TE OGH 1987/3/31 11Os21/87

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Veröffentlicht am 31.03.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31.März 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Siegfried R*** wegen des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 22.Dezember 1986, GZ 36 Vr 2.418/86-48, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Kodek, und des Verteidigers Dr. Auer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung des Angeklagten, soweit sie sich gegen seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach dem § 21 Abs. 2 StGB richtet, wird Folge gegeben, der bekämpfte Ausspruch aus dem Ersturteil ausgeschieden und der darauf gerichtete Antrag der Staatsanwaltschaft abgewiesen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird dahin Folge gegeben, daß die über den Angeklagten verhängte (Zusatz-) Freiheitsstrafe auf 10 (zehn) Monate erhöht wird.

Mit seiner gegen das Strafausmaß gerichteten Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 29.Juni 1960 geborene Koch Siegfried R*** neben anderen strafbaren Handlungen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs. 1 StGB schuldig gesprochen, weil er (B/ des Urteilssatzes) in der Nacht zum 21. Juni 1986 in Rum Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, nämlich den Führerschein, den Reisepaß und die Scheckkarte des Norman T***, durch Ansichnahme unterdrückte, wobei er mit dem Vorsatz handelte, zu verhindern, daß diese Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes oder einer Tatsache, nämlich des Nachweises der Lenkerberechtigung und der Personenidentität bzw. zur ordnungsgemäßen Geldbehebung, gebraucht werden.

Nur diesen Teil des Schuldspruchs bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5, 9 lit. a und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Ebenfalls mit Nichtigkeitsbeschwerde (Z 4 und 11 des § 281 Abs. 1 StPO) wendet er sich gegen die Anordnung seiner Unterbringung in einer Anstalt gemäß dem § 21 Abs. 2 StGB. Den Strafausspruch bekämpft er mit Berufung.

Zum Schuldspruchfaktum B (§ 229 StGB):

Die Verfahrensrüge wendet sich gegen die Abweisung des Antrages auf zeugenschaftliche "Vernehmung des Manfred S*** von der Kripo/Innenministerium dazu, daß der Angeklagte in seiner Anwesenheit den (durch die Straftaten geschädigten) Zeugen Norman T*** angerufen und über die Urkunden informiert hat" (S 243). Das Gericht wies den Beweisantrag mit der im Urteil nachgeholten Begründung ab, daß dieser Zeuge nicht Tatzeuge sei und der Anruf selbst durch die Aussage des Zeugen Norman T*** an sich feststehe, wobei dies aber an der Tatsache nichts ändere, daß Norman T*** über diese Urkunden nicht verfügen konnte (S 244 iVm 269). Demnach wurde der Beschwerdeführer durch das abweisende Zwischenerkenntnis in seinen Verteidigungsrechten nicht verletzt, weil das Erstgericht den sich sowohl aus der Darstellung des Angeklagten selbst (S 240, 49) als auch des Zeugen T*** (S 241) ergebenden Telefonanruf ohnedies als erwiesen annahm. Allerdings konnte die diesem Telefongespräch dem Vorbringen nach zugrundeliegende polizeiliche Amtshandlung nicht ermittelt werden (S 39 sowie Beiakt 16 St 63.962/86, S 9). Die als Beweisthema allein angegebene Information des Zeugen T*** über die Mitnahme der Urkunden durch den Beschwerdeführer entbehrte im übrigen auch der rechtlichen Relevanz. Soweit aber der Beschwerdeführer meint, durch die Aufnahme des Beweises hätte seine Verantwortung, er habe Scheckformulare, Geld und Urkunden in einer Tasche des Zeugen T*** mitgenommen und die Urkunden darin erst später entdeckt, gestützt werden können, führt er die Verfahrensrüge nicht gesetzmäßig aus, weil er nicht vom Inhalt des den Gegenstand des bekämpften Zwischenerkenntnisses bildenden Beweisantrages ausgeht. Auch die Mängelrüge (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO) ist nicht zielführend: Das Erstgericht begründete denkrichtig und in Übereinstimmung mit den Erfahrungen des täglichen Lebens, warum es der Verantwortung des Angeklagten, die Urkunden erst später entdeckt und ohne Gebrauchsverhinderungsvorsatz gehandelt zu haben, keinen Glauben schenkte. Es stützte seine eindeutige diesbezügliche

Feststellung (US 9 = S 263 dA) vor allem auf die Aussage des Zeugen

T*** (US 12 = S 266 dA), in welche Richtung übrigens auch die

eigene Verantwortung des Angeklagten im Vorverfahren deutet, wonach er ua Reisepaß und Führerschein aus der Tasche des Eigentümers entnahm und einsteckte (S 48 und ON 5). Die bekämpfte Festststellung findet daher - entgegen der Beschwerdebehauptung - im Beweisverfahren Deckung.

Rechtliche Beurteilung

Soweit der Beschwerdeführer aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO seinen auf Verwirklichung des Tatbildes nach dem § 229 Abs. 1 StGB gerichteten Vorsatz bestreitet, weil aus der "Tatsache der Wegnahme noch nicht auf die Verhinderung des Gebrauches" im Rechtsverkehr geschlossen werden könne, woran er "gar kein Interesse" gehabt habe, verkennt er die Rechtslage. Der § 229 StGB verlangt keinen (gewissermaßen speziellen) Gebrauchsverhinderungsvorsatz, wie der Beschwerdeführer anscheinend - in Anlehnung an eine inzwischen überholte Judikatur - vermeint. Wer einem anderen anläßlich eines Diebstahls oder einer dauernden Entziehung von Sachen zugleich auch Legitimationen oder Beweisurkunden entfremdet, handelt - lebensnah betrachtet - in der Regel bereits mit dem wenigstens bedingten Vorsatz, zu verhindern, daß die Urkunden im Rechtsverkehr zu Beweiszwecken gebraucht werden (LSK 1980/107 = SSt. 51/21; RZ 1982/29).

Zu Feststellungen über den Strafaufhebungsgrund des § 229 Abs. 2 StGB war das Erstgericht entgegen dem weiteren, auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO gestützten Beschwerdevorbringen nicht verhalten, weil nichts darauf hindeutet, daß der Angeklagte freiwillig und rechtzeitig die Unterdrückung der Urkunden rückgängig gemacht hätte. Er hielt im Gegenteil seine telefonische Zusage der sofortigen Rückstellung der Urkunden nicht ein; sie wurden - abgesehen von der beim Versuch unberechtigter Geldabhebung eingezogenen Bankomatkarte - erst später durch einen Dritten dem Berechtigten zurückgestellt (S 25, 37 ff, 47 ff, US 9 = S 263 dA). Die letztbezogene Urteilsfeststellung stellt überdies klar, daß die Rückgabe jedenfalls nicht rechtzeitig (im Sinn des § 229 Abs. 2 StGB) stattfand.

Der Schuldspruch wegen des Vergehens nach dem § 229 Abs. 1 StGB ist daher auch frei von Rechtsirrtum.

Zur Anstaltsunterbringung nach dem § 21 Abs. 2 StGB:

Der Beschwerdeführer hält die Voraussetzungen der Einweisung nicht für gegeben, weil weder feststehe, daß er die Anlaßtat in einem zwar zurechnungsfähigen, aber geistig abnormen Zustand begangen habe, noch die Gefährlichkeitsprognose auf Grund des Sachverständigengutachtens bejaht werden könne. Letztere, das Schwergewicht seiner Ausführungen bildende Frage kann allerdings im Rahmen des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs. 1 Z 11 StPO nicht gesetzmäßig erörtert werden, weil die Prognose des künftigen Verhaltens des Täters in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes gestellt und dessen Entscheidung insoweit daher nur mit Berufung bekämpfbar ist (vgl. LSK 1976/275 = EvBl. 1977/8 = RZ 1976/119). Darauf wird später noch einzugehen sein. Mit der Frage des Zusammenhanges zwischen der seelischen Abartigkeit des Beschwerdeführers und der Begehung der Anlaßtat wird indes eine dem Ermessensbereich entrückte und gesetzlich zwingend normierte Voraussetzung der Anstaltsunterbringung angesprochen; es ist daher die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge (§ 281 Abs. 1 Z 4 StPO) zulässig (LSK 1979/237).

Die Rüge versagt aber auch insofern. Das Erstgericht stellte fest, daß beim Angeklagten auf Grund einer tiefgreifenden Neurose eine geistige oder seelische Abartigkeit von höherem Grad vorliegt, unter deren Einfluß er auch die gegenständlichen Straftaten beging (US 11 = S 265 dA). Begründungsmängel zu dieser Feststellung (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO) wurden vom Beschwerdeführer nicht konkret geltend gemacht. Sie können auch nicht in der Bezugnahme auf einen aus dem Zusammenhang gelösten Satz im Gutachten des vernommenen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie erblickt werden, wonach dieser Gutachter keinen "konkreten Hinweis" auf die Begehung der Anlaßtat im Zustand geistiger Abnormität habe. Diesen Zusammenhang stellte das Erstgericht nämlich in freier Beweiswürdigung im Einklang mit der Lebenserfahrung her, zumal kein vernünftiger Zweifel daran besteht, daß die vom Angeklagten selbst bekundete Labilität (S 239), die eine Auswirkung der vom Sachverständigen beschriebenen neurotischen Wesensänderung ist, auch mitentscheidend für die gegenständlichen, gerade gegenüber Wohltätern begangenen Verfehlungen war. Der § 21 Abs. 2 StGB verlangt nicht, daß die geistige oder seelische Abartigkeit des Rechtsbrechers einzige Ursache der Tatbegehung ist; sie muß lediglich die Begehung der Tat beeinflußt haben (LSK 1979/135). Es wurde daher auch der - sich übrigens teilweise lediglich auf die Gefährlichkeitsprognose beziehende - Beweisantrag, dem Sachverständigen Prof.Dr. P*** eine schriftliche Ergänzung seines Gutachtens aufzutragen (S 243), zu Recht abgewiesen (S 244 iVm US 15 = S 269 dA). Überdies widersprach dieser Antrag, einem in der Hauptverhandlung anwesenden und bereits vernommenen Sachverständigen die schriftliche Beantwortung weiterer Fragen aufzutragen, dem Verfahrensgrundsatz der Mündlichkeit.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten gemäß dem § 147 Abs. 1 StGB unter Bedachtnahme auf den § 28 StGB sowie gemäß den §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. Juli 1986, AZ 36 Vr 2.197/86, eine (Zusatz-) Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten. Gemäß dem § 21 Abs. 2 StGB wurde überdies die Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht als erschwerend die mehrfachen einschlägigen Vorstrafen, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Strafschärfung bei Rückfall (§ 39 StGB), das Zusammentreffen dreier Vergehen, die zweifache Qualifikation des Betruges, die Wiederholung der Betrugshandlungen, den raschen Rückfall, die Tatsache, daß zwei Personen bestohlen wurden, sowie den Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses und zog das reumütige Geständnis und das einsichtige Verhalten des Angeklagten, seine verminderte Zurechnungsfähigkeit und den Umstand, daß Führerschein und Reisepaß zurückgestellt wurden, als mildernd in Betracht.

Die vorbeugende Maßnahme begründete das Erstgericht damit, daß der Angeklagte infolge seiner schlechten Erziehung an einer Neurose leide, die bei ihm Drogenkonsum ausgelöst sowie eine Wesensveränderung herbeigeführt habe. Es sei zweckmäßig, ihn einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen, die auf den Grund der Neurose eingeht und somit die psychische Belastbarkeit des Angeklagten steigert, sodaß er vom Drogenkonsum auch psychisch loszukommen imstande sei. Insbesondere das Schreiben des Angeklagten, in welchem er die Begehung von Gewalttaten nach seiner Haftentlassung androhte, weise auf eine so labile Verfassung hin, daß ohne geeignete Behandlung im Rahmen einer Anstaltsunterbringung zu befürchten sei, er werde neuerlich eine Straftat, und zwar mit schweren Folgen, begehen.

Mit ihren Berufungen streben die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung der Freiheitsstrafe, der Angeklagte indes deren Herabsetzung sowie die Ausschaltung des Ausspruches über die Anstaltseinweisung an.

Beiden Berufungen - jener des Angeklagten allerdings nur teilweise - kommt Berechtigung zu.

Der Auffassung der Staatsanwaltschaft ist zuzustimmen, daß das Erstgericht die Strafzumessungsgründe insbesondere im Hinblick auf die doch empfindlichen einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten, das Zusammentreffen mehrerer Delikte im vorliegenden Verfahren und die offensichtlich ausgeprägte kriminelle Tendenz, die sich im raschen Rückfall und im Bruch des entgegengebrachten Vertrauens widerspiegelt, nicht zutreffend würdigte. Mit dem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23.Juli 1986, auf welches hier gemäß den §§ 31, 40 StGB Bedacht zu nehmen ist, wurde über den Angeklagten wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach dem § 136 Abs. 1 und 2 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verhängt. Da bei gemeinsamer Aburteilung eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von fünfzehn Monaten zu verhängen gewesen wäre, um den Unrechts- und Schuldgehalt aller in diesen Strafbemessungsvorgang einzubeziehenden Gesetzesverstöße voll zu erfassen, war der Strafausspruch des Erstgerichtes entsprechend zu korrigieren.

Demzufolge war der Angeklagte mit seiner gegen das Strafausmaß gerichteten Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen. Dagegen war diesem seinem Rechtsmittel im übrigen aus folgenden Erwägungen stattzugeben:

Die Befürchtung des Schöffengerichtes, der Angeklagte werde ohne Anstaltsunterbringung auch künftig Straftaten mit schweren Folgen begehen, konnte allein auf den Inhalt des (vom Angeklagten) am 6. August 1986 verfaßten, im Akt unter ON 18 erliegenden Schreibens gestützt werden. Darin kündigt der Angeklagte die Ermordung von fünf Personen nach seiner Freilassung an. Von dieser Drohung distanzierte er sich aber später eindeutig. Und der Sachverständige Univ.Prof.Dr. Heinz P*** erklärte auf eine diesbezügliche Frage in der Hauptverhandlung ausdrücklich, daß diese Drohungen "in der jetzigen Situation nicht mehr ernst zu nehmen sind" (S 242 dA). Fällt aber auf diese Weise eine tragfähige Grundlage für die Besorgnis weg, der Angeklagte könnte eine solche Gewalttat begehen, dann bleibt für eine relevante Wahrscheinlichkeit abermaliger Straffälligkeit unter Eintritt schwerer Folgen kein Raum mehr, zumal auch den Akten ausreichende Hinweise nicht zu entnehmen sind, daß etwa schon der bisherigen Delinquenz des Angeklagten solche Qualifikation zugekommen wäre.

Da somit nicht alle gesetzlichen Voraussetzungen für die bekämpfte Maßnahme vorliegen, waren der entsprechende Urteilsausspruch aufzuheben und der darauf gerichtete Antrag des öffentlichen Anklägers abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der zitierten Gesetzesstelle.

Anmerkung

E10634

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0110OS00021.87.0331.000

Dokumentnummer

JJT_19870331_OGH0002_0110OS00021_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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