TE OGH 1993/2/17 13Os4/93

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Veröffentlicht am 17.02.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Feber 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hörburger, Dr.Kuch, Dr.Massauer und Dr.Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Malesich als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef G***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 StGB, AZ U 208/91 des Bezirksgerichtes Tamsweg, über die vom Generalprokurator gegen eine Reihe von prozessualen Vorgängen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach Anhörung des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Kodek, in öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Das Gesetz ist durch folgende Vorgänge verletzt:

1. durch die Durchführung der Hauptverhandlung am 23.März 1992 in Abwesenheit des Bezirksanwaltes in den Bestimmungen der §§ 31, 457 StPO und des § 4 Abs. 1 StAG;

2. durch die Durchführung der Hauptverhandlung am 23.März 1992 ohne Beiziehung eines Schriftführers in der Bestimmung des § 23 StPO;

3. durch die Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form vor Eintritt der Rechtskraft in den Bestimmungen des § 458 Abs. 2 und Abs. 3 StPO;

4. durch das Unterbleiben einer Zustellung des Pauschalkostenbestimmungsbeschlusses vom 30.März 1992 an den Bezirksanwalt und die Verfügung der Einhebung dieser Kosten vor Rechtksraft in den Bestimmungen der §§ 77, 78 und 392 StPO;

5. durch das Unterbleiben einer Anhörung der Parteien vor Beschlußfassung über den Gebührenantrag des Sachverständigen in der Bestimmung des § 39 Abs. 1 GebAG.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Auf Grund einer Anzeige des Gendarmeriepostens Sankt Michael im Lungau beantragte der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Tamsweg am 12. November 1991 die Bestrafung des Josef G***** wegen Vergehens nach dem § 88 Abs. 1 StGB. Der Bezirksrichter verhandelte darüber in Gegenwart des Bezirksanwaltes, des Beschuldigten und seines Verteidigers am 26.November 1991. Diese Hauptverhandlung wurde über Antrag des Verteidigers zur Durchführung eines Ortsaugenscheins unter Beiziehung eines Sachverständigen vertagt. Am 23.März 1992 wurde die Hauptverhandlung an Ort und Stelle in Zederhaus durchgeführt. Anwesend waren außer dem Richter nur der Beschuldigte, dessen Verteidiger und der verkehrstechnische Sachverständige, aber kein Schriftführer und auch nicht der Bezirksanwalt. Der Richter verlas nach dem Beweisverfahren den Strafantrag des Bezirksanwalts und fällte nach dem Schlußwort des Verteidigers ein schuldigsprechendes Urteil. Verteidiger und Beschuldigter verzichteten auf Rechtsmittel (S 45). Trotz Anlegung eines (nur vom Richter unterfertigten) Hauptverhandlungsprotokolls wurde (unter Verwendung des wegen der Neufassung des § 458 StPO durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 überholten Formulars) ein "Protokolls- und Urteilsvermerk" verfaßt (eigentlich: das Urteil gekürzt ausgefertigt), den gleichfalls nur der Richter unterschrieben hat. Die für eine solche Urteilsausfertigung in gekürzter Form gemäß dem § 458 Abs. 2 und Abs. 3 StPO geforderte Bedingung, daß die Parteien (also auch der Bezirksanwalt) auf alle Rechtsmittel verzichtet oder innerhalb der hiefür offenstehenden Frist kein Rechtsmittel angemeldet haben, war nach dem geschilderten Prozeßverlauf allerdings nicht erfüllt. Voraussetzung dafür wäre nämlich die prozeßordnungsgemäße mündliche Verkündung des Urteils (§§ 77 Abs. 1, 458 Abs. 1 StPO) auch an den Bezirksanwalt gewesen, weil er erst ab diesem Zeitpunkt den für eine gekürzte Ausfertigung notwendigen Rechtsmittelverzicht abgeben bzw. die Rechtsmittelanmeldungsfrist für ihn zu laufen beginnen konnte. Mangels mündlicher Verkündung des Urteils gegenüber dem Bezirksanwalt hätte ihm dieses gemäß den §§ 77, 78 StPO nur durch Mitteilung einer der Vorschrift des § 270 Abs. 1 und Abs. 2 StPO entsprechenden Urschrift bekanntgemacht werden können.

In der Endverfügung vom 30.März 1992, in der somit zu Unrecht das Datum der Urteilsrechtskraft mit 23.März 1992 (= Tag der Urteilsfällung) angeführt wird, wurden die Pauschalkosten bestimmt und deren Einhebung verfügt (S 50), obwohl auch dieser Beschluß noch nicht in Rechtskraft erwachsen war. Zwar waren die Akten am 7.April 1992 dem Bezirksanwalt zugekommen, doch war dies vom Gericht nur zum Zwecke der Einsichtnahme in den Sachverständigengebührenbeschluß vom 25. März 1992 verfügt worden (S 51). Damit war aber keineswegs auch gleichzeitig die Zustellung des Pauschalkostenbestimmungsbeschlusses bewirkt worden, weil die Akten weder ausdrücklich noch erkennbar auch zu diesem Zweck dem Bezirksanwalt übermittelt worden sind (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 2 zu § 78). Im übrigen hat es das Bezirksgericht unterlassen, vor Beschlußfassung über die Sachverständigengebühren die Stellungnahmen des Bezirksanwaltes und des Beschuldigten zum Gebührenantrag einzuholen (§ 39 Abs. 1 GebAG).

Durch diese Vorgänge ist - wie der Generalprokurator in seiner gemäß dem § 33 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - das Gesetz mehrfach verletzt worden:

1. Gemäß dem § 31 iVm den §§ 447 Abs. 1 zweiter Satz, 457 StPO und dem § 4 Abs. 1 StAG darf die Hauptverhandlung auch vor dem Bezirksgericht wegen einer von Amts wegen zu verfolgenden Straftat nicht in Abwesenheit des Anklägers stattfinden (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 4 zu § 31; E 15 zu § 276; E 2 zu § 457), mag auch ein Verstoß gegen diese Vorschriften keinen Nichtigkeitsgrund darstellen (Mayerhofer-Rieder, aaO E 2 zu § 468 StPO).

2. Zufolge der nach dem § 447 Abs. 1 StPO auch im Verfahren vor dem Bezirksgericht anzuwendenden Vorschrift des § 23 StPO muß - von den hier nicht aktuellen Fällen des § 452 Z 6, zweiter Halbsatz, StPO abgesehen - jeder "Gerichtssitzung" ein Schriftführer beiwohnen und das Protokoll darüber aufnehmen. Eine ohne Beiziehung eines Schriftführers durchgeführte Hauptverhandlung begründet absolute Nichtigkeit nach dem § 468 Abs. 1 Z 1 StPO infolge nicht gehöriger Besetzung des Gerichtes (SSt. 34/52 ua).

3. Gemäß dem § 458 Abs. 2 und Abs. 3 StPO setzt die Ausfertigung eines Urteils in gekürzter Form dessen Rechtskraft voraus. Die Rechtskraft eines Urteils kann aber vor prozeßordnungsgemäßer Kenntnisnahme durch den öffentlichen Ankläger nicht eintreten, auch wenn dem Strafantrag entsprochen wurde. Die Befugnisse des öffentlichen Anklägers gehen über die Anklageerhebung und -vertretung hinaus und umfassen auch die Wahrnehmung aller für den Beschuldigten sprechenden Umstände (§§ 3, 465 Abs. 1 StPO). Die Datumsangaben über die Rechtskraft in der Endverfügung und im Dekret über die bedingte Strafnachsicht waren daher unrichtig.

4. Auch Beschlüsse über die Bestimmung der Pauschalkosten müssen dem öffentlichen Ankläger, dem dagegen ein Rechtsmittel zusteht (§ 392 Abs. 1 StPO), bekanntgemacht werden (§§ 77, 78 StPO). Vor dieser Bekanntmachung kann die Rechtskraft nicht eintreten und ohne Rechtksraft darf die Einhebung der Kosten nicht verfügt werden.

5. Schließlich bestimmt der § 39 Abs. 1 GebAG die Anhörung der Parteien zum Gebührenantrag des Sachverständigen vor Beschlußfassung darüber.

Alle diese Gesetzesverletzungen wirkten sich allerdings nicht zum Nachteil des Beschuldigten aus, dem vielmehr durch eine Aufhebung des zwar unter Mißachtung einer Reihe von Prozeßvorschriften zustandegekommenen, aber doch sachlich richtigen und von ihm akzeptierten Urteils die Teilnahme an einer neuen Hauptverhandlung mit entsprechender Kostenbelastung zu seinem Nachteil auferlegt werden müßte. Es konnte daher mit der Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzungen sein Bewenden haben (§ 292 StPO).

Anmerkung

E34337

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0130OS00004.9300006.0217.000

Dokumentnummer

JJT_19930217_OGH0002_0130OS00004_9300006_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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