TE OGH 1987/6/24 9Os4/87

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Veröffentlicht am 24.06.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat am 24.Juni 1987 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kleindienst-Passweg als Schriftführerin, in der Strafsache betreffend Georg (Helmut) S*** wegen Unterbringung in einer Anstalt gemäß § 21 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen einen Vorgang im Strafverfahren AZ 16 Vr 2232/75 des Landesgerichtes Salzburg sowie gegen das Urteil dieses Gerichtes als Schöffengericht vom 6.Juli 1976, GZ 16 Vr 2232/75-78, nach Anhörung des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Rzeszut, in öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 16 Vr 2232/75 des Landesgerichtes Salzburg, betreffend Georg (Helmut) S***, wurde durch das Unterbleiben der Zustellung des Antrags auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB an den vorläufig angehaltenen Betroffenen persönlich sowie durch die Anordnung und Durchführung der Hauptverhandlung vor einer solchen Zustellung das Gesetz in den Bestimmungen des § 429 Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 209 Abs. 1, 210 Abs. 1 StPO verletzt. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem Beschluß des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes Salzburg vom 14.Juli 1975, AZ 26 Vr 1591/75, wurde gegen Georg (Helmut) S*** und Rupert F*** die Voruntersuchung wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 3 StGB sowie des Vergehens der fahrlässigen Krida nach "§ 159" StGB eingeleitet und über (den seit 11.Juli 1975, 11,15 Uhr, in Haft gewesenen) Georg S*** aus den Haftgründen des § 180 Abs. 2 Z 1 bis 3 StPO die Untersuchungshaft verhängt. In der Folge wurde das Strafverfahren gegen den (auf Grund der Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Graz vom 13. Dezember 1974, AZ 1 R 310/74, und des Obersten Gerichtshofes vom 4. März 1975, AZ 5 Ob 22/75) voll entmündigten und laut gerichtspsychiatrischem Sachverständigengutachten zurechnungsunfähigen Georg S*** in ein Verfahren gemäß §§ 429 ff StPO übergeleitet und die vorläufige Anhaltung des Genannten in der Landesnervenklinik Salzburg angeordnet. Am 4. März 1976 stellte die Staatsanwaltschaft - nach Ausscheidung des Verfahrens gemäß § 57 StPO zum AZ 26 Vr 2232/75 - den Antrag auf Unterbringung des Georg S*** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StPO. Dieser Antrag wurde dem gemäß §§ 41 Abs. 2, 429 Abs. 2 Z 1 StPO bestellten Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Eberl und dem damaligen Kurator des Betroffenen, Rechtsanwalt Dr. Erika Polenat, zu eigenen Handen zugestellt. Eine Zustellung an den Betroffenen ist unterblieben. Mit dem Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 6.Juli 1976, GZ 16 Vr 2232/75-78, wurde gemäß § 21 Abs. 1 StGB die Unterbringung des Georg S*** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet. Dieser Einweisung liegt als im Sinn des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 3 StGB tatbestandsmäßige Anlaßtat zugrunde, daß der Genannte in Salzburg im Jänner 1975 in einem Fall allein, sowie zwischen 1.Jänner und 11.Juli 1975 in weiteren 65 Fällen im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Rupert FrÖ*** unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Privatleute und Firmenangestellte durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitete, welche diese Personen bzw die betreffenden Firmen um mehr als 100.000 S schädigten, und zwar Angela K*** durch das Versprechen einer Gewinnbeteiligung und der Rückzahlung innerhalb von sechs Monaten zur Gewährung eines Darlehens von 50.000 S für Warenanschaffungen (Punkt I des Urteilssatzes) und die übrigen Geschädigten unter dem Anschein eines zahlungsfähigen Käufers, Auftraggebers oder Mieters, wobei er seine in Wahrheit vorgelegene Zahlungsunfähigkeit und die Tatsache seiner vollen Entmündigung verschwieg, zu Warenlieferungen und sonstigen Leistungen im Wert von bis zu 338.615,68 S im Einzelfall und von über 1,700.000 S insgesamt (Punkt II).

Die vom Betroffenen gegen dieses Urteil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 25.März 1977, GZ 9 Os 166/76-3, zurückgewiesen. Der abgesondert verfolgte Rupert F*** wurde in der Folge mit dem Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 16.Mai 1977, GZ 15 Vr 1591/75-81, von der auf das Verbrechen des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 3 StGB lautenden Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO rechtskräftig freigesprochen.

Im Rahmen des Maßnahmenvollzugs befand sich Georg S*** in der Landesnervenklinik Salzburg, von wo er laut Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 28.Mai 1980, AZ 23 Ns 79/78, per 10. Juni 1980 unter Bestimmung einer Probezeit von zehn Jahren bedingt entlassen wurde. Nach Einholung (weiterer) gerichtspsychiatrischer Sachverständigengutachten verfügte das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz zunächt mit Beschluß vom 21. März 1983 und dann mit Beschluß vom 24.Oktober 1983 die Aufhebung der vollen Entmündigung des Georg S***; beide Beschlüsse wurden jedoch im Rechtsmittelverfahren aufgehoben. Nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Sachwalterschaft für behinderte Personen BGBl Nr. 136/1983 (am 1.Juli 1984) wurde sodann am 16.August 1984 die Sachwalterschaft über Georg S*** für beendet erklärt (ON 516, S 61 ff/Bd VIII im Akt 17 SW 94/84 des Bezirskgerichtes für Zivilrechtssachen Graz).

Mit ihrer gemäß § 33 Abs. 2 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes beantragt die Generalprokuratur zum einen die Feststellung, daß das Gesetz durch das Unterbleiben der Zustellung des Unterbringungsantrages an den (vorläufig) angehaltenen Betroffenen persönlich sowie durch die Anordnung und Durchführung der Hauptverhandlung vor einer solchen Zustellung in den Bestimmungen des § 429 Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 209 Abs. 1, 210 Abs. 1 StPO verletzt worden sei; zum anderen reklamiert sie, daß das Urteil, mit welchem die Anstaltsunterbringung des Georg S*** angeordnet wurde, in Ansehung des subjektiven Tatbestands des dem Genannten als Anlaßtat angelasteten Betruges mit einem Feststellungsmangel behaftet sei. Der Beschwerde kommt teilweise Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Nach den zutreffenden Ausführungen der Generalprokuratur ist - abweichend von der (auch im Verfahren nach §§ 429-434 StPO) sonst geltenden Grundregel des § 79 Abs. 2 StPO - dem Betroffenen, wenn er vorläufig angehalten wird (§ 429 Abs. 4 StPO), der Unterbringungsantrag nach § 429 Abs. 1 StPO, sofern er nicht dessen Zustellung an seinen Verteidiger verlangt (§ 209 Abs. 3 StPO), persönlich und nicht zu Handen seines Verteidigers (als seines Machthabers) zuzustellen. Zusätzlich an den Verteidiger ist in diesen Fällen nur dann zuzustellen, wenn ihm gemäß § 431 Abs. 3 StPO die Rechte des gesetzlichen Vertreters des Betroffenen zustehen und er daher in dieser Funktion selbst ein Parteirecht auf Zustellung hat (§ 431 Abs. 1 StPO); das bezügliche Parteirecht des Betroffenen wird hiedurch nicht beeinträchtigt. Die Zustellung an den Betroffenen persönlich durfte mangels einer Sonderbestimmung nach Art des (im Jahr 1976 noch geltenden) § 65 Abs. 3 EntmO auch nicht etwa wegen seines Geisteszustandes unterbleiben. Das Recht des gesetzlichen Vertreters (auch) auf die Erhebung eines Einspruchs gegen den Unterbringungsantrag (§ 431 Abs. 2 StPO) gewährleistet, daß die Interessen des Betroffenen nach der Zustellung des Antrags an ihn selbst auch in jenen Fällen sachgemäß wahrgenommen werden können, in denen er persönlich dazu wegen seines Zustandes nicht in der Lage ist.

Im vorliegenden Verfahren hätte daher das Landesgericht Salzburg, zumal ein Begehren auf Zustellung an den Verteidiger nicht aktenkundig ist, vorerst die Zustellung des Unterbringungsantrags ON 69 an den (vorläufig angehaltenen) Betroffenen selbst veranlassen müssen; vor dieser Zustellung hätte es die Hauptverhandlung nicht anordnen dürfen. Das Unterbleiben der in Rede stehenden Bekanntmachung verstieß gegen die Bestimmung des § 429 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 209 Abs. 1 (§ 429 Abs. 4) StPO, die Anordnung und Durchführung der Hauptverhandlung vor der Zustellung des Einweisungsantrages an den Betroffenen persönlich gegen jene des § 429 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 210 Abs. 1 StPO. Diese Gesetzesverletzung war in (teilweiser) Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wie im Spruch festzustellen.

Zu einer konkreten Maßnahme sah sich der Oberste Gerichtshof in diesem Zusammenhang jedoch - entgegen der Anregung der Generalprokuratur - aus nachstehenden Erwägungen nicht veranlaßt. Nach der Aktenlage ist der Unterbringungsantrag (ON 69) am 29. März 1976 an den gemäß §§ 41 Abs. 2, 429 Abs. 2 Z 1 StPO bestellten Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Eberl und am 23.April 1976 an den damaligen Kurator (des Betroffenen) Rechtsanwalt Dr. Polenat zugestellt worden (vgl die Zustellnachweise bei S 592/Bd. III iVm S 1 c und verso/Bd. I). Nach der hierauf am 12.Mai 1976 vom Vorsitzenden auf den 6.Juli 1976 anberaumten Hauptverhandlung wurden die Vorladungen (ua) an den Betroffenen Georg S*** wie auch an den Kurator und den Verteidiger am 14.Mai 1976 abgefertigt (vgl S 1 e verso/ Bd. I). Georg S*** hat zu dem dem Unterbringungsantrag zugrundeliegenden Sachverhalt nicht nur im Vorverfahren, nämlich am 14. und 21.Juli sowie am 4.September 1975 (gegenüber dem Untersuchungsrichter) sachbezogene Angaben gemacht (vgl ON 7 S 103 ff/Bd. I), sondern auch - nachdem er sowohl mit dem von seinem Verteidiger in dessen Rechtsanwaltskanzlei bestellten Sachbearbeiter Rechtsanwalt Dr. Vargha eine etwa dreieinhalb Stunden dauernde Unterredung in der Landesnervenklinik Salzburg mit dem Ziel geführt hatte, anhand zahlreicher Unterlagen seine Unschuld nachzuweisen (vgl die Angaben Dris. Vargha S 133 f/Bd. VII), als auch mit seinem Kurator Dr. Polenat über den Inhalt des Unterbringungsantrages gesprochen hatte (vgl S 141 f/Bd. VII) - in der Hauptverhandlung (am 6.Juli 1976) nach Verlesung (vgl S 11/Bd. IV) des Unterbringungsantrages (ON 69) eingehend und detailliert Stellung genommen (ON 77, S 12 ff/Bd. IV). Solcherart ist aber nicht zu erkennen, daß sich die unterlaufene - in der vom Verteidiger gegen das Urteil des Schöffengerichtes vom 6.Juli 1976 erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde unbekämpft gebliebene - Gesetzesverletzung zum Nachteil des Betroffenen ausgewirkt haben könnte, zumal durch die unterbliebene Zustellung des Unterbringungsantrages an den damals vorläufig angehalten gewesenene Betroffenen auch nicht die rechtliche Möglichkeit, gegen den Unterbringungsantrag Einspruch zu erheben, ein für allemal genommen worden war; stand doch dem gesetzlichen Vertreter des Betroffenen (vorliegend Rechtsanwalt Dr. Polenat) nach der ausdrücklichen Regelung des § 431 Abs. 2 StPO das Recht zu, für den Betroffenen auch gegen dessen Willen einen derartigen Einspruch zu erheben. Gleiches gilt aus den zuvor genannten Erwägungen in Ansehung der dem Betroffenen für die Hauptverhandlung zustehenden (dreitägigen) Vorbereitungsfrist, zumal ihm die Anschuldigungspunkte bekannt waren und er sich zeitgerecht und eingehend auf seine Verteidigung vorbereiten konnte (und nach dem Gesagten auch vorbereitet hat).

Mithin kann es mit der (bloßen) Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben.

Soweit die Beschwerde darüber hinaus auf die Feststellung einer weiteren Gesetzesverletzung (in der Bestimmung des § 21 Abs. 1 StGB iVm § 146 StGB) dahin abzielt, daß den Entscheidungsgründen des Urteils des Landesgerichtes Salzburg vom 6.Juli 1976 Feststellungen nicht zu entnehmen seien, denen zufolge die Handlungsweise des Betroffenen (trotz Fehlens des biologischen Schuldelements) von dem für den subjektiven Tatbestand des Betruges essentiellen Täuschungs-, Schädigungs- und Bereicherungsvorsatz getragen war, er also bei Begehung der Tat insbesondere (auch) den Eintritt eines Vermögensschadens anderer tatsächlich für möglich gehalten und sich mit einem solchen nachteiligen Ereignisablauf "billigend" abgefunden hat, ist sie nicht im Recht.

Die insoweit (bloß) einzelne Passagen der Urteilsbegründung herausgreifende Beschwerde scheitert schon daran, daß dem Ersturteil - nimmt man es in seiner Gesamtheit - die vermißte Konstatierung in Ansehung (auch) der subjektiven Merkmale der Anlaßtat ohnedies mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist (vgl insbesondere S 45 f, 48 f/Bd. IV). Es liegt daher dem Ersturteil keineswegs ein für die Annahme der Anlaßtat nicht ausreichender "bloß hypothetischer, auf der Fiktion, der Betroffene wäre zurechnungsfähig gewesen, beruhender Schädigungsvorsatz" zugrunde. Dies wurde vom Obersten Gerichtshof bereits in der Entscheidung (vom 25.März 1977 zum AZ 9 Os 166/76) über die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen unter Bezugnahme auf konkrete Verfahrensergebnisse zum Ausdruck gebracht (vgl insbesondere S 77, 78/Bd. IV) und demzufolge kein Anlaß zur Ausübung der ihm nach § 290 Abs. 1 StPO (bei Vorliegen materiellrechtlicher Nichtigkeitsgründe) zustehenden Befugnis gefunden. Gegen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes ist aber die Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ausgeschlossen, weil es nach § 33 StPO nur darauf ankommt, einen Rechtsfall an den Obersten Gerichtshof als oberste Instanz in Strafsachen heranzutragen; innerhalb desselben gibt es indes keinen Instanzenzug (vgl Pallin in "Hundert Jahre österreichische Strafprozeßordnung 1873-1973" S 177; RZ 1973/123 ua). In diesem Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Anmerkung

E11218

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0090OS00004.87.0624.000

Dokumentnummer

JJT_19870624_OGH0002_0090OS00004_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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