RS Vfgh 2004/6/11 V3/04

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Veröffentlicht am 11.06.2004
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Index

58 Berg- und Energierecht
58/02 Energierecht

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
EG Art87, Art88
ElWOG §44
ElWOG §69
Verordnung des BMwA über die Aufbringung und Gewährung von Beihilfen zur Abdeckung von Erlösminderungen, die infolge der Marktöffnung entstanden sind und im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betrieb des Kraftwerkes Voitsberg 3 stehen, BGBl II 354/2001 - Stranded Costs-VO II §10 Abs1

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung der Stranded Costs-VO II betreffend die Verpflichtung der Netzbetreiber zur Abführung von Beiträgen für Betriebsbeihilfen wegen Widerspruchs zum - eine Belastung bloß der zugelassenen Kunden vorsehenden - ElWOG

Rechtssatz

§10 Abs1 Stranded Costs-VO II, BGBl II 354/2001, bildet die alleinige Rechtsgrundlage des im Anlassfall angefochtenen Bescheides. Der Verfassungsgerichtshof hat keine Bestimmungen der Stranded Costs-VO I, BGBl II 52/1999, anzuwenden. Der Umstand, dass §10 Abs1 Stranded Costs-VO II allenfalls vor dem Hintergrund von Bestimmungen der Stranded Costs-VO I auszulegen ist, bedeutet nicht, dass der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmungen der Stranded Costs-VO I anzuwenden hat.

§10 Abs1 Stranded Costs-VO II ist als abschließende Neuregelung der Einhebung der ausständigen Stranded Costs-Beiträge von den Netzbetreibern für den Zeitraum vom 19.02.99 bis 30.09.01 anzusehen. Diese Neuregelung hat den Regelungen der Stranded Costs-VO I über die Einhebung von Stranded Costs-Beiträgen von den Netzbetreibern für diesen Zeitraum derogiert.

Mit Aufhebung des §10 Abs1 Stranded Costs-VO II entfällt die materiellrechtliche Grundlage für die Einhebung von Stranded Costs-Beiträgen von den beschwerdeführenden Netzbetreibern für den Zeitraum von 19.02.99 bis 30.09.01.

Das Verordnungsprüfungsverfahren ist auch nicht wegen Unanwendbarkeit der geprüften Bestimmung infolge eines (offenkundigen) Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht - etwa gegen das Beihilfenrecht der Art87 ff EG - unzulässig. Denn der für die Betriebsbeihilfen im Zusammenhang mit dem Kraftwerk Voitsberg für den Zeitraum 19.02.99 bis 30.09.01 vorgesehene Beitragsaufbringungsmechanismus wurde der Europäischen Kommission gemäß Art88 (ex-Art 93) Abs3 EG erstmals am 07.01.99 notifiziert. Die Europäische Kommission hätte ein Verfahren gemäß Art88 Abs2 EG einleiten müssen, wenn sie dieses Vorhaben für unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt gehalten hätte (vgl E v 26.06.03, G240/02 ua).

§10 Abs1 der Verordnung des BMwA über die Aufbringung und Gewährung von Beihilfen zur Abdeckung von Erlösminderungen, die infolge der Marktöffnung entstanden sind und im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betrieb des Kraftwerkes Voitsberg 3 stehen, BGBl II 354/2001 (Stranded Costs-VO II), wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Gegen die Belastung bloß der "zugelassenen Kunden" mit Stranded Costs-Beiträgen bestehen im Hinblick auf die Überlegungen im Bericht des Wirtschaftsausschusses betreffend die Stammfassung des §69 ElWOG keine Sachlichkeitsbedenken.

Der eindeutige Wortlaut des §10 Abs1 Stranded Costs-VO II lässt nur folgende Auslegung dieser Bestimmung zu: Die Netzbetreiber müssen - unabhängig davon, ob sie selbst oder ihre Kunden "zugelassene Kunden" iSd §44 ElWOG in der Stammfassung waren oder nicht - Beiträge an die (nunmehr:) Energie-Control GmbH entrichten, die sich aus dem Produkt ihrer Stromabgabe in kWh "an alle Endverbraucher" im Zeitraum vom 19.02.99 bis 30.09.01 mit dem Betrag von 0,574 g/kWh ergeben. Die Wendung "die Elektrizitäts-[nunmehr: Energie-]Control GmbH kann diese [...] Beiträge [...] auf Antrag oder von Amts wegen mit Bescheid vorschreiben" räumt der Behörde kein Ermessen ein, etwa bestimmte Netzbetreiber von der Entrichtung der Beiträge auszunehmen. §69 Abs1 ElWOG ermächtigt den BMwA aber nur dazu, durch Verordnung zu bestimmen, welche Beiträge "zugelassene Kunden" zur Abgeltung von "stranded costs" zu leisten haben.

Gesetzeskonforme Interpretation nicht möglich.

Das Verordnungsprüfungsverfahren hat auch nicht ergeben, dass §69 Abs5 ElWOG für sich allein eine taugliche Rechtsgrundlage abgeben könnte.

§10 Abs1 Stranded Costs-VO II war daher - zur Gänze, weil alle Regelungen dieses Absatzes in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehen - wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben.

Anlassfall: E v 11.06.04, B531/03; Quasi-Anlassfälle: B585/03, B586/03, B587/03, B589/03, B596/03, B1639/03, B45/04, B46/04, B47/04, B55/04, B69/04 - alle E v 06.10.04, uvm; siehe auch B785/04 und B821/04, beide E v 06.10.04: Aufhebung der angefochtenen Bescheide in Folge Ausdehnung der Anlassfallwirkung.

Entscheidungstexte

  • V 3/04
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 11.06.2004 V 3/04

Schlagworte

Energierecht, Elektrizitätswesen, EU-Recht, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Derogation materielle, Übergangsbestimmung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:V3.2004

Dokumentnummer

JFR_09959389_04V00003_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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