TE OGH 1988/12/20 11Os156/88

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Veröffentlicht am 20.12.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Dezember 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Zeh als Schriftführer, in der Strafsache gegen Rene Paul W*** und einen anderen Angeklagten wegen des Finanzvergehens nach den §§ 35, 38 FinStrG und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 3. September 1987, GZ 20 Vr 1715/86-94, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Raunig, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 3.September 1987, GZ 20 Vr 1715/86-94, verletzt im Schuldspruch wegen der §§ 35 Abs. 1, 38 Abs. 1 lit a und 11 FinStrG (Faktengruppe E/II) den § 70 ARHG in Verbindung mit dem Art. 14 Abs. 1 des im Auslieferungsverkehr mit der Schweiz anzuwendenden (BGBl 1974/717) Europäischen Auslieferungsübereinkommens (BGBl 1969/320). Dieses Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, wird im erwähnten Schuldspruch sowie in dem auf das FinStrG gegründeten Straf- und Verfallsausspruch aufgehoben und es wird im Umfang der Aufhebung gemäß dem § 292 StPO in der Sache selbst erkannt:

Der Angeklagte Rene Paul W*** wird von der Anklage, er habe gewerbsmäßig eingangsabgabenpflichtige Waren vorsätzlich unter Verletzung der zollrechtlichen Stellungs- und Erklärungspflicht dem Zollverfahren entzogen, und zwar

1./ vom Frühjahr 1986 bis 7.November 1986 dadurch, daß er Michael S*** in Zürich dazu bestimmte, 1 Kilogramm Cannabisharz nach Österreich zu schmuggeln;

2./ im Jahr 1986 dadurch, daß er Michael S*** in Zürich dazu bestimmte, 120 Gramm Kokain nach Österreich zu scmmuggeln;

3./ Ende 1986 25 Gramm Cannabiskonzentrat und 5 Gramm Kokain bei einem nicht bekannten Zollamt;

4./ im November 1986 4 Gramm Heroin und 5 Gramm Cannabisharz bei einem nicht bekannten Zollamt;

5./ am 7.November 1986 beim Zollamt Höchst Edelsteine im Werte von 88.446 S und einen Teppich im Werte von 14.000 S;

6./ im Jahr 1986 bei einem nicht bekannten Zollamt zwei Stück Goldbarren im Wert von 9.648 S,

gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Anläßlich der durch formlose Übergabe bewirkten (vereinfachten) Auslieferung des österreichischen Staatsbürgers Rene Paul W*** aus der Schweiz nach Österreich hatte das zuständige Schweizer Bundesamt für Polizeiwesen zunächst ausdrücklich nur die Verfolgung wegen der im Haftbefehl des Landesgerichtes Feldkirch vom 10. November 1986 (richtig: im Steckbrief dieses Gerichtes vom 12. Dezember 1986, GZ 20 Vr 1715/86-25) angeführten strafbaren Handlungen bewilligt (ON 46, 49, 56, 57 und 58/I), jedoch die Auslieferungsbewilligung in Form eines Ersuchens um Übernahme der Strafverfolgung vom 13.April 1987 auf weitere Tathandlungen ausgedehnt (ON 63 und ON 64/III).

In der Folge wurde Rene Paul W*** mit dem unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 3. September 1987, GZ 20 Vr 1715/86-94, nicht nur auf Grund des im Auslieferungsbewilligungsbescheid des Bundesamtes für Polizeiwesen vom 12.März 1987 (ON 56/I) und im Übernahmsersuchen der Schweizer Behörden umschriebenen Sachverhalts (ON 63/III), sondern darüber hinaus auch wegen anderer, hievon nicht bzw nicht im vollen Umfang erfaßter Taten (Punkte A/ III/ 1/, 4/, 6/ und 11/ bis 14/, B/, C/ II/ 1/ bis 4/ und 7/ sowie E/ II/ 1/ bis 6/ des Urteilsspruches) des Verbrechens nach dem § 12 Abs. 1 und Abs. 3 Z 3 SuchtgiftG, der Vergehen nach den §§ 14 a und 16 Abs. 1 SuchtgiftG, des Verbrechens der Hehlerei nach dem § 164 Abs. 1 Z 2 und Abs. 3 (1. Fall) StGB und des Vergehens des gewerbsmäßigen Schmuggels (und Hinterziehung von Eingangs- und Ausgangsabgaben) nach den §§ 35 Abs. 1, 38 Abs. 1 lit a und 11 (2. Fall) FinStrG schuldig erkannt. Für jene Fakten, zu deren Verfolgung eine Auslieferungsbewilligung fehlte, nicht jedoch auch für das dem Schuldspruch zu den Punkten E/ II/ 1/ bis 6/ des Urteilsspruches wegen des Finanzvergehens zugrunde gelegte Tatverhalten wurde durch die Schweiz nachträglich die Ausdehnung der Auslieferung zur strafgerichtlichen Verfolgung und Bestrafung des Rene Paul W*** bewilligt (ON 120, 124, 125 und 127/IV), sodaß die Spezialität der Auslieferung dem bereits eingeleiteten Strafvollzug insoweit nicht (mehr) entgegensteht (SSt 23/45, EvBl 1982/74 = SSt 52/49).

Rechtliche Beurteilung

Der vorliegende Schuldspruch (auch) wegen des angeführten Finanzdelikts steht mit dem Gesetz nicht im Einklang. Das Prinzip der Spezialität der Auslieferung, welches sowohl im Art. 14 Abs. 1 des (auch) im Verhältnis zur Schweiz bei einer Auslieferung anzuwendenden (BGBl 1974/717) Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13.Dezember 1957, BGBl 1969/320 (vgl Linke-Epp-Dokoupil-Felsenstein, Internationales Strafrecht, S 233, 270, 217) als auch in der Bestimmung des § 70 Abs. 1 des Österreichischen Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes (ARHG, BGBl 1979/529) verankert ist, steht der Verfolgung und Bestrafung einer nach Österreich ausgelieferten Person wegen einer vor ihrer Übergabe begangenen Handlung, auf die sich die Auslieferungsbewilligung nicht erstreckt, entgegen, sofern der ersuchte (ausliefernde) Staat hiezu nicht nachträglich seine Zustimmung erteilt hat. Der Schuldspruch wegen des Finanzvergehens nach den §§ 35 Abs. 1, 38 Abs. 1 lit a und 11 FinStrG (E/ II/ 1/ bis 6/) wurde aber - wie dargestellt - wegen des Charakters der betreffenden Taten als fiskalische strafbare Handlungen (Art. 5 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens) sowohl vom nachträglichen Auslieferungsersuchen der Republik Österreich als auch vom nachträglichen Auslieferungsentscheid der Schweizer Behörden ausdrücklich ausgenommen (ON 120 und 127/IV). Demgemäß ist auch ein Auslieferungsverfahren nicht anhängig. Ein aus der vereinfachten Auslieferung im allgemeinen ableitbarer Verzicht auf die Einhaltung der Spezialität (§ 70 Abs. 1 Z 3 ARHG) kann in diesem Fall auf Grund der gegenteiligen Erklärungen der Schweiz (ON 56/I und 127/IV) nicht angenommen werden.

Das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 3.September 1987, GZ 20 Vr 1715/86-94, verstößt daher durch den Schuldspruch zu E/II zum Nachteil des Rene Paul W*** gegen den Grundsatz der Spezialität der Auslieferung und ist demzufolge mit einem - Nichtigkeit nach der Z 9 lit b des § 281 Abs. 1 StPO begründenden - materiellrechtlichen Verfolgungshindernis behaftet (vgl abermals EvBl 1982/74 = SSt 52/49, 13 Os 59/83, 10 Os 124/85 u.a.m.).

Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben.

Anmerkung

E16491

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0110OS00156.88.1220.000

Dokumentnummer

JJT_19881220_OGH0002_0110OS00156_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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