TE OGH 1951/12/19 3Ob509/51

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Veröffentlicht am 19.12.1951
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Norm

ABGB §934
ABGB §1090
ABGB §1323

Kopf

SZ 24/340

Spruch

Das Rechtsmittel der Verletzung über die Hälfte kann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn die Herstellung des vorigen Standes nicht mehr möglich ist, so bei Bestandverträgen nach Beginn der Bestandzeit.

Entscheidung vom 19. Dezember 1951, 3 Ob 509/51.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Die Kläger begehren als Eigentümer des Hauses Graz, S.gasse 26, die Feststellung, daß die zwischen den Streitteilen am 25. November 1946 bzw. März 1947 abgeschlossenen Mietverträge aufgehoben und die Beklagten schuldig sind, die von ihnen gemieteten Wohnungen zu räumen. Sie behaupten, daß das Haus zu 4/5 durch Bomben zerstört und von ihnen ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel in den Jahren 1946 bis 1948 wieder aufgebaut worden sei. Die Wiederaufbaukosten hätten 210.000 S betragen. In diesem Haus hätten die Erstbeklagte eine Wohnung im ersten Stock, bestehend aus zwei Zimmern, einer Küche und drei Nebenräumen, die Zweitbeklagte im ersten Stock eine Wohnung, bestehend aus zwei Kabinetten, einer Küche und Nebenräumen, zu je 70 S monatlich, einschließlich aller Betriebskosten, gemietet. Der wahre Mietwert dieser Wohnungen betrage aber 233.88 S bzw. 349.19 S unter Berücksichtigung des Zinsendienstes, der Grundsteuer und der Betriebskosten. Es liege daher Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes vor.

Die Beklagten wandten ein, daß sie die Wohnung wohl um 70 S monatlich gemietet hätten, es sei aber vereinbart worden, daß die Klägerinnen das Haus im Rohbau herstellen und die Beklagten die übrigen Herstellungsarbeiten vornehmen lassen würden. Dies sei auch geschehen. Die Beklagten hätten die benützbar gemachten Räume bereits vor Fertigstellung des Rohbaues bezogen. Der Rohbau sei erst im Dezember 1947 fertiggestellt worden. Es sei nur ein nur ein Viertel des Hauses bombenbeschädigt gewesen, weshalb der Zwischenantrag auf Feststellung gestellt wurde, daß diese Wohnungen den Bestimmungen des Mietengesetzes unterliegen. Die Beklagten beriefen sich auf die exceptio doli, da sie bereits im Vertrauen auf die Gültigkeit des Mietvertrages erhebliche Aufwendungen vorgenommen hätten. Da die Verträge über damals noch gar nicht bestandene Sachen abgeschlossen worden wären, lägen Verträge aleatorischen Charakters vor, weshalb die Bestimmung des § 934 ABGB. nicht Platz griff. Durch die fortlaufende Annahme des vereinbarten Zinses hätten die Klägerinnen auf dieses Rechtsmittel verzichtet. Es liege auch objektiv keine Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes vor, weil sich unter Zugrundelegung der Durchschnittskosten eines Kubikmeters umbauten Raumes ein weit niedrigerer Betrag als der begehrte Mietzins ergebe.

Das Erstgericht wies den Zwischenantrag auf Feststellung ab und gab dem Klagebegehren auf Feststellung der Aufhebung der Mietverträge und auf Räumung der Wohnungen Folge, wobei es aussprach, daß sich die Beklagten durch Zahlung von 110.06 S bzw. 91.83 S monatlich seit dem Abschluß der Mietverträge von den urteilsmäßigen Verpflichtungen befreien können. Das Erstgericht hat festgestellt, daß das Haus zu einem Drittel durch Bombenangriff beschädigt worden sei. Auch die von den Beklagten gemieteten, noch stehenden Wohnungsteile seien erheblich beschädigt gewesen. Im März 1947 bzw. November 1946 seien mit den Beklagten Mietverträge mit einem monatlichen Mietzins von 70 S geschlossen worden; es sei vereinbart worden, daß die Klägerinnen den Rohbau des zerstörten Teiles zu errichten hätten und die Beklagten die innere Ausstattung der Räume zu übernehmen hätten. Zur Zeit des Abschlusses der Mietverträge seien drei gassenseitige Räume noch nicht aufgebaut gewesen. Der gesamte Kostenaufwand des Wiederaufbaues des Hauses habe sich auf 207.959.08 S belaufen. Dieser Betrag, reduziert auf März 1947, ergebe 130.483.85 S, auf November 1946 109.806.40 S. Davon hätten die Beklagten 21.260.87 S aufgewendet, das ist reduziert auf März 1947 5733.04 S, auf November 1946 4895.60 S. Der Wert der Wohnung der Erstbeklagten, errechnet aus dem zerstörten und erhalten gebliebenen Wohnraum, belaufe sich für März 1947 auf 32.825 S, der Wert der Wohnung des Zweitbeklagten auf 28.536 S, nach Abzug der Investitionen für die Wohnungen durch die Beklagten für die Erstbeklagte 26.761 S, für den Zweitbeklagten

23.257 S. Daher ergebe sich ein Mietwert für die Wohnung der Erstbeklagten von monatlich 180.06 S, für die des Zweitbeklagten von monatlich 161.83 S. Für den Wiederaufbau des Hauses hätten beide Parteien nur private Mittel aufgewendet, wobei allerdings für einen Teil des von den Klägerinnen aufgenommenen Kredites das Land Steiermark die Ausfallsbürgschaft übernommen habe. Die Wohnungen unterlägen nicht dem Mietengesetz, da die Aufwendungen der Vermieter zu denen der Mieter sich wie 3 : 1 verhielten. Nach den getroffenen Feststellungen liege tatsächlich eine Verletzung über die Hälfte des gemeinen Wertes vor, ein Verzicht der Klägerinnen auf die Geltendmachung der Verletzung über die Hälfte sei deshalb nicht gegeben, weil die Verkürzung bereits bei Abschluß der Mietverträge unterlaufen sei. Es lägen auch keine Glücksverträge vor, weil nicht die Hoffnung eines noch ungewissen Vorteiles versprochen und angenommen worden sei. Die exceptio doli gehe ins Leere, weil die Beklagten übersehen hätten, daß der Mietwert unter Berücksichtigung der von den Beklagten gemachten Aufwendungen errechnet worden sei.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die vorliegenden Verträge seien keine reinen Bestandverträge, sondern gemischte Verträge, denn sie enthielten nicht nur die Vereinbarung eines von den Mietern zu leistenden Mietzinses, sondern es hätten die Beklagten eigene Aufwendungen zur Herrichtung und Benützbarkeit der gemieteten Räume gemacht und rückwirkende Zahlungen für eine Zeit geleistet, da die Mietobjekte noch gar nicht benutzt werden konnten. Wenn der Erstrichter die Leistungen der Beklagten von den Wiederaufbaukosten des Hauses in Abzug bringe, führe dies zu einem falschen Bild. Die von der Beklagten zu erbringenden Leistungen seien mit dem Hause der Klägerinnen in feste Verbindung gebracht worden. Bei Aufhebung der bestehenden Verträge wegen laesio enormis müßten daher die Klägerinnen alle diese Aufwendungen an die Beklagten zurückstellen. Dies wäre aber in natura nicht möglich. Die Rückstellung in Form der Bezahlung des Geldwertes könne aber bei Geltendmachung der laesio enormis nicht statthaben. Wegen dieser Unmöglichkeit der Rückstellung könnten die Klägerinnen wegen Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes nicht mehr mit Erfolg klagen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerinnen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Soweit die Revision Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Aktenwidrigkeit geltend macht, ist sie unbegrundet. Das Berufungsgericht hat keineswegs seine Befugnisse überschritten, weil es von der erstgerichtlichen Beweiswürdigung abgegangen ist, ohne die Beweise zu wiederholen. Das Berufungsgericht hat die Beweise nicht gewürdigt, es hat keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, sondern nur seiner Rechtsmeinung Ausdruck gegeben, daß die Berechnungsart des Erstrichters unrichtig sei, und hat auf verschiedene Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens hingewiesen, ohne aber entsprechend seiner Rechtsansicht darauf Folgerungen zu ziehen. Diese Revisionsgrunde liegen daher nicht vor.

Es kommt aber auch der Revision keine Berechtigung zu, soweit sie aus dem Revisionsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung dem Urteile des Berufungsgerichtes zum Vorwurf macht, daß dieses annehme, das Rechtsmittel der Verletzung über die Hälfte finde nicht statt, wenn die Wiederherstellung des früheren Zustandes nicht möglich sei. Sowohl der Oberste Gerichtshof (Entscheidungen GlU. 4502, SZ. II/24 und SZ. X/175) als auch der Oberste Gerichtshof der Tschechoslowakischen Republik in Brünn (HBl. 1926 Nr. 31), Ferner Hasenöhrl, 2. Band S. 430, Anm. 44, Ehrenzweig, Obligationenrecht 1928, S. 238, und Adler im Kommentar von Klang, 1. Aufl. zu § 1170 ABGB. S. 393 haben ausgesprochen, daß der Verletzte gemäß § 934 ABGB. nur das Recht habe, die Aufhebung des Vertrages und die Herstellung des vorigen Zustandes zu verlangen, und daß seinem Vertragspartner die Alternative zustehe, entweder sich diese Folge gefallen zu lassen oder das Geschäft dadurch aufrechtzuerhalten, daß er den Abgang bis zum gemeinen Wert ersetze. Allein die Erwägung, daß der Grund der gesetzlichen Anordnung des § 934 ABGB. darin liegt, daß niemand gezwungen werden kann, die eigene Sache einem Dritten zu überlassen, und die Versetzung in den vorigen Stand lediglich die Möglichkeit bietet, den Zustand vor Vertragsabschluß wieder herzustellen, führt zu dem Schlusse, daß dann, wenn die Möglichkeit der Herstellung in den vorigen Stand nicht mehr gegeben ist, das Rechtsmittel der Verletzung über die Hälfte nicht geltend gemacht werden kann. Im vorliegenden Falle haben die Beklagten in Erfüllung der zwischen ihnen und den Klägern abgeschlossenen Mietverträge bedeutende Aufwendungen für das Haus gemacht; da die Rückstellung dieser Aufwendungen in natura nicht möglich ist, kann auch seitens der Kläger vom Rechtsmittel der Verletzung über die Hälfte kein Gebrauch gemacht werden. Der Entscheidung SZ. XVII/134 liegt ein ganz anders gelagerter Sachverhalt zugrunde. Dort hat nach Aufhebung des Pachtvertrages der Pächter der Klage auf Bezahlung des Pachtzinses die Einrede der Verletzung über die Hälfte entgegengesetzt, welche Einrede der Oberste Gerichtshof für beachtlich erklärte. Es hat aber der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung nicht zum Ausdruck gebracht, daß ein Vertrag wegen der Verletzung über die Hälfte auch dann aufgelöst werden könne, wenn eine Naturalrestitution nicht möglich ist. Gschnitzer in Klang, 1. Aufl., § 934, S. 587 ff., vertritt zwar die Meinung, daß im Falle der Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorigen Standes ebenso wie bei der Wandlung Ersatz in Geld zulässig sei, wobei er sich auf § 1323 ABGB. beruft; doch kann dieser Ansicht nicht beigepflichtet werden, da die Wandlung andere Voraussetzungen hat, als das Rechtsmittel des § 934 ABGB., und die Bestimmungen des § 1323 ABGB. schon deshalb im vorliegenden Falle nicht zur Anwendung kommen können, weil der Ersatz nach § 1323 ABGB. ein Verschulden voraussetzt, das aber im vorliegenden Falle nicht gegeben ist. Das Berufungsgericht hat deshalb ohne Rechtsirrtum angenommen, daß die Aufhebung der Mietverträge wegen Verletzung über die Hälfte infolge Unmöglichkeit der Herstellung des früheren Zustandes nicht statthat. Bei dieser Rechtslage war eine Erörterung der übrigen für die Abweisung des Klagebegehrens vom Berufungsgericht angeführten Gründe entbehrlich; es war der Revision vielmehr schon aus dem Gründe der Erfolg zu versagen, weil mangels der Möglichkeit der Wiederherstellung des früheren Zustandes in natura das Rechtsmittel der Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes nicht zur Anwendung gelangen kann.

Anmerkung

Z24340

Schlagworte

Bestandvertrag keine laesio enormis nach Beginn der Bestandzeit, laesio enormis bei Bestandverträgen nach Beginn der Bestandzeit, keine -, laesio bei Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorigen Zustandes, keine -, Mietvertrag keine laesio enormis nach Beginn der Bestandzeit, Rechtsmittel der Verletzung über die Hälfte unzulässig bei, Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorigen Zustandes, Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorherigen Zustandes, keine, laesio enormis bei -, Verletzung über die Hälfte bei Bestandverträgen, nach Beginn der, Bestandzeit keine -, Verletzung, über die Hälfte, keine - bei Unmöglichkeit der, Wiederherstellung des vorherigen Zustandes, Wiederherstellung des vorherigen Zustandes, keine laesio enormis bei, Unmöglichkeit der -

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1951:0030OB00509.51.1219.000

Dokumentnummer

JJT_19511219_OGH0002_0030OB00509_5100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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