RS UVS Oberösterreich 1991/08/20 VwSen-4000012/09/Gu/Bf

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Veröffentlicht am 20.08.1991
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Rechtssatz

Ein Bescheid mit dem die Schubhaft über einen

minderjährigen, zum Zweck der Erziehung - Ausbildung - im Inland aufhältigen Fremden verfügt wird, kann rechtswirksam nur an dessen gesetzlichen Vertreter, soferne dieser seinen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, zugestellt werden.  Bei Ausübung absoluter Rechte - worunter die persönliche Freiheit fällt - trifft das ABGB bezüglich der Rechts- und Handlungsfähigkeit keine Regelung. Diesbezüglich besteht durch § 9 AVG ein inhaltsloser Verweis.

 

Feststellung der Rechtswidrigkeit, infolge Festnahme ohne Bescheid und anschließende bloße Zustellung an den Gewaltunterworfenen.

 

 

Die persönliche Freiheit darf einem Menschen dann entzogen werden, wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern. Dies erfordert gemäß § 5 FrPG einen vollstreckbaren individuellen Verwaltungsakt.  Erlassen ist ein Bescheid erst, wenn er der Partei bzw. seinem gesetzlichen Vertreter zugestellt ist. Hiebei ist zu klären, ob dem minderjährigen Beschwerdeführer rechtswirksam persönlich zugestellt werden konnte. Angelpunkt für die Lösung dieser Frage bildet die Handlungsfähigkeit.

 

Bei der Beurteilung mußte im gegenständlichen Fall die Fremdenpolizeigesetznovelle 1991 BGBl. Nr. 406/1991 - ungeachtet der Frage, ob mit ihr eine sachgerechte Lösung gefunden werden könnte - außer Betracht bleiben. Die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über Schubhaftbeschwerden besitzt feststellende Wirkung und ist daher auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Festnahme und Anhaltung abzustellen. Die letzterwähnte Novelle wurde am 2. August 1991 kundgemacht. Der letzte Tag der Anhaltung war der 24. April 1991. Auf den vorliegenden Fall findet daher die alte Rechtslage Anwendung.

 

Bezüglich der Rechts- und Handlungsfähigkeit verweist das AVG, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.

 

Bei der Auslegung der Wortfolge "wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist", bleibt zunächst offen, ob es sich um ausdrückliche Bestimmungen oder aus der Natur der Sache hervorleuchtende Bestimmungen handeln muß (vgl. z. B.  die Judikatur zum Verfahren zur Erlangung einer Lenkerberechtigung).  Stehen in den Verwaltungsvorschriften Lebenssachverhalte zur Prüfung heran, die sich völlig andersartig als die vom bürgerlichen Recht beschriebenen Verhältnisse darstellen, wird eine, die Natur der Sache berücksichtigende, nicht unbedingt auf ausdrücklich lautende Interpretation notwendig sein, um ein verfassungskonformes - das Gleichheits- bzw. Sachlichkeitsgebot achtendes - Ergebnis nicht in Zweifel zu ziehen.

 

Der Aufenthalt eines fremden Minderjährigen im Bundesgebiet kann sowohl vom inneren Antrieb her die verschiedensten Motive haben, als auch nach der äußeren Erscheinungsform mehrere Rechtssphären berühren.  Dies berücksichtigend, ist die Anwendbarkeit der verschiedenen Materiengesetze zu prüfen. Ist z.B. ein fremder Minderjähriger aus der Erziehung seiner Eltern entlaufen, hat sich deswegen ins Bundesgebiet begeben und gebietet es die von den Eltern geltendgemachte Obsorge, die Rückführung zu veranlassen, wird die Rücküberstellung als eine dem Eltern- und Kindschaftsverhältnis - also als bürgerlich rechtliche Angelegenheit- bzw. als eine Maßnahme der Jugendwohlfahrt (mangels Präsenz des gesetzlichen Vertreters unter Einbeziehung der Jugendwohlfahrtsträger als besondere Kuratoren) zu bewerkstelligen sein.

 

Hat der fremde Minderjährige das Bundesgebiet mit Wissen oder Willen der im Bundesgebiet aufhältigen Erziehungsberechtigten in Erfüllung der Kindespflicht aufgesucht, wird die Vertretungsmacht und Pflicht der Eltern anzunehmen sein.  Für diese Fälle ist eine Bedachtnahme auf § 33 ABGB  sowie § 12 IPRG mit dessen Verweis auf das Personalstatut (§ 9 IPRG) angezeigt und je nach Auslegung des anzuwendenden Rechtes unter Umständen sogar die Pflicht des Erziehungsberechtigten gegeben, für einen solchen Inlandsaufenthalt eines Gewaltunterworfenen persönlich und unter Umständen sogar verwaltungsstrafrechtlich voll einzustehen.

 

Dabei hat der zur Vertretung berufene Elternteil bzw. Erziehungsberechtigte, die Vertretung des Minderjährigen für dessen Aufenthalt im Inland wahrzunehmen.

 

Sucht jedoch der minderjährige Fremde das Inland aus freien Stücken und im Rahmen des auch den Minderjährigen zustehenden persönlichen Freiraumes auf und gefährdet er hiebei die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit, dann gilt schon aufgrund der Vorbehaltsklausel (§ 6 IPRG) ein etwa entgegenstehendes ausländisches Recht nicht und hat er in diesem Rahmen fremdenpolizeilich, mangels anderslautender gesetzlicher Bestimmung dieselbe Handlungsfähigkeit wie ein Volljähriger.  Ein wesentlicher Teil der Gefährdungstatbestände geht in der Regel auf die Verletzung von Strafnormen zurück, bei denen die Deliktsfähigkeit mit Vollendung des 14. Lebensjahres eintritt. In Fortführung dessen kann der O.ö. Verwaltungssenat das unsachliche Ergebnis, ein solcher minderjähriger Fremder müsse wohl für seine Straftaten einstehen, die Administrativmaßnahme könne ihn aber ausnahmslos nie eigenverantwortlich treffen, nicht vertreten.  Schon begrifflich liegt eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit näher bei der Deliktsfähigkeit als bei einem sachfremden Anknüpfen bei bürgerlich rechtlichen Vorschriften über Rechtsgeschäfte etc.

 

Schon ein Vergleich der Begriffe "nationale öffentliche Interessen" macht die Verschiedenartigkeit zum "internationalen Privatrecht" deutlich.

 

Eine differenziertere Betrachtungsweise ist jedenfalls geboten.

 

Bei der vorläufigen Verwahrung nach § 5 FrPG handelt es sich um den Versuch der Lösung eines Spannungsverhältnisses zwischen öffentlicher Ordnung und persönlicher Freiheit.  Es geht hier nicht um ein Ausloten von Vertragsfähigkeit, Pflege und Erziehung, Vermögensverwaltung etc.

Bezogen auf das innerstaatliche bürgerliche Recht gewährleistet § 16 ABGB allen Menschen angeborene Rechte - sogenannte absolute Rechte. Unter diese fallen die Freiheitsrechte. § 21 ABGB kündigt den Schutz der Personenrechte der Minderjährigen an, läßt es jedoch bei einer programmatischen Erklärung bewenden. Den tatsächlichen Schutz der Freiheitsrechte garantiert demgegenüber das öffentliche Recht. Eine Beschränkung der Freiheit eines Minderjährigen ist gemäß Art.2 Abs.1 Z.6 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit nur zum Zweck einer notwendigen Erziehungsmaßnahme zulässig.  Nur in diesem Rahmen darf auch § 146b ABGB betrachtet werden.

 

Im übrigen aber ist die persönliche Freiheit eines Minderjährigen sogar gegen den Willen der Eltern gewährleistet.  Wann die absoluten Rechte selbständig - mit eigener Handlungsmacht - wahrgenommen werden können, umschreiben weder das ABGB noch die zitierten verfassungsgesetzlichen Bestimmungen.

 

Gerade dort, wo § 9 AVG eine Brücke bilden soll, versagt diese, weil die bürgerlich - rechtlichen Vorschriften zu den absoluten Rechten der Minderjährigen nichts hergeben.

 

Für den vorliegenden Fall war bedeutsam, daß die Eltern des Minderjährigen sich jahrelang in Schärding am Inn unter bekannter Adresse aufgehalten haben und sich um den Wiedereinreisesichtvermerk ihres Sohnes nachdrücklich bemüht haben. Mit ihrem Wissen und Willen sollte der Minderjährige in G. Gemeinde L., nach illegaler Wiedereinreise eine Lehre antreten und nachdem er bereits früher die österreichischen Schulen besucht hatte - wenn auch illegal - einer Erziehungs- bzw.  Ausbildungsmaßnahme zugeführt werden.  Insoferne ist den greifbaren Eltern im fremdenpolizeilichen Verfahren bei dem über den Inlandsaufenthalt ihres Sohnes abgesprochen wurde, die Vertretungs- und Handlungsbefugnis zugekommen, was bei der Zustellung des Ausweisungsbescheides von der belangten Behörde ohnedies beachtet worden ist.  Der Bescheid über die vorläufige Verwahrung des Sohnes wurde jedoch keinem Elternteil zugestellt.  Mit der Aushändigung des Bescheides der belangten Behörde an den Minderjährigen konnte eine Zustellung nicht bewirkt werden. Die auf einen nicht erlassenen Bescheid gestützte Anhaltung des Beschwerdeführers entbehrt damit der rechtlichen Deckung. Zu bemerken ist, daß schon die Festnahme des Beschwerdeführers ohne jeden Bescheid geschah. Die Festnahme erfolgte nach der Vernehmung am 16. April 1991.  Eine weitere anschließende Vernehmung zum Zwecke einer Strafamtshandlung ist nicht dokumentiert, wodurch bereits die freiheitsentziehende Maßnahme am 16. April 1991 um 9.10 Uhr und Überstellung in den Bezirk Ried im Innkreis als rechtswidrig anzusehen ist.

 

Da die Beschwerde vom Ergebnis her begründet erschien, war über die Höhe der geltend gemachten Kosten abzusprechen.

 

Demnach war bedeutsam, daß die Beschwerde, was die Umstände der Festnahme und nachfolgende Anhaltung anlangt, offensichtlich nicht gehörig recherchiert erschien, wodurch der begehrte Einheitssatz für übliche Zwischenerledigungen und Rückfragen nicht zuzuerkennen war.  Allerdings erschien für die Abfassung der Beschwerde, verglichen mit den Zuordnungskriterien bezüglich der übrigen Tarife nach dem Rechtsanwaltstarifgesetz, die Anwendung der TP 3 B mit dem Betrag von 5.671 S gerechtfertigt. Bei der Verzeichnung des Honorares für den Schriftsatz vom 6. Auust 1991, bei dem es sich um Ausführungen ohne erkennbare Zwischenerledigungen und um die Verzeichnung der Kosten handelte, war die angesprochene Tarifpost 3 A im Betrag von 4.532 S allerdings ohne Einheitssatz gerechtfertigt.  Die geltend gemachten Barauslagen hinsichtlich Stempelgebühren waren im Betrag von 120 S zuzuerkennen, zumal die Beschwerde nur in einfacher Ausfertigung überreicht werden muß. Über einen allfälligen Gebührenrückerstattungsanspruch der zweifach überreichten und gestempelten Beschwerde hat die Finanzverwaltung zu befinden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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