TE OGH 1991/8/28 9ObA126/91

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Veröffentlicht am 28.08.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Dorner und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Landesstelle T*****, vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagten Parteien 1. H***** G*****, 2. Z***** V*****AG, ***** beide vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wegen 29.188,60 S samt Anhang, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 1991, GZ 5 Ra 187/90-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. September 1990, GZ 42 Cga 82/90-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 3.985,34 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 664,22 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstbeklagte ist Alleineigentümer und alleiniger Betriebsführer eines landwirtschaftlichen Betriebes in T*****, der 27 ha Grund umfaßt und auf dem 30 Stück Großvieh gehalten werden. Die Arbeiten im landwirtschaftlichen Betrieb werden ausschließlich vom Erstbeklagten und seiner Gattin verrichtet. Die Gattin des Erstbeklagten verrichtete sämtliche in der Landwirtschaft anfallenden Arbeiten, insbesondere im Stall bei der Versorgung des Viehs, ohne daß konkrete Anweisungen erforderlich gewesen wären. Sie ersetzte voll eine landwirtschaftliche Arbeitskraft. Sie erhielt keinen Arbeitslohn, sondern lebte ebenso wie der Erstbeklagte von den Erträgnissen der Landwirtschaft. Der Erlös aus den Fleisch- und Milchverkäufen wurde in barem oder mit Überweisung auf das Konto des Erstbeklagten gezahlt. Die Gattin des Erstbeklagten, die kein eigenes Konto hat, war berechtigt, von diesem Konto abzuheben. Der Erstbeklagte traf alle wesentlichen betrieblichen Entscheidungen und nahm die Verkaufsabschlüsse vor. Die Anschaffung größerer kostspieliger Betriebsmittel besprach er vorher mit seiner Gattin. Die Rechnungen lauteten auf den Erstbeklagten. Sämtliche den landwirtschaftlichen Betrieb betreffenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wurden dem Erstbeklagten vorgeschrieben. Lediglich bei Kreditaufnahmen verpflichtete sich die Gattin des Erstbeklagten mit. Bei der klagenden Partei sind in der Unfallversicherung der Erstbeklagte (gemäß § 3 Abs 1 Z 1 iVm § 2 Abs 1 Z 1 BSVG) und seine Gattin (gemäß § 3 Abs 1 Z 2 BSVG) pflichtversichert.

Am 10. August 1986 fuhren der Erstbeklagte und seine Gattin mit dem bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW des Erstbeklagten auf die J*****-Alm im S*****, weil sich eines der dort eingestellten Tiere des Erstbeklagten verletzt hatte. Der Erstbeklagte hatte seine Gattin aufgefordert mitzufahren, weil er allenfalls eine zweite Person benötigte, um das verletzte Tier zu bergen. Tatsächlich brachte der Erstbeklagte das verletzte Tier, das nur auf drei Beinen gehen konnte und gestützt werden mußte, mit Hilfe seiner Gattin in den Alp-Stall. Dann tranken der Erstbeklagte und seine Gattin gemeinsam eine Flasche Bier und eine Limonade, die zu einem "Radler" gemischt worden waren, und stiegen ca. 30 Minuten zum Parkplatz ab. Der Erstbeklagte war nicht alkoholisiert und es fehlten auch Anzeichen einer besonderen Ermüdung. Es herrschte schwüles Wetter. Auf der Rückfahrt geriet der Erstbeklagte, der eine Geschwindigkeit von etwa 40 km/h einhielt, über den rechten Fahrbahnrand und prallte mit der rechten Frontseite des PKW gegen die Felsböschung, worauf sich das Fahrzeug überschlug. Durch den Unfall erlitt die Gattin des Erstbeklagten eine schwere Handverletzung.

Mit Vergleich vom 12. November 1987 verpflichtete sich die klagende Partei gegenüber der Gattin des Erstbeklagten, für die Unfallfolgen die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung (Heilbehandlungskosten) sowie eine vorläufige Versehrtenrente zu gewähren. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. September 1988 wurde der Gattin des Erstbeklagten für den Zeitraum vom 1. Juli 1988 bis 30. Juni 1989 eine vorläufige Versehrtenrente von 50 v.H. der Vollrente und ab 1. Juli 1989 eine Dauerrente von 45 v.H. der Vollrente zuerkannt.

Die zweitbeklagte Partei erstattete der klagenden Partei die im Rahmen der Unfallversicherung erbrachten Aufwendungen für die Gattin des Erstbeklagten nur bis 31. Dezember 1988. Der Aufforderung, auch für die im Jahre 1989 erbrachten Leistungen den Gegenwert von 29.188,60 S zu ersetzen, kam die zweitbeklagte Partei nicht nach.

Die klagende Partei begehrt vom Erstbeklagten in dessen Eigenschaft als Lenker und Halter und von der zweitbeklagten Partei als Haftpflichtversicherer des PKW den Ersatz dieser Aufwendungen unter Berufung auf den Forderungsübergang nach §§ 332 ff ASVG. Zwischen den Ehegatten habe kein Dienstverhältnis bestanden, weil die Betriebsentscheidungen gemeinsam getroffen worden seien und der Betrieb auf gemeinsame Rechnung und Gefahr geführt worden sei. Im übrigen sei der Unfall vom Erstbeklagten grob fahrlässig herbeigeführt worden.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Es handle sich um einen Arbeitsunfall, bei dem dem Erstbeklagten das Haftungsprivileg nach § 333 ASVG zugute komme. Den Erstbeklagten treffe kein grobes Verschulden; er sei weder alkoholisiert noch übermüdet gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Erstbeklagte alleiniger Betriebsführer gewesen sei, wogegen seine Gattin in Erfüllung ihrer Beistandspflicht im Betrieb mitgewirkt habe. Wäre die Gattin des Erstbeklagten nicht zur Bergung des Tieres mitgefahren, hätte der Erstbeklagte einen Arbeitnehmer im Sinne des § 4 ASVG heranziehen müssen. Dem Erstbeklagten komme daher das Haftungsprivileg des § 333 ASVG zugute. Da ihm grobe Fahrlässigkeit nicht anzulasten sei, hafte er nicht nach § 334 ASVG.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und vertrat die Rechtsauffassung, daß die Verweisung nach § 148 BSVG auch die im fünften Teil des ASVG enthaltenen Bestimmungen der §§ 333 und 334 ASVG umfasse. Die Ausnahmsbestimmung des § 333 Abs 3 ASVG sei - im Hinblick auf den Zeitpunkt des Unfalles - in der Fassung vor der 48. ASVG-Novelle anzuwenden; als Teilnahme am allgemeinen Verkehr sei die gegenständliche Fahrt nicht zu qualifizieren.

Der auch für die Anwendung des § 333 ASVG maßgebliche Begriff des Dienstgebers sei im § 35 ASVG definiert. Diese Bestimmung sehe in deren Abs 1 eine entsprechende Anwendung dieses Begriffes auch dann vor, wenn die Dienste von nicht als Dienstnehmer beschäftigten, pflichtversicherten Personen geleistet wurden. Wende man daher zufolge der Verweisung des § 148 ASVG nicht nur § 333 Abs 1 ASVG, sondern auch die für das gesamte ASVG geltende Definition des § 35 Abs 1 ASVG entsprechend auf den vorliegenden Fall an, dann sei auch dann, wenn man die Mitwirkung der Gattin eines Landwirtes nicht als betriebliche Tätigkeit nach Art eines Dienstnehmers im Sinne des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG qualifiziere, der Erstbeklagte als Dienstgeber seiner Gattin anzusehen. Da der Erstbeklagte den Unfall weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt habe, hafte er weder nach § 333 Abs 1 noch nach § 334 Abs 1 ASVG.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Da die Begründung des angefochtenen Urteils zutrifft, genügt es, auf ihre Richtigkeit hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin noch folgendes zu erwidern:

Rechtliche Beurteilung

Auch wenn der Revisionswerberin zuzugeben ist, daß das BSVG anders als das ASVG bezüglich der Versicherungspflicht nicht an ein Dienstverhältnis, sondern an die selbständige Erwerbstätigkeit in der Landwirtschaft und die Mittätigkeit von Angehörigen anknüpft, ist die Verweisungsnorm des § 148 BSVG nicht restriktiv auszulegen, obwohl § 178 BSVG unter dem Titel "Übergang von Schadenersatzansprüchen auf den Versicherungsträger" lediglich eine dem § 332 Abs. 1, 2 und 5 ASVG entsprechende Regelung trifft. Zöge man in restriktiver Auslegung der Verweisungsnorm des § 148 BSVG lediglich § 178 BSVG heran, dann käme man zu dem gleichheitswidrigen Ergebnis, daß der Sozialversicherungsträger in diesem Versicherungszweig auch bei einem nur durch leichte Fahrlässigkeit des Betriebsführers verursachten Unfall für die von ihm an die gemäß § 3 Abs. 1 Z 2 BSVG unfallversicherten mittätigen Angehörigen erbrachten Leistungen Regreß nehmen könnte, da die § 332 Abs 5 ASVG nachgebildete Regelung des § 178 Abs 3 BSVG eine Einschränkung des Regresses auf vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles nur gegenüber Dienstnehmern vorsieht; dies, obwohl der Betriebsführer gemäß § 30 Abs 1 BSVG (gleich dem Dienstgeber nach dem ASVG) allein die Beiträge zur Unfallversicherung für die mittätigen Familienangehörigen zu leisten hat. Andererseits wären die mittätigen Familienangehörigen im Falle eines durch den Betriebsführer verschuldeten Unfalles ungeachtet ihrer mit der

von - insbesondere im § 4 Abs 1 Z 3 ASVG

genannten - Arbeitnehmern anderer Unternehmen vergleichbaren Interessenlage insofern ohne sachliche Rechtfertigung begünstigt, als sie einerseits - aufgrund der vom Betriebsführer geleisteten Beiträge - in den Genuß der vom Verschulden und von der Leistungsfähigkeit des Schädigers unabhängigen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung kämen und dennoch vom Betriebsführer auch im Falle bloß fahrlässiger Herbeiführung des Unfalles vollen Schadenersatz fordern könnten. Gegen eine abschließende Regelung durch § 178 BSVG und daher gegen eine restriktive Auslegung der Verweisungsnorm des § 148 BSVG spricht weiters auch der Umstand, daß es im Falle eines durch einen gemäß § 3 Abs 1 Z 2 BSVG unfallversicherten Familienangehörigen verschuldeten Unfalles, bei dem ein anderer in gleicher Weise unfallversicherter Familienangehöriger, ein im Betrieb beschäftigter Dienstnehmer oder der Betriebsführer verletzt wird, zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Schlechterstellung der nach dem BSVG versicherten Angehörigen käme, da eine dem (auch auf Angehörige, die nach § 4 Abs 1 Z 3 ASVG versichert sind, anzuwendenden) § 332 Abs 5 ASVG vergleichbare Einschränkung des Regreßanspruches des Sozialversicherungsträgers bezüglich dieser Personengruppe im § 178 BSVG fehlt.

Schließlich ist aber auch noch darauf hinzuweisen, daß das BSVG nur über die Leistungen in der Kranken- und Pensionsversicherung detaillierte eigene Regelungen enthält, wogegen es sich bezüglich der Leistungen der Unfallversicherung mit einer Verweisung auf die einschlägigen Bestimmungen des ASVG begnügt. § 178 BSVG übernimmt dementsprechend nur die für die Kranken- und Pensionsversicherung bedeutsamen Teile der §§ 332 ff ASVG, während es für die Unfallversicherung bei der generellen Verweisung auf sämtliche einschlägigen Bestimmungen des ASVG verbleibt.

Dem Argument der Revisionswerberin, auch bei Führung des Betriebes durch Ehegatten auf gemeinsame Rechnung und Gefahr sei gemäß § 2 a BSVG nur einer der Ehegatten als Betriebsführer im Sinne des § 2 BSVG pflichtversichert, ist zu erwidern, daß dies kein Hindernis für eine an der tatsächlichen Gestaltung der Tätigkeit orientierte sinngemäße Heranziehung des § 333 Abs 1 ASVG bildet, der für den Fall, daß von mehreren ein Unternehmen gemeinsam betreibenden Personen die eine durch das Verschulden einer anderen verletzt wird, auch keine Einschränkung der Schadenersatzpflicht vorsieht.

Soweit sich die Revisionswerberin auf die Entscheidung 1 Ob 43/88 (= SZ 62/40) beruft, ist ihr zu erwidern, daß diese Entscheidung - anders als der vorliegende Fall - aus einem Unfall des Betriebsführers selbst abgeleitete Ansprüche gegen einen nicht im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes tätigen Dritten und somit einen anderen Sachverhalt betraf.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E26655

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBA00126.91.0828.000

Dokumentnummer

JJT_19910828_OGH0002_009OBA00126_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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