TE Vwgh Erkenntnis 2001/2/15 99/20/0103

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Veröffentlicht am 15.02.2001
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AVG §15;
AVG §67d;
B-VG Art129;
B-VG Art129c;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, in der Beschwerdesache des am 24. Februar 1980 geborenen VA, vertreten durch Dr. Karl Klein, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Fleschgasse 34, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. Juli 1998, Zl. 200.672/0-V/15/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Liberia, reiste am 5. September 1996 in das Bundesgebiet ein und stellte am 10. September 1996 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer an, er habe mit der Schule aufhören müssen, als der Krieg begonnen habe. Sein Vater sei mit seinem Auto am Nachhauseweg von Rebellen angehalten und umgebracht worden. Zwei Wochen später sei seine Mutter zu den Rebellen gegangen, um zu erfragen, ob der Vater wirklich getötet worden sei. Seither habe er auch seine Mutter nicht mehr gesehen. Er habe sich daraufhin zu einem Waisenhaus begeben und erzählt, dass er Niemanden mehr habe. Man habe gewollt, dass er dort bleibe, er aber habe das Elternhaus nicht alleine lassen wollen. Die ULIMO-K habe ihn dann dort aufgesucht und ihm mitgeteilt, dass er erwachsen genug sei, um zu den Rebellen zu stoßen. Wenn er das nicht tun würde, würde man ihn töten. Er habe daher Angst um sein Leben gehabt und sich zum Freund seines Vaters begeben, welcher ihm schließlich zur Flucht geraten habe. Die ULIMO habe mit dem Beschwerdeführer insofern Kontakt aufgenommen, als sie an seinem Hause angeläutet habe, er habe aber die Türe nicht geöffnet und sei am nächsten Tag zum Freund seines Vaters gegangen. Als er wieder zurückgekommen sei, sei seine Tür rot angestrichen gewesen und vor seiner Tür sei ein Brief gelegen, in dem gestanden sei, dass er erwachsen genug sei und zu den Rebellen kommen müsse. Dies sei im März 1996 geschehen.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 11. Oktober 1996 den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab und schloss die aufschiebende Wirkung der Berufung gemäß § 64 Abs. 2 AVG aus. Dies wurde einerseits mit der mangelnden Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers begründet, andererseits damit, dass auch im Falle des Zutreffens der Angaben des Beschwerdeführers diese nicht geeignet wären, zur Gewährung von Asyl zu führen. Es sei keine individuell konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungsmotivation des Staates aus seiner Fluchtgeschichte ableitbar. Die angeblich gegen ihn gerichtete Maßnahme richte sich auch gegen einen Großteil der übrigen Bevölkerung des Heimatlandes des Beschwerdeführers, weshalb von einer konkret gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung nicht ausgegangen werden könne. Eine derartige Handlung könne nur als Folge eines Bürgerkrieges eingestuft werden. Dieser allein sei allerdings noch kein Grund, darin gegen den Asylwerber selbst eine konkret gerichtete Verfolgungshandlung zu erblicken. Schließlich sei der Beschwerdeführer auch bereits in Italien vor Verfolgung sicher gewesen.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er zur Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz Stellung nahm und die aufgezeigten Widersprüche hinsichtlich seiner Ausführungen zu entkräften versuchte. Er führte diese Widersprüche auf mangelnde Nachfrage durch die Behörde erster Instanz, auf Unterbrechungen durch den einvernehmenden Beamten und auf eine ungenaue Übersetzung seiner Angaben durch den Dolmetscher zurück. Schließlich seien ihm diese angeblichen Widersprüche auch nicht mit der Gelegenheit, sie aufzuklären, vorgehalten worden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab, wobei sie sich hinsichtlich des vorgebrachten Fluchtgrundes der von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Beweiswürdigung vollinhaltlich anschloss und die entsprechenden Passagen dieses Bescheides zum Bestandteil des gegenständlichen Bescheides erklärte. Den Berufungsausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Übersetzungsfehler wurde entgegen gehalten, dass ihm der Inhalt der Niederschrift von der Dolmetscherin zur Kenntnis gebracht worden sei und er dieser nichts mehr hinzuzufügen gehabt habe, was auch durch seine Unterschrift bestätigt worden sei, sodass Verständigungsschwierigkeiten und Fehlleistungen im Rahmen der Übersetzung jedenfalls ausgeschlossen werden könnten. Der mit § 14 AVG konform aufgenommenen Niederschrift sei nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer in seinem Bestreben, etwaige Missverständnisse aufzuklären "durch ständiges Unterbrechen behindert worden wäre", habe er doch anlässlich der Beendigung seiner Befragung ausdrücklich erklärt, der Niederschrift nichts mehr hinzufügen zu wollen. Damit gehe aber auch das Argument, die erstinstanzliche Behörde hätte ihr Ermittlungspflicht verletzt, ins Leere. Dem vom Beschwerdeführer erstatteten Vorbringen könne daher keine Glaubwürdigkeit beigemessen werden.

Der Vollständigkeit halber werde angemerkt, dass es dem Beschwerdeführer auch bei gegenteiliger Beweiswürdigung nicht gelungen wäre, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr darzutun, werde doch für die Asylgewährung eine dem Heimatstaat zurechenbare Verfolgungshandlung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung vorausgesetzt. Der Beschwerdeführer habe aber auch nicht ansatzweise behauptet, aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) aufgezählten Grund verfolgt worden zu sein, er sei vielmehr von der Rebellengruppe mit der Begründung, er sei nunmehr erwachsen genug, aufgefordert worden, sich dieser anzuschließen. Das Auswahlkriterium der Rebellen liege daher nicht in einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Grund, sondern ausschließlich im Alter und der Geschlechtszugehörigkeit des Beschwerdeführers.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1997 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden. Deshalb finden für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten - insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG - Anwendung, sofern im AsylG oder in einem anderen Gesetz keine spezielle Bestimmung normiert ist. Im AsylG findet sich zu § 67d AVG keine spezielle Regelung. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG hat der unabhängige Bundesasylsenat § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat (nur) dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegen stehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird.

In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer zu den im Rahmen der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes dargestellten Widersprüchen Stellung genommen und versucht, diese Widersprüche zu erklären. Dem Berufungsvorbringen kann entnommen werden, dass der Beschwerdeführer seiner Meinung nach in der Lage sei, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung jene Bedenken, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprechen, durch Klarstellungen auszuräumen und damit die relevante Beweisgrundlage zu verbreitern. Die belangte Behörde hätte sich in Anbetracht dieses Vorbringens nicht bloß auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung anhand der Aktenlage beschränken dürfen, sondern hätte den Beschwerdeführer im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu den Punkten, auf die sie die mangelnde Glaubwürdigkeit des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers stützt, vernehmen müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2000, Zl. 98/20/0504).

Im Rahmen dieser mündlichen Verhandlung hätte sich die belangte Behörde darüber hinaus mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Protokollierung anlässlich der Ersteinvernahme auseinander setzen und insbesondere klarstellen müssen, ob die Übersetzung des Dolmetschers jene Ungenauigkeiten aufgewiesen hat, auf die der Beschwerdeführer in seiner Berufung zu sprechen kommt. Entgegen der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretenen Ansicht kann einem nicht begründungslosen Vorwurf eines Beschwerdeführers, es sei ein Fehler bei der Übersetzung unterlaufen, in der Regel nicht mit einem bloßen Verweis auf § 15 AVG begegnet werden. Die behauptete mangelhafte bzw. missverständliche Übersetzung einzelner (für die Beweiswürdigung aber wesentlicher) Worte ins Deutsche, die vom Beschwerdeführer anlässlich der Einvernahme und der Rückübersetzung selbst nicht habe bemerkt werden können, schloss möglicherweise das Verständnis für die Bedeutung der Unterfertigung der Verhandlungsschrift, insbesondere der Passage, wonach er derselbigen nichts mehr hinzuzufügen habe, aus (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. November 1996, Zl. 95/20/0570, und vom 2. Juli 1998, Zl. 96/20/0176).

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid somit mit Verfahrensmängeln belastet, die allerdings nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen, wenn nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei ihrer Vermeidung zu einem anders lautenden Bescheid gekommen wäre. Diese Relevanz der Verfahrensmängel liegt im gegenständlichen Fall vor, weil auch die von der belangten Behörde getroffene Alternativbegründung (für den Fall der Glaubwürdigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers) einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält.

Folgt man nämlich den Angaben des Beschwerdeführers, so wäre es möglich, dass er auf Grund der Nichtannahme der an ihn ergangenen Aufforderung, den Rebellen beizutreten, von diesen als "Feind" betrachtet worden wäre und deshalb das selbe Schicksal wie seine Eltern hätte befürchten müssen. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst käme es dann nicht mehr an.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens bezieht sich auf die geltend gemachte Umsatzsteuer, die mit dem pauschalierten Schriftsatzaufwandersatz abgegolten ist.

Wien, am 15. Februar 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999200103.X00

Im RIS seit

24.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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