TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/25 2002/01/0176

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Veröffentlicht am 25.05.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2002/01/0178 2002/01/0179 2002/01/0180

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerden 1) des TP, geboren 1953, 2) der MP, geboren 1954, 3) der VP, geboren 1980 und 4) der VP, geboren 1978, alle in Wien, alle vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36/II, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates 1) vom 17. März 2002, Zl. 215.986/17-I/02/02 (hg. Zl. 2002/01/0178), 2) vom 18. März 2002, Zl. 215.988/18-I/02/02 (hg. Zl. 2002/01/0176),

3) vom 18. März 2002, Zl. 215.989/15-I/02/02 (hg. Zl. 2002/01/0179), 4) vom 18. März 2002, Zl. 215.990/16- I/02/02 (hg. Zl. 2002/01/0180), jeweils betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die zu den Punkten 1), 3) und 4) genannten angefochtenen Bescheide werden zur Gänze und der zu Punkt 2) genannte angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des angefochtenen Spruchpunktes I wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991,20, insgesamt sohin EUR 3.964,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer, seine Ehefrau (die Zweitbeschwerdeführerin) und deren volljährige Töchter (die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen) sind Staatsangehörige von Serbien und Montenegro (ehemals Bundesrepublik Jugoslawien), stammen aus dem Kosovo, gehören der albanischen Volksgruppe an und sind Angehörige der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft. Sie reisten am 4. Juni 1999 gemeinsam mit drei weiteren minderjährigen Kindern der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien in das Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag Asylanträge.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 6. März 2000 wurden die Asylanträge der beschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 AsylG festgestellt, deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach Jugoslawien, in das Gebiet Kosovo" sei zulässig (Spruchpunkt II).

Gegen diese Bescheide erhoben die beschwerdeführenden Parteien Berufung. In einer Stellungnahme vom 5. Juli 2000 konkretisierten und ergänzten sie ihr Berufungsvorbringen dahin, der Erstbeschwerdeführer habe sich Mitte Februar 1999 geweigert, von der UCK Uniform und Waffen anzunehmen. Im Falle seiner Rückkehr in den Kosovo hätten er und auch seine Familie Rache durch die UCK zu befürchten, weil er nicht an der Verteidigung des Landes teilgenommen habe. Es sei in der "dörflichen Gegend ... offenkundig, wer diejenigen sind, die sich gegen die UCK gestellt haben. Oft haben wir schon von solchen Ermordungen gehört. Auch ein Verwandter unserer Familie wurde vor einiger Zeit aus diesem Grund erschossen." Als Angehörige des katholischen Glaubens würden der Erstbeschwerdeführer und seine Familie zu Verbündeten der Serben "gestempelt". Sein Sohn und seine Schwiegertochter hätten vor kurzem Meje besucht und von Nachbarn Vorwürfe und Warnungen gehört, dass sie "nicht für den Kosovo wären", weil sie Katholiken seien; die Familie solle nicht an Rückkehr denken. Der Sohn und die Schwiegertochter wären mit Hass und Ablehnung konfrontiert gewesen und hätten auch vernommen, dass der Kosovo ein islamisches Land sein werde und die Katholiken dann sowieso von dort vertrieben werden würden. Viele Verwandte und Bekannte der beschwerdeführenden Parteien würden sich nicht mehr auf die Straße oder in die Stadt wagen, aus Angst, ihnen könne etwas zustoßen. Erst vor wenigen Tagen sei in einem Nachbardorf wieder ein Christ erschossen worden.

Die belangte Behörde führte zwei mündliche Berufungsverhandlungen durch. In der Verhandlung am 6. Juli 2000 gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe durch einen Cousin erfahren, dass er vor etwa drei Wochen von der UCK im Kosovo gesucht worden sei. Als Katholik gehöre der Erstbeschwerdeführer in seinem Dorf einer Minderheit an. Er werde gehasst, weil er keine Waffe getragen habe, und könne daher nicht in den Kosovo zurückkehren. Zur Lage in seinem Heimatort im Kosovo wies der Erstbeschwerdeführer auch auf einen Fernsehbericht in der ORF-Sendung "Thema" am 21. Juni 2000 hin, in der von der Zerstörung seines Hauses in Meje berichtet worden sei. Sein Sohn und seine Schwiegertochter sowie die "Moderatorin dieses Beitrages" wären bei den Filmaufnahmen im Heimatort selbst anwesend gewesen und könnten das von ihm Geschilderte bezeugen. Ein Cousin des Erstbeschwerdeführers sei "vor etwa drei Wochen" von der UCK ermordet worden. Zum Vorhalt, er habe die Verfolgung durch die UCK bei seiner erstinstanzlichen Einvernahme am 9. September 1999 noch nicht angegeben, erklärte der Erstbeschwerdeführer, er habe befürchtet, seine Aussage könne ihm im Falle seiner Abschiebung Probleme bereiten.

Der folgenden Verhandlung vom 21. August 2001 wurde ein Sachverständiger für die aktuelle politische Lage im Kosovo beigezogen, der ein Gutachten erstellte, das sich u.a. mit der Situation von katholischen Albanern und von Personen, denen Gefahr durch die UCK droht, auseinander setzt. Der Erstbeschwerdeführer gab in dieser Verhandlung zur behaupteten Ermordung seines Cousins an, dieser heiße P.Z. und sei von der UCK wegen seiner Weigerung, für diese zu kämpfen, getötet worden. Der Mord sei nach dem Krieg, etwa Mitte 1999, nach der Rückkehr der Flüchtlinge in den Kosovo geschehen. Der Erstbeschwerdeführer sei kurz nach dem Vorfall durch einen Verwandten in der Schweiz davon informiert worden. Auf den Vorhalt des Widerspruches dieser zeitlichen Angaben zu denen in der Verhandlung vom 6. Juli 2000 und die Frage, warum der Erstbeschwerdeführer den Tod seines Cousins nicht schon in seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2000 angegeben habe, antwortete der Erstbeschwerdeführer: "Mein Cousin wurde gleich nach dem Ende des Krieges ermordet. ... Tatsache ist, dass er bereits Mitte 1999 ermordet wurde."

In einer Stellungnahme vom 24. Oktober 2001 erklärten die beschwerdeführenden Parteien, sie könnten keinen Zeugen für den Tod des P.Z. benennen; der Cousin sei Mitte 2000 ermordet worden. Der Erstbeschwerdeführer und seine Familie hätten drei Wochen vor der Verhandlung am 6. Juli 2000 von ihren Verwandten in der Schweiz von seiner Ermordung erfahren. Der Ermordete sei ebenfalls Christ gewesen und sei von der UCK zum Kampf gegen die Serben aufgefordert worden, was er verweigert habe. Er sei mit seiner Familie nach Albanien geflüchtet und später in den Kosovo zurückgekehrt. Seine Leiche sei im Juni 2000 in einem Wald in der Gegend von Djakovica entdeckt worden. Bei der Aussage des Erstbeschwerdeführers in der vorangegangenen mündlichen Verhandlung habe es sich "offensichtlich um eine Verwechslung" gehandelt.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der erst-, dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I) und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung dieser Parteien in die Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, sei zulässig (Spruchpunkt II). Mit dem die zweitbeschwerdeführende Partei betreffenden angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde deren Berufung zwar ebenfalls in Bezug auf den Asylteil gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I), stellte aber gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien sei nicht zulässig (Spruchpunkt II). Gemäß § 15 AsylG wurde ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17. März 2003 erteilt (Spruchpunkt III).

Die belangte Behörde stellte fest, der letzte Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien sei in Meje gewesen. Das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers zur Ermordung seines Cousins durch die UCK und zu einer "daraus resultierenden Verfolgungsgefahr wegen Blutrache" für ihn und seine Familienangehörigen sei unglaubwürdig. Der Erstbeschwerdeführer habe im Laufe des Verfahrens widersprüchliche Zeitangaben zur Ermordung seines Cousins gemacht. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass der Erstbeschwerdeführer, wenn er schon seit Mitte 1999 vom Tod seines Cousins gewusst und deswegen für sich und seine Familie Verfolgung wegen "Blutrache" gefürchtet hätte, diesen Umstand erst gegen Ende der ersten mündlichen Verhandlung zum ersten Mal angegeben habe. Zwar habe der Erstbeschwerdeführer in seinem bis zu diesem Zeitpunkt erstatteten Berufungsvorbringen auf eine von UCK-Angehörigen ausgehende Gefahr hingewiesen, doch seien diese Ausführungen sehr allgemein gewesen, "ohne dass er vor allem in seinen schriftlichen Parteienvorbringen, nämlich in der Berufungsschrift vom 16.3.2000 sowie in einem weiteren Schreiben vom 5.7.2000, zumindest einen Hinweis bzw. eine Information bezüglich der Ermordung seines Cousins und der daraus resultierenden Verfolgungsgefahr für ihn und seine Familie kund tat". Vor dem Hintergrund der (auf Grundlage des in der Verhandlung vom 21. August 2001 erstatteten Gutachtens) getroffenen Feststellungen zur Situation im Kosovo habe der Erstbeschwerdeführer wegen des im Verfahren "einzig übrig gebliebenen eventuell asylrelevanten Aspektes des römischkatholischen Bekenntnisses mit keiner Verfolgung (mehr) zu rechnen. Andere verfolgungsauslösende Gesichtspunkte, wie insbesondere seine angebliche kritische Haltung und diejenige seines Cousins gegenüber der UCK" habe der Erstbeschwerdeführer nicht glaubhaft machen können. Selbst im Falle der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers würde aber die Weigerung, sich der UCK anzuschließen, nach dem Gutachten des beigezogenen Sachverständigen "heutzutage keine Verfolgung (mehr) begründen". Die beschwerdeführenden Parteien könnten "allenfalls auch den Schutz der internationalen Kräfte im Kosovo in Anspruch nehmen". Eine Gefährdung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG im Falle der Rückkehr in den Kosovo hätten die erst-, dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien nicht glaubhaft machen können und eine Gefährdung der Lebensgrundlage könne "nicht erkannt werden". Hingegen habe die zweitbeschwerdeführende Partei - auf Grund von der belangten Behörde mittels eines psychiatrischneurologischen Gutachtens festgestellter posttraumatischer Belastungsstörungen und der Einschätzung, dass sich der psychische Zustand der zweitbeschwerdeführenden Partei im Kosovo mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr stark verschlechtern würde - eine Gefährdung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG glaubhaft machen können.

Über die gegen die angefochtenen Bescheide erhobenen Beschwerden (die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin richtet sich erkennbar nur gegen Spruchpunkt I des sie betreffenden Bescheides) hat der Verwaltungsgerichtshof - wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges gemeinsam - erwogen:

Die belangte Behörde hat festgestellt, dass die beschwerdeführenden Parteien römisch-katholischen Glaubens sind. Das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers zur Ermordung seines Cousins und zu einer Bedrohung durch die UCK wurde ebenso als unglaubwürdig gewertet wie eine "angebliche kritische Haltung" des Erstbeschwerdeführers und seines Cousins gegenüber der UCK. Zur konkreten Situation, die die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in ihren Heimatort dort zu erwarten hätten, hat die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen.

Die belangte Behörde hat im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, dass der behauptete Mord am Cousin des Erstbeschwerdeführers einen "zentralen Punkt" im Vorbringen des Erstbeschwerdeführers dargestellt habe, und hat daher aus der von ihr angenommenen Unglaubwürdigkeit dieses Vorbringensteiles darauf geschlossen, dass eine Verfolgungsgefahr nicht bestehe. Dass das betreffende Vorbringen des Erstbeschwerdeführers nicht glaubhaft wäre, hat die belangte Behörde jedoch nicht schlüssig begründet. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde im Zusammenhang mit der angeblichen Ermordung des Cousins unberücksichtigt gelassen hat, dass der Erstbeschwerdeführer schon in seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2000 Folgendes angegeben hat:

"In der dörflichen Gegend kennt praktisch jeder jeden beim Namen, somit ist unter der Bevölkerung offenkundig, wer diejenigen sind, die sich gegen die UCK gestellt haben. Oft haben wir schon von solchen Ermordungen gehört. Auch ein Verwandter unserer Familie wurde vor einiger Zeit aus diesem Grund erschossen."

Damit hat der Erstbeschwerdeführer entgegen den Ausführungen der belangten Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung schon vor der mündlichen Berufungsverhandlung vorgebracht, dass ein "Verwandter", weil er sich "gegen die UCK gestellt" habe, erschossen worden sei. In der Verhandlung vom 6. Juli 2000 gab der Erstbeschwerdeführer näher an, ein Cousin sei etwa drei Wochen zuvor von UCK-Mitgliedern umgebracht worden. In Bezug auf dessen Todeszeitpunkt wurde schließlich in der Stellungnahme vom 24. Oktober 2001 ein weiteres Mal ein mit dem erwähnten Vorbringen übereinstimmender Zeitpunkt (Juni 2000) angegeben. Die belangte Behörde hat sich im Rahmen ihrer Beweiswürdigung nicht bzw. unvollständig mit den erwähnten Angaben des Erstbeschwerdeführers in seinen Stellungnahmen vom 5. Juli 2000 und vom 24. Oktober 2001 auseinander gesetzt. Dabei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass der Erstbeschwerdeführer bei seiner Vernehmung in der Verhandlung vom 21. August 2001 den Todeszeitpunkt des Cousins mit "Mitte des Jahres 1999, nachdem die Flüchtlinge begonnen haben zurückzukehren" angab, obwohl der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie damals (im Juni 1999) gerade erst aus dem Kosovo geflüchtet war. Ihre Feststellungen in Bezug auf die Ermordung des Cousins hat die belangte Behörde daher nicht schlüssig begründet.

Indem die belangte Behörde weiter ausgeführt hat, dass der Erstbeschwerdeführer eine aus der behaupteten Ermordung des Cousins abzuleitende Verfolgung wegen "Blutrache" behauptet habe, hat die belangte Behörde auch verkannt, dass der Erstbeschwerdeführer eine Verfolgungsgefahr wegen "Blutrache" im gesamten Verfahren - den vorgelegten Akten zufolge - nie behauptet hat. "Blutrache" wurde vielmehr erstmals in der Verhandlung vom 21. August 2001 durch den anwesenden Sachverständigen zur Sprache gebracht und in der Folge in zwei Fragen des Verhandlungsleiters aufgegriffen. Die Ermordung des Cousins wurde vom Erstbeschwerdeführer hingegen erkennbar nicht wegen einer gerade deshalb dem Erstbeschwerdeführer als Verwandtem des Ermordeten drohenden Gefahr als eigener Fluchtgrund geltend gemacht, sondern sollte offenbar (nur) veranschaulichen, was dem Erstbeschwerdeführer als Angehörigem der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft, der sich ebenso wie sein Cousin geweigert hatte, für die UCK zu kämpfen, geschehen könne.

Was die Eventualbegründung der belangten Behörde anlangt, so hat sie nicht nachvollziehbar begründet, warum sie in den angefochtenen Bescheiden wiederholt annahm, die beschwerdeführenden Parteien könnten "allenfalls auch den Schutz der internationalen Kräfte im Kosovo in Anspruch nehmen". Die belangte Behörde begibt sich damit in Widerspruch zu dem in der Berufungsverhandlung am 21. August 2001 erstatteten Gutachten des Sachverständigen, dem zu entnehmen ist, dass "die UNMIK bzw. KFOR (...) nicht wirklich in der Lage sind, effektiven Schutz, speziell Angehörigen von Minderheiten, zu gewähren" und dass "zu den gefährdeten Personenkreisen außerdem diejenigen (zählen), denen man eine Kollaboration vorwirft".

In Bezug auf das Gutachten ist auch festzuhalten, dass der Sachverständige dem an ihn gestellten Auftrag der belangten Behörde, die "Situation der BW" (der beschwerdeführenden Parteien) zu beurteilen, nicht vollständig nachgekommen ist, indem er sich zwar ausführlich mit der allgemeinen Situation im Kosovo auseinander setzte, aber beispielsweise nicht darauf einging, dass es sich bei dem der katholischen Minderheit im Kosovo angehörenden Erstbeschwerdeführer - sofern man seinem diesbezüglichen Vorbringen folgt - auch um einen "UCK-Verweigerer" handelt, sodass dem Gutachten auch nicht zu entnehmen ist, ob durch die Kombination dieser Umstände im konkreten Fall eine asylrelevante Verfolgungsgefahr begründet werden konnte.

Dazu kommt noch, dass in der Niederschrift zur Verhandlung vom 6. Juli 2000 vom Verhandlungsleiter festgestellt wurde, dass auf Grund eines Computergebrechens das "ausführliche und aus seiner Sicht auch glaubwürdig wirkende Vorbringen" des Erstbeschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen oder sonstigen Rückkehrhindernissen nach der Wiederinbetriebnahme des Computers nicht mehr gespeichert gewesen sei; da sich das Vorbringen inhaltlich mit den Ausführungen im Schreiben vom 5. Juli 2000 decke, werde auf eine Wiederholung der diesbezüglichen Ausführungen in der Verhandlung verzichtet und der Inhalt des Schreibens auch zum Inhalt der Niederschrift erklärt. Durch diese Vorgehensweise wurde u.a. auch das Vorbringen, der Sohn und die Schwiegertochter des Erstbeschwerdeführers hätten im Rahmen der Dreharbeiten für den genannten Fernsehbericht Meje besucht und von Nachbarn Vorwürfe und Warnungen vernommen, dass sie "nicht für den Kosovo wären", da sie Katholiken seien, und die Familie nicht an Rückkehr denken solle, sowie dass der Kosovo ein islamisches Land sein werde und die Katholiken dann sowieso von dort vertrieben werden würden, Bestandteil der Niederschrift vom 6. Juli 2000, ohne dass die belangte Behörde dieses auch vom Sachverständigen nicht behandelte Vorbringen in der Folge einer Würdigung unterzogen hätte. Hätte die belangte Behörde zusätzlich zu den Ausführungen des Sachverständigen (der erwähnte, dass konkrete Zwischenfälle, die katholische Kosovo-Albaner betroffen hätten, in einem Bericht aus dem November 1999 angeführt worden seien; weitere Berichte darüber lägen zwar nicht vor, es werde aber auch in anderen Berichten "allgemein auf eine Bedrohungssituation" für diese Gruppe hingewiesen) die vom Erstbeschwerdeführer angeführten Erlebnisse seines Sohnes bei dessen Aufenthalt im Heimatort und den aktuellen Fernsehbericht des ORF über diesen Ort berücksichtigt, auf den der Erstbeschwerdeführer zum Beweis für die dortige Situation hingewiesen hat, so ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde zu dem Schluss gekommen wäre, dass der Erstbeschwerdeführer, der als Katholik in seinem Dorf einer Minderheit angehört, aus diesem Grund sowie deswegen, weil er sich nicht der UCK angeschlossen hatte, in seinem Heimatort asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte und es ihm unter diesen Umständen nicht möglich wäre, sein zerstörtes Haus in diesem Ort wieder aufzubauen. Da bei Bejahung der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung des Erstbeschwerdeführers aus den erwähnten Gründen auch das Bestehen einer Verfolgungsgefahr für dessen Familie nicht auszuschließen ist, schlagen die erwähnten Begründungsmängel auf sämtliche angefochtenen Bescheide durch.

Schließlich stellt es auch einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, dass weder das Bundesasylamt noch die belangte Behörde die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien zu ihren Fluchtgründen einvernommen haben und sich die Behörden mit der Einvernahme des Erstbeschwerdeführers zu den Fluchtgründen begnügten, dies obwohl von der belangten Behörde nach deren Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung ein vom Verhandlungsleiter wahrgenommener Gegensatz zwischen dem "betont sorgenvollen Vorbringen" des Erstbeschwerdeführers und dem Verhalten seiner Töchter, welche "auffallend unbeschwert" gewirkt und den Eindruck vermittelt hätten, dass sie das angeblich drohende Schicksal im Kosovo nicht beträfe, zur Beurteilung der (mangelnden) Glaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers herangezogen wurde. Wenn es in den die erwachsenen weiblichen Familienmitglieder, nämlich die Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen, betreffenden Bescheiden der belangten Behörde jeweils heißt, der Erstbeschwerdeführer habe für sie gesprochen, weil er sich "offensichtlich ... als Oberhaupt der Familie sieht", so ist dies - jedenfalls ohne ausdrücklichen Verzicht der Asylwerberinnen - kein Grund für eine Unterlassung ihrer Einvernahme zu den Fluchtgründen. Dass sie im Sinne des § 27 Abs. 1 zweiter Satz AsylG "nicht in der Lage" gewesen wären, "durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen", geht aus den Ausführungen der belangten Behörde nicht hervor.

Die angefochtenen Bescheide waren aus den dargelegten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 25. Mai 2004

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002010176.X00

Im RIS seit

08.07.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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