TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/25 S11 402681-1/2008

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Veröffentlicht am 25.11.2008
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Spruch

S11 402681-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. NEUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von Herrn O. T., geb. 00.00.1980, StA. Türkei, vertreten durch Dr. Wolfgang WEBER, p.A. Wollzeile 12/1/27, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.10.2008, Zahl: 08 05.393-EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Verfahrensakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF) ist Staatsangehöriger der Türkei und gehört der kurdischen Volksgruppe an. Er hat am 23.06.2008 beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen Erstaufnahmestelle (EAST) in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetsch für die Sprache Türkisch am selben Tag gab er im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er sei am 19.06.2008 mit einem LKW von Istanbul aufgebrochen. Über die Reiseroute könne er nichts aussagen, da er mit den Ortstafeln, die er gesehen habe, nichts anfangen habe können und er sich an den Grenzen im LKW verstecken habe müssen. Am 23.06.2008 sei er in Wien angekommen und mit einem PKW nach Traiskirchen gebracht worden. Er sei legal aus der Türkei ausgereist.

 

Als Fluchtgrund gab der BF an, er werde in der Türkei von der PKK unter Druck gesetzt, damit er dieser beitrete. Bei einem Versuch, den Leuten der PKK zu entkommen, habe er einen Verkehrsunfall verursacht. Bei einer Rückkehr in das Herkunftsland fürchte er, von der PKK ermordet zu werden.

 

Der BF gab an, sein Bruder und sein Vater sowie zwei namentlich nicht genannte Onkel lebten in Österreich.

 

1.2. Ein AFIS-Abgleich ergab zunächst, dass der BF bisher noch nicht erkennungsdienstlich behandelt worden war. Aufgrund der vom BF angegebenen Reiseroute wurde dem BF jedoch mit Schriftstück vom 26.06.2008, vom BF übernommen am 27.06.2008, mitgeteilt, dass Konsultationen in Form einer Anfrage gemäß Art. 21 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (in der Folge Dublin II VO) mit Rumänien und Ungarn geführt würden und somit die 20-Tages-Frist gemäß § 28 Abs. 2 AsylG für Verfahrenszulassungen nicht mehr gelte. Mit Schreiben vom 09.07.2008 teilte die zuständige rumänische Behörde mit, dass der BF über ein rumänisches Visum verfügt habe, welches von 04.09.2007 bis 03.01.2008 gültig gewesen sei, und dass sich der BF vom 08.09.2007 bis 10.09.2007 in Rumänien aufgehalten habe. Mit Schreiben vom 11.07.2008 teilte die zuständige ungarische Behörde mit, über den BF lägen in Ungarn keine Daten vor. Am 22.07.2008 richtete das Bundesasylamt ein dringendes Ersuchen um Aufnahme des BF an Rumänien. Am 21.07.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG zurückzuweisen und dass zu diesem Zwecke Konsultationen mit Rumänien gemäß der Dublin II VO geführt werden. Mit Erklärung vom 19.08.2008 (bei der Erstbehörde eingelangt am selben Tag) erklärte sich Rumänien ausdrücklich gemäß Art. 9 Abs. 4 der Dublin II VO für die Führung des Asylverfahrens zuständig.

 

1.3. Am 21.07.2008 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme, in der der BF in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetsch für die Sprache Türkisch im Wesentlichen Folgendes vorbrachte:

 

Er sei gesund, habe aber Beschwerden aufgrund eines Oberschenkelbruches und mehrerer Wirbelbrüche, die er sich vor längerer Zeit bei einem Verkehrsunfall zugezogen habe. Ein Krankenhaustermin sei schon vereinbart.

 

Hinsichtlich der Reiseroute blieb der BF dabei, dass er nie in Ungarn oder Rumänien gewesen sei.

 

Der BF gab an, er sei legal aus der Türkei ausgereist, der Schlepper habe ihm jedoch seinen Reisepass abgenommen.

 

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, er habe in der Türkei Probleme mit der PKK. Während der BF von 1999 bis 2001 Militärdienst leistete, sei sein Bruder bei der PKK Mitglied geworden. Nachdem dieser von der Polizei verhört worden war, sei er im Jänner 2001 nach Österreich geflohen. Seither verfolge die PKK den BF. Das Haus des BF sei wiederholt von Leuten der PKK, welche den Bruder des BF gesucht hätten, gestürmt worden. Bei einem derartigen Vorfall kurz nach der Entlassung des BF aus dem Militärdienst sei dem BF gedroht worden, die PKK werde ihn in die Berge verschleppen, wenn er den Aufenthaltsort seines Bruders nicht preisgebe oder sein Bruder sich nicht melde.

 

1.4. Am 25.09.2008 erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme, in der der BF in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetsch für die Sprachen Kurdisch und Türkisch in Anwesenheit eines Rechtsberaters im Wesentlichen Folgendes vorbrachte:

 

Der Schlepper habe ihm schon im Heimatland seinen Personalausweis und seinen Reisepass abgenommen. Der BF habe sich dann einen neuen Personalausweis ausstellen lassen, um sich nicht illegal in der Türkei aufhalten zu müssen. Auf Vorhalt bleibt der BF dabei, dass er nie in Rumänien gewesen sei. Er habe auch kein rumänisches Visum besessen.

 

Zu seinen verwandtschaftlichen Beziehungen in Österreich gab der BF an, er habe kein besonderes Verhältnis zu seinem Vater. Diese lebe schon seit 20 Jahren in Österreich und habe ihn nur 2 Mal in der Türkei besucht. Von seinem Bruder, welcher in Österreich mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet sei, sei er hingegen abhängig. Er habe mit diesem im Herkunftsland bis zu seinem Eintritt in das Militär im gemeinsamen Haushalt gelebt. Dann habe er alle 2 Wochen mit seinem Bruder telefoniert. In Österreich erhalte er gelegentlich finanzielle Unterstützung von seinem Bruder. Der BF sei in der Betreuungsstelle untergebracht, wohne aber auch teilweise bei seinem Bruder.

 

Der BF gab an, er besuche einen Deutschkurs.

 

Als Gründe, die gegen eine Abschiebung des BF nach Rumänien sprechen, gab der BF an, er wolle die in Österreich begonnene Therapie nicht abbrechen und könne sich eine derartige Behandlung in Rumänien auch nicht leisten. In Österreich unterstütze ihn diesbezüglich sein Bruder.

 

1.5. Der BF legte einen Entlassungsschein des Militärs, eine Unfallmeldung und eine Aufenthaltsbestätigung eines Krankenhauses jeweils in türkischer Sprache vor.

 

1.6. Das Bundesasylamt setzte dem BF eine Frist bis 15.08.2008 zur Beischaffung seines Führerscheins im Original inklusive originalem Postkuvert. Der BF legte dieses Dokument bis jetzt nicht vor.

 

1.7. Aus dem Unfallbericht des Unfallkrankenhauses Meidling aus 2008 geht hervor, dass beim BF eine "Fract.fem.dext.operat.non rec.non ossea sanat." (Bruch des rechten Oberschenkels) vorliegt und Termine für den Beginn einer Stoßwellen-Behandlung (ESWT) vereinbart wird.

 

1.8. Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 21.10.2008, Zahl: 08 05.393 - EAST-Ost, den Antrag des BF auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz gemäß Art. 9 Abs. 4 der Dublin II VO Rumänien zuständig sei. Gleichzeitig wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Rumänien ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Rumänien zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zur Person des BF, zur Begründung des Dublin-Tatbestandes, zum Privat- und Familienleben der BF und zur Lage im Mitgliedsstaat Rumänien.

 

Festgestellt wurde weiters, dass keine Umstände, die gegen eine Ausweisung und Überstellung des BF nach Rumänien sprechen, ermittelt werden konnten, insbesondere keine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu seinen in Österreich lebenden Verwandten bestehen sowie auch keine gesundheitlichen Gründe dagegen sprechen.

 

Nach Ansicht der Erstbehörde war unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen eine Verletzung von Art. 3 und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (in der folge EMRK) nicht festzustellen, sodass von der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO kein Gebrauch zu machen wäre.

 

1.9. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter fristgerecht mit Schriftsatz vom 12.11.2008, eingebracht am 13.11.2008 bei der Erstbehörde, Beschwerde ("Berufung") und beantragte, den bekämpften Bescheid aufzuheben und dem BF Asyl zu gewähren. In der Beschwerdeschrift bringt der BF im Wesentlichen vor, es stehe nicht fest, dass der BF über Rumänien nach Österreich gelangt sei. Es sei durchaus möglich, dass eine andere Person mit den Papieren des BF in Rumänien eingereist sei.

 

1.10. Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 18.11.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

2. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verfahrensakt.

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Art. 9 Abs. 2 Dublin II VO normiert, dass dann, wenn der Asylbewerber ein gültiges Visum besitzt, der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Gemäß Abs. 4 ist Abs. 2 unter anderem anwendbar, wenn der Asylbewerber ein Visum besitzt, das seit weniger als 6 Monaten abgelaufen ist, aufgrund dessen er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einreisen konnte, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

 

2.2. Der Asylgerichtshof stellt zunächst fest, dass das Verwaltungsverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde.

 

Dem BF wurde insbesondere durch die Erstbefragung und die beiden Einvernahmen mit vorhergehender Rechtsberatung - alle jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt und dem BF wurde vor der Einvernahme und innerhalb von 20 Tagen ab Einbringen seines Antrags schriftlich mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag wegen Zuständigkeit Rumäniens zurückzuweisen (§§ 28, 29 AsylG).

 

Die Erstbehörde befragte den BF in den Einvernahmen ausführlich insbesondere zu seiner Reiseroute und stellte entsprechende Nachforschungen an. Es waren daher keine weitergehenden Ermittlungen notwendig.

 

2.3. Es ist weiters zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.3.1. Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 9 Abs. 4 der Dublin II VO eingeleitete Aufnahmeersuchen an Rumänien erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch den BF (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO).

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Rumäniens gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II VO besteht. Rumänien hat mit Schreiben vom 19.08.2008 ausdrücklich der Wiederaufnahme des BF zugestimmt. Das Vorbringen des BF, eine andere Person sei unter missbräuchlicher Verwendung der Reisedokumente des BF in Rumänien eingereist, erscheint unsubstantiiert und spekulativ. Der BF hat keine konkreten Hinweise gegeben, die einen derartigen Vorfall wahrscheinlich machen. Es sind auch keine Hinweise hervorgekommen, dass der BF das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zwischenzeitlich verlassen hat. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

2.3.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zahl B 336/05-11, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten, wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.3.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art. 19 Dublin II VO).

 

Der BF ist in Rumänien weder unmittelbar noch mittelbar bedroht worden. Dies ergibt sich aus seinem eigenen Vorbringen. Darüber hinaus verfügt der Asylgerichthof aktuell über kein Amtswissen hinsichtlich solch offenkundiger, besonderer Gründe, die die Annahme rechtfertigen, der BF wäre in Rumänien einer realen Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung ausgesetzt oder laufe Gefahr, in Rumänien trotz drohender Verfolgung im Herkunftsland in dieses zurückgewiesen zu werden. Im Gegenteil erfolgten die von der Erstbehörde getroffenen Feststellungen auf der Grundlage unbedenklicher und glaubwürdiger Quellen, sodass im Ergebnis eine Überstellung der BF nach Rumänien daher keine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt.

 

Was den gesundheitlichen Zustand des BF betrifft, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK, dass die Überstellung eines Asylwerbers nicht zulässig ist, wenn im Zielland wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation vorliegen würde. Aus den diesbezüglichen Entscheidungen ergibt sich, dass bei Vorliegen von Erkrankungen im Allgemeinen nur solche relevant sind, die bekanntermaßen zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen und grundsätzlich keine Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bestehen (siehe dazu nunmehr auch VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).

 

Der BF leidet an den Folgen eines Oberschenkelbruches, den er sich bei einem Verkehrsunfall im Jahre 2005 zugezogen hat.

 

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Unfallbericht des UKH Meidling und dem Vorbringen des BF sowie aus den Länderberichten, dass der Gesundheitszustand des BF einer Überstellung nach Rumänien nicht entgegensteht. Bei abgeheilten Brüchen handelt es sich nämlich generell nicht um eine schwere Erkrankung, welche die Transportfähigkeit beeinträchtigt. Dass der BF die in Österreich begonnene Behandlung nur mit größerem finanziellem Aufwand in Rumänien fortsetzen wird können, steht einer Überstellung des BF nach Rumänien nicht entgegen.

 

Hinsichtlich einer etwaigen Gefährdung der BF in Polen sowie hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Situation besteht daher kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO.

 

2.3.2.2. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Nach der Judikatur von EGMR bzw. EKMR ist zum Vorliegen des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutzes ein "effektives Familienleben" nötig, das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushalts, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234). Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst zwar nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen auch solche zwischen erwachsenen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) angesehen, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Vorbringen des BF, dass die Beziehung des BF zu seinem in Österreich Bruder aus gelegentlichen Kontakten besteht und auch kein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis besteht. Der BF ist nämlich nicht auf die Pflege durch seinen Bruder angewiesen. Nebenbei ist zu bemerken, dass, insoweit der Bruder des BF diesen im Hinblick auf die ärztliche Behandlung finanziell unterstützt, ihm diese Möglichkeit auch bei einer Führung des Asylverfahrens des BF in Rumänien offen steht. Aus dem Vorbringen des BF ergibt sich, dass zu seinem Vater und zu seinen beiden Onkeln, welche alle in Österreich leben, weder im Herkunftsland noch in Österreich Kontakt besteht oder bestanden hat.

 

Es liegt daher weder eine besondere Nahebeziehung noch ein sonstiges Abhängigkeitsverhältnis des BF zu seinen in Österreich aufhältigen Verwandten vor, so dass mangels bestehenden Familienlebens im Fall der Führung des Asylverfahrens des BF in Rumänien kein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht vorliegt und somit unter diesem Gesichtspunkt auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO besteht.

 

Was schließlich eine Verletzung von Art. 8 EMRK wegen Eingriffs in das Privatleben anbelangt, hat der VfGH ausgesprochen, dass eine außergewöhnliche Integration in Österreich einer Rückverbringung entgegenstehen könnte (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. 1802, 1803/06-11). Dies ist bei der gemäß § 62 Abs. 3 iVm § 66 Abs.1 und 2 FPG vorgeschriebenen Interessensabwägung zu berücksichtigen.

 

Im vorliegenden Fall kann jedoch mangels längerfristigen, auf einen anderen als einen vorübergehenden Aufenthaltstitel gestützten Aufenthalts von besonderer Integration nicht gesprochen werden und überwiegt daher das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Ordnung im Fremdenpolizei- und Zuwanderungswesen gegenüber dem Interesse des BF an seinem Verbleib in Österreich. Der Besuch eines Deutschkurses bedeutet nicht per se, dass ein besonders hohes Maß an Integration vorliegt. Im Fall der Führung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers in Polen liegt daher kein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privatleben vor.

 

2.3.2.3. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.4. Spruchpunkt I. der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.5. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II. waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Rumänien in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.6. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, gesundheitliche Beeinträchtigung, medizinische Versorgung, Sicherheitslage
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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