TE Vwgh Erkenntnis 2002/6/20 99/20/0568

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Veröffentlicht am 20.06.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des S I, geboren am 13. Juni 1967, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Oktober 1999, Zl. 201.573/11-V/13/99, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in Spruchpunkt I wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in Spruchpunkt II wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, beantragte mit Schreiben vom 19. Dezember 1997 die Gewährung von Asyl und führte (nachdem ein die Zurückweisung seines Asylantrages bestätigender Bescheid der belangten Behörde vom 27. Jänner 1998 gemäß § 4 Abs. 5 AsylG außer Kraft getreten war; vgl. dazu den hg. Beschluss vom 2. Juli 1998, Zl. 98/20/0161) in der Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 16. Juni 1998 zu seinen Fluchtgründen wie folgt aus:

Der Beschwerdeführer komme aus der nigerianischen Stadt Ile-Ife und fühle sich, weil sein Vater 40 Jahre dort gelebt habe, dem (gleichnamigen) Yoruba-Stamm Ile-Ife, zugehörig. Der Vater des Beschwerdeführers habe in diesem Stamm eine führende Position inne gehabt und sei bei den Versammlungen zur Frage, ob der Stamm der Modakeke eine eigene Lokalregierung erhalten solle, immer anwesend gewesen. Im Zuge der wegen dieser Frage wieder aufgeflammten Kämpfe zwischen den beiden genannten Stämmen sei der Vater des Beschwerdeführers im September 1997 getötet worden. Wie bereits bei den Kämpfen zuvor, denen viele Menschenleben zum Opfer gefallen seien, sei die Polizei auch bei einem Stammeskonflikt im Jahre 1997 eingeschritten und habe den Beschwerdeführer sowie weitere Angehörige seines Stammes zum Schutz vor den gegnerischen Modakeke auf die Polizeistation in Ile-Ife gebracht. Nachdem Angehörige des gegnerischen Stammes dies herausgefunden hätten, hätten sie im Oktober 1997 auch die Polizeistation angegriffen, woraufhin der Beschwerdeführer mit 15 weiteren Personen nach Lagos gebracht worden sei. Am 22. Oktober 1997 hätten Modakeke allerdings auch die (vom Beschwerdeführer namentlich bezeichnete) Polizeistation in Lagos angegriffen. Bei diesem Anschlag seien zwei Personen ums Leben gekommen. Der Beschwerdeführer sei rechtzeitig in die Wohnung eines Militärangehörigen gebracht worden, der ihm zur Flucht geraten habe. Die Modakeke hätten die Familien jener liquidieren wollen, die in den Versammlungen die Gründung ihrer Lokalregierung verhindert hätten. Auch wenn die Regierung in Nigeria alles daran setze, um den Beschwerdeführer und die betroffenen Angehörigen seines Stammes zu schützen, würden die Modakeke nicht aufhören, sie zu bekämpfen und den Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr töten. Über weiteres Befragen schilderte der Beschwerdeführer Details des Überfalls auf die Polizeistation in Lagos und gab auf Vorhalt an, er wäre auch in Benin-City vor den Angehörigen der Modakeke nicht in Sicherheit, hätten diese doch sogar die Polizeistation in Lagos angegriffen.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. Juni 1998 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt. Nach der Begründung dieses Bescheides ging die Erstbehörde, im Wesentlichen unter Zugrundelegung der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers, von dessen Verfolgungssicherheit in anderen Teilen Nigerias, so vor allem in Städten, aus. In Bezug auf den behaupteten Überfall auf die Polizeistation in Lagos gab die Behörde erster Instanz zunächst die Vorhalte während der Einvernahme wieder, wonach dieser Teil des Vorbringens unglaubwürdig sei. In den "Feststellungen" wurde auf den Überfall in Lagos nicht Bezug genommen, dem Beschwerdeführer aber entgegen gehalten, dass seinen "Angaben zu entnehmen" sei, dass der Staat ihn zu schützen versuche. In der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes wurde davon ausgegangen, einen "weiteren Angriff der Modakeke" habe "offensichtlich die Polizei in Lagos erfolgreich abwehren" können.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I) und stellte gemäß § 8 AsylG erneut die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria fest (Spruchpunkt II). Begründend ging die belangte Behörde von den Angaben des Beschwerdeführers über dessen Herkunft und die geschilderten Stammeskämpfe aus und stellte im angefochtenen Bescheid ausdrücklich fest, dass dem Beschwerdeführer in seiner Heimatstadt Ile-Ife ausreichender Schutz durch die Behörden nicht habe gewährt werden können, sodass dieser nach Lagos überstellt worden sei. Hingegen könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer auch in seiner neuen Zufluchtstätte in der Polizeistation von Lagos von Mitgliedern des Stammes der Modakeke angegriffen worden sei. Diese Negativ-Feststellung begründete die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung damit, dass der Beschwerdeführer durch Fernbleiben von der anberaumten Berufungsverhandlung die Gelegenheit verabsäumt habe, das bezughabende Vorbringen in einem glaubhaften Licht erscheinen zu lassen. Die belangte Behörde müsse daher von der Unglaubwürdigkeit des "nach der allgemeinen Erfahrung der Umstände und Gegebenheiten im Heimatstaat des Berufungswerbers wenig plausiblen Vorbringens" ausgehen, zumal keine weiteren Anhaltspunkte für eine "Neubewertung" der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringensteils geboten sei.

Hinsichtlich der politischen Situation in Nigeria stellte die belangte Behörde die "fortschreitende Demokratisierung des Landes" durch die Wahl General Obasanjos zum Präsidenten am 27. Februar 1999 und durch die Übergabe der Macht an zivile Behörden fest. Nach einem Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 20. April 1999 komme es aber in Nigeria nicht selten zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Stämmen, so auch zwischen Ife und Modakeke, mit Hunderten von Toten. Die Regierung habe "- weitgehend erfolglos -" versucht, zu schlichten und die Streitparteien durch Einsatz von Militär zu trennen. So hätten "anhaltende Auseinandersetzungen zwischen den Ife und den Modakeke seit dem Sommer 1997" Dutzende von Menschenleben gefordert. Trotz "massiver Militärpräsenz" unter anderem in der Heimatregion des Beschwerdeführers sei daher zuzugestehen, dass die staatlichen Behörden in der betreffenden Region offenbar nicht hinlänglich in der Lage seien, Individuen vor Übergriffen seitens Angehöriger von verfeindeten Stämmen oder ethnischen Gruppierungen lückenlos zu schützen. Im Weiteren vertrat die belangte Behörde angesichts der Angaben des Beschwerdeführers, auch Soldaten der Bundesregierung seien gekommen, um den Kämpfen ein Ende zu setzen, die Ansicht, der Beschwerdeführer könne in seinem Heimatstaat "polizeilichen Schutzwillen" vorfinden, sodass ihm vor dem Hintergrund, dass er überregionale Auswirkungen des Konfliktes seines Stammes nicht habe glaubhaft machen können, in von seiner Heimatregion weiter entfernten Gebieten Nigerias "jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht". Der belangten Behörde erscheine es äußerst unwahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer etwa in Lagos von Angehörigen der Volksgruppe der Modakeke ausfindig gemacht werden könnte. Gegenteiliges habe er jedenfalls durch sein Fernbleiben von der Berufungsverhandlung nicht darzulegen vermocht. Im Hinblick auf die grundlegenden politischen Veränderungen in Nigeria, die bereits ein "hohes Maß an Stabilität" erreicht hätten, sei von der "günstigen Prognose, gegebenenfalls seitens der staatlichen Behörden vor allfälliger Verfolgung von Seiten Privater Schutz zu erhalten" auszugehen.

Ihre Entscheidung nach § 8 AsylG über die Nichtgewährung von Abschiebeschutz begründete die belangte Behörde nahezu ausschließlich durch Aneinanderreihung von Rechtssätzen, wie etwa jenem, dass § 57 FrG voraussetze, dass die dort umschriebene Gefahr für den Fremden vom Staat ausgehe. Dies sei dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde führt unter dem Gesichtspunkt eines Verfahrensmangels ins Treffen, die belangte Behörde habe Ermittlungen darüber verabsäumt, ob die vom Beschwerdeführer (namentlich) genannte Polizeistation in Lagos, wie von ihm behauptet, von Mitgliedern des Stammes der Modakeke angegriffen wurde. Nach dem angefochtenen Bescheid bleibe vollkommen unklar, auf Grund welcher Überlegungen der Beschwerdeführer unter anderem in Lagos sicher sei, zumal nicht nur "der Sturm auf die Polizeistation in Lagos", sondern auch die genannten behördlichen Feststellungen zeigten, dass die Behörden seines Heimatstaates nicht fähig seien, ihm Schutz vor Verfolgung zu gewähren.

In ihren Feststellungen folgt die belangte Behörde großteils den Angaben des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe. Wie erwähnt geht sie dabei auch davon aus, der Beschwerdeführer sei mangels ausreichenden Schutzes in seiner Heimatstadt in eine Polizeistation nach Lagos überstellt worden. Nur den Angaben des Beschwerdeführers, Angehörige der Modakeke hätten auch dieses Polizeirevier in Lagos überfallen, versagt die belangte Behörde die Glaubwürdigkeit und begründet dies in ihrer Beweiswürdigung (lediglich) damit, dass das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers "nach der allgemeinen Erfahrung der Umstände und Gegebenheiten im Heimatstaat" wenig plausibel sei. Da sich die belangte Behörde dabei auch mit keinem Wort mit den vom Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt dargelegten Details über den Ablauf des Überfalls auf das Polizeirevier in Lagos auseinander setzte, vermochte sie nicht in schlüssiger Weise darzulegen, weshalb sie gerade diesem Teil der Angaben des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit absprach. Soweit die belangte Behörde mit dem Fehlen von Anhaltspunkten für eine "Neubewertung" der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringensteils auf den Bescheid der Erstbehörde Bezug nimmt, verkennt sie, dass diesem, wie erwähnt, auch die Angaben des Beschwerdeführers über den Überfall auf die Polizeistation in Lagos zugrunde lagen.

Dem aufgezeigten Verfahrensmangel kommt Relevanz zu. Ist nämlich davon auszugehen, dass Angehörige der Modakeke den Beschwerdeführer wegen der führenden (politischen) Position seines Vaters bis in die Hauptstadt Lagos verfolgten und seiner sogar durch einen Überfall auf eine Polizeistation in dieser Stadt, bei dem zwei Menschen getötet wurden, habhaft zu werden versuchten, so kann ohne anders lautende Ermittlungsergebnisse der belangten Behörde nicht davon ausgegangen werden, dass die Verfolgung des Beschwerdeführers durch Private regional begrenzt und der Beschwerdeführer durch staatliche Behörden (in anderen Gebieten Nigerias) ausreichend geschützt sei. Gerade die zitierten Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach staatliche Behörden trotz "massiver Militärpräsenz" nicht in der Lage seien, Individuen vor Übergriffen von Angehörigen verfeindeter Stämme zu schützen, lassen, wie die Beschwerde zutreffend einwendet, die von der belangten Behörde getroffene Beurteilung ohne Weiteres nicht zu.

In ihrer Entscheidung zu § 8 AsylG verkennt die belangte Behörde, dass § 57 FrG das Ausgehen der dort umschriebenen Bedrohung "vom Staat" nicht voraussetzt, wozu auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen ist (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509 mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem zweiten Spruchpunkt wegen der - vorrangig aufzugreifenden - Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG und im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 20. Juni 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999200568.X00

Im RIS seit

26.08.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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