TE Vfgh Erkenntnis 1986/3/4 B72/85

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Veröffentlicht am 04.03.1986
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Beachte

ähnlich B73/85 und B74/85, beide vom 4. März 1986; alles Anlaßfälle zu VfSlg. 10690/1985

Leitsatz

Sbg. GWO 1974; Rechtsverletzung im Anlaßfall (Beschwerde gegen Streichung aus dem Wählerverzeichnis) nach Aufhebung des §27 Abs2 und 5 als verfassungswidrig - Anwendung dieses Gesetzes als nachteilig nicht ausgeschlossen

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Am 21. September 1984 begehrte S G mit Einspruch beim Bürgermeister der Marktgemeinde St. Michael im Lungau (politischer Bezirk Tamsweg, Bundesland Salzburg) die Streichung des Dr. F P aus dem dort aufliegenden Wählerverzeichnis für die Wahl der Gemeindevertretung vom 14. Oktober 1984 gemäß §33 Abs1 Sbg. Gemeindewahlordnung 1974, LGBl. 72/1974 idF LGBl. 51/1984 (GWO).

1.1.2. Die Gemeindewahlbehörde St. Michael im Lungau gab diesem Einspruch mit Bescheid vom 27. September 1984 (ohne Begründung) statt und verfügte die Streichung des Dr. F P aus dem Wählerverzeichnis.

1.2.1. Dr. F P brachte gegen die Entscheidung der Gemeindewahlbehörde fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung ein (§36 GWO).

1.2.2.1. Die Bezirkswahlbehörde Tamsweg wies diese Berufung mit Bescheid vom 12. Dezember 1984, Z 3-07/GW-7/25-1984, als unbegründet ab.

1.2.2.2. Begründend wurde ua. ausgeführt:

"... Hat ein Wahl- und Stimmberechtigter in mehreren Gemeinden einen ordentlichen Wohnsitz, so ist er in die Wählerevidenz der Gemeinde einzutragen, in der er am 31. Dezember des Vorjahres tatsächlich gewohnt hat. Nach diesem Umstande bestimmt sich die Eintragung auch dann, wenn jemand, falls eine Gemeinde in Wahlsprengel eingeteilt ist, in mehreren Wahlsprengeln eine Wohnung hat.

Gemäß §2 Abs6 WählerevidenzG darf jeder Wahl- und Stimmberechtigte nur einmal in den Wählerevidenzen eingetragen sein.

... Dr. F P war aber am Stichtag der Salzburger Gemeindevertretungswahl 1984, wie eine telefonische Anfrage beim Magistrat der Stadt Graz ergeben hat, in der dortigen Wählerevidenz eingetragen.

Auf Grund dieses Ergebnisses vertritt die erkennende Behörde die Auffassung, daß die Aufnahme des ... Dr. F P in das Wählerverzeichnis der Marktgemeinde St. Michael im Lungau anläßlich der Salzburger Gemeindevertretungswahl 1984 nicht zu vertreten war."

1.3.1. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des Dr. F P an den VfGH, in der insbesondere die Verletzung des durch Art117 Abs2 B-VG gewährleisteten Rechts auf Teilnahme an den Wahlen in den Gemeinderat behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts begehrt wird.

1.3.2. Die Bezirkswahlbehörde Tamsweg als bel. Beh. legte zwar die Administrativakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

1.4. Die mit "Wahlrecht" überschriebene Vorschrift des §19 GWO lautet folgendermaßen:

"(1) Wahlberechtigt sind alle Männer und Frauen, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, am Stichtag das 19. Lebensjahr überschritten haben, vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen sind und in der Gemeinde ihren ordentlichen Wohnsitz haben.

(2) Ob die Voraussetzungen nach Abs1 zutreffen, ist nach dem Stichtag (§4) zu beurteilen."

Dazu legt §20 GWO (betitelt mit "Teilnahme an der Wahl") fest:

"(1) An der Wahl nehmen nur Wahlberechtigte teil, deren Namen im abgeschlossenen Wählerverzeichnis enthalten sind.

(2) Jeder Wahlberechtigte hat nur eine Stimme, er darf in den Wählerverzeichnissen nur einmal eingetragen sein."

§27 Abs1, 2 und 5 GWO (und zwar Abs1 idF LGBl. 58/1979, Abs2 idF LGBl. 83/1978 und Abs5 idF LGBl. 72/1974) hat folgenden Wortlaut:

"(1) Jeder Wahlberechtigte ist in das Wählerverzeichnis des Ortes (der Gemeinde, des Wahlsprengels) einzutragen, wo er am Stichtag seinen ordentlichen Wohnsitz hat (§2 Abs2 des Wählerevidenzgesetzes 1973).

(2) Käme hiernach die Eintragung in mehrere Wählerverzeichnisse in Frage, so ist der Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis der Gemeinde einzutragen, in der er am Stichtage tatsächlich gewohnt hat. Kommt auch ein solcher Wohnort nicht in Betracht, so hat die Eintragung in das Wählerverzeichnis der Gemeinde zu erfolgen, in der der Wahlberechtigte vor dem Stichtag zuletzt gewohnt hat. Dies gilt sinngemäß, wenn ein Wahlberechtigter am Stichtag in einer Gemeinde in mehr als einem Wahlsprengel einen Wohnsitz hat.

...

(5) Ist ein Wahlberechtigter im Wählerverzeichnis mehrerer Orte (Gemeinden, Wahlsprengel) eingetragen, so ist er aus dem Wählerverzeichnis, in das er zu Unrecht eingetragen wurde, zu streichen. Hievon sind der Wahlberechtigte und die Gemeinde, in deren Wählerverzeichnis er zu verbleiben hat, unverzüglich zu verständigen."

2.1.1. Aus Anlaß dieser - zulässigen (s. VfSlg. 10690/1985) - Beschwerde leitete der VfGH von Amts wegen mit Beschl. vom 15. Juni 1985, B72/85-7, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Abs2 und 5 des §27 Sbg. Gemeindewahlordnung 1974, LGBl. 72/1974 (und zwar Abs2 idF LGBl. 83/1978) ein.

2.1.2. Mit Erk. VfSlg. 10690/1985 wurden die in Prüfung gezogenen Abs2 und 5 des §27 GWO als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, daß diese Aufhebung mit Ablauf des 31. Oktober 1986 in Kraft tritt. Ferner wurde angeordnet, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit zu treten haben.

2.2.1. Gemäß Art140 Abs7 Satz 2 B-VG waren die als verfassungswidrig aufgehobenen Bestimmungen des §27 Abs2 und 5 GWO, auf die sich der hier angefochtene, die Berufung gegen die Streichung aus dem Wählerverzeichnis abweisende Bescheid der Bezirkswahlbehörde Tamsweg in der Hauptsache gestützt hatte, im vorliegenden Verfahren nicht (mehr) anzuwenden.

2.2.2. Es ist aber nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß die Anwendung dieser Gesetzesvorschriften im Administrativverfahren für die Rechtsposition des Bf. nachteilig war (s. auch: VfGH 21. 2. 1985 B360/82; VfSlg. 10303/1984).

Demgemäß hatte der VfGH auszusprechen, daß der Bf. durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt wurde.

Der Bescheid ist somit aufzuheben.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B72.1985

Dokumentnummer

JFT_10139696_85B00072_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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