TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/16 99/20/0525

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.04.2002
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §15;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des R K, geboren am 1. März 1971, vertreten durch Dr. Johann Grandl, Rechtsanwalt in 2130 Mistelbach, Hauptplatz 18, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Juli 1999, Zl. 205.320/0- IX/27/98, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste am 6. Mai 1998 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Am 19. Mai 1998 wurde er nach Abschiebung (richtig wohl: Zurückschiebung) durch die bayrische Polizei von der Bundespolizeidirektion Salzburg einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, er habe nach Versäumung eines Ladungstermines bei der Außenstelle des Bundesasylamtes in Salzburg nach Wien zurückfahren wollen, sei aber irrtümlich in den falschen Zug gestiegen und nach Deutschland ausgereist. Dem Beschwerdeführer wurde im Rahmen dieser Einvernahme zur Kenntnis gebracht, dass er wegen unrechtmäßiger Ausreise aus dem Bundesgebiet bestraft, über ihn ein Aufenthaltsverbot verhängt und er sodann "aus dem Stande der Schubhaft" in seine Heimat abgeschoben werde. Daraufhin gab der Beschwerdeführer (dem Inhalt der Niederschrift zufolge) an, er werde "im Iran in keinster Weise verfolgt" und habe auch im Falle seiner Abschiebung mit keinen Nachteilen zu rechnen. Er habe im Formular für das Heimreisezertifikat den Wunsch geäußert, so schnell wie möglich zurückzufahren und ziehe seinen Asylantrag freiwillig zurück.

Mit schriftlichem Antrag vom 21. Juli 1998 begehrte der Beschwerdeführer (erneut) die Gewährung von Asyl. Dies begründete er vor dem Bundesasylamt am 20. August 1998 zusammengefasst damit, dass er im Iran wegen (unterstellter) Regimefeindlichkeit verfolgt werde. Bei seinem Arbeitsantritt an seiner Arbeitsstelle im Iran habe er, wie auch andere Mitarbeiter, zunächst ein Blankoformular für einen eventuellen Austritt unterschreiben müssen. Da dies einige Mitarbeiter aufgebracht habe, habe er bei der Sekretärin des Generaldirektors vorgesprochen. Diese habe ihm zwar einerseits gesagt, dass die Mitarbeiter dies hinzunehmen hätten, dem Beschwerdeführer jedoch später einen Stoß Papiere mit regimekritischem Inhalt gebracht. Die Sekretärin habe dem Beschwerdeführer gesagt, er könne diese Papiere an Personen verteilen, denen er vertraue, was der Beschwerdeführer auch gemacht habe. Er sei daraufhin von Beamten des Nachrichtendienstes festgenommen und 25 Tage lang verhört und gefoltert worden. In einer Gerichtsverhandlung sei der Beschwerdeführer wegen des Vorwurfes von Aktionen gegen Einrichtungen der Regierung zu einer zunächst dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Danach hätte in einer weiteren Verhandlung geprüft werden sollen, ob er geläutert sei. Der Beschwerdeführer habe jedoch mit Hilfe eines Wachebeamten, der ihm Wäschebleichmittel zu essen gegeben und ihn ins Krankenhaus gebracht habe, flüchten können.

Über Vorhalt seiner niederschriftlichen Angaben vom 19. Mai 1998, nach denen er im Iran in keiner Weise verfolgt würde und dort mit keinen Nachteilen zu rechnen hätte, gab der Beschwerdeführer an, das nicht gesagt zu haben. Vielmehr habe ihm der Übersetzer erklärt, dass er (aus der Schubhaft) sofort entlassen würde, sollte er sich bereit erklären, (in den Iran) zurückzukehren. Der Beschwerdeführer schilderte im Weiteren die Ursache seiner Narben und führte aus, er fürchte im Fall seiner Rückkehr in sein Heimatland um sein Leben. Bevor er in den Iran zurückgeschickt werde, würde er lieber sein "Blut in Österreich lassen".

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. September 1998 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran zulässig sei. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Behörde gelange "nach eingehender rechtlicher Würdigung zur Ansicht, dass es nicht glaubhaft" sei, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Verfolgung drohe. Das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Verteilens der erwähnten Papiere sei in der von ihm geschilderten Art nicht nachvollziehbar, da es "im krassen Gegensatz zu den, den Erfahrungen des Lebens typischen Geschehensabläufen" stehe. Wäre der Beschwerdeführer "mit dieser Regelung" nicht einverstanden gewesen, so hätte er das Blankoformular nicht unterschreiben müssen. Überhaupt erscheine das gesamte diesbezügliche Vorbringen "äußerst unglaubwürdig", zumal der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme am 19. Mai 1998 niederschriftlich angegeben habe, im Iran in keiner Weise verfolgt zu werden. Dass dem Beschwerdeführer, wie dieser behauptet habe, nach seiner dreijährigen Haft eine weitere Gerichtsverhandlung bevorgestanden wäre, um seine Läuterung zu überprüfen, sei "mit den allgemeinen Verhältnissen in Ihrem Heimatland nicht zu vereinbaren". Nicht nachvollziehbar sei auch, weshalb der Beschwerdeführer nach mehr als zweieinhalb Jahren Haft kurz vor seiner Entlastung geflüchtet sein solle. Auch die geschilderte Flucht erscheine der Erstbehörde "unverständlich".

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er ausführte, er habe bereits vor dem Bundesasylamt klargestellt, wie es zur unrichtigen Aussage vom 19. Mai 1998 gekommen sei. Das Verhalten der Salzburger Polizei sei rechtswidrig gewesen, er sei verzweifelt gewesen und habe unterschrieben, was man von ihm gewollt habe. Es sei aber nicht richtig, dass er im Iran keine Probleme habe, wozu der Beschwerdeführer nochmals auf den erwähnten Fluchtgrund hinwies. Indem das Bundesasylamt seinen Angaben über eine weitere Gerichtsverhandlung unter Verweis auf die Verhältnisse in seinem Heimatland die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe, habe die Behörde sein Recht auf Parteiengehör verletzt. Der Beweiswürdigung der Erstbehörde in Bezug auf die als unverständlich beurteilte Flucht nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus hielt der Beschwerdeführer entgegen, dass er mit dem Verschlucken von Wäschebleichmittel einen Selbstmordversuch habe vortäuschen wollen und dass es im Gefängnis keine entsprechenden Einrichtungen für eine diesbezügliche Behandlung gegeben hätte.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde - unter Abstandnahme von einer Berufungsverhandlung - die Berufung des Beschwerdeführers ab und führte nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens aus, die Erstbehörde habe die Angaben des Beschwerdeführers zum Grund seiner Ausreise aus dem Iran zu Recht als unglaubwürdig erachtet, wobei sich die belangte Behörde den diesbezüglichen Ausführungen anschließe. Der vom Beschwerdeführer dargelegten Erklärung für das Zustandekommen seiner Aussagen in der Niederschrift vom 19. Mai 1998 sei entgegenzuhalten, dass eine derartige Motivation des Dolmetsch nicht nachvollziehbar sei, weil der in Rede stehenden Aussage des Beschwerdeführers (über eine Nichtgefährdung im Iran) die Belehrung vorausgegangen sei, dass er "aus dem Stande der Schubhaft" in seine Heimat abgeschoben würde. Der Beschwerdeführer habe die Richtigkeit der Niederschrift mit seiner Unterschrift bestätigt. Es sei nicht glaubhaft, dass eine Person, die in ihrem Herkunftsland mit schweren Konsequenzen rechnet, sich dem Risiko einer Rückschaffung in dieses Land aussetze, um nicht in Schubhaft genommen zu werden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer unter anderem geltend, die belangte Behörde habe ihre Pflicht zur amtswegigen Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes verletzt und sich ausschließlich den unrichtigen und unvollständigen Feststellungen der Erstbehörde angeschlossen.

Der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Mitteilung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei nach Erhebung der vorliegenden Beschwerde in den Iran verzogen, wurde vom Verfahrenshilfeanwalt des Beschwerdeführers widersprochen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die vorliegende Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gleich der Behörde erster Instanz erachtet die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Erklärung für das Zustandekommen seiner Aussagen in der Niederschrift vom 19. Mai 1998 unter Verweis auf die mit der Unterschrift des Beschwerdeführers bestätigte Richtigkeit dieser Niederschrift als unglaubwürdig und schließt sich auch sonst der Beweiswürdigung der Erstbehörde an. Zur Beweiswürdigung der Erstbehörde hat der Beschwerdeführer aber in seiner Berufung Stellung genommen und versucht, die angebliche Unschlüssigkeit der von ihm dargelegten Fluchtgründe zu widerlegen. Dem Berufungsvorbringen kann entnommen werden, dass der Beschwerdeführer seiner Meinung nach in der Lage sei, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung jene Bedenken, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprechen, durch Klarstellungen auszuräumen und die von der Behörde (nicht näher präzisierten) "allgemeinen Verhältnisse" im Iran, die nach Ansicht der Erstbehörde gegen das Vorbringen des Beschwerdeführers sprächen, zu widerlegen. Die belangte Behörde hätte sich daher, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, in Anbetracht dieses Vorbringens nicht bloß auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung anhand der Aktenlage beschränken dürfen, sondern hätte den Beschwerdeführer im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu den Punkten, auf die sie die mangelnde Glaubwürdigkeit des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers stützt, vernehmen müssen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0389 und vom 15. Februar 2001, Zl. 99/20/0103). Es ist nicht von vornherein auszuschließen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen einer solchen Einvernahme imstande ist, den Gegenbeweis der Unrichtigkeit der Niederschrift vom 19. Mai 1998 (§ 15 AVG) zu erbringen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 16. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999200525.X00

Im RIS seit

01.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten