RS Vfgh 1998/3/5 G284/97

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Veröffentlicht am 05.03.1998
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
B-VG Art140 Abs6
AlVG §36a
AlVG §36b
AlVG §12

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der Regelungen des AlVG betreffend ein zwingendes Anknüpfen an frühere Einkommen- bzw Umsatzsteuerbescheide bei Beurteilung der Überschreitung der einem Arbeitslosenbezug nicht im Wege stehenden Geringfügigkeitsgrenze im Fall einer selbständigen Erwerbstätigkeit

Rechtssatz

Das von Amts wegen eingeleitete Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §36a Abs5 Z1 AlVG ist nur hinsichtlich der Wortfolge "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" zulässig (im übrigen aber einzustellen). Denn durch Aufhebung dieser Wortfolge würde die angenommene Verfassungswidrigkeit, läge sie tatsächlich vor, beseitigt. Zwar erführe der übrige Teil des in Prüfung genommenen (Halb-)Satzes durch die Aufhebung bloß dieser Wortfolge eine Veränderung, doch wäre die Veränderung des Normgehalts insgesamt noch größer, würde der gesamte (Halb-)Satz aufgehoben werden, fiele doch dann die Vorschrift, daß das Einkommen durch einen Einkommensteuerbescheid zu belegen ist, insgesamt weg.

Das Verfahren zur Prüfung des §36b AlVG ist hinsichtlich des Abs1 sowie des letzten Satzes des Abs2 zulässig. Hingegen war das Verfahren hinsichtlich des ersten Satzes des §36b Abs2 AlVG einzustellen, da diese Bestimmung im Anlaßbeschwerdeverfahren nicht präjudiziell ist und auch in keinem untrennbaren Zusammenhang mit den übrigen in Prüfung genommenen Bestimmungen steht.

Die Worte "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" im ersten Halbsatz der Z1 des §36a Abs5 AlVG idF ArtIV Z8 Sozialrechts-ÄnderungsG 1996, BGBl 411, sowie §36b Abs1 und der letzte Satz des §36b Abs2 AlVG, beide idF ArtXXII Z3 StrukturanpassungsG, BGBl 297/1995, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die in Prüfung stehenden Bestimmungen führen dazu, daß die Beantwortung der Frage, ob ein Arbeitsloser für einen bestimmten Zeitraum, für den er Arbeitslosengeld beansprucht, nur einer geringfügigen Beschäftigung nachgeht, die dem Arbeitslosengeldbezug nicht im Wege steht oder ob er einer Beschäftigung nachgeht, die diese Grenze überschreitet, stets nach den Verhältnissen vergangener Jahre zu erfolgen hat, obwohl es nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine zweifellos nicht unbedeutende Zahl von Fällen gibt, in denen etwa gerade durch den Eintritt der Arbeitslosigkeit oder durch andere Umstände das (umsatzmäßige oder ertragsmäßige) Ergebnis selbständiger Erwerbstätigkeit gravierend verändert wird. Die in Prüfung stehenden Regelungen knüpfen aber im Falle einer bestehenden (oder wieder aufgenommenen) selbständigen Erwerbstätigkeit bei Beurteilung der Frage, ob Arbeitslosigkeit vorliegt, zwingend an die frühere Jahre betreffenden Einkommen- bzw Umsatzsteuerbescheide an und lassen Abweichungen davon nicht einmal im Falle hoher Evidenz (Liquidität) und Gravität zu. Es ist sachwidrig, wenn der Gesetzgeber bei der Beurteilung gegenwärtiger Verhältnisse in einer derartigen Weise strikt an Verhältnisse früherer Zeiträume anknüpft.

Gleichbehandlung von Arbeitslosen und Studierenden angesichts der unterschiedlichen sozialen Situation nicht erforderlich.

Die Aufhebung von Teilen des §36b AlVG ändert zwar nichts daran, daß ein Arbeitsloser, der aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit Umsätze in bestimmter Höhe tätigt, nicht als arbeitslos gilt, während Umsätze bis zu dieser Höhe für den Anspruch auf Arbeitslosengeld unschädlich sind, wohl aber wird damit die Bestimmung beseitigt, die es möglich macht, den Umsatz aufgrund eines Umsatzsteuerbescheides festzustellen.

Im Interesse der Vollziehbarkeit der bereinigten Rechtslage war daher das Wiederinkrafttreten des §12 Abs9 AlVG idF BGBl 817/1993 nicht auszuschließen.

Gleiches gilt für den zweiten Satz des §12 Abs10 AlVG idF BGBl 817/1993, der Vorschriften für die Berechnung der Erreichung der Geringfügigkeitsgrenze durch Einkommen und durch Umsatz enthielt.

Da die durch die Aufhebung bestimmter Teile des §36a und des §36b AlVG und das Wiederinkrafttreten bestimmter Teile des §12 AlVG in der vor der Einführung des §36a bis §36b leg cit geltenden Fassung bewirkte Regelung nunmehr insgesamt einer verfassungskonformen Vollziehung zugänglich ist, war die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen nicht erforderlich.

(Anlaßfall: B722/96, E v 05.03.98, Aufhebung des angefochtenen Bescheides; Quasi-Anlaßfälle: B1278/96, B1431/96, B2707/96, B2900/96, B59/97, B1361/97, B2413/97, B2622/97, B2627,2628/97, alle E v 06.03.98, B3038/96, E v 11.03.98).

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Arbeitslosenversicherung, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G284.1997

Dokumentnummer

JFR_10019695_97G00284_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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