TE OGH 1980/5/8 12Os67/80 (12Os68/80, 12Os69/80)

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Veröffentlicht am 08.05.1980
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Bernardini, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Sperker als Schriftführerin in der Strafsache gegen Maria A wegen des Vergehens der Entwendung nach § 141 Abs. 1 StGB. über die von der Generalprokuratur gegen die Strafverfügung und das Urteil des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 22. Mai 1979, GZ. U 184/79-5, bzw. vom 4. September 1979, GZ. U 184/79-14, sowie gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 12. November 1979, AZ. 9 a Bl 102/79 (= U 184/79-22), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Knob, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Erlassung der Strafverfügung vom 22. Mai 1979, GZ. U 184/79-5, durch das Bezirksgericht Gänserndorf, ferner das Urteil dieses Gerichtes vom 4. September 1979, GZ. U 184/79-14, und das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 12. November 1979, AZ. 9 a Bl 102/79, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 42 StGB. (§§ 451 Abs. 2, 259 Z. 4 StPO.). Die beiden (zuletzt erwähnten) Urteile und alle darauf beruhenden Beschlüsse, Anordnungen und Verfügungen, insbesondere auch die Endverfügung vom 29. November 1979, GZ. U 184/79-23, werden aufgehoben und es wird gemäß § 292 StPO. in der Sache selbst erkannt:

Maria A wird von der wider sie erhobenen Anklage, sie habe am 11. April 1979 in Straßhof aus Unbesonnenheit Sachen geringen Wertes, nämlich 1/8 kg Butter und eine Dose §lsardinen im Wert von zusammen 20,40 S einem Verfügungsberechtigten der Firma B entzogen und sie habe hiedurch das Vergehen der Entwendung nach § 141 Abs. 1 StGB. begangen, gemäß § 259 Z. 4 StPO. f r e i - g e s p r o c h e n .

Text

Gründe:

Aus den Akten U 184/79 des Bezirksgerichtes Gänserndorf ergibt sich folgender Sachverhalt:

Die am 4. April 1910 geborene Hausfrau Maria A suchte am 11. April 1979 eine als Selbstbedienungsladen eingerichtete Filiale der Firma B in Straßhof auf. Dort gab sie verschiedene Waren in einen Einkaufswagen, wurde jedoch von der Filialleiterin dabei beobachtet, daß sie auch etwas in ihre Manteltasche steckte. Da sie bei der Kasse nur die im Einkaufswagen befindlichen Sachen bezahlte und die Frage, ob sie noch etwas zu bezahlen habe, verneinte, wurde sie in das Büro gebeten, wo sie der Aufforderung, die in der Manteltasche befindlichen Waren - wie sich herausstellte, handelte es sich um 1/8 kg Butter und eine Dose Sardinen im Wert von zusammen 20,40 S - herauszugeben, nachkam.

Nachdem der Bezirksanwalt eine Verfolgungsermächtigung eingeholt und beantragt hatte, Maria A wegen des geschilderten Sachverhaltes nach dem § 141 StGB. zu bestrafen, verhängte das Bezirksgericht Gänserndorf über die Genannte wegen des Vergehens der Entwendung zunächst mit Strafverfügung vom 22. Mai 1979, GZ. U 184/79-5, eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 80 S (für den Fall der Uneinbringlichkeit fünf Tage Ersatzfreiheitsstrafe). Maria A erhob gegen die Strafverfügung (rechtzeitig) Einspruch, wurde jedoch mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 4. September 1979, GZ. U 184/79-14, neuerlich des Vergehens der Entwendung nach § 141 Abs. 1

StGB. schuldig erkannt und nach dieser Gesetzesstelle nunmehr zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen a 40 S (im Uneinbringlichkeitsfall 5 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt. In rechtlicher Beziehung vertrat das erkennende Gericht in dem bezeichneten Urteil die Auffassung, daß die Tat durch das Verbergen der entwendeten Sachen im Mantelsack vollendet worden sei und mangelnde Strafwürdigkeit im Sinne des § 42 StGB. aus general- und spezialpräventiven Gründen nicht angenommen werden könne. Schließlich hatte sich mit dieser Strafsache auch noch das Kreisgericht Korneuburg als Berufungsgericht zu befassen. Dieses schloß sich der erwähnten Auffassung des Erstgerichtes an und erkannte mit Urteil vom 12. November 1979, AZ. 9 a Bl 102/79, zu Recht, daß die Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit verworfen und ihrer Berufung wegen Schuld und Strafe nicht Folge gegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Erlassung der Strafverfügung vom 22. Mai 1979, GZ. U 184/79-5, durch das Bezirksgericht Gänserndorf, sowie das Urteil dieses Gerichtes vom 4. September 1979, GZ. U 184/79-14, und jenes des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 12. November 1979, AZ. 9 a Bl 102/79, stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang. Gemäß § 451 Abs. 2 StPO. hat der Richter des Bezirksgerichtes das Verfahren mit Beschluß einzustellen, wenn er sich überzeugt, daß die Voraussetzungen des § 42

StGB. vorliegen. Erkennt er das Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 StGB. erst nach Durchführung einer Hauptverhandlung, ist der Angeklagte gemäß § 259 Z. 4 (§ 458 Abs. 5) StPO. freizusprechen.

Im vorliegenden Fall waren die Voraussetzungen des § 42 StGB.

gegeben:

1./ Die von Amts wegen (wenn auch mit Ermächtigung des Verletzten) zu verfolgende Tat (§ 141 StGB.) ist nur mit Freiheitsstrafe bis zu einem Monat oder mit Geldstrafe bis zu 60 Tagessätzen bedroht. 2./ Die Schuld der Täterin, die zur Tatzeit bereits das neunundsechzigste Lebensjahr vollendet und nahezu sieben Jahrzehnte hindurch einen untadeligen Lebenswandel geführt hatte, ist der besonderen Lagerung des Falles zufolge zweifellos als gering zu werten, zumal es sich nach den erstgerichtlichen Urteilsannahmen um die nur auf eine Unbesonnenheit zurückzuführende Entziehung von Waren in überaus geringem Gesamtwert von 20,40 S handelte und die Anlegung eines zu einer allzu restriktiven Auslegung des § 42 StGB. führenden extrem strengen Maßstabes den Intentionen des Gesetzgebers ersichtlich zuwiderliefe (vgl. ÖJZ-LSK. 1979/307).

3./ Tatfolgen sind in Wahrheit überhaupt nicht eingetreten. Der von beiden Untergerichten vertretenen Auffassung zuwider war das Maria A angelastete Tatverhalten nämlich im Falle eines Schuldspruchs (bei Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 42 StGB.) rechtsrichtig nicht als vollendete Entwendung nach § 141 Abs. 1 StGB., sondern nur als der Versuch dieses Vergehens zu beurteilen. Denn da es der Täterin ungeachtet des Verbergens von 1/8 kg Butter und 1 Dose Sardinen in ihrer Kleidung nicht gelang, die Wachsamkeit des bisherigen Gewahrsamsträgers auszuschalten, sie bei der Tat vielmehr von der Filialleiterin des B-Marktes - mag diese auch nicht genau gesehen haben, um welche Art von Waren es sich im einzelnen handelte - beobachtet und noch auf dem Tatort zur Herausgabe des Diebsgutes aufgefordert wurde (S. 35), hat sie weder den fremden Gewahrsam gebrochen noch eigenen begründet (vgl. SSt. 46/9, 47/6, EvBl. 1980/33 u.a.).

4./ Schließlich ist eine Bestrafung im vorliegenden Fall auch nicht geboten, um die Täterin von strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Das untadelige Vorleben, die Bloßstellung im Geschäft, das Einschreiten der Gendarmerie und die Einleitung des Strafverfahrens sind hinreichende Gründe für die Annahme, daß sich Maria A auch ohne Bestrafung künftig wohlverhalten wird, zumal ihrer Verantwortung in der Hauptverhandlung (S. 34, 35) nicht entnommen werden kann, daß sie die in mehreren von ihrem Ehegatten verfaßten und von ihr unterfertigten Eingaben geäußerte Ansicht teilt, in Selbstbedienungsgeschäften seien Diebstähle überhaupt nicht möglich. Die wegen der zunehmenden Häufigkeit von Ladendiebstählen besonders sorgfältig zu prüfenden Belange der Generalprävention können die Anwendung des § 42 StGB. dann nicht hindern, wenn der Schuldgehalt der Tat, ihre Sozialschädlichkeit und ihr Störwert für die Umwelt - wie hier - kraft der besonderen Aspekte des Einzelfalles deutlich (und daher meist auch für die Umwelt erkennbar) unter der Norm

liegen (vgl. ÖJZ-LSK. 1976/346 = EvBl.

1977/102 = RZ. 1976/125, ÖJZ-LSK. 1979/241), wobei im Rahmen dieser Beurteilung (da Privilegierungen nicht zum Nachteil des Täters ausschlagen dürfen), in Ansehung der als Norm heranzuziehenden Vergleichstaten nicht auf das privilegierte Delikt (vorliegend Entwendung nach dem § 141

StGB.), sondern auf das allgemeine (also Diebstahl nach dem § 127 StGB.) abzustellen ist. Die Zubilligung der Straflosigkeit im hier gegebenen (für jedermann als solcher erkennbaren) Sonderfall tut daher dem Erfordernis der Anwendung des Strafrechts zur Stärkung der Rechtstreue der Bevölkerung und zur Abhaltung anderer potentieller Täter von gleichgelagerten strafbaren Handlungen keinen Abbruch (vgl. 10 0s 11/80).

Aus den aufgezeigten Gründen hätte das Bezirksgericht Gänserndorf gemäß § 451 Abs. 2 StPO. sogleich einen Einstellungsbeschluß fassen sollen. Die statt dessen erlassene Strafverfügung widersprach zwar dem Gesetz, bedeutete aber - anders als in dem dem Verfahren 10 0s 11/80 zu Grunde liegenden Fall, in dem die Strafverfügung in Rechtskraft erwuchs - für die Angeklagte noch keinen Nachteil, weil diese von ihrem Einspruchsrecht Gebrauch machte, wodurch die Strafverfügung ohnedies außer Kraft gesetzt wurde.

Ein - gemäß § 292 StPO. zu beseitigender - Nachteil erwuchs der Angeklagten vielmehr erst daraus, daß nach Eintreten des ordentlichen Verfahrens weder das Erst- noch das Berufungsgericht mit dem (besonders auf Grund der Ergebnisse der Hauptverhandlung) gemäß § 259 Z. 4 StPO. gebotenen Freispruch vorging. Es war daher in Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO. erhobenen begründeten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes i.S.des letzten Satzes des § 292 StPO. spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E02590

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0120OS00067.8.0508.000

Dokumentnummer

JJT_19800508_OGH0002_0120OS00067_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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