TE Vfgh Erkenntnis 2000/12/1 B593/99 ua

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Veröffentlicht am 01.12.2000
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art87 Abs2
AVG §68
AVG §69
AVG §73
EGVG ArtII
RechtsanwaltsprüfungsG §6
RechtsanwaltsprüfungsG §8

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Entscheidungen der OBDK über einen Devolutionsantrag und eine Berufung in Verfahren betreffend Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung; keine Anwendung der Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetze auf die vorliegende Justizverwaltungsangelegenheit; Rechtsmittel nach dem RechtsanwaltsprüfungsG nur für den Fall der Nichtzulassung zur Rechtsanwaltsprüfung vorgesehen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 41.000,- bestimmten Prozeßkosten zu Handen seiner Vertreter innerhalb von 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 30. Oktober 1998, Z Bkv 4/98, wurde der Devolutionsantrag des Beschwerdeführers betreffend seinen Antrag auf Aufhebung des Bescheides des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien als Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission über die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung abgewiesen (B593/99).

1.2. Der Bescheid geht von folgendem Sachverhalt aus:

"Der Antragsteller wurde mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien (als Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission bei dem genannten Oberlandesgericht) vom 9. August 1996 zur Rechtsanwaltsprüfung zugelassen. Nachdem er die Prüfung nicht bestanden hatte, beantragte er, zur Wiederholungsprüfung beim Oberlandesgericht Innsbruck zugelassen zu werden, worauf er mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 20. Jänner 1997 zur Wiederholungsprüfung bei diesem Gericht zugelassen wurde. Auch die Wiederholungsprüfung hat der Antragsteller nicht bestanden.

Bei der Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung ebenso wie zur Wiederholungsprüfung wurde jeweils davon ausgegangen, daß der Antragsteller die Gerichtspraxis in der Dauer von neun Monaten im Sprengel des Oberlandesgerichtes Linz absolviert hat. Aufgrund des Schreibens des Präsidiums des Oberlandesgerichtes Linz vom 13. August 1997 (als Antwort auf eine diesbezügliche Anfrage des Antragstellers und nunmehrigen Beschwerdeführers vom 8. August 1997) erfuhr der Antragsteller jedoch, daß er die Gerichtspraxis nur in der Gesamtdauer von 8 Monaten und 28 Tagen abgeleistet habe.

Daraufhin beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgerichtshof die Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung (je) einer Beschwerde gegen die Bescheide, mit welchen er von den Präsidenten der Oberlandesgerichte Wien und Innsbruck zur Rechtsanwaltsprüfung zugelassen wurde, weil er erst durch das Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidiums Linz vom 13. August 1997 erfahren habe, daß die Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung nicht vorgelegen haben; zugleich erhob er Beschwerde gegen die Bescheide über seine Zulassung zur Prüfung. Weiters stellte er beim Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien am 25. August 1997 den Antrag auf Aufhebung des Zulassungsbescheides vom 9. August 1996 gemäß §68 Abs2 AVG (in eventu wegen Nichtigkeit gemäß §68 Abs4 litd AVG) und eventualiter auf Wiederaufnahme des Zulassungsverfahrens gemäß §69 AVG mit der Begründung, daß seine Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung mangels Erfüllung einer mindestens neunmonatigen Gerichtspraxis (§2 Abs1 RAPG) gesetzwidrig erfolgt sei, wovon er erst im August 1997 erfahren habe.

Der zuletzt erwähnte Antrag langte am 26. August 1997 beim Präsidium des Oberlandesgerichtes Wien ein. Ehe hierüber noch entschieden wurde, ersuchte der Verwaltungsgerichtshof mit Schreiben vom 2. Oktober 1997 im Hinblick auf den vom Antragsteller dort eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Zulassungsbescheide um Vorlage der den Antragsteller betreffenden Akten des Zulassungsverfahrens, worauf der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien mit Schreiben vom 27. November 1997 sowohl seinen Zulassungsakt Pers 2-0-228 als auch die Akten 2-0-52 des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz und Jv 610-4B/90 des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck samt einer Stellungnahme dem Verwaltungsgerichtshof vorlegte. Der Akt Pers 2-0-228 ist erst im Juli 1998 vom Verwaltungsgerichtshof im kurzen Weg wieder dem Präsidium des Oberlandesgerichtes Wien zurückgestellt worden (Schreiben des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 31. Juli 1998 anläßlich der Übermittlung des Akts an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission).

Mit Erkenntnis vom 5. Juni 1998, Zlen 97/19/1530 bis 1533, hat der Verwaltungsgerichtshof die Anträge des (es folgt der Name des Beschwerdeführers) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen und die Beschwerden des Genannten zurückgewiesen.

Nach Einlangen des Devolutionsantrages teilte der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien aufgrund einer Anfrage der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission mit Schreiben vom 10. April 1998 mit, daß der Zulassungsakt am 27. November 1997 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt werden mußte und daß über die Anträge des (es folgt der Name des Beschwerdeführers) zur Zeit nicht entschieden werden kann, weil sich die Akten beim Verwaltungsgerichtshof befinden und es davon abgesehen zweckmäßig erscheint, die Entscheidung des Gerichtshofes abzuwarten, zumal - ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers - weder ein Anlaß für ein Vorgehen nach §68 AVG noch für eine Wiederaufnahme nach §69 AVG bestehe."

2.1. Mit Bescheid der OBDK vom 25. März 1999, Z Bkv 9/97, wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission, Z Jv 2696-9C/96-7, betreffend die amtswegige Aufhebung des (rechtskräftigen) Zulassungsbescheides zur Wiederholungsprüfung und Wiederaufnahme des Verfahrens keine Folge gegeben (B1032/99).

2.2. Die OBDK geht dabei von folgendem Sachverhalt aus:

"Mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 20. Jänner 1997 wurde der Berufungswerber zur Rechtsanwalts-(Wiederholungs-)prüfung beim Oberlandesgericht Innsbruck zugelassen. Am 3., 4., 5. und 24. März 1997 absolvierte der Berufungswerber diese Prüfung mit dem Ergebnis 'nicht bestanden'. Am 26. August 1997 hat der Berufungswerber gegen den vorerwähnten Bescheid vom 20. Jänner 1997 Berufung erhoben und diese wie folgt begründet: Voraussetzung für die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung sei u.a. eine mindestens 9-monatige Gerichtspraxis im Inland. Diese Voraussetzung sei bei Erlassung des Bescheides vom 20. Jänner 1997 nicht gegeben gewesen, weil der Berufungswerber laut einer Mitteilung des Oberlandesgerichtes Linz vom 13. August 1997 (als Antwort auf eine diesbezügliche Anfrage des Berufungswerbers und nunmehrigen Beschwerdeführers vom 8. August 1997), die ihm am 18. August 1997 zugestellt worden sei, nur 8 Monate und 28 Tage Gerichtspraxis, sohin 2 Tage zu wenig, absolviert hätte. Der Berufungswerber beantragte, den Bescheid vom 20. Jänner 1997 gemäß §68 Abs2, in eventu Abs4 litd AVG von Amts wegen zu beheben, die Rechtsanwaltsprüfung zu annullieren und deren Kosten zu refundieren.

Der Berufungswerber beantragte weiters in eventu die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §69 AVG, weil durch die vorerwähnte Mitteilung des Oberlandesgerichtes Linz vom 13. August 1997 neue Tatsachen hervorgekommen seien, die ohne sein Verschulden im Verfahren nicht geltend gemacht werden konnten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 22. September 1997 hat der Präsident des Oberlandesgerichtes Innsbruck den Antrag des Berufungswerbers, den Bescheid vom 20. Jänner 1997 von Amts wegen aufzuheben, zurückgewiesen und den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgewiesen.

Im angefochtenen Bescheid wird zunächst festgestellt, daß der Berufungswerber im Rahmen des Zulassungsverfahrens beim Oberlandesgericht Innsbruck eine Amtsbestätigung des Oberlandesgerichtes Linz vom 14. Oktober 1991 vorgelegt habe, in welcher die Zeiten seiner Gerichtspraxis angeführt sind. In einem den Zulassungsbescheid vorbereitenden Aktenvermerk werden als gesamtanrechenbare Praxis 3 Jahre, 8 Monate und 28 Tage angegeben, wovon 3 Jahre auf die Praxis in Rechtsanwaltskanzleien entfallen.

Die Zurückweisung des Antrags auf Behebung des Bescheides gemäß §68 Abs2 AVG wird im wesentlichen damit begründet, daß ... dem Berufungswerber durch die Zulassung zur Wiederholungsprüfung beim Oberlandesgericht Innsbruck ein Recht erwachsen sei, auf das im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (zitiert wird VwSlg. 9872 A/1979 = Erkenntnis vom 28.6.1979, Z151/78) nicht verzichtet werden könne, um zur Anwendbarkeit des §68 Abs2 AVG zu kommen. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Innsbruck sah sich daher nicht veranlaßt, den angefochtenen - den Berufungswerber begünstigenden - Bescheid zu beheben.

Die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird damit begründet, daß die vom Berufungswerber zur Begründung dieses Antrags herangezogene Bestätigung des Oberlandesgerichtes Linz vom 13. August 1997 keine neu hervorgekommene Tatsache im Sinne des §69 Abs1 litb AVG darstellen kann, zumal die Zeiten der Gerichtspraxis des Berufungswerbers im Zulassungsverfahren zur Wiederholungsprüfung beim Oberlandesgericht Innsbruck bereits aktenkundig waren und schon seinerzeit mit 8 Monaten und 28 Tagen berechnet wurden."

3. Gegen diese Bescheide der OBDK richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen jeweils die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsbetätigung, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unverletzlichkeit des Eigentums, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in den durch Art6 Abs1 EMRK gewährleisteten Rechten, in billiger Weise öffentlich von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht gehört zu werden, geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Bescheide begehrt werden.

4. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen -Beschwerden erwogen:

1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes (RAPG), BGBl. 1985/556 idF BGBl. I 1999/71, lauten:

"§2

(1) Die Rechtsanwaltsprüfung kann nach Erlangung des Doktorates der Rechte oder, für Absolventen des Diplomstudiums nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften, des Magisteriums der Rechtswissenschaften und einer praktischen Verwendung im Ausmaß von drei Jahren, hievon mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens zwei Jahre bei einem Rechtsanwalt, abgelegt werden.

(2) Voraussetzung für die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung ist überdies die Teilnahme an den für Rechtsanwaltsanwärter verbindlichen Ausbildungsveranstaltungen.

§3

Die Rechtsanwaltsprüfung ist vor einem Senat der Rechtsanwaltsprüfungskommission abzulegen. Die Rechtsanwaltsprüfungskommissionen bestehen bei den Oberlandesgerichten für den jeweiligen Oberlandesgerichtssprengel. Ihr gehören an der Präsident des Oberlandesgerichts als Präses, der Vizepräsident des Oberlandesgerichts als sein Stellvertreter und als weitere Mitglieder (Prüfungskommissäre) die erforderliche, durch den Präses im Einvernehmen mit den beteiligten Rechtsanwaltskammern zu bestimmende Anzahl von Richtern und die gleiche Anzahl von Rechtsanwälten.

§4

Die Prüfungskommissäre aus dem Kreis der Rechtsanwälte werden von den Plenarversammlungen der beteiligten Rechtsanwaltskammern entsprechend dem Verhältnis ihrer Mitgliederzahl für jeweils fünf Jahre gewählt. Die Prüfungskommissäre aus dem Kreis der Richter werden vom Präsidenten des Oberlandesgerichts im Einvernehmen mit den beteiligten Rechtsanwaltskammern für den gleichen Zeitraum bestellt.

§5

Die Kanzleigeschäfte der Rechtsanwaltsprüfungskommissionen werden von den Oberlandesgerichten geführt.

§6

Über die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung entscheidet auf Antrag des Prüfungswerbers der Präses der Kommission im Einvernehmen mit der Rechtsanwaltskammer, in deren Liste der Prüfungswerber eingetragen ist oder zuletzt war. Auf begründeten Antrag ist die Ablegung der Prüfung vor der Rechtsanwaltsprüfungskommission am Sitz eines anderen Oberlandesgerichts zu bewilligen.

§8

Gegen die Nichtzulassung zur Rechtsanwaltsprüfung steht dem Prüfungswerber das Recht auf Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission zu. §5 a der Rechtsanwaltsordnung ist sinngemäß anzuwenden.

§28

(1) Die Mitglieder der Rechtsanwaltsprüfungskommission, die Aufsichtspersonen und die den Prüfungswerbern beizustellenden Schreibkräfte erhalten für ihre Tätigkeiten Vergütungen.

(2) Die Prüfungswerber haben Prüfungsgebühren (Justizverwaltungsgebühren) zu entrichten.

(3) Die Höhe der Vergütungen und der Prüfungsgebühren im Sinn der Abs1 und 2 ist durch Verordnung des Bundesministers für Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen festzusetzen. Bei der Festsetzung der Höhe der Vergütungen für die Mitglieder der Rechtsanwaltsprüfungskommission, die Aufsichtspersonen und die Schreibkräfte ist auf Art und Umfang ihrer Tätigkeit, bei der Festsetzung der Prüfungsgebühren auf den mit der Vorbereitung und Durchführung der Prüfungen verbundenen Aufwand, insbesondere auch auf die Höhe der Vergütungen, Bedacht zu nehmen."

2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992).

2.1. Zur Frage der Zuständigkeit der OBDK, über den Devolutionsantrag des Beschwerdeführers zu entscheiden (B593/99):

2.1.1. Die belangte Behörde geht aus folgenden Erwägungen von der Anwendbarkeit des §73 Abs2 AVG aus:

"Gemäß ArtII Abs2 Z31 EGVG ist auf das Verfahren der Organe der Körperschaften öffentlichen Rechts, soweit es sich unter anderem um 'gesetzliche berufliche Vertretungen' handelt, das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) grundsätzlich nicht anzuwenden. Dieser Ausschlußgrund trifft auf das Verfahren vor dem Ausschuß einer Rechtsanwaltskammer, mithin in Verwaltungssachen, die das Berufs- und Standesrecht der Rechtsanwälte betrifft, zu (vgl. Hauer/Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens §73 Abs2 AVG ENr 1b). In einem Verfahren betreffend Verfügungen der Organe einer Rechtsanwaltskammer kann demnach mangels Anwendbarkeit des AVG ein Devolutionsantrag gemäß §73 Abs2 leg. cit. nicht gestellt werden, zumal ein solcher Antrag nicht zu jenen Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens zählt, die in der Verwaltung ganz allgemein Anwendung zu finden haben. Die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde kann auch nicht aus der Bestimmung des §5a Abs2 Z3 RAO abgeleitet werden, weil die dort enthaltene Verweisung auf das AVG nur das Rechtsmittelverfahren in jenen Angelegenheiten, in denen gegen Bescheide der Kammerorgane eine Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission vorgesehen ist, betrifft.

Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um ein Verfahren vor Organen einer Rechtsanwaltskammer, sondern um ein Verfahren nach dem Rechtsanwaltsprüfungsgesetz, dessen Vollzug in die Kompetenz des Präsidenten des Oberlandesgerichtes als Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission fällt (§6 iVm §3 RAPG). Der Präses der betreffenden Rechtsanwaltsprüfungskommission hat zwar über die Zulassung eines Kandidaten zur Rechtsanwaltsprüfung im Einvernehmen mit der Rechtsanwaltskammer, in deren Liste der Kandidat eingetragen ist oder zuletzt war, zu entscheiden; dies besagt jedoch nur, daß vor der Entscheidung eine Äußerung der zuständigen Rechtsanwaltskammer einzuholen ist, ohne daß diese dadurch eine Entscheidungskompetenz erlangt (vgl. Bkv 6/91 (hier handelt es sich um ein Fehlzitat. Richtig wohl: OBDK 28.6.1996, Bkv 1/96)). Das Zulassungsverfahren ist daher kein Verfahren vor einem Organ der autonomen Rechtsanwaltskammer, sondern ein staatliches Verfahren vor der bei dem jeweiligen Oberlandesgericht eingerichteten Rechtsanwaltsprüfungskommission. Die Ausschlußbestimmung des ArtII Abs2 Z31 EGVG kommt demnach in einem Verfahren wie dem vorliegenden nicht zum Tragen, sodaß §73 Abs2 AVG in diesem Verfahren grundsätzlich anwendbar ist."

Die belangte Behörde vertritt in weiterer Folge die Rechtsauffassung, daß sie im vorliegenden Fall die "sachlich in Betracht kommende Oberbehörde" gegenüber dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes als Präses der Prüfungskommission iS des §73 AVG sei.

2.1.2. Die belangte Behörde war zur Entscheidung über den Devolutionsantrag nicht zuständig.

2.1.2.1. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß es sich beim Verfahren über die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung vor dem Präsidenten des zuständigen Oberlandesgerichtes um eine Angelegenheit der Justizverwaltung iS des Art87 Abs2 B-VG handelt. Unter Justizverwaltung versteht Art87 Abs2 B-VG eine durch Richter ausgeübte, ihrem Inhalt nach aber nicht der Rechtsprechung zuzuzählende Tätigkeit, bei deren Besorgung diese - je nachdem, ob ein Einzelrichter oder ein Richterkollegium tätig wird - entweder weisungsgebunden sind oder richterliche Unabhängigkeit genießen. Voraussetzung für diese Qualifikation ist überdies, daß die fragliche Tätigkeit zur richterlichen Funktion irgendeinen Bezug hat; sei es, daß sie dem Funktionieren der Gerichtsbarkeit dienen, durch gerichtliche Entscheidungen bedingte Vorkehrungen anderer Organe erleichtern soll oder auf eine andere Art mit richterlicher Tätigkeit im Zusammenhang steht. Ob eine konkrete Aufgabe danach zur Justizverwaltung zu zählen ist, mag in Einzelfällen schwierig zu beantworten sein und es wird in einem solchen Fall auch auf die einfachgesetzliche Rechtslage im Zeitpunkt des Inkrafttretens des B-VG Bedacht zu nehmen sein (VfSlg. 7376/1974).

Daß die Justizverwaltung im Zeitpunkt des Inkrafttretens des B-VG auch die Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare umfaßte und diese Angelegenheiten nach der Geschäftsordnung für die Gerichte erster und zweiter Instanz von 1897 (Verordnung des Justizministers vom 5. Mai 1897, RGBl. 112) zu den "Präsidialsachen (Justizverwaltungssachen)" zählte, wurde bereits im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1979, VfSlg. 8478/1979, dargelegt, sodaß es für die Qualifikation des bescheidmäßigen Abspruchs über die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes als Justizverwaltungssache genügt, auf dieses Erkenntnis zu verweisen (siehe dazu auch Puck, Zur Anwendbarkeit des AVG und zum Instanzenzug im Verfahren vor den Notariatskammern, NZ 1978, 187ff (197); vgl. auch OGH 6.5.1919 R I 58, ZBl. (37) 1919/Nr. 185, OGH 19.5.1988, 7 Ob 551/88).

An diesem Ergebnis vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß nach §6 RAPG 1985 der Präsident des Oberlandesgerichtes als Präses der Prüfungskommission im Einvernehmen mit der Rechtsanwaltskammer, in deren Liste der Prüfungswerber eingetragen ist oder zuletzt war, über die Zulassung zur Prüfung entscheidet.

2.1.2.2. Die Justizverwaltungsbehörden sind nicht zu jenen Behörden zu zählen, die das AVG anzuwenden haben, weil Angelegenheiten der Justizverwaltung in ArtII EGVG nicht angeführt sind (vgl. etwa VwGH 18.3.1988, 87/17/0302, VwGH 8.11.1989, 89/01/0280; weitere Nachweise zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes finden sich in Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, 45 (zu ArtII EGVG), 693 (zu §73 AVG); vgl. auch Puck aaO, 191, 197). Im RAPG findet sich auch keine Bestimmung, die die Anwendung der Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetze auf das Verfahren zur Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung vor dem Präses der Prüfungskommission verfügt. Es ist sohin §73 AVG nicht anzuwenden. Zwar hat eine Behörde in jedem Fall die fundamentalen Grundsätze eines fairen Verfahrens zu beachten (vgl. VfSlg. 10163/1984), dazu gehören jedoch nicht die besonderen Vorschriften des §73 Abs2 AVG zum Übergang der Entscheidungspflicht (vgl. VfSlg. 2967/1956, 3420/1958, 4447/1963, 5081/1965, 10374/1985, 13420/1993, 13527/1993; VwSlg. 2420 A/1952, 8942 A/1975, 12611 A/1988, VwGH 18.3.1988, 87/17/0302, VwGH 8.11.1989, 89/01/0280, VwGH 25.8.1994, 94/19/0243 usw.; Puck, aaO 198), zumal es keine wie immer gearteten Hinweise dafür gibt, daß es sich hier um eine planwidrige - durch Analogie zu schließende - Gesetzeslücke handeln könnte. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen diese Rechtslage aus der Sicht der Beschwerdefälle keine verfassungsrechtlichen Bedenken, und zwar auch nicht unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes (vgl. VfSlg. 13420/1993, 13527/1993 jeweils mit weiteren Hinweisen auf die Rspr.; ebenso Puck, aaO 201).

Der Beschwerdeführer zielte mit seinem auf Übergang der Entscheidungspflicht an die OBDK gerichteten Antrag auf ein behördliches Handeln ab, für das institutionell keine Grundlage besteht. Der Antrag konnte daher keinen Zuständigkeitsübergang bewirken. Die belangte Behörde war sohin schon aus diesem Grund zur Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zuständig. Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. VfSlg. 8891/1980, 12221/1989, 14885/1997).

Der angefochtene Bescheid der OBDK war als verfassungswidrig aufzuheben.

2.2. Zu der zu B1032/99 protokollierten Beschwerde:

2.2.1. Dem Verfahren vor der OBDK lag eine Berufung gegen den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 22. September 1997 zugrunde, mit dem der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens über die Zulassung zur Rechtsanwalts(wiederholungs)prüfung abgewiesen wurde und der Antrag auf Aufhebung des Bescheides nach §68 AVG zurückgewiesen wurde. Die belangte Behörde erklärte die Berufung für zulässig, ohne dies näher zu begründen.

2.2.2. Bei Bescheiden, mit denen Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgewiesen werden, sowie bei Bescheiden, mit denen Anträge auf Aufhebung von Bescheiden nach §68 AVG zurückgewiesen werden, handelt es sich um verfahrensrechtliche Bescheide (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 7. Auflage, Rz 398, 513, 657; zur Qualifikation eines Bescheides, mit dem der Antrag auf Wiederaufnahme iS des §70 Abs3 AVG "abgelehnt" wird als verfahrensrechtlicher Bescheid, vgl. auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes VwSlg. 913 A/1949, VwGH 27.9.1994, 94/07/0035 mwN). Für den Instanzenzug bei verfahrensrechtlichen Bescheiden gilt der Grundsatz, daß sie im allgemeinen denselben Vorschriften unterliegen, die für den Instanzenzug der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Angelegenheit maßgeblich sind (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 7. Auflage, Rz 602 und 513 mwH auf die Rspr., Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I (1998), 1151).

Der Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Präses der Prüfungskommission vom 22. September 1997 unterliegt demnach hinsichtlich des Instanzenzuges den Vorschriften, die für den Instanzenzug im Zulassungsverfahren zu Rechtsanwaltsprüfungen vorgesehen sind.

2.2.3. Gegen einen Bescheid, mit dem ein Rechtsanwaltsanwärter vom Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission zur Rechtsanwaltsprüfung zugelassen wird, ist jedoch kein Rechtsmittel zulässig. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhalt der Bestimmungen der §§8 und 6 RAPG 1985, wonach ein Rechtsmittel an die OBDK explizit nur für den Fall der Nichtzulassung zur Rechtsanwaltsprüfung vorgesehen ist (so auch §4 Abs3 RAO in der Fassung vor Inkrafttreten des RAPG 1985, wo ebenfalls nur für den Fall der Nichtzulassung zur Rechtsanwaltsprüfung ein Rekurs an den Obersten Gerichtshof vorgesehen war).

Da gegen die Entscheidung der Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung kein Rechtszug offen steht, ist im Sinne des unter Punkt II.2.2.2. Gesagten auch gegen die Abweisung des Wiederaufnahmeantrages und gegen die Zurückweisung des Antrages auf Aufhebung des Bescheides kein Rechtsmittel zulässig. Der angefochtene Bescheid wurde daher von einer unzuständigen Behörde erlassen, wodurch der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde.

Der zu B1032/99 protokollierte Bescheid der belangten Behörde war daher als verfassungswidrig aufzuheben (vgl. VfSlg. 4407/1963, 10765/1986).

3. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die Beschwerdevorbringen - die sich gegen verfahrensrechtliche Bescheide richten, sodaß der Beschwerdeführer daher von vornherein in keinem materiellen Recht verletzt sein konnte (VfSlg. 10374/1985, 13211/1992, 13530/1993, 14024/1995, 15239/1998) - im einzelnen einzugehen.

4. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich anläßlich dieser Beschwerden noch zu folgender Erwägung veranlaßt:

Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheiden des Präses der jeweiligen Rechtsanwaltsprüfungskommission vom 9. August 1996 zur Rechtsanwaltsprüfung und vom 20. Jänner 1997 zur Rechtsanwaltswiederholungsprüfung zugelassen. Damit traf die Behörde genau jene verbindliche Entscheidung, die der Beschwerdeführer mit seinen Anträgen auf Zulassung zu diesen Prüfungen erreichen wollte. Wenn der Beschwerdeführer in der Folge mit den Anträgen auf Aufhebung der Bescheide bzw. auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Ergebnis diese Zulassungsbescheide bekämpft, wäre ihm - in Ermangelung des objektiven Interesses an der Beseitigung eines ihn beschwerenden Verwaltungsaktes - bereits in erster Instanz das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses entgegenzuhalten gewesen, was zu einer Zurückweisung dieser Anträge führen hätte müssen.

5.1. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. Von den zuerkannten Kosten entfallen insgesamt S 6.000,- (je S 3.000,-) auf die Umsatzsteuer und insgesamt S 5.000,- (je S 2.500,-) auf die entrichtete Pauschalgebühr.

5.2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, Devolution, Justizverwaltung - Gerichtsbarkeit, Rechtsanwälte, Berufsrecht (Rechtsanwälte), Verwaltungsverfahren, Abänderung und Behebung von amtswegen, Anwendbarkeit AVG, Wiederaufnahme, Berufung, Bescheid verfahrensrechtlicher

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B593.1999

Dokumentnummer

JFT_09998799_99B00593_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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