TE Vwgh Erkenntnis 2008/4/2 2007/08/0196

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Veröffentlicht am 02.04.2008
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §12 Abs4;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2007/08/0197

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerden der E Z in Wien, vertreten durch Dr. Harald Schicht, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Helferstorferstraße 4/12, gegen die auf Grund jeweils eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheide der Landesgeschäftstelle des Arbeitsmarktservice Wien jeweils vom 9. Mai 2007,

1. Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2007-757 (protokolliert zur hg. Zl. 2007/08/0196) und 2. Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2007-756 (protokolliert zur hg. Zl. 2007/08/0197) 1, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld bzw. Abweisung des Antrages auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt.

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 712,30 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die 1965 geborene Beschwerdeführerin ist seit 1989 zum Studium der Psychologie an der Universität Wien immatrikuliert, hat den ersten Teil der zweiten Diplomprüfung 1995 abgeschlossen und danach keine weiteren Prüfungen gemacht. Von November 1999 bis April 2002 arbeitete sie beim ORF Niederösterreich, anschließend bezog sie Wochengeld auf Grund der Geburt ihres Sohnes im August 2002 und im anschließenden Karenzurlaub Kinderbetreuungsgeld. Nach dem Ende des Karenzurlaubes setzte sie ihre Tätigkeit beim ORF Niederösterreich vom 18. Februar bis 30. Juni 2005 fort. Dieses Dienstverhältnis endete am 30. Juni 2005 durch Zeitablauf.

Die Beschwerdeführerin stellte am 4. Juli 2005 einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld. Im bundeseinheitlichen Antragsformular beantwortete sie die Frage 9, ob sie sich in Ausbildung (Schule, Hochschule, Fachschule, Kurs, Lehrgang, Praktikum, usw.) befinde, durch Ankreuzen mit "nein"; an Beschäftigungszeiten führte sie den Zeitraum vom 8. November 1999 bis 30. Juni 2005 beim ORF Niederösterreich an.

In weiterer Folge stellte sie am 1. Dezember 2005 sowie am 16. Februar 2007 Anträge auf Gewährung von Notstandshilfe (wobei sie die Frage 9 zu einer allfälligen Ausbildung im Antragsformular vom 1. Dezember 2005 durch Ankreuzen mit "ja" beantwortete bzw. im Antrag vom 16. Februar 2007 unbeantwortet ließ).

Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien hat

1. mit Bescheid vom 27. Februar 2007 dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der Notstandshilfe vom 16. Februar 2007 gemäß § 33 iVm §§ 38, 7 und 12 AlVG mangels Arbeitslosigkeit keine Folge gegeben, zumal sie laufend an der Universität Wien studiere und vor Geltendmachung ihres Anspruches nicht die erforderliche Parallelität von 39 Wochen nachweisen könne;

2. mit Bescheid vom 1. März 2007 den Bezug des Arbeitslosengeldes gemäß § 24 Abs. 2 AlVG für die Zeiträume vom 10. Juli bis 23. Juli 2005 sowie vom 31. Juli bis 3. Dezember 2005 widerrufen und die Beschwerdeführerin gemäß § 25 Abs. 1 leg. cit. zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in Höhe von EUR 4.251,80 verpflichtet sowie

3. mit (weiterem) Bescheid vom 1. März 2007 die Zuerkennung der Notstandshilfe an die Beschwerdeführerin gemäß § 24 Abs. 2 iVm § 38 AlVG für die Zeiträume vom 4. Dezember 2005 bis 28. Februar 2006 sowie vom 6. März bis 29. März 2006 widerrufen und die Beschwerdeführerin gemäß § 25 Abs. 1 iVm § 38 leg. cit. zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in der Höhe von EUR 3.110,22 verpflichtet.

Infolge der von der Beschwerdeführerin gegen die genannten Bescheide erhobenen Berufungen hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien mit Bescheid vom 19. März 2007 ihren Bescheid betreffend die Notstandshilfe vom 1. März 2007 gemäß § 68 Abs. 2 AVG dahingehend abgeändert, dass die Notstandshilfe für die Zeiträume vom 4. Dezember 2005 bis 28. Februar 2006 sowie vom 6. März bis 29. März 2006 widerrufen, jedoch von einer Rückforderung der zu viel bezogenen EUR 3.110,22 abgesehen wird; sie hat dies damit begründet, dass die Rückforderung der Leistung nicht von der Beschwerdeführerin, die in ihrem Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe vom 1. Dezember 2005 angegeben hatte, dass sie sich in Ausbildung befände, durch Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt worden sei.

Mit den angefochtenen Bescheiden hat die belangte Behörde die erstinstanzlichen Bescheide vom 1. März 2007 (betreffend den Widerruf der Zuerkennung von Arbeitslosengeld sowie die Rückzahlungsverpflichtung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in der Höhe von EUR 4.251,80) und vom 27. Februar 2007 (betreffend die Abweisung des Antrages auf Notstandshilfe vom 16. Februar 2007) bestätigt.

In den großteils gleich lautenden Begründungen wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin die für den Bezug der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung notwendige Parallelität von Studium und Beschäftigung innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Geltendmachung von Arbeitslosengeld lediglich im Zeitraum vom 18. Februar bis 30. Juni 2005 (im Umfang von 133 Tagen) aufweise und somit die Voraussetzung für die Ausnahmebestimmung gemäß § 12 Abs. 4 AlVG nicht erfülle, weil sie in den angeführten Zeiträumen nicht mindestens 39 Wochen (= 273 Tage), davon 26 Wochen durchgehend, beschäftigt gewesen sei; für den Anspruch auf Notstandshilfe sei die Parallelität nicht (neuerlich) zu prüfen. Der Argumentation der Berufung, wonach die Nichtberücksichtigung von Zeiträumen des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld bei der Rahmenfrist des § 12 Abs. 4 AlVG eine planwidrige Lücke darstelle, die durch Analogie zu anderen Rahmenfristerstreckungsgründen zu schließen sei, wurde nicht gefolgt und festgehalten, dass gemäß § 15 Abs. 1 Z. 6 AlVG die Rahmenfristen des § 14 Abs. 1 bis 3 AlVG um Zeiträume des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld verlängere; eine Rahmenfristerstreckung gemäß § 15 Abs. 1 Z. 6 AlVG könne in Bezug auf den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Geltendmachung der Leistung gemäß § 12 Abs. 4 AlVG nicht erfolgen. Des Weiteren habe die Beschwerdeführerin im Zuge einer im Berufungsverfahren aufgenommenen Niederschrift ausgeführt, anlässlich der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes am 4. Juli 2005 nicht an die Fortsetzung des Studiums gedacht zu haben und daher auch guten Gewissens im Leistungsantragsformular angekreuzt zu haben, dass sie sich nicht in Ausbildung befinde; eine Exmatrikulationsbestätigung für diesen Zeitraum im Sommersemester 2005 sei verloren gegangen bzw. könne sie nicht nachweisen. Die Verschweigung des aufrechten Studiums stelle eine maßgebende Tatsache dar und berechtige zur Rückforderung des Arbeitslosengeldes gemäß § 25 Abs. 1 AlVG.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, in welchen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten der Verwaltungsverfahren vor und erstattete Gegenschriften, in denen sie jeweils die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat nach Verbindung der Beschwerden auf Grund ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung über diese erwogen:

Gemäß § 12 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 ist arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat. Als arbeitslos gilt gemäß § 12 Abs. 3 lit. f leg. cit. nicht, wer in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang - so als ordentlicher Hörer einer Hochschule, als Schüler einer Fachschule oder einer mittleren Lehranstalt - ausgebildet wird. Abweichend von dieser Bestimmung gilt jedoch nach § 12 Abs. 4 AlVG als arbeitslos, wer

"1. während eines Zeitraumes von zwölf Monaten vor der Geltendmachung mindestens 39 Wochen, davon 26 Wochen durchgehend, oder mindestens die Hälfte der Ausbildungszeit, wenn diese kürzer als zwölf Monate ist, arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war,

2. zugleich dem Studium oder der praktischen Ausbildung nachgegangen ist und

3. die letzte Beschäftigung vor Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht selbst zwecks Fortsetzung des Studiums oder der praktischen Ausbildung freiwillig gelöst hat."

Des Weiteren lauten in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden

Fassung jeweils auszugsweise

§ 14 Abs. 1 und 4 AlVG:

"(1) Bei der erstmaligen Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war ...

"(4) Auf die Anwartschaft sind folgende im Inland zurückgelegte oder auf Grund inländischer Rechtsvorschriften erworbene Zeiten anzurechnen:

...

c) Zeiten des Bezuges von Wochengeld oder Krankengeld einer Krankenversicherung auf Grund eines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses;

..."

§ 15 Abs. 1 und 3 AlVG:

"(1) Die Rahmenfrist (§ 14 Abs. 1 bis 3) verlängert sich um höchstens drei Jahre um Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Inland

...

6. einen Karenzurlaub im Sinne der gesetzlichen Vorschriften zurückgelegt oder Karenzgeld oder Weiterbildungsgeld bezogen hat; ...

(3) Die Rahmenfrist verlängert sich weiters um Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Inland

1. Krankengeld bzw. Wochengeld bezogen hat oder in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht gewesen ist;

...

6. Kinderbetreuungsgeld bezogen hat."

Aus § 12 Abs. 3 lit. f AlVG ergibt sich, dass der Bezug von Arbeitslosengeld während eines Studiums grundsätzlich nicht in Frage kommt. § 12 Abs. 4 AlVG sieht jedoch eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor. Der Gesetzgeber vermutet nämlich für den Regelfall eine objektive Unvereinbarkeit eines Studiums mit einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung. Das Arbeitslosengeld soll dazu dienen, den Entgeltausfall nach Verlust einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung bis zur Wiedererlangung einer neuen derartigen Beschäftigung auszugleichen. Eine solche Wiedererlangung einer Beschäftigung sieht der Gesetzgeber neben einem Studium im Regelfall als ausgeschlossen an; lediglich dann, wenn die Kriterien des § 12 Abs. 4 AlVG erfüllt sind, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die arbeitslose Person in die Kategorie der sogenannten "Werkstudenten" fällt und daher auch die Wiedererlangung einer Beschäftigung zu erwarten ist und mit Rücksicht darauf ein Bezug von Arbeitslosengeld auch parallel zum Studium ausnahmsweise möglich sein soll (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 14.466/1996, und das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 1996, Zl. 96/08/0125).

Die hier maßgebende Fassung des § 12 Abs. 4 AlVG geht auf die Novelle BGBl. I Nr. 142/2000 zurück. Mit dieser Novelle wurde ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruches auf Arbeitslosengeld (und nicht mehr länger auf jenen des Eintrittes der Arbeitslosigkeit, vgl. die Fassung BGBl. Nr. 201/1996, ebenso wie die vorherigen Fassungen, dargestellt im zitierten hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 1996) abgestellt. Die Materialien dazu (RV 311 BlgNr. XXI. GP, S. 211) lauten:

"Künftig soll auf Grund einer Änderung des Studienförderungsgesetzes 1992 als Einkommensgrenze für die Studienförderung nicht mehr die auch für die Arbeitslosenversicherung maßgebliche monatliche Geringfügigkeitsgrenze nach dem ASVG gelten, sondern eine Jahresdurchrechnung des erzielten Einkommens erfolgen. Eine Kürzung der Studienbeihilfe soll erst eintreten, wenn das Einkommen aus einer Beschäftigung im Jahr die zwölffache Geringfügigkeitsgrenze überschreitet. Es wird daher möglich sein, neben der bezogenen Studienbeihilfe arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt zu sein und dadurch wesentlich leichter die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld zu erfüllen. Um eine stärkere Belastung der Arbeitslosenversicherung durch Studenten zu vermeiden, ist es daher erforderlich, die bestehenden Ausnahmeregelungen, die Werkstudenten die Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ermöglichen, strenger zu fassen."

Die dadurch eindeutig festgelegten Zeiträume von Beschäftigung und gleichzeitigem Studium lassen auch in Härtefällen grundsätzlich keinen Interpretationsspielraum zu (vgl. dazu auch Weikinger (Hrsg.), Arbeitslosenversicherungsgesetz, Loseblattausgabe, Lieferung März 2005, Kap 2-60).

Soweit die Beschwerde die Nichtberücksichtigung der Zeiten des Bezuges von Wochengeld bzw. Kinderbetreuungsgeld bei der Berechnung der Anwartschaft nach § 12 Abs. 4 AlVG als eine im Lichte des Gleichheitssatzes nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Werkstudenten untereinander betrachtet und dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2004, Zl. 2003/08/0265, ins Treffen führt, so übersieht sie das jüngst ergangene hg. Erkenntnis vom 25. April 2007, Zl. 2005/08/0061, dem ein gleich gelagerter Fall wie im hier angefochtenen Bescheid zu Grunde lag.

Im Erkenntnis vom 25. April 2007, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof eine unterschiedliche Behandlung zu dem im hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2004, Zl. 2003/08/0265, behandelten Fall als gerechtfertigt erachtet und dazu u.a. ausgeführt:

"In dem zuletzt genannten Erkenntnis (Zl. 2003/08/0265) hat ein arbeitsloser Student den Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld erst nach Ablauf eines Krankengeldbezuges gestellt. Der Verwaltungsgerichtshof kam zu dem Schluss, dass es zu einer im Lichte des Gleichheitssatzes nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Werkstudenten untereinander führen würde, wenn in diesem Fall Arbeitslosengeld nicht zuerkannt würde. Der Verwaltungsgerichtshof verwies ausdrücklich darauf, dass in Zeiten des Krankengeldbezuges nicht nur nicht gearbeitet, sondern auch nicht studiert werden könne....

Der vorliegende Fall ist mit dem soeben genannten nicht vergleichbar. Der Bezug von Kinderbetreuungsgeld stellt weder einen Ruhensgrund im Sinne des § 16 AlVG dar, noch ist gesetzlich vorgesehen, dass eine wegen eines derartigen Bezuges verspätete Antragsabgabe zu einem Arbeitslosengeldbezug rückwirkend ab dem Tag der Ausgabe des Formulars führt. Auch ist es nicht ausgeschlossen, dass in Zeiten des Kinderbetreuungsgeldbezuges studiert werden kann.

Festzuhalten ist weiters, dass ist im Fall einer indirekten Diskriminierung z.B. in dem Sinne, dass Frauen in geringerem Umfang in den Genuss einer Leistung kommen als Männer, ausschlaggebend ist, ob dieser Effekt auf eine zulässige sozialpolitische Zielsetzung zurückgeführt und mit dieser sachlich gerechtfertigt werden kann. Dazu ist zu bemerken, dass das Arbeitslosenversicherungsrecht (im Wesentlichen) das Risiko der Arbeitslosigkeit versichert, d.h. in erster Linie dem Zweck der Wiedereingliederung arbeitslos gewordener Menschen in den Arbeitsmarkt dient und Geldleistungen nur insoweit vorsieht, als und solange diese Eingliederung in den Arbeitsmarkt trotz der Bemühungen des Arbeitsmarktservice und des Arbeitslosen nicht gelingt. Dem Gesetzgeber kann keine Unsachlichkeit vorgeworfen werden, wenn er bei Studenten grundsätzlich davon ausgeht, dass ein Studium die betreffende Person im Regelfall derart beanspruchen wird, dass eine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung parallel dazu ausscheidet. Es ist aber auch nicht unsachlich wenn eine von diesem Grundsatz vorgesehene Ausnahme daran bindet, dass die betreffende Person zeitnahe zum Bezug von Arbeitslosengeld in der Lage war, parallel zum Studium ein arbeitslosenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auszuüben. Das Erfordernis der besonderen zeitlichen Nähe rechtfertigt sich schon aus dem Fortschritt des Studiums und der dadurch gegebenen möglicherweise zeitlich verschiedenen Inanspruchnahme der Studenten. Es hat mit einer Diskriminierung der Frauen nichts zu tun, wenn der Gesetzgeber angesichts dieser Ziele die Rahmenfristerstreckungsgründe des § 15 AlVG hier nicht anerkennt, zumal er das Kinderbetreuungsgeld im Zweifel dem Elternteil zugesteht, der die Betreuung des Kindes überwiegend durchführt (§ 2 Abs. 3 KBGG). Schließlich ist zu beachten, dass, wie bereits ausgeführt, Arbeitslosengeldbezug und Kindergeldbezug einander nicht ausschließen. Ein Kindergeldbezug wird auch durch ein Studium nicht ausgeschlossen. Es kann folglich keine Diskriminierung vorliegen, wenn der Bezug von Kindergeld im Zusammenhang mit den speziellen Voraussetzungen für einen Arbeitslosengeldbezug während eines Studiums gemäß § 12 Abs. 4 AlVG keine Rolle spielt."

Wenn die belangte Behörde im vorliegenden - gleich gelagerten - Sachverhalt zu einer Verneinung des Anspruches auf Arbeitslosengeld mangels Erfüllung der Anwartschaftsvoraussetzungen und davon ableitend auch des Anspruches auf Notstandshilfe gelangt, ist ihr Bescheid somit frei von Rechtsirrtum.

Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen. Gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG ist in diesem Fall Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Ungeachtet der Beweggründe der Beschwerdeführerin für die Verneinung des Ausbildungsverhältnisses in der Antragstellung auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes hat sie damit maßgebende Tatsachen verschwiegen, da die Behörde in Kenntnis derselben Arbeitslosengeld nicht zuerkannt hätte, sodass die Rückforderung zu Recht erfolgte.

Bei dieser Sachlage erübrigten sich auch die von der Beschwerdeführerin begehrten weiteren Feststellungen über die genauen Zeiträume des Bezuges von Wochengeld, Kinderbetreuungsgeld sowie ihrer Beschäftigungsverhältnisse vor dem Karenzurlaub; ebenso liegen die behaupteten Begründungsmängel nicht vor, sondern hält die Begründung der angefochtenen Bescheide einer nachträglichen Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof stand.

Die Beschwerdeführerin hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Im vorliegenden Fall ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung jedoch aus folgenden Gründen jedenfalls nicht erforderlich:

Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet des Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK dem entgegensteht.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1998, Zl. 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41) unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 10. August 2000, Zl. 2000/07/0083, und vom 14. Mai 2003, Zl. 2000/08/0072). Dieser Umstand liegt aber auch im gegenständlichen Fall vor, weil der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind. In der Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

Insgesamt erweisen sich die Beschwerden als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen waren.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 2. April 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007080196.X00

Im RIS seit

08.05.2008

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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