TE Vfgh Erkenntnis 1998/3/11 B3038/96

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Veröffentlicht am 11.03.1998
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Aufhebung der Worte "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" im ersten Halbsatz der Z1 des §36a Abs5 AlVG idF BGBl 411/1996 bzw des §36b Abs1 und des letzten Satzes des §36b Abs2 AlVG idF BGBl 297/1995 mit E v 05.03.98, G284/97.

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste vom 24. November 1995 wurde einem Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der Notstandshilfe unter Berufung auf §33 Abs2 litc AlVG keine Folge gegeben. Dies wurde damit begründet, daß das anrechenbare Einkommen des Lebensgefährten der Notstandshilfewerberin trotz Berücksichtigung der gesetzlichen Freigrenzen die Höhe ihrer Notstandshilfe übersteige.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien mit Bescheid vom 17. Juli 1996 keine Folge. Die Berufungsbehörde stützte sich dabei unter anderem auf §36a Abs5 Z1 AlVG, wonach das Einkommen bei Personen, die zur Einkommensteuer veranlagt werden, durch die Vorlage des Einkommensteuerbescheides über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr nachzuweisen ist. Unter Anwendung dieser Gesetzesbestimmung kam die Behörde zu dem Ergebnis, daß das der Notstandshilfewerberin anzurechnende Einkommen ihres Lebensgefährten höher sei als die unter Abzug der gesetzlichen Freigrenzen der Notstandshilfewerberin an sich gebührende Notstandshilfe.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

3. Die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien als belangte Behörde hat die Akten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

4. Die Beschwerde ist begründet:

4.1. Mit Erkenntnis vom 5. März 1998, G284/97, hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" im §36a Abs5 Z1 AlVG als verfassungswidrig aufgehoben.

4.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannten Normen bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätten.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).

Die nichtöffentliche Beratung im Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der mit Erkenntnis vom 5. März 1998, G284/97, aufgehobenen Gesetzesbestimmung begann am 27. Februar 1998. Die vorliegende Beschwerde langte beim Verfassungsgerichtshof am 11. Dezember 1996 - also vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren - ein. Der ihr zugrundeliegende Fall ist nach dem Gesagten daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig erkannte Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von

S 2.500,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B3038.1996

Dokumentnummer

JFT_10019689_96B03038_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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