TE Vfgh Erkenntnis 1987/6/25 V40/87

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Veröffentlicht am 25.06.1987
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Index

L1 Gemeinderecht
L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art18
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litb
.Automaten-.Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Gratkorn vom 16.12.1982
Stmk GdO §42 Abs2
GewO 1973 §52 Abs4

Leitsatz

AutomatenV Gratkorn vom 16.12.1982; mangelnde Bestimmtheit des Untersagungsbereiches in §1 Z1; die V (die Angelegenheiten im übertragenen Wirkungsbereich zum Gegenstand hat) wurde entgegen §42 Abs2 Stmk. GemeindeO 1967 nicht vom Bürgermeister, sondern vom Gemeinderat beschlossen - Erlassung der V durch eine unzuständige Behörde; Aufhebung der V als gesetzwidrig

Spruch

Die V des Gemeinderates der Marktgemeinde Gratkorn vom 16. Dezember 1982, mit welcher die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, untersagt wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim VfGH ist zu B470/86 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 26. März 1986 richtet. Mit diesem Bescheid wurde einer Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom 14. Oktober 1985 keine Folge gegeben. Begründend wurde ausgeführt, daß in der V der Marktgemeinde Gratkorn in "§1. 1." die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden, untersagt werde. Der Automat des Bf. befinde sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Volksschule II.

2.1. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, die V der Marktgemeinde Gratkorn von Amts wegen zu prüfen.

2.2. Die in Prüfung gezogene V lautet:

"V e r o r d n u n g

der Marktgemeinde Gratkorn vom 16. Dezember 1982 über das Verbot der Ausübung gewerblicher Tätigkeit mittels Automaten im Umkreis von Schulen.

Gemäß §52 Abs4 der Gewerbeordnung, BGBL.Nr. 50/1974 i.d.g.F. der 3. Gew.O.-Nov. BGBL.Nr. 619/1981 in Verbindung mit §42 Abs1 der Steierm. Gemeindeordnung 1967, LGBL.Nr. 115 i.d.g.F.

wird verordnet:

§1

Die Ausübung gewerblicher Tätigkeit mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch Unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1.

im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,

2.

bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungs gemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Weg zur oder von der Schule benützt werden,

3.

bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,

4.

auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder

5.

im näheren Umkreis der in Z. 4 angeführten Plätze und Räume im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Gratkorn

wird untersagt.

§2

Wer entgegen den Bestimmungen des §1 dieser V ein Gewerbe mittels Automaten ausgeübt, begeht gemäß §367 Z. 15 der Gewerbeordnung eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu S 20.000.-- oder mit einer Arreststrafe bis zu 4 Wochen zu ahnden ist.

§3

Mit der Vollziehung dieser V ist der Bürgermeister betraut."

2.3. Der in der V zitierte §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973, BGBl. 50/1974 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981, ermächtigt die Gemeinde

"soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, ... durch V die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,

2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,

3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,

4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder

5. im näheren Umkreis der in Z4 angeführten Plätze und Räume"

zu untersagen.

2.4. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die AutomatenVO wie folgt umschrieben:

"4.3.1. Wie sich aus den vorgelegten Akten (siehe insbesondere das Sitzungsprotokoll des Gemeinderates der Marktgemeinde Gratkorn vom 16. Dezember 1982) zu ergeben scheint, wurde die vom Bürgermeister am 23. Dezember 1982 kundgemachte V am 16. Dezember 1982 vom Gemeinderat beschlossen, dürfte daher diesem als Verordnungsgeber zuzurechnen sein.

4.3.2. Gemäß Art118 Abs2 zweiter Satz B-VG haben die Gesetze Angelegenheiten, die nach dem ersten Satz des Abs2 in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen, ausdrücklich als solche zu bezeichnen. Gemäß Art119 Abs2 erster Satz B-VG sind die Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches vom Bürgermeister zu besorgen.

4.3.3. Diesen Verfassungsbestimmungen trägt die Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 Rechnung. §42 Abs2 ordnet an, daß die Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches vom Bürgermeister zu besorgen sind, §43 Abs1 leg. cit. legt fest, daß die Beschlußfassung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches dem Gemeinderat obliegt, soweit sie nicht ausdrücklich anderen Organen vorbehalten ist.

4.3.4. Die V der Marktgemeinde Gratkorn vom 16. Dezember 1982 stützt sich auf §52 Abs4 GewO. Eine Aussage, daß es sich bei den in dieser Gesetzesstelle genannten Angelegenheiten um solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde handle, findet sich weder in dieser Bestimmung noch in §337 GewO, der - Art118 Abs2 zweiter Satz B-VG Rechnung tragend - jene Angelegenheiten der Gewerbeordnung aufzählt, die von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu erledigen sind. Der VfGH vermeint daher (vgl. VfSlg. 5409/1966, 6944/1972), daß die Angelegenheiten des §52 Abs4 GewO in den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen; dafür sprechen auch die Ausführungen in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage der GewO-Nov. 1981 (798 BlgNR XV.GP S.9). Damit scheint die - vom Gemeinderat beschlossene - in Prüfung gezogene V (Verordnungsstelle) von einer unzuständigen Behörde erlassen worden zu sein.

4.4.1. Wie der VfGH, ausgehend von der im Erkenntnis VfSlg. 3207/1957 entwickelten, im Erkenntnis VfSlg. 4037/1961 vertieften und seither beibehaltenen (vgl. zB VfSlg. 8965/1979), aus dem rechtsstaatlichen Gebot des Art18 B-VG abgeleiteten Rechtsprechung, dargelegt hat, muß die Rechtsordnung, um dem Einzelnen die Möglichkeit zu geben, sich dem Recht gemäß zu verhalten und den Unrechtsgehalt seines Handelns und Unterlassens eindeutig zu erkennen, die Freiheitssphäre vom Gebiet des Unerlaubten durch eine deutliche Grenzziehung scheiden. Tatbestände, an deren Übertretung eine Strafdrohung anknüpft, müssen daher so abgefaßt sein, daß sich für den Einzelnen Zweifel über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens in bezug auf den Tatbestand nicht ergeben können (vgl. zB VfSlg. 3207/1957).

4.4.2. Die gebotene Klarheit scheint dem VfGH bei der in Prüfung gezogenen Regelung hinsichtlich der Umschreibung der Verbotszone mit den Worten "im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden," in Frage zu stehen. Dies scheint gegen das Determinierungsgebot zu verstoßen.

5. Der VfGH hegt daher Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsstelle."

3. Das Verfahren ist zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnungsstelle zweifeln ließe.

4. Im Verordnungsprüfungsverfahren hat der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten bekanntgegeben, daß er von einer Äußerung Abstand nimmt.

Die Marktgemeinde Gratkorn äußerte sich wie folgt:

"...

Da der Beschluß vom 4. März d.J., wonach ein amtswegiges Verordnungsprüfungsverfahren eingeleitet wurde, nach unserer Auffassung die spätere Entscheidung bereits vorwegnimmt, erscheint eine Stellungnahme der Marktgemeinde Gratkorn zur Sache überflüssig.

Als öffentliche Institution haben wir Verständnis für die Anliegen der Verfassungsgerichtsbarkeit aufzubringen, dahingestellt sei allerdings, ob die Gratkorner Bevölkerung, sollte der befürchtete Verkehrsunfall mit Kindesbeteiligung geschehen, Verständnis für grundsätzliche Rechtsprobleme zeigt."

5. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:

Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken erweisen sich als begründet:

Die Verordnungsermächtigung des §52 Abs4 GewO 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981 kann verfassungskonform nur dahin verstanden werden, daß die Gemeinde, die von dieser Ermächtigung Gebrauch macht, dazu verpflichtet ist, konkrete Festlegungen zu treffen, wo im Gemeindegebiet die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, untersagt ist. Da sich die V in §1 Z1 darauf beschränkt, die Verbotszone mit den Worten "im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden," zu umschreiben, weist sie nicht die vom Gesetz gebotene Bestimmtheit auf (vgl. VfGH 22.6.1987 V35/87).

Es trifft aber auch das weitere vom VfGH geäußerte Bedenken zu, daß die V von einer unzuständigen Behörde erlassen wurde:

Aus den von der Gemeinde Gratkorn vorgelegten Unterlagen, aber auch aus der V selbst ergibt sich, daß die in Prüfung gezogene V tatsächlich dem Gemeinderat als Verordnungsgeber zuzurechnen ist. Da die V Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches zum Gegenstand hat, die gemäß §42 Abs2 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 vom Bürgermeister zu besorgen sind, sie aber dennoch vom Gemeinderat beschlossen wurde, ist sie von einer unzuständigen Behörde erlassen worden. Gemäß Art139 Abs3 litb B-VG ist daher die ganze V als gesetzwidrig aufzuheben.

6. Zu der vom Bürgermeister von Gratkorn vorgebrachten Sorge, die Bevölkerung werde für die Rechtsprobleme kein Verständnis aufbringen, wenn es zu einem "Verkehrsunfall mit Kindesbeteiligung" kommen sollte, vermerkt der VfGH, daß der Bürgermeister - als hiefür zuständige Behörde - zur Erlassung einer dem Gesetz entsprechenden V (vgl. zB VfGH 27.9.1986 V13/86 und 27.9.1986 V15/86) befugt gewesen wäre.

7. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 idF BGBl. 297/1984 in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Gewerberecht, Gemeinderecht, Wirkungsbereich übertragener, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:V40.1987

Dokumentnummer

JFT_10129375_87V00040_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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