402287-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn B. alias B.B., geboren am 00.00.1986, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.10.2008, Zahl: 08 07.864-EAST West, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an. Er reiste gemeinsam mit seinem Bruder B.D., geboren am 00.00.1987, illegal in Österreich ein und stellte hier nach Aufgriff im Zuge einer fremdenrechtlichen Kontrolle am Südbahnhof einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Landespolizeikommandos für Wien, OEA-Polizeianhaltezentrum Fachgruppe Asyl- und Fremdenwesen am 29.08.2008, gab der BF im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er hätte gemeinsam mit seinem Bruder D. Grozny Ende Juli 2008 per Zug Richtung Ukraine verlassen. Ca. zwei Wochen wären sie in Kharkov (Ukraine) gewesen. Dort wären sie von den Schleppern übernommen worden und per PKW bis zur grünen Grenze zur Slowakei gebracht worden. Dann wären sie alleine zu Fuß in die Slowakei gegangen, wo sie von der Polizei aufgegriffen und ins Flüchtlingslager Humenne überstellt worden wären. Dort hätten sie beide einen Asylantrag gestellt. Nach ca. 14 Tagen in Humenne seien sie am 28.08.2008, 21 Uhr aus dem Lager ausgebrochen und per Zug nach Bratislava gefahren. Am nächsten Morgen seien sie per Zug nach Wien gefahren.

 

Als Fluchtgrund gab er an, dass er von 2003 bis 2008 am Krieg teilgenommen hätte. Er sei im Juni von den Russen und den Leuten von Kagirov (richtig wohl: Kadirov) festgenommen worden. Sie hätten ihm was anhängen wollen, was er nicht gemacht habe. Er sei eine Woche im Keller eingesperrt gewesenin einem Dorf. Dort sei er gefesselt, gefoltert und geschlagen worden. Letztlich hätte sein Vater unterschreiben müssen, dass er unter Hausarrest bleibe, danach sei er entlassen worden. Er sei aber nicht nach Hause gegangen, sondern zu Verwandten in einem kleinen Dorf nahe Grozny. Von seinem Vater habe er gehört, dass maskierte Männer ihr Haus durchsucht hätten. Er hätte sich große Sorgen um seinen Bruder gemacht, weil er der nächste sei, den sie mitnehmen könnten. Er sei dann nach Hause gefahren, habe seinen Bruder mitgenommen und sei geflüchtet. Genauere Angaben werde er bei seiner nächsten Einvernahme machen, nachdem er Beweismittel erhalten habe.

 

In der Slowakei seien er und sein Bruder im Lager in Quarantäne gehalten worden, sie hätten nur sehr schlechte Verpflegung bekommen. Dort seien sehr schlechte Umstände, fast kein Unterschied zu Tschetschenien. Er befürchte bei einer Rückkehr in seine Heimat, dass sie ihm die Vorwürfe umhängen und bis 25 Jahre verurteilen oder die maskierten Männer brächten ihn um.

 

Der Bruder des BF, B.D., gab im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er hätte gemeinsam mit seinem Bruder B. (dem BF) Grozny Ende Juli 2008 per Taxi nach Minvodi und dann per Zug Richtung Ukraine verlassen. Ca. 1 Woche wären sie in Kharkov (Ukraine) gewesen. Dann wären sie nach Kiew weitergefahren und mit einem Taxi zur slowakischen Grenze. Dann wären sie zu Fuß in die Slowakei gegangen. Der Fußmarsch hätte 2 Tage gedauert, geschlafen hätten sie im Wald. Beim Autostopp wären sie von der Polizei aufgegriffen worden und in der Nacht im Polizeigefängnis gewesen. Am nächsten Tag hätten sie um Asyl angesucht und seien ins Flüchtlingslager Humenne überstellt worden. Dort seien sie am 28.08.2008 ausgebrochen und per Zug nach Bratislava und nach Wien gefahren.

 

Als Fluchtgrund gab er an, dass sein Bruder eine Woche im Gefängnis gewesen sei. Er sei eingesperrt gewesen, weil er verdächtigt worden sei, gegen russische Truppen zu kämpfen. Freunde hätten erreichen können, dass er bis zum Verhandlungsbeginn zu Hause hätte bleiben können. Die Verhandlung hätten sie aber nicht abgewartet, sondern seien vorher geflohen.

 

Ihr Ziel sei immer Österreich gewesen, er wolle nicht zurück in die Slowakei. Er hätte Angst, dass man ihn und seinen Bruder wieder in ihre Heimat abschiebe. Bei einer Rückkehr in seine Heimat gäbe es nur zwei Möglichkeiten: 25 Jahre Gefängnis und den Tod.

 

1.2. Ein AFIS-Abgleich ergab, dass der BF und sein Bruder bereits am 14.08.2008 in Humenne (Slowakei) einen Asylantrag gestellt hatten. Am 03.09.2008 wurde ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (in der Folge Dublin II VO) an die Slowakei gerichtet. Da die erstinstanzliche Behörde ein Vorgehen nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) beabsichtigte, wurde dem BF mit Schreiben vom 03.09.2008, vom BF übernommen bis 10.09.2008, mitgeteilt, dass seit 03.09.2008 Konsultationen mit der Slowakei gemäß Dublin II VO geführt würden und somit die 20-Tages-Frist gemäß § 28 Abs. 2 AsylG für Verfahrenszulassungen nicht mehr gelte.

 

Mit Erklärung vom 18.09.2008 erklärten sich die slowakischen Behörden gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO zur Führung des gegenständlichen Asylverfahrens des BF - wie auch seines Bruders - als zuständig und zur Wiederaufnahme bereit.

 

1.3. Bei der Einvernahme am 24.09.2008 in der Erstaufnahmestelle West im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetsch für die russische Sprache bestätigte der BF seine bei der Erstbefragung gemachten Angaben und gab zusätzlich im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er spreche im Unterschied zu seinem Bruder nicht Georgisch, da nur dieser bei der Großmutter in Georgien gelebt habe. Er sei Sportler (Thai-Boxen) und wolle diesen Sport in Österreich fortführen, diese Möglichkeit habe es in der Slowakei nicht gegeben.

 

Er habe viele Krankheiten, er habe psychische Probleme und habe bereits zwei Mal eine Narkose bekommen. Die Narkose habe Einfluss auf die Psyche. Er habe Ende 2005 einen Splitter in den Kopf bekommen und sei gefoltert worden. In seinem Herkunftsland sei er nicht in medizinischer Behandlung gewesen. Er sei im Krankenhaus behandelt worden, als ihm der Arm gebrochen worden sei. Er habe seinen Lebensunterhalt im Herkunftsstaat durch Unterstützungen seiner Eltern finanziert, Dokumente lasse er sich von seinen Verwandten, seinen Eltern schicken. In Österreich habe er keine Verwandten, aber Bekannte. Nach Österreich habe er gewollt, weil man ihnen gesagt habe, dass die tschetschenischen Flüchtlinge gut behandelt würden.

 

Die Slowakei habe er jetzt verlassen wegen des russischen FSB, um die Gefahr, von denen gefunden zu werden, zu verringern. Außerdem sei das Essen in den slowakischen Lagern nicht gut. In der Slowakei hätte er sich nicht in medizinische Behandlung begeben. Er sei in der Slowakei nicht konkret bedroht worden. Wenn sie in der Slowakei in ein offenes Lager verlegt worden wären, hätten sie Angst gehabt. Die Gefahr, dass in der Slowakei eine Person verschleppt werde, sei sehr groß, hier sei die Gefahr nicht so groß.

 

Der Bruder des BF, B.D., gab im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er habe Husten, sei aber sonst körperlich und geistig gesund. Seinen Lebensunterhalt habe er finanziert, indem er ab und zu gearbeitet habe und sein Bruder habe ihm geholfen. Sein Vater hätte auch eine Rente bekommen. Sein Bruder sei einmal festgenommen worden, er sei in Haft gesessen, dann entlassen worden und sie seien geflüchtet. Er sei beschuldigt worden, Häuser verbrannt zu haben.

 

Die Slowakei hätten sie jetzt verlassen, weil ein Russe ihnen dort mitgeteilt hätte, dass viele jugendliche Leute von maskierten Leuten festgenommen worden seien. Seitdem hätten sie die Jugendlichen nicht mehr gesehen. Sie hätten gesagt, das seien wahrscheinlich Leute vom FSB. Der Russe lebe in B. (Slowakei). Sie hätten ihn nur kurz gesprochen, er sei auch Asylwerber.

 

Als sie in Humenne angekommen seien, hätten sie Röntgenbilder gemacht. Medizinisch hätte er sich noch nicht behandeln lassen, weil der Husten noch nicht so stark wie jetzt gewesen sei. Konkret bedroht worden seien sie nicht. Wenn sie in die Slowakei zurückkehrten, würden sie von den Russen getötet bzw. festgenommen.

 

1.4. Nach einer ärztlichen Untersuchung des BF am 30.09.2008 durch Dr. G. M., Ärztin für Allgemeinmedizin und für Psychotherapeutische Medizin, stellte diese in ihrer gutachtlichen Stellungnahme fest, dass aus aktueller Sicht beim BF eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege, der Überstellung in die Slowakei jedoch keine schweren psychischen Störungen entgegenstünden, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.

 

Die Ärztin stellte bei ihrer Anamnese folgende alte Verletzungen fest: Fraktur des Ellenbogens und Fraktur des Stirnhauptes, die der BF nach seinen Angaben durch Gewehrkolbenschläge bzw. durch eine Splitterverletzung erlitten hätte. Der BF hätte nach seinen Angaben chronische Schmerzen der Stirnhöhlen, Ausschlag auf den Händen, oftmalige Infekterkrankungen und sei 2005 eine psychische Erkrankung. Er hätte Arousal (v.a. Reizbarkeit mit Gewalt gegen andere, Schlafstörungen), Wiedererinnern (Albträume), depressive Verstimmung, Zorn. Medikamente nehme er bis jetzt keine. Der BF habe nach seinen Angaben eine Mittelschule und 2 Jahre lang eine Art Montanuniversität besucht, die er wegen Festnahmen 2005 und 2008 nicht beendet habe.

 

Nach Beurteilung der Sachverständigen leidet der BF an einer "Anpassungsstörung mit Va Störungen der Impulskontrolle", gegenwärtig mittelschwer, die vor dem Hintergrund seiner Lebenssituation adäquat erscheine. Eine Überstellung in die Slowakei zur Weiterverfolgung des Asylverfahrens im Sinne einer Reisefähigkeit sei möglich.

 

1.5. Bei der Einvernahme am 08.10.2008 in der Erstaufnahmestelle West zur Wahrung des Parteiengehörs im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetsch für die russische Sprache brachte der BF im Wesentlichen Folgendes vor:

 

Sein Führerschein aus dem Herkunftsstaat müsse bald kommen, er habe bereits angerufen. Es wäre ihm lieber, wenn er in Österreich bleiben dürfte, es sei für ihn in der Slowakei sehr gefährlich, er könne nicht gut schlafen und das sei nicht normal. Er gehe nicht nach Tschetschenien zurück, er sei sich sicher, dass er dort umgebracht werde, nein, nicht umgebracht, inhaftiert werde.

 

1.6. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 27.10.2008, Zahl: 08 07.864-EAST West, zugestellt am 13.10.2008, den Antrag des BF auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO die Slowakei zuständig sei. Gleichzeitig wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung in die Slowakei zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zur Person des BF, zur Begründung des Dublin-Tatbestandes, zu seinem Privat- und Familienleben, zum slowakischen Asylverfahren im Allgemeinen, zur Rechtslage und -praxis in der Slowakei, zum Refoulementschutz, sowie zur allgemeinen und medizinischen Versorgung von Asylwerbern in der Slowakei.

 

Festgestellt wurde weiters, dass die Ausweisung des BF weder einen Eingriff in Art. 3 noch Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (in der Folge EMRK) darstelle.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass mangels Vorlage eines Identitätsdokumentes die Identität des BF nicht feststehe. Hinsichtlich der behaupteten Herkunftsregion, Volkszugehörigkeit und Staatsangehörigkeit sei der BF aber aufgrund seiner Kenntnisse glaubhaft. Bezüglich der gesundheitlichen Feststellungen stehe dem Vorbringen des BF das schlüssige und nachvollziehbare ärztliche Sachverständigengutachten entgegen. Auch seine Angabe, Sport zu betreiben (Thai-Boxen), belege dies. Weiters sei in der Slowakei eine adäquate Behandlung von Krankheiten möglich, wie durch die auf unbedenklichen seriösen Quellen beruhenden Feststellungen zum Dublin-Wiederaufnahmestaat Slowakei belegt werde.

 

1.7. Gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhob der BF - wie auch sein Bruder - mit Schreiben vom 27.10.2008, bei der Erstbehörde eingelangt am selben Tag, fristgerecht Beschwerde (gleichlautend in beiden Verfahren) und beantragte, den erstinstanzlichen Bescheid dahingehend abzuändern, dass der BF für das weitere Verfahren in Österreich zugelassen werde und die gegen ihn ausgesprochene Ausweisung aufgehoben werde. Er begründete seinen Antrag damit, dass er Angst habe, dass er in der Slowakei keinen Schutz bekomme und nach Russland abgeschoben werde. Er habe mit seinem Benehmen die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit nicht gestört, deswegen sehe er nicht ein, weswegen eine Ausweisung gegen ihn ausgesprochen werden solle.

 

2. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO ist der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 wieder aufzunehmen.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und 15 Dublin II VO bzw. dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO eingeleitete Aufnahmeersuchen an die Slowakei erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrages auf internationalen Schutz durch den BF (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO).

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit der Slowakei gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO besteht. Die Slowakei hat mit Schreiben vom 18.09.2008 ausdrücklich der Wiederaufnahme des BF zugestimmt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

Der Sachverhalt wurde von der Erstbehörde genau festgestellt. Die Unterstellung desselben unter den Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO ist ohne komplizierte Überlegungen möglich und ist durch die im Bescheid der Erstbehörde vorgenommene Bezugnahme eindeutig und ohne Schwierigkeiten nachvollziehbar. Es liegt daher auch diesbezüglich kein Verfahrensmangel vor.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, dass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006,

 

Zl. 2005/20/0444).

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl. 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0449).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen worden ist (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13 zu Art. 19 Dublin II VO).

 

Weiters hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung von einem in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen. Diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebotes (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13 zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der EU als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten, wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Slowakisches Asylverfahren, mögliche Verletzung des Art. 3

EMRK

 

Im gegenständlichen Fall kann nicht gesagt werden, dass der BF ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihm auf Grund der persönlichen Situation ausnahmsweise durch eine Rückverbringung in die Slowakei entgegen der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde (sog. "real risk"). Der BF beschränkte sich im Wesentlichen darauf vorzubringen, dass das Essen in den slowakischen Lagern nicht gut sei, er könne dort nicht gut schlafen sowie dass die Gefahr, dass in der Slowakei eine Person verschleppt werde, sehr groß sei, hier sei die Gefahr nicht so groß.

 

Zu diesem Vorbringen hat der BF keinerlei Beweise oder Belege vorgelegt. Die unbedenklichen und aus seriösen Quellen stammenden, dem BF zur Kenntnis gebrachten Feststellungen zur Situation von Asylwerbern in der Slowakei, wonach finanzielle und medizinische Grundversorgung gewährleistet ist, hat die Erstbehörde daher zu Recht ihrer Entscheidung zugrundegelegt.

 

Die Widerlegung der in § 5 Abs. 3 AsylG normierten Rechtsvermutung ist dem BF damit nicht gelungen. Die von der Erstbehörde vorgenommene Beweiswürdigung, derzufolge sie den vorliegenden genannten Beweismitteln mehr Glauben schenkt als den unsubstantiierten Vorbringen des BF, erscheint schlüssig und nachvollziehbar, zumal die Vorbringen des BF bzw. seines Bruders in ihren Einvernahmen immer wieder in einzelnen Punkten voneinander abweichen.

 

Erörterungen des Vorbringens zu den Fluchtgründen bleiben dem materiellen Verfahren vorbehalten.

 

2.1.2.2. Medizinische Aspekte

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (in der Folge EGMR) zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung in die Slowakei nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohen und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf die jüngste diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR zur Frage einer ausreichenden medizinischen Behandlung in Zusammenhang mit Art. 3 EMRK zu verweisen:

 

GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06

 

AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05

 

PARAMASOTHY gg. NIEDERLANDE, 10.11.2005, Rs 14492/03

 

RAMADAN & AHJREDINI gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 35989/03

 

HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05

 

OVDIENKO gg. Finnland, 31.05.2005, Rs 1383/04

 

AMEGNIGAN gg. Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04

 

NDANGOYA gg. Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03

 

Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich folgende Judikaturlinien:

 

Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. In der Entscheidung HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05 wurde die Abschiebung des am Down-Syndrom leidenden Beschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina für zulässig erklärt und wurde ausgeführt, dass die Möglichkeit der medizinischen Versorgung in Bosnien-Herzegowina gegeben sei. Dass die Behandlung in Bosnien-Herzegowina nicht den gleichen Standard wie in Schweden aufweise und unter Umständen auch kostenintensiver sei, sei nicht relevant. Notwendige Behandlungsmöglichkeiten wären gegeben und dies sei jedenfalls ausreichend. Im Übrigen hielt der Gerichtshof fest, dass ungeachtet der Ernsthaftigkeit eines Down-Syndroms diese Erkrankung nicht mit den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit zu vergleichen sei.

 

Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und der selbstmordgefährdet ist, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes "real risk".

 

Auch Abschiebungen psychisch kranker Personen nach mehreren Jahren des Aufenthalts im Aufenthaltsstaat können in Einzelfällen aus öffentlichen Interessen zulässig sein (vgl. PARAMSOTHY gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 14492/05; mit diesem Judikat des EGMR wurde präzisiert, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach neunjährigem Aufenthalt in den Niederlanden, welcher unter posttraumatischem Stresssyndrom leidet und bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hat, zulässig ist, da spezielle Programme für Behandlungen von traumatisierten Personen und verschiedene therapeutische Medizin in Sri Lanka verfügbar sind, auch wenn sie nicht den selben Standard haben sollten wie in den Niederlanden).

 

In besonderem Maße instruktiv für die Frage, ob eine posttraumatische Belastungsstörung oder andere schwere psychische Erkrankungen einer Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegenstehen, sind die beiden erst jüngst ergangenen Entscheidungen AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05 und GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06.

 

Im ersteren Fall ging es um eine iranische Asylwerberin, bei der von zwei psychiatrischen Gutachtern unabhängig von einander schwere psychische Störungen in Gestalt von schweren Depressionen, akuten Selbstmordgedanken und ein multikausales Trauma infolge diverser Erlebnisse diagnostiziert worden waren. Ein Gutachter war zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Beschwerdeführerin im Falle einer Abschiebung in den Iran ein reales Risiko eines Selbstmordes bestand [...] Die gegen die Abschiebung der Beschwerdeführerin in deren Herkunftsstaat Iran erhobene Beschwerde mit der Begründung eine solche verstoße infolge des schlechten Gesundheitszustandes der BW gegen Art. 3 EMRK, wies der EGMR ab. [...]

 

Der Entscheidung GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06 lag ua. der Fall zugrunde, dass der Zweitbeschwerdeführer - ein russischer Asylwerber, der drei(!) Selbstmordversuche begangen bzw. mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich hatte und dem von Gutachern einhellig eine schwere psychische Erkrankung ua. in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine akute Selbstmordgefährdung bescheinigt worden war - seine Abschiebung nach Russland mit dem Hinweis auf seinen schlechten und infolge aktueller Suizidgefahr lebensbedrohlichen Gesundheitszustand in Beschwerde zog. Auch diese Beschwerde wies der EGMR mit einer über weite Strecken identen Begründung wie in der Entscheidung AYEGH gg. Schweden ab. [...]

 

Die dargestellten Entscheidungen zeigen deutlich, dass bei Vorliegen von Erkrankungen im Allgemeinen nur solche relevant sind, die bekanntermaßen zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen und grundsätzlich keine Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bestehen (siehe dazu nunmehr auch VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR leitet sich der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab ab. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Auch in diesem Zusammenhang ist auf die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde zu verweisen, wonach der BF an keinen schweren psychischen Störungen, welche bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würden, leidet (dies steht auch im Einklang mit der gutachterlichen Stellungnahme vom 30.09.2008).

 

2.1.2.3. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Im konkreten Fall ist auch der Bruder des BF, B.D., in Österreich aufhältig; dessen Antrag auf internationalen Schutz wird ebenfalls - wie auch jener des BF - zurückgewiesen.

 

Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung stehen daher den nicht ausgeprägten Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich - auch in Hinblick auf die sehr kurze Aufenthaltszeit in Österreich - überwiegende gegenteilige Interessen gegenüber. Auch aufgrund der illegalen Einreise des BF und seines Bruders in das österreichische Bundesgebiet überwiegt im vorliegenden Fall vielmehr das öffentliche Interesse am Vollzug eines geordneten Fremdenwesens (verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf eine Anzeige gegen den Bruder des BF wegen Verdachtes des Diebstahls in einem Supermarkt), und ist der BF bei einer Überstellung in die Slowakei in seinem durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt.

 

2.1.2.4. Im Ergebnis stellt daher eine Überstellung des BF und seines Bruders in die Slowakei weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK noch des Art. 8 EMRK dar und besteht somit auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren ebenfalls zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind - wie schon zu Spruchpunkt I ausgeführt - keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung in die Slowakei in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erscheinen ließen. Die Ausweisung erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, gesundheitliche Beeinträchtigung, medizinische Versorgung, real risk, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
12.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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