TE Vwgh Erkenntnis 2001/12/18 2001/09/0143

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Veröffentlicht am 18.12.2001
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

BDG 1979 §10 Abs4 Z4;
BDG 1979 §43 Abs2;
BDG 1979 §92 Abs1 Z4;
BDG 1979 §93 Abs1;
BDG 1979 §95 Abs1;
StGB §83 Abs1;
StGB §95 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2001/09/0144 2001/09/0145

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerden 1. des W B, 2. des T F und 3. des T K, alle in Wien, alle vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport vom 27. März 2001, Zl. 20,21,22,26/12-DOK/01, betreffend Disziplinarstrafen der Entlassung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Alle drei Beschwerdeführer standen als Bezirksinspektoren in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Ihre letzte Dienststelle war die Bundespolizeidirektion Wien, Sicherheitsbüro. Alle drei Beschwerdeführer waren im Bereich der Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität eingesetzt.

Mit Strafurteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 8. Juni 1998, GZ 15U 90/98h wurden die Beschwerdeführer für schuldig erkannt, es am 9. Mai 1996 in Wien 9, Sicherheitsbüro, bei einem Unglücksfall unterlassen zu haben, dem durch eine Überdosis Kokain vergifteten R. H. die zur Rettung desselben aus der Gefahr des Todes offensichtlich erforderliche Hilfe zu leisten, indem sie erst nach Stunden die Rettung verständigt haben. Sie wurden hiefür zu Freiheitsstrafe von 3 Monaten, bedingt auf 3 Jahre, verurteilt. Darüber hinaus wurde der Erstbeschwerdeführer mit Strafurteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 3. Dezember 1998, GZ 15U 90/98h, wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG schuldig erkannt.

Mit Erkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 13. Dezember 2000 wurde der Erstbeschwerdeführer schuldig erkannt, er habe

"* eine dienstfremde Person, nämlich ÖD, in der Zeit vom 8. bis 9.5.1996 in die Räumlichkeiten des Sicherheitsbüros ohne dienstlichen Grund eingeladen";

und alle drei Beschwerdeführer des Weiteren (jeweils gleich lautend) schuldig erkannt,

a) der Erstbeschwerdeführer habe der ÖD sowie dem BI H in der Zeit vom 8. bis 9. Mai 1996 in den Räumlichkeiten des Sicherheitsbüros Suchtgift zur Verfügung gestellt,

b) die Zweit- und Drittbeschwerdeführer hätten nicht verhindert, dass der Erstbeschwerdeführer der ÖD sowie dem BI H in der Zeit vom 8. bis 9.5.1996 in den Räumlichkeiten des Sicherheitsbüros Suchtgift zur Verfügung gestellt habe,

c) jeder von ihnen habe

* es unterlassen, seinem Kollegen BI H, der sich offensichtlich durch Suchtgiftkonsum in einem gesundheitlich bedrohlichen Zustand befunden hat, am 9.5.1996 die erforderliche Hilfe zu leisten bzw. diesen Verletzten im Stich gelassen

* entgegen dem Streifenauftrag für den 8.5.1996 von 12.00 bis 23.00 Uhr die angeordneten Streifenstunden unbegründet nicht eingehalten

* am 8.5.1996 im Dienst Alkohol konsumiert, obwohl er wissen musste, dass er im Rahmen der Streife jederzeit zum Lenken eines Dienst-KFZ herangezogen werden konnte.

Die Beschwerdeführer hätten dadurch gegen §§ 43 Abs. 1 und 2, 44 Abs. 1, 48 Abs. 1, 49 Abs. 1 BDG 1979 und eine näher bezeichnete Dienstanweisung verstoßen und Dienstpflichtverletzungen im Sinne des § 91 BDG 1979 begangen. Über alle drei Beschwerdeführer wurde die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt. Wegen weiterer Anlastungen wurden die Beschwerdeführer hingegen freigesprochen.

Die dagegen eingebrachten Berufungen wurden mit dem angefochtenen Disziplinarerkenntnis abgewiesen, das erstinstanzliche Erkenntnis wurde bestätigt. Die belangte Behörde ging nach umfassender Darstellung des Beweisverfahrens von der Erfüllung der Tatvorwürfe aus. Dabei setzte sie sich mit den Ermittlungsergebnissen wie folgt auseinander:

"Soweit der Zweit- und der Drittbeschuldigte zum im Rede stehenden Sachverhalt hinsichtlich der Wahrnehmung bzw. der Nichtverhinderung des Suchtgiftkonsums durch die Zeugin D. auf Widersprüche in deren Aussage vor dem Strafgericht bzw. anlässlich ihrer Ersteinvernahme hinweisen, ist dem entgegenzuhalten, dass die Zeugin anlässlich ihrer Einvernahme vor der erstinstanzlichen Disziplinarkommission ausgesagt hat, zum Zeitpunkt ihres Suchtgiftkonsums seien alle drei Beschuldigten anwesend gewesen. Die Behauptungen des Zweitbeschuldigten, er sei dabei nicht im Raum gewesen bzw. des Drittbeschuldigten, er hätte geschlafen, sind vom erstinstanzlichen Senat zutreffend als Schutzbehauptungen gewertet worden. Zur Verwertung der Aussagen der Zeugin D. im strafgerichtlichen Verfahren bzw. anlässlich ihrer Ersteinvernahme durch die ermittelnden Beamten ist auf den im Disziplinarverfahren geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatz zu verweisen, demzufolge nur vor der Disziplinarkommission erfolgte Zeugenaussagen verwertet werden dürfen. Zutreffenderweise ist daher eine Einvernahme der Zeugen BI Z. und BI G. entbehrlich, da diese nur die damaligen Aussagen der Zeugin D. bestätigen könnten. Auch ist festzuhalten, dass der Widerspruch in den Aussagen der Zeugin D. keineswegs evident ist. Laut Aussage der Zeugin D. waren beim Suchtgiftkonsum der Zeugin und dem des BI H. alle drei Beschuldigten anwesend. Ob einer oder mehrere der Beschuldigten in weiterer Folge den Raum verließ und erst von der Zeugin D. herbeigerufen wurde, als sich der Gesundheitszustand des BI H. dramatisch verschlechterte geht aus dem Akteninhalt nicht hervor, könnte aber diesen scheinbaren Widerspruch erklären. Die Weitergabe von Suchtgift an den BI H. durch den Erstbeschuldigten bzw. die Wahrnehmung des Suchtgiftkonsums des H. durch den Zweit- und den Drittbeschuldigten ist den Beschuldigten nicht gesondert anzulasten, sondern in Tateinheit mit der Weitergabe des Suchtgiftes bzw. Beobachtung des Suchtgiftkonsums durch die Zeugin D. anzusehen, da nicht feststellbar ist, ob H. das vom Erstbeschuldigten zur Verfügung gestellte Suchtgift konsumierte. Auch ist eine allfällige Weitergabe des Suchtgiftes durch D. als straflose Nachtat der Zurverfügungstellung des Suchtgiftes an die Zeugin D. anzusehen. Der Tatvorwurf hinsichtlich der Zeugin D. ist jedoch, wie ausgeführt, als erwiesen anzusehen. Zur Frage des Nichtverhinderns der Anwesenheit einer dienstfremden Person durch den Zweit- und den Drittbeschwerdeführer ist festzuhalten, dass sich diese mehrere Stunden gemeinsam mit der Zeugin D. in den Diensträumlichkeiten aufhielten und ungeachtet der Tatsache, dass der Zweitbeschuldigte seinen Aufgaben zufolge fernsah bzw. der Drittbeschuldigte teilweise schlief, der Umstand der unberechtigten Anwesenheit der Zeugin diesen auffallen musste. ... Zur Frage des unbegründeten Nichteinhaltens des Streifenauftrages vom 8.5.1996 kommt der Berufung der Beschuldigten ebenfalls keine Berechtigung zu. Wenn auch der Tatzeitraum aufgrund des im Akt erliegenden Schreibens des R. V. auf 20.00 - 22.10 Uhr einzuschränken ist, so ist doch eine Pause von 2 1/2 Stunden jedenfalls überzogen und überdies, da der Dienst der Beschuldigten an diesem Tage um 23.00 Uhr endete, einem früheren Ende der Dienstverrichtung gleichzuhalten, da die Beschuldigten in weiterer Folge nur mehr an die Dienststelle zurückkehrten. Auch der Verweis der Beschuldigten auf die Bestimmungen des AZG geht dabei ins Leere, sieht doch § 15 AZG eine Lenkpause von mindestens 30 Minuten vor, nicht aber die von den Beschuldigten - die sich außerdem beim Fahren abwechseln konnten - konsumierte Pause von 2 1/2 Stunden..."

Die verhängten Strafen begründete die belangte Behörde folgendermaßen:

"Das Vorbringen des Erstbeschuldigten (Anmerkung: des Erstbeschwerdeführers), eine neuerliche Bestrafung wegen der Weitergabe von Suchtgift widerspreche dem Doppelbestrafungsverbot, ist verfehlt. Dem Umstand, dass die Beamteneigenschaft des Erstbeschuldigten vom Strafgericht erschwerend beurteilt wurde, kommt keine Bedeutung zu (VwGH 18.11.1993, 93/09/0320). Im gegenständlichen Fall war jedenfalls auf Grund des konkreten Funktionsbezuges (Suchtgiftfahnder) ein disziplinärer Überhang zu bejahen und das Verhalten des Erstbeschuldigten, das als Dienstpflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 zu qualifizieren ist, auch disziplinär zu ahnden, hat doch der Erstbeschuldigte durch die Weitergabe von Suchtgift an eine dritte Person jedenfalls eine schwerst wiegende Dienstpflichtverletzung begangen, die entgegen seiner Rechtsmeinung keineswegs mit der strafgerichtlichen Verurteilung abgetan ist.

...

Zur Strafbemessung ist festzuhalten, dass die Strafe auf Grund des Vorliegens mehrerer Dienstpflichtverletzungen gemäß § 93 Abs. 2 BDG 1979 nach der schwersten Dienstpflichtverletzung zu bemessen ist. Als schwerst wiegende Dienstpflichtverletzung war bei allen Beschuldigten das Imstichlassen des schwer erkrankten Zeugen H zu werten Durch dieses Fehlverhalten sind die Beschuldigten bereits für sich allein gesehen für den öffentlichen Dienst untragbar geworden.

Gerade bei einer gefahrengeneigten Tätigkeit, wie dem Dienst in der Exekutive, ist es unerlässlich, dass sich alle Beamten bei Eintritt einer konkreten Gefahr (wie hier der beim Zeugen H eingetretenen Gesundheitsschädigung) sich auf den sofortigen gegenseitigen Beistand verlassen können. Durch das Tatverhalten der Beschuldigten, die einen schwer erkrankten Kollegen mehrere Stunden ohne ärztlichen Beistand ließen, wurde das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Dienstbehörde in die Dienstverrichtung der Beschuldigten unwiederbringlich zerstört, haben doch die Beschuldigten im Kernbereich ihrer Dienstpflichten, nämlich dem Beistand für einen schwer erkrankten Kollegen, versagt. Es war daher in Ansehung des gefährdeten Rechtsgutes und der Forstsetzung der Tathandlung über mehrere Stunden von einem hohen Grad des Verschuldens seitens der Beschuldigten auszugehen."

Gegen diesen Bescheid richten sich die vorliegenden, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden, verzichtete jedoch auf die Erstattung von Gegenschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Verbindung der Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung infolge ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges erwogen:

Insoweit Zweit- und Drittbeschwerdeführer die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung zu bekämpfen suchen, ist ihnen zu entgegnen, dass es dem Verwaltungsgerichtshof auf Grund seiner hinsichtlich der Beweiswürdigung eingeschränkten Prüfungsbefugnis verwehrt ist, in einem Verfahren über eine Bescheidbeschwerde die von den Behörden vorgenommene Beweiswürdigung gemäß § 45 Abs 2 AVG darauf zu überprüfen, ob nicht der gegenteilige Schluss aus den aufgenommenen Beweisen zu ziehen gewesen wäre. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Beweiswürdigung ein Denkprozess (ein wertendes Urteil) ist, nicht aber eine Beurteilung rechtlicher Fragen, und aus diesem Grunde nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit des Denkvorganges als solchen handelt und darum, ob das Verfahren, das die Unterlagen für die Schlussfolgerung der Behörde geliefert hat, in gesetzmäßiger Weise abgewickelt wurde (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, u.v.a). Die Ausführungen in den Beschwerden geben allerdings keinen Anlass, in diesem Sinne an der Schlüssigkeit der Erwägungen der belangten Behörde zu zweifeln.

Insofern Zweit- und Drittbeschwerdeführer mangelnde Feststellungen zu den Anschuldigungspunkten betreffend die unerlaubte Anwesenheit und den Suchtmittelgenuss der Zeugin D. ins Treffen führen, erweist sich diese Rüge als nicht berechtigt. Ihr Vorbringen, sie hätten zum fraglichem Zeitpunkt geschlafen bzw. ferngesehen, wurde von der belangten Behörde auf schlüssige Weise als unglaubwürdig angesehen. Auch erscheint es nicht glaubhaft, dass es erfahrenen Polizeibeamten nicht möglich gewesen wäre, bei aufrechtem Pflichtenbewusstsein die Zeugin D. auf irgendeine ihnen zweckdienlich erscheinende Weise von ihrem unzulässigen Tun, dessen Zeugen sie geworden waren, abzubringen. Dass darin aber auch nicht bloß eine zu vernachlässigende Dienstpflichtverletzung gelegen ist, hat die Behörde zutreffend erkannt.

Zwar sind die Beschwerdeführer mit ihrem insoweit gleich lautenden Vorbringen im Recht, dass die belangte Behörde den disziplinären Überhang ausdrücklich nur zur Tatbegehung gemäß § 27 Abs. 1 SMG begründet hat. Bei verständiger Wertung der Ausführungen der belangten Behörde zur als schwerste Dienstpflichtverletzung gewerteten Unterlassung der Hilfeleistung an BI H ist aber zu ersehen, dass die belangte Behörde auch bei dieser strafgerichtlichen Verurteilung von einem disziplinären Überhang ausgegangen ist, wobei die Begründung der belangten Behörde nicht als rechtswidrig zu erkennen ist. Bei einem strafrechtlich geahndeten Verhalten (hier: Unterlassung der Hilfeleistung iSd § 95 Abs. 1 StGB für einen durch Suchtmittel schwerst beeinträchtigten Kollegen), das bei objektiver Betrachtung geeignet ist, bezogen auf die dienstliche Stellung des Beamten nach allgemeiner gesellschaftlicher Auffassung die Achtung und das Vertrauen in die Person und damit in die Amtsstellung zu untergraben, liegt jedenfalls im Sinne des § 95 Abs. 1 BDG 1979 ein disziplinärer Überhang vor, der bei der gegebenen Sachlage auch die Verhängung der schwersten Disziplinarstrafe rechtfertigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1992, Zl. 92/09/0119).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. September 1992, Zl. 92/09/0025, vom 11. April 1996, Zl. 95/09/0050, und vom 18. November 1998, Zl. 97/09/0206) ist die Disziplinarstrafe der Entlassung keine Strafe, die der Sicherung der Gesellschaft, der Resozialisierung des Täters oder gar der Vergeltung dient, es handelt sich dabei aber doch um eine Strafe, die auf der Grundlage der Schwere der Dienstpflichtverletzung zu beurteilen ist, und gleichzeitig um eine dienstrechtliche Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes. Im Vordergrund steht dabei die Frage des durch die Verfehlung eingetretenen Vertrauensverlustes. Die Gründe für eine solche Unvereinbarkeit lassen sich nur den Anforderungen entnehmen, die das Dienstrecht an einen Beamten stellt. Wird dieser überhaupt nicht mehr der Achtung und dem Vertrauen gerecht, die seine Stellung als Beamter fordert, hat er das Vertrauensverhältnis zwischen sich und der Verwaltung zerstört, dann kann er auch nicht mehr im Dienst verbleiben. Ist das gegenseitige Vertrauensverhältnis zerstört, fehlt es an der Grundlage für weitere Differenzierungen und Bemessungserwägungen. Verträgt die Funktion der staatlichen Verwaltung die Weiterbeschäftigung eines Beamten nicht mehr, dann auch nicht teilweise. Hier geht es nicht, wie beim Strafrecht, um die Wiedereingliederung in die soziale Gemeinschaft, sondern um die weitere Tragbarkeit in einem besonderen Dienstverhältnis.

Auch wenn die Disziplinarstrafe der Entlassung nicht der Sicherung der Gesellschaft, der Resozialisierung des Täters oder gar der Vergeltung dient, so handelt es sich dabei doch um eine Strafe. Die Frage, ob durch die Verfehlung des Beamten das gegenseitige Vertrauensverhältnis zwischen diesem und der Verwaltung zerstört wurde, ist auf der Grundlage der Schwere der Dienstpflichtverletzung zu beurteilen. Auch hier hat die Disziplinarbehörde zunächst am Maß der Schwere der Dienstpflichtverletzung gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 zu prüfen, ob die Verhängung der höchsten Strafe gemäß § 92 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 geboten ist. Hiebei hat sie sich gemäß § 93 Abs. 1 dritter Satz BDG 1979 an den nach dem Strafgesetzbuch für die Strafbemessung maßgebenden Gründen zu orientieren und somit im Hinblick auf § 32 Abs. 1 StGB vom Ausmaß der Schuld des Täters als Grundlage für die Bemessung der Strafe auszugehen, wobei sie vor allem zu berücksichtigen hat, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände und Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen nahe liegen könnte.

Erst wenn eine an diesem - an der Modellfigur des mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Beamten orientierten - Maßstab erfolgte Beurteilung der Schwere der Dienstpflichtverletzung des Beamten ergibt, dass sein weiteres Verbleiben im Dienst untragbar geworden ist, fehlt es dann im Sinn der angeführten Rechtsprechung an der Grundlage für weitere Differenzierungen und Bemessungserwägungen dahingehend, ob im Sinne des § 93 Abs. 1 zweiter Satz BDG 1979 die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, ihn von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten. In diesem Fall bleibt für spezialpräventive Erwägungen kein Raum (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 7. Juli 1999, Zl. 99/09/0042).

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, stellt ein Vergehen nach § 83 Abs. 1 StGB (begangen durch einen außer Dienst befindlichen Exekutivbeamten) - ungeachtet des sonstigen dienstlichen Verhaltens - einen Kündigungsgrund im Sinne des § 10 Abs. 4 Z. 4 BDG 1979 dar. Zweifellos ist davon auszugehen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung von dienstlichen Aufgaben (§ 43 Abs. 2 BDG 1979) gerade eines Wachebeamten, dessen vornehmlichster Tätigkeitsbereich in der Verhinderung von strafbaren Handlungen besteht, nicht erhalten bleibt, wenn dieser selbst jene Rechtsgüter, zu deren Schutz er nach den Gesetzen berufen ist, auf diese Weise, wie es im Beschwerdefall geschehen ist, bewusst verletzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 1992, Zl. 87/12/0085).

Gleiches hat in Bezug auf den Vertrauensverlust jedenfalls auch für ein Vergehen gemäß § 95 Abs. 1 StGB (für welches das StGB die gleiche Strafdrohung vorsieht) unter den im gegenständlichen Fall vorliegenden Umständen zu gelten. Die Beschwerdeausführungen, die Beschwerdeführer hätten sich um BI H gekümmert und "Maßnahmen gesetzt, die eine offensichtliche Stabilisierung des Zustandes" des BI H bewirkt hätten, widersprechen zum Einen dem gesetzlichen Tatbild, weswegen die Beschwerdeführer gerichtlich rechtskräftig verurteilt wurden, weshalb sich auf Grund der Bindungswirkung an die rechtskräftige gerichtliche Verurteilung eine nähere Ausführung hiezu erübrigte. Denn die nur vorsätzlich begehbare Unterlassung der Hilfeleistung gemäß § 95 Abs. 1 StGB beinhaltet bereits die Tatbestandselemente "Rettung eines Menschen aus der Gefahr des Todes oder einer beträchtlichen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung" und die Unterlassung der "offensichtlich erforderlich(en) Hilfe". Dies kommt im Schuldspruch des rechtskräftigen Urteils des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 8. Juni 1998 klar zum Ausdruck, welcher lautet:

"... (die Beschwerdeführer)... sind schuldig, sie haben ... es bei einem Unglücksfall unterlassen, dem durch eine Überdosis Kokain vergifteten BI H die zur Rettung desselben aus der Gefahr des Todes offensichtlich erforderliche Hilfe zu leisten, indem sie erst nach Stunden die Rettung verständigten".

Zum Anderen erscheint es hier aber als angebracht, darauf hinzuweisen, dass die Behauptung einer ohnedies rechtzeitig erfolgten Verständigung der Rettung mit der die Disziplinarbehörde bindenden Verurteilung der Beschwerdeführer wegen unterlassener Hilfeleistung unvereinbar ist. Angesichts des Zustandes des BI H, der nach den Angaben des Erstbeschwerdeführers (siehe die Niederschrift vom 16. Mai 1996) in der Nacht (des 9. Mai 1996 zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr, s. Aussage des Zeugen K vom 16. Mai 1996) das Bewusstsein verlor (wobei den Beschwerdeführern klar war, dass es sich hiebei um eine Vergiftung durch eine Überdosis von Kokain handelte) und reanimiert wurde, bis "wieder ein Pulsschlag zu spüren" war "bzw. die Atmung ... wieder einsetzte", ohne dass BI H jedoch ansprechbar geworden wäre (sondern nur "stöhnende Laute von sich" gab), beschönigend zu behaupten, bei der Verständigung der Rettung erst nach 10.00 Uhr habe es sich um eine "unverzügliche ärztliche Hilfe" gehandelt, weil sich der Zustand des BI H erst dann "dramatisch verschlechtert" habe (nämlich durch erneuten Atemstillstand), ist nicht nachvollziehbar. Jedermann ist klar, dass ein derartiger Zustand, wie er zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr eingetreten ist, die sofortige Beiziehung eines Arztes erfordert, umso verwerflicher ist es, dass ein mit den Gefahren des Suchtmittelmissbrauchs beruflich vertrauter Beamter dies mehrere Stunden lang unterlässt.

Ausgehend von den Feststellungen der belangten Behörde erweist sich aber auch deren rechtliche Beurteilung nicht als rechtswidrig.

Die Beschwerden waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über die Aufwandersätze gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Dezember 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2001090143.X00

Im RIS seit

22.03.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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