TE OGH 1955/3/30 2Ob170/55

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Veröffentlicht am 30.03.1955
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Norm

ABGB §1151
ABGB §1298
ABGB §1313a

Kopf

SZ 28/87

Spruch

Bei einem Beförderungsvertrag gilt die Verpflichtung, das körperliche Wohlbefinden des Beförderten nicht zu verletzen, als vertragliche Nebenverpflichtung. Das Verschulden des Erfüllungsgehilfen des Beklagten ist nicht unabhängig von der Beweisregel des § 1298 ABGB. vom Kläger nachzuweisen.

Entscheidung vom 30. März 1955, 2 Ob 170/55.

I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Im derzeitigen Verfahrensabschnitt steht lediglich der Anspruch des Klägers gegen die M.-Verkehrsgesellschaft mit beschränkter Haftung auf Zahlung des Betrages von 16.438 S 15 g samt Anhang dem Gründe nach zur Erörterung, welchen Anspruch der Kläger als Schadenersatz geltend macht, weil er am 11. Jänner 1952 als entgeltlich beförderter Fahrgast eines dem öffentlichen Verkehr dienenden Kraftfahrzeuges (Anhängers) der beklagten Partei einen Verkehrsunfall erlitten hat. Er hat ein Verschulden der beklagten Partei an diesem Verkehrsunfall geltend gemacht und ausgeführt, daß der Beklagten nicht nur der ihr gemäß den §§ 7 und 8 KraftfVerkG. obliegende Gegenbeweis nicht gelingen könne, sondern daß sie die volle Haftung für den ihm erwachsenen Schaden gemäß § 1325 ABGB. trage, im Gründe ihres zivilrechtlichen Verschuldens, das in der Einteilung und Durchführung des Verkehrs liege.

Das Erstgericht hat erkannt, daß der Anspruch des August S. gegenüber der M.-Verkehrsgesellschaft m. b. H. dem Gründe nach zu Recht bestehe.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der beklagten Partei keine Folge gegeben. Es hat ausgeführt, daß die Haftung der Beklagten nicht nur gemäß § 7 Abs. 1 KraftfVerkG. im beschränkten Umfange, sondern darüber hinaus, insbesondere für das Schmerzengeld, nach den §§ 1295, 1298, 1325, 1313a ABGB., allenfalls in Verbindung mit § 1311 ABGB., bestehe. Da die beweispflichtige beklagte Partei nicht erweisen konnte, welche der verschiedenen für die Unfallsverursachung in Betracht kommenden Umstände einzeln oder zusammen mit anderen den Unfall verschuldet hätten, und eine größere Zahl der von den Sachverständigen in Betracht gezogenen Möglichkeiten ein Verschulden der Angestellten der Beklagten zur Grundlage habe, habe sie den ihr obliegenden Gegenbeweis für ihre beziehungsweise ihrer Bediensteten Schuldlosigkeit nicht erbracht, vor allem auch nicht dafür, daß der Unfall nur auf höhere Gewalt zurückzuführen sei.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der beklagten Partei nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revisionswerberin wendet sich gegen die Ausführungen des Berufungsgerichtes hinsichtlich der Verteilung der Beweislast in Bezug auf die Bestimmungen der § 1298 und 1313a ABGB. und bringt in ersterer Hinsicht vor, daß es sich bei der Durchführung ihres Personentransportes gegenüber dem Kläger "theoretisch lediglich um eine Schlechterfüllung", niemals aber um die Nichterfüllung ihrer Verbindlichkeit handeln könne, so daß die Beweisregel des § 1298 ABGB. nicht anwendbar sei. Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden, weil für den Beförderungsvertrag die Verpflichtung, das körperliche Wohlbefinden des anderen Vertragsteiles (hier: des Klägers) nicht zu verletzen, als vertragliche Nebenverpflichtung gilt, so daß bei diesem Vertrage, woraus der Kläger seine Ansprüche primär ableitet, eine fahrlässige Körperverletzung als Vertragsverletzung zu behandeln ist (vgl. Geigel, Haftpflichtprozeß, 3. Aufl. S. 218). Zutreffend hat also das Berufungsgericht die Beweislastverteilungsregel des § 1298 ABGB. auf den vorliegenden Rechtsstreit angewendet. Was aber das Vorbringen der Revisionswerberin betrifft, daß das Verschulden des Erfüllungsgehilfen des Beklagten im Sinne des § 1313a ABGB. unabhängig von der Beweisregel des § 1298 ABGB. vom Kläger nachgewiesen werden müsse, so entspricht die zur Begründung dieser Auffassung in der Revision bezogene Ansicht Wolffs (in Klang 2. Aufl. VI 90, insbesondere zu Anm. 36) keineswegs der herrschenden österreichischen Lehre und Rechtsprechung. Das Revisionsgericht folgt in dieser Hinsicht der Meinung Ehrenzweigs (System 2. Aufl. II/1 S. 297 ff.), wonach zwischen der Stellung des Schuldners und seines Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 1313a ABGB. in diesen Belangen nicht unterschieden wird; für die Annahme der Haftung des Schuldners aus der bezogenen Bestimmung - abgesehen von den sonstigen Voraussetzungen, die in diesem Zusammenhange nicht zur Erörterung stehen - muß seinem Erfüllungsgehilfen nicht gerade ein wirkliches Verschulden zur Last fallen, es genügt vielmehr, daß er jene Sorgfalt, wenn auch schuldlos, unterlassen hat, zu deren Anwendung der Schuldner verpflichtet war; der Schuldner aber wird von der Haftung nur befreit, wenn er beweist, daß er die ihm obliegenden Pflichten mit aller Sorgfalt erfüllt habe und daß auch seinem Erfüllungsgehilfen kein Verschulden zur Last falle. Demgemäß ist dem Berufungsgerichte zunächst in der grundsätzlichen Frage der Anwendbarkeit der von ihm bezogenen Beweisregel beizupflichten.

Anmerkung

Z28087

Schlagworte

Beförderungsvertrag, Nebenverpflichtungen, Haftung für, Erfüllungsgehilfen, Beweislastverteilung nach § 1298 ABGB., Erfüllungsgehilfenhaftung, Erfüllungsgehilfe, Beförderungsvertrag, Unternehmerhaftung, Haftung für Erfüllungsgehilfen beim Beförderungsvertrag, Nebenverpflichtung beim Beförderungsvertrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0020OB00170.55.0330.000

Dokumentnummer

JJT_19550330_OGH0002_0020OB00170_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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