TE OGH 2011/6/29 15Os71/11x

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Veröffentlicht am 29.06.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bütler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alexander K***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. März 2011, GZ 163 Hv 18/11d-29, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, des Angeklagten und des Verteidigers Mag. Dr. Harrich

I. zu Recht erkannt:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft sowie in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A./, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie das Einziehungserkenntnis (dieses ersatzlos) und der Beschluss gemäß § 494a StPO aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Alexander K***** wird von der Anklage, er habe am 11. November 2010 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem unbekannten Mittäter (§ 12 StGB) Christian M***** mit Gewalt unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er Christian M***** mit einem Messer bedrohte und ihn zur Übergabe von Bargeld aufforderte, woraufhin dieser 25 Euro übergab, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Für das ihm weiterhin zur Last liegende Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (C./) und das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B./) wird Alexander K***** unter Anwendung der §§ 28 Abs 1, 36 StGB sowie unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. Dezember 2010, GZ 141 Hv 175/10d-37, zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verworfen.

Die Anrechnung der Vorhaft wird aus dem Ersturteil übernommen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

II./ den

Beschluss

gefasst:

Spruch

              Von einem Widerruf der zu AZ 153 Hv 165/06s des Landesgerichts für Strafsachen Wien und zu AZ 12 U 230/07m des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien gewährten bedingten Strafnachsichten wird abgesehen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alexander K***** - anklagekonform - des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B./) und des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (C./) sowie - abweichend von der wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB erhobenen Anklage - des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (A./) schuldig erkannt.

Danach hat Alexander K***** in Wien

A./ am 11. November 2010, wenn auch nur fahrlässig, eine Waffe, nämlich ein Fixiermesser, besessen, obwohl ihm das gemäß § 12 WaffG verboten ist;

B./ bis 11. November 2010 eine Urkunde, nämlich eine Merkur-Mitgliedskarte des Timon P*****, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis von Tatsachen gebraucht werde, indem er sie bei sich behielt;

C./ am 11. November 2010 bei seiner Vernehmung als Beschuldigter vor dem Landeskriminalamt Wien Christian M***** der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, indem er ihn der von Amts wegen zu verfolgenden, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des schweren Raubes falsch verdächtigte, wobei er wusste, dass die Verdächtigung falsch ist, indem er behauptete, dieser habe ihn mit Gewalt und unter Vorhalt eines Messers nach Wertgegenständen durchsucht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die (wie sich aus dem von der Verteidigung dem Obersten Gerichtshof vorgelegten Aufgabeschein der Post ergibt, auch fristgerecht angemeldete) Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und jene der Staatsanwaltschaft, wobei vom Angeklagten die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 8 und 9 lit a, von der Staatsanwaltschaft der Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO geltend gemacht werden.

Rechtliche Beurteilung

Den gegen Punkt A./ des Schuldspruchs gerichteten Rechtsrügen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu. Beide weisen zutreffend darauf hin, dass ein Fixiermesser keine Waffe im Sinne des Waffengesetzes ist.

Anders als beim strafrechtlichen (funktionalen) Waffenbegriff, der nach herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung neben Waffen im technischen Sinn (nach § 1 WaffG) auch solche Gegenstände umfasst, die diesen nach ihrer Anwendbarkeit und Wirkung gleichkommen, ist nach der Legaldefinition des § 1 WaffG für die Qualifikation eines Gegenstands als Waffe im Sinne des Waffengesetzes nur die objektive Zweckwidmung maßgeblich, die subjektive Zweckwidmung durch den Inhaber des Gegenstands spielt dabei keine Rolle (Bohé, Nebenstrafrecht [2010] 332; RIS-Justiz RS0122916).

„Waffen“ nach § 1 WaffG sind Gegenstände, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, (Z 1) die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen durch unmittelbare Einwirkung zu beseitigen oder herabzusetzen oder (Z 2) bei der Jagd oder beim Schießsport zur Abgabe von Schüssen verwendet zu werden. Diesem technischen Waffenbegriff unterliegen neben allen Schusswaffen insbesondere auch Hieb-, Stich- und Stoßwaffen, wie Säbel, Degen, Stilette, Dolche, Spring- und Fallmesser (Eder-Rieder in WK² § 143 Rz 16; Grosinger/Szirba/Szymanski, Das österreichische Waffenrecht 27; Ellinger/Wieser, Waffengesetz [1997] 34 f; Hickisch, Österreichisches Waffenrecht [1999] 15).

Andere Messer als Spring- und Fallmesser, nämlich „gewöhnliche“ Messer mit stumpfen Rücken, wie etwa Hirschfänger, Jagd-, Brot- oder Küchenmesser und insbesondere Taschenmesser aller Art sind selbst dann, wenn sie eine Feststellungsvorrichtung für die Klinge besitzen (sogenannte Fixiermesser), in der Regel nicht als Waffen im technischen Sinn, sondern als Gebrauchsgegenstände anzusehen (RIS-Justiz RS0082031; Hauer/Keplinger, WaffG² [2007] 23; Grosinger/Szirba/Szymanski, Das österreichische Waffenrecht 27; Hickisch, Österreichisches Waffenrecht [1999] 13).

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen handelt es sich im gegebenen Fall um ein „Fixiermesser“. Besondere Eigenschaften des Messers, die über jene eines gewöhnlichen Gebrauchsgegenstands hinausgehen - etwa eine im Bereich der Spitze dolchartig ausgebildete Klinge (Fabrizy, StGB10 § 1 WaffG Rz 1) - wurden in den Feststellungen nicht angeführt (vgl SSt 2007/88), weshalb keine Waffe im Sinne des Waffengesetzes und damit kein dem § 50 Abs 1 Z 3 WaffG subsumierbarer Sachverhalt vorliegt.

In diesem Umfang war das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A./, demgemäß auch im Strafausspruch, das Einziehungserkenntnis - dieses aufgrund obgenannter Erwägungen ersatzlos - und der Beschluss gemäß § 494a StPO aufzuheben und Alexander K***** vom angeklagten Vorwurf des - idealkonkurrierenden - schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB freizusprechen.

Soweit der Angeklagte zum Schuldspruch A./ darüber hinaus vorbringt (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO), beim Besitz einer Waffe trotz bestehenden Waffenverbots handle es sich nicht um denselben Lebenssachverhalt wie der ihm von der Staatsanwaltschaft angelastete schwere Raub, ist er auf die Kassation dieses Schuldspruchs zu verweisen.

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zu verwerfen.

Das Vorbringen der Mängelrüge zu den Schuldsprüchen B./ und C./ übersieht, dass unter dem Aspekt gesetzeskonformer Darstellung stets an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß zu nehmen ist und sich das Aufgreifen formaler Mängel auf entscheidende Tatsachen beziehen muss, also solche, die für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebend sind und entweder für die Unterstellung unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben (RIS-Justiz RS0106268).

Insoweit der Angeklagte daher zum Schuldspruch B./ vorbringt, das Erstgericht habe es unterlassen, Feststellungen zur Dauer des Besitzes der Urkunde zu treffen sowie diese zu begründen und darzulegen, aus welchem Grund es seiner Verantwortung, er hätte diese später in einer „Fundbox“ abgeben wollen, nicht folgte (der Sache nach teilweise auch § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO), ist er einerseits darauf zu verweisen, dass die exakte Dauer des Gewahrsamsbruchs nicht von Bedeutung ist, weil die Urkunde jedenfalls der ungehinderten Verfügungsmacht des Berechtigten, sei es auch nur vorübergehend, entzogen wurde (Fabrizy, StGB10 § 229 Rz 4). Andererseits übersieht der die subjektive Tatseite als unzureichend begründet bekämpfende Angeklagte, dass der von den Tatrichtern vorgenommene Schluss (US 8) vom gezeigten Verhalten auf das zu Grunde liegende Wollen nicht unvertretbar, sondern bei Angeklagten, die einen Tatvorwurf leugnen in aller Regel methodisch nicht zu ersetzen ist (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452).

Das - zum Schuldspruch C./ - eine Unvollständigkeit des Urteils, die nur dann vorliegen würde, wenn ein Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 13 Abs 3 zweiter Satz, § 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt lässt (RIS-Justiz RS0118316), behauptende Beschwerdevorbringen übergeht die Ausführungen des Erstgerichts auch zur Person und zum Aussageverhalten des Zeugen Christian M***** (US 6, 7 und 8 unten) und versucht lediglich, mit eigenen Beweiswerterwägungen und Überlegungen zur Glaubwürdigkeit des Zeugen günstigere Schlüsse für den Angeklagten zu ziehen. Damit wird bloß die Beweiswürdigung des Erstgerichts kritisiert und insofern der von einer Schuldberufung verschiedene Anfechtungsrahmen verkannt.

Bei der durch die Teilkassation erforderlichen Strafneubemessung - das Erstgericht hatte eine (Zusatz-)Freiheitsstrafe von 10 Monaten verhängt - war das Zusammentreffen eines Verbrechens mit Vergehen erschwerend, mildernd war das Alter unter 21 Jahren, sodass der Oberste Gerichtshof eine (Zusatz-)Freiheitsstrafe von 5 Monaten als angemessen erachtete.

Ein Widerruf der in den beiden Vorverfahren gewährten bedingten Strafnachsichten war im Hinblick auf AZ 12 U 230/07m schon mangels darauf abzielender Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht möglich, zu AZ 153 Hv 165/06s des Landesgerichts für Strafsachen Wien aus spezialpräventiver Sicht nicht geboten.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E97945

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0150OS00071.11X.0629.000

Im RIS seit

18.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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