Kommentar zum § 1 EKHG

Dr. Marlon POSSARD am 12.11.2025

Gefährdungshaftung iSd § 1 ff EKHG: Ein praxisnaher Überblick über die wesentlichen Rechtsgrundlagen

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I. Allgemeine Einordnung

Die Gefährdungshaftung stellt eine Ausnahme vom Verschuldensprinzip des allgemeinen Schadenersatzrechts dar. Während im klassischen Schadenersatzrecht der/die Schädiger:in nur haftet, wenn ein Schaden rechtswidrig und schuldhaft verursacht wurde, kommt es bei der Gefährdungshaftung auf die Gefährlichkeit der Tätigkeit und nicht auf das Verschulden per se an.

Die zentrale Idee des Gesetzgebers, die dieser damit verfolgt, kann wie folgt aufgefasst werden: Wer sich zu seinem eigenen Nutzen einer gefährlichen Sache oder Tätigkeit bedient, soll auch den Schaden ausgleichen, der aus der Verwirklichung dieser Gefahr resultiert – unabhängig davon, ob ein Verschulden vorliegt.

II. Gesetzliche Grundlagen

Die Gefährdungshaftung ist in mehreren spezialgesetzlichen Normen geregelt:

  • Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG): Haftung beim Betrieb von Kraftfahrzeugen, Eisenbahnen, Seilbahnen, etc
  • Luftfahrtgesetz (LFG): Haftung für die Nutzung von Luftfahrzeugen
  • Produkthaftpflichtgesetz: Haftung für gefährliche Produkte

Darüber hinaus kann die Gefährdungshaftung auf andere Tätigkeiten angewendet werden, für die es keine spezifische gesetzliche Grundlage gibt. Der OGH betrachtet eine Gefahrenquelle im Sinne der bestehenden Gefährdungshaftungsnormen jedenfalls dann als gegeben, wenn dabei besonders intensive Risiken entstehen (zB durch das Entfesseln gewaltiger Elementarkräfte, das Bewegen schwerer Massen mit enormer Geschwindigkeit, die Erzeugung oder Verwendung von Zündstoffen, das Untergraben des festen Bodens oder die Gefährdung des Luftraums). Maßgeblich für die Annahme einer solchen besonderen Gefahrenquelle ist dabei va, dass entweder die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts außergewöhnlich hoch ist oder der mögliche Schaden in seiner Höhe außergewöhnlich gravierend wäre. Der OGH formuliert hierzu: Die Haftung kommt in Betracht, wenn der/die Unternehmer:in „gewaltige Elementarkräfte entfesselt, schwere Massen mit hoher Geschwindigkeit bewegt, Zündstoffe erzeugt oder verwendet, den Boden untergräbt oder den Luftraum unsicher macht“[1]. Typische Praxisbeispiele sind idZ ua Sessellifte, Munitionsfabriken, Feuerwerksunternehmen, Schipistengeräte oder gefährliche Tiere.

III. Gefährdungshaftung nach dem EKHG

a) Grundtatbestand (§ 1 EKHG)

Der EKHG-Anwendungsbereich umfasst Unfälle beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges oder einer Eisenbahn. Ein Unfall wird als plötzlich von außen wirkendes Ereignis definiert, das auf eine für den Betrieb typische Gefahr zurückzuführen ist.

b) Betrieb im Sinne des EKHG

Es lassen sich zwei grundlegende Ansätze unterscheiden, um den Betrieb eines Fahrzeugs im Rahmen der Gefährdungshaftung zu bestimmen. Der erste, der maschinentechnische Ansatz, setzt den Betrieb zum Unfallzeitpunkt voraus, wenn das Fahrzeug durch Motorkraft angetrieben wird. Der zweite, der verkehrstechnische Ansatz, richtet den Blick auf die Beteiligung am Verkehrsgeschehen (bspw, wenn ein unrechtmäßig geparktes Fahrzeug die Fahrbahn blockiert oder unbeabsichtigt abrollt und dadurch eine Gefährdung oder einen Schaden verursacht.

c) Wesentliche Definitionen gem KFG und EKHG

Ein Kraftfahrzeug wird im Rahmen der Gefährdungshaftung als ein für den Straßenverkehr bestimmtes Fahrzeug definiert, das technisch angetrieben wird und eine Bauartgeschwindigkeit von mehr als zehn Kilometern pro Stunde erreicht (§ 2 Abs 2 EKHG iVm § 2 Z 1 KFG).

Unter den Terminus der Eisenbahn fallen iSd § 9a EKHG va Verkehrsanlagen zur Beförderung von Waren oder Personen, bei denen die Fahrzeuge an eine feste Laufbahn gebunden sind (zB Straßenbahnen, Seilbahnen oder Schlepplifte).

d) Haftungspflichtige Personen (§ 5 EKHG)

De lege lata sind nach dem EKHG in erster Linie der/die Halter:in eines Kraftfahrzeuges sowie der/die Betriebsunternehmer:in einer Eisenbahn haftungspflichtig. Wesentliche Merkmale dieser Haftung sind, dass der Betrieb auf eigene Rechnung und eigene Gefahr erfolgt und der/die Halter:in bzw der/die Betriebsunternehmer:in über die dauerhafte tatsächliche Verfügungsmacht über das Verkehrsmittel verfügt. Kommt es zu einem Schaden, an dem mehrere Verkehrsmittel beteiligt sind, besteht eine solidarische Haftung gem § 8 EKHG, die durch die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung nach § 26 KHVG abgesichert wird.

e) Sonderfälle: Sog „Schwarzfahrer:innen“ (§ 6 EKHG)

Fährt eine Person ohne das Einverständnis des/der Betriebsunternehmers:in, übernimmt sie die Haftung anstelle des/der Halters:in. Der/die Halter:in kann jedoch zusätzlich haftbar gemacht werden, wenn diese:r die Benutzung des Fahrzeugs schuldhaft ermöglicht hat. Angestellte, denen das Verkehrsmittel zwar für andere Zwecke überlassen wurde, jedoch nicht für die konkrete Fahrt, haften nach den allgemeinen Vorschriften des ABGB.

f) Haftungsausschluss (§ 3 EKHG)

Im Bereich der Eisenbahn liegt dann ein Haftungsausschluss vor, wenn eine Person ohne den Willen des/der Betriebsunternehmers:in unentgeltlich befördert wurde.

In Bezug auf Kraftfahrzeuge gilt dies entsprechend, wenn die Person ohne den Willen des/der Halters:in mitgenommen wurde. Voraussetzung für den Ausschluss der Haftung ist in beiden Fällen, dass die beförderte Person nicht am Betrieb des Verkehrsmittels beteiligt war.

g) Umfang des Ersatzes (§ 12 EKHG)

Zu den erstattungsfähigen Aufwendungen gehören insb die Kosten für medizinische Behandlungen, entgangene Erwerbseinnahmen, Ausgaben für erhöhte Bedürfnisse, Schmerzengeld, angemessene Bestattungskosten sowie Unterhaltsleistungen in Höhe der gesetzlich festgelegten Ansprüche.

h) Haftungshöchstgrenzen und Fristen (§ 15 EKHG, § 18 EKHG)

Es bestehen zudem gesetzliche Haftungshöchstgrenzen gem § 15 EKHG. Ein Anspruch auf Ersatz geht außerdem verloren, wenn die Schadensanzeige nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von drei Monaten iSd § 18 EKHG erstattet wird.



[1] OGH 5 Ob 50/73 v. 28.03.1973; OGH 4 Ob 643/71 v. 30.11.1971


§ 1 EKHG | 2. Version | 62 Aufrufe | 12.11.25
Informationen zum Autor/zur Autorin dieses Fachkommentars: Dr. Marlon POSSARD
Zitiervorschlag: Dr. Marlon POSSARD in jusline.at, EKHG, § 1, 12.11.2025
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