TE OGH 1988/11/17 12Os1/88

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Veröffentlicht am 17.11.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.November 1988 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bogensberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Gürcü K*** und Safiye K*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, AZ 31 Vr 3875/86 des Landesesgerichtes Innsbruck, über die Beschwerde der Safiye K*** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 4.Dezember 1987, AZ 8 Ns 1210/87, sowie über den (neuen) Antrag der Genannten auf Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StEG nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

I. Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

II. Es wird festgestellt, daß für die von Safiye K*** in der Zeit vom 6.November 1986, 14.45 Uhr, bis zum 23.Jänner 1987, 16.00 Uhr, erlittene strafgerichtliche Anhaltung im Verfahren AZ 31 Vr 3875/86 des Landesgerichtes Innsbruck die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches nach § 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StEG nicht vorliegen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht Innsbruck ausgesprochen, daß für die von Safiye K*** in der Zeit vom 4.November 1986, 14.00 Uhr, bis zum 23.Jänner 1987, 16.00 Uhr, erlittene strafgerichtliche Anhaltung im Verfahren AZ 31 Vr 3875/86 des Landesgerichtes Innsbruck die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches nach § 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StEG nicht vorliegen. Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde der Safiye K***, mit welcher die Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß in Ansehung ihrer Anhaltung während des bezeichneten Zeitraumes die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches nach den zitierten Gesetzesstellen gegeben sind.

Aus den Akten ergibt sich hiezu:

Nachdem am 2.November 1986 gegen 2.00 Uhr die Leiche des Hüseyin K*** im Hausflur seines Wohnhauses in Innsbruck aufgefunden worden war und die gerichtsmedizinische Leichenöffnung ergeben hatte, daß der Genannte unter Verwendung eines stumpfen Würgewerkzeugs (Krawatte, Gürtel udgl) erdrosselt worden war, ergab sich im Zuge der kriminalpolizeilichen Ermittlungen auf Grund einer Reihe von Indizien der dringende Verdacht, daß die Ehefrau des Ermordeten, die damals 40-jährige Gürcü K***, und die Tochter der Eheleute K***, die damals 17-jährige Safiye K***, die Tat begangen bzw. daran mitgewirkt haben. Dieser Verdacht gründete sich insbesondere darauf, daß nach den Angaben von Zeugen - entgegen der Darstellung der beiden Verdächtigen - Hüseyin K*** seine Ehefrau und seine Tochter seit geraumer Zeit tyrannisiert habe, wobei es wiederholt auch zu Mißhandlungen gekommen sei, daß ferner Safiye K*** sich bei einer Zeugin darnach erkundigt habe, wo man Gift kaufen könne, weil sie und ihre Mutter den Vater töten wollten, und daß in der Wohnung der Familie K*** ein Ledergürtel sichergestellt wurde, der nach den Angaben der Gerichtsmediziner mit hoher Wahrscheinlichkeit als Strangulierungswerkzeug in Betracht komme. Im übrigen wird auf die Ausführungen zu 12 Ns 2/87 (= ON 57 dA) verwiesen.

Gürcü K*** und Safiye K*** wurden daraufhin am 4. November 1986, und zwar letztere um 14.00 Uhr und erstere um 14,15 Uhr, von Organen der kriminalpolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Innsbruck wegen des Verdachtes des Mordes nach § 75 StGB aus den Haftgründen der Flucht- und Verdunkelungsgefahr und bestehender Gefahr im Verzug vorläufig festgenommen, nachdem zuvor wiederholt, indes vergeblich versucht worden war, den Sachverhalt dem diensthabenden Staatsanwalt sowie dem zuständigen Untersuchungsrichter (fernmündlich) mitzuteilen und deren Verfügungen einzuholen. Bei den anschließenden polizeilichen Einvernahmen (am 4. und am 5. bzw. am 6.November 1986) bestritten die beiden Verdächtigen, an der Mordtat beteiligt gewesen zu sein; die verdachtsbegründenden Angaben der Zeugen bezeichneten sie als unwahr.

Gürcü K*** und Safiye K*** wurden hierauf am 6.November 1986 um 14.45 Uhr über Verfügung des Untersuchungsrichters, nachdem der Staatsanwalt Haftantrag gestellt hatte, in das landesgerichtliche Gefangenenhaus Innsbruck überstellt. Über Antrag der Staatsanwaltschaft faßte der Untersuchungsrichter am 6.November 1986 den Beschluß auf Einleitung der Voruntersuchung gegen die Genannten wegen § 75 StGB.

Am 7.November 1986 wurden die beiden Beschuldigten vom Untersuchungsrichter einvernommen (ON 5 und ON 6/Bd. I) und es wurde über sie mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom selben Tag (ON 8/Bd. I) gemäß § 180 Abs. 7 (§ 180 Abs. 2 Z 1 und 2) StPO die Untersuchungshaft verhängt.

Der von beiden Beschuldigten dagegen erhobenen (Haft-)Beschwerde gab die Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck nach Durchführung einer Haftprüfungsverhandlung mit Beschluß vom 19.November 1986 (ON 20/Bd. I) nicht Folge, wobei ausgesprochen wurde, daß die Untersuchungshaft bei (der jugendlichen) Safiye K*** aus den Haftgründen nach § 180 Abs. 2 Z 1 und 2 StPO fortzudauern hat (S 229/Bd. I). Den gegen diesen Beschluß von beiden Beschuldigten erhobenen Beschwerden gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 16.Dezember 1986, 4 Bs 663/86 (= ON 32/Bd. II) nicht Folge; es ordnete (gleichfalls) an, daß die Untersuchungshaft bei Safiye K*** gemäß § 180 Abs. 1 Z 1 und 2 StPO fortzudauern habe. In der Begründung dieses Beschlusses wird ausgeführt, daß die (aktenkundigen) Indizien ausreichen, um im Sinn des § 180 Abs. 1 StPO einen dringenden Tatverdacht gegen die (weiterhin eine Tatbegehung bzw. Tatbeteiligung leugnenden) Beschuldigten zu begründen und daß die Haftgründe der Flucht- und Verabredungsgefahr (auch) bei der jugendlichen Beschuldigten Safiye K*** vorliegen, wobei bei ihr der Haftzweck durch die Anwendung gelinderer Mittel oder Maßnahmen im Sinn des § 37 JGG nicht erreicht werden könne (S 12/Bd. II).

Am 23.Jänner 1987 gab sodann die Staatsanwaltschaft die Erklärung ab, daß kein Grund zur weiteren Verfolgung der Gürcü K*** und der Safiye K*** wegen Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB gefunden werde, worauf der Untersuchungsrichter mit Beschluß vom selben Tag das Verfahren gegen beide Beschuldigten gemäß § 109 StPO einstellte und deren sofortige Enthaftung anordnete; zugleich wurde das Verfahren gegen unbekannte Täter gemäß § 412 StPO abgebrochen. Gürcü K*** und Safiye K*** wurden am 23.Jänner 1987 um 16.00 Uhr enthaftet (ON 49, 50/Bd. II).

Beide Beschuldigte begehrten in der Folge die Zuerkennung einer Haftentschädigung, wobei sie teils der Sache nach, teils ausdrücklich eine gesetzwidrige Anordnung bzw. Aufrechterhaltung ihrer Anhaltung geltend machten (ON 48, 51/Bd. II). Mit Beschluß vom 10.September 1987, 12 Ns 2/87, sprach der - im Hinblick auf die Verlängerung der strafgerichtlichen Anhaltung durch das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 16.Dezember 1986 zur Entscheidung zuständige - Oberste Gerichtshof aus, daß für die von Gürcü K*** in der Zeit vom 4.November 1986, 14.15 Uhr, bis zum 23. Jänner 1987, 16.00 Uhr, erlittene strafgerichtliche Anhaltung im gegenständlichen Verfahren die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches gemäß § 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StEG nicht vorliegen (ON 57/Bd. II). In Ansehung der Beschuldigten Safiye K***, die Gesetzwidrigkeiten ausschließlich in bezug auf ihre vorläufige Festnahme gemäß § 177 Abs. 1 und Abs. 2 StPO, nicht aber eine vom Gerichtshof zweiter Instanz zu verantwortende Gesetzesverletzung geltend gemacht hatte (ON 51/Bd. II), verneinte der Oberste Gerichtshof hingegen seine Kompetenz zur Entscheidung gemäß § 6 Abs. 1 erster Satz StEG; er sprach aus, daß über ihren Antrag das Oberlandesgericht Innsbruck (in erster Instanz) zu erkennen haben werde.

In der Folge stellte der (von Safiye K*** angerufene) Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 8.Oktober 1987, B 1094/86-16 (= ON 58/Bd. II), fest, daß Safiye K*** dadurch, daß sie am 4.November 1986 um 14.00 Uhr von Organen der Bundespolizeidirektion Innsbruck festgenommen und sodann bis zum 6. November 1986, 14.45 Uhr, bei dieser Behörde angehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist.

Damit übereinstimmend geht auch das Oberlandesgericht Innsbruck im angefochtenen Beschluß davon aus, daß die Anhaltung der Safiye K*** vom 4.November 1986, 14.00 Uhr, bis zum 6.November 1986,

14.45 Uhr, gesetzwidrig gewesen ist, weil die Genannte entgegen den Vorschriften der §§ 175 bis 177 StPO ohne richterlichen Haftbefehl festgenommen und bei der Polizei verwahrt und erst mit einer zeitlichen Verzögerung dem Gericht überstellt worden war. Es verneinte jedoch die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches nach § 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StEG, weil ein solcher Anspruch als Schadenersatzforderung einen Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Normverstoß und dem durch die Verhängung der Haft begründeten Schadenseintritt voraussetze, an welchem es vorliegend mangle, weil nach Lage des Falles ein Haftbefehl gegen Safiye K*** vom Untersuchungsrichter unzweifelhaft ausgestellt worden wäre, zumal die Genannte damals dringend verdächtig war, ihren Vater ermordet zu haben, bei ihr die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr vorlagen und gelindere Mittel oder Maßnahmen im Sinn des § 37 JGG nicht in Betracht kamen.

Rechtliche Beurteilung

Dem ist beizupflichten. Ein Ersatzanspruch nach dem StEG setzt - wie jede Schadenersatzforderung - einen Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der unterlaufenen Gesetzesverletzung und dem Schadenseintritt voraus (EBRV 1197 BlgNR XI.GP, 9 !erste Spalte, vorletzter Absatz, vorletzter und letzter Satz; OGH 15.10.1986, 9 Os 105/86 = JUS-EXTRA 1987/25 S 14); wäre auch bei gesetzmäßigem Vorgehen die strafgerichtliche Anhaltung (§ 2 Abs. 3 StEG) erfolgt, so besteht kein Ersatzanspruch (OGH 24.1.1985, 12 Os 10/84 = SSt. 56/8 = ÖJZ-LSK 1985/49 = EvBl. 1985/135). Eben dies trifft im vorliegenden Fall, wie das Oberlandesgericht zutreffend aufzeigt, zu, und es wird auch seitens der Beschwerdeführerin dagegen nichts vorgebracht, beruft sich diese doch allein auf das erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit welchem aber nur der Normverstoß dargetan, nicht aber das Bestehen eines Rechtswidrigkeitszusammenhanges zwischen diesem und dem Schadenseintritt aufgezeigt wird.

Der Beschwerde mußte somit ein Erfolg versagt bleiben. Im Rahmen ihrer Beschwerdeausführungen macht Safiye K*** aber nunmehr - über ihren seinerzeitigen, den Gegenstand der bekämpften Entscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck und damit auch der vorliegenden Beschwerdeentscheidung bildenden Antrag (ON 51/Bd. II) hinaus - auch geltend, daß die über sie im Verfahren AZ 31 Vr 3875/86 des Landesgerichtes Innsbruck verhängte Untersuchungshaft gesetzwidrig angeordnet und aufrecht erhalten worden sei (S 124 ff/Bd. II). In diesem Vorbringen ist der Sache nach ein (neuer) Antrag (im Sinn des § 6 Abs. 1 StEG) auf Feststellung, ob die im § 2 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind, zu erblicken, über welchen (gemäß § 6 Abs. 1 erster Satz leg. cit.) der Oberste Gerichtshof (in erster und letzter Instanz) zu befinden hat, weil das Oberlandesgericht Innsbruck seinerzeit mit seinem Beschluß vom 16. Dezember 1986 (ON 32/Bd. II) - unter anderem - der Haftbeschwerde der Safiye K*** nicht Folge gegeben und ausgesprochen hat, daß die Untersuchungshaft bei der Genannten gemäß § 180 Abs. 2 Z 1 und 2 StPO fortzudauern habe, womit es die Anhaltung iS § 2 Abs. 1 lit. a StEG "verlängert" hat (vgl. ÖJZ-LSK 1987/26). Das Begehren ist indes nicht berechtigt.

Entgegen dem Antragsvorbringen ist den Akten ein Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 StPO nicht zu entnehmen; denn Safiye K*** wurde nach ihrer Einlieferung in das landesgerichtliche Gefangenenhaus Innsbruck (am 6.November 1986, 14.45 Uhr) bereits am nächsten Tag, dem 7.November 1986, um 8.30 Uhr vom Untersuchungsrichter zur Sache und zu den Haftvoraussetzungen vernommen (ON 5/Bd. I).

Des weiteren bestand nach der eingangs wiedergegebenen Aktenlage sowohl im Zeitpunkt der Verhängung als auch im Zeitpunkt der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gegen Safiye K*** ein dringender Tatverdacht (iS § 180 Abs. 1 StPO) und es waren auch die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr gegeben. Es war sohin insgesamt wie im Spruch zu erkennen.

Anmerkung

E15586

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0120OS00001.88.1117.000

Dokumentnummer

JJT_19881117_OGH0002_0120OS00001_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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