TE Vfgh Erkenntnis 1986/9/27 V15/86

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Veröffentlicht am 27.09.1986
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung 1973

Norm

GewO 1973 §52 Abs4
AutomatenV des Bürgermeisters der Ortsgemeinde Maria Alm v 23.11.82
B-VG Art18 Abs2

Beachte

Kundmachung am 19. Dezember 1986, BGBl. 675/1986; Anlaßfall B481/85 vom 29. September 1986 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach Muster VfSlg. 10698/1985

Leitsatz

AutomatenV des Bürgermeisters der Ortsgemeinde Maria Alm vom 23. November 1982; keine Deckung des weiten Untersagungsbereiches der Verordnungsstellen in §52 Abs4 GewO (unter Hinweis auf Erk. VfSlg. 10594/1985); Aufhebung der Z1 und 7 der Verordnung

Spruch

I. Die Z1 und 7 der Verordnung des Bürgermeisters der Ortsgemeinde Maria Alm vom 23. November 1982, mit welcher gemäß §52 Abs4 Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619, die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Mj. ausgerichtet sind, untersagt wird, werden als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim VfGH ist zu B481/85 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Sbg. vom 3. Mai 1985 richtet. Mit diesem Bescheid wurde ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 17. September 1984 bestätigt, mit welchem die Bf. wegen der Verwaltungsübertretung nach §367 Z15 iVm. §52 Abs4 und §1 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619 (künftig: GewO), und der Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Maria Alm vom 23. November 1982 (künftig: AutomatenV) zu einer Geldstrafe von 3500 S, im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Arreststrafe von 4 Tagen verurteilt wurde.

2.1. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, Z1 und 7 der AutomatenV von Amts wegen zu prüfen.

2.2. Die in Prüfung gezogenen Verordnungsstellen (Z1 und 7) einschließlich des Einleitungssatzes und der Z4, an die die Z7 anknüpft - die in Prüfung gezogenen Stellen sind hervorgehoben - lauten:

"Zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben wird die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Zuckerl-, Süßwaren-, Kaugummi-, Spielzeug- und sonstiger Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, an folgenden Orten untersagt:

1. Im Umkreis von 1 km von der Volksschule und vom Kindergarten, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden. Die Entfernung ist bei einem eingefriedeten Schulareal von den straßenseitigen Zugängen zu diesem Areal, ansonsten von den Eingängen des Schulgebäudes zumessen.

2. ...

3. ...

4. In Kindergärten.

5. ...

6. ...

7. Im Umkreis von 1 km von den in den Punkten 4. bis 7. angeführten Anlagen, gemessen von deren Eingängen."

2.3. Die in Prüfung gezogene Regelung stützt sich auf §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981, der lautet:

"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, kann die Gemeinde durch Verordnung die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,

2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,

3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,

4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder

5. im näheren Umkreis der in Z4 angeführten Plätze und Räume

untersagen."

2.4. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die AutomatenV wie folgt umschrieben:

"Mit den in Prüfung gezogenen Regelungen wird eine Verbotszone im Umkreis von 1 km von der Volksschule und vom Kindergarten (von Kindergärten) verfügt. Die Festlegung von Verbotsbereichen dieses Umfanges scheint §52 Abs4 GewO zu widersprechen, weil die Festlegung eines 'näheren Umkreises' als Verbotszone schon nach dem Wortlaut einen Verbotsbereich dieses Umfanges auszuschließen scheint.

Der VfGH hat aber das weitere Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Verordnung dem Einleitungssatz des Abs4 des §52 GewO widerspricht, wonach die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit mittels Automaten nur untersagt werden darf, soweit dies für die im Gesetz genannten Zielsetzungen 'erforderlich' ist (vgl. hiezu VfGH 16. 6. 1984, B410/83). Es ist nämlich nicht einsichtig, daß ein solches Erfordernis im Umkreis von 1 km von den in der Verordnung genannten Orten gegeben ist.

Der VfGH hegt daher das Bedenken, daß die in Prüfung gezogenen Verordnungsteile mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht in Einklang zu bringen sind. Der VfGH geht weiters davon aus, daß die in Prüfung gezogenen Verordnungsstellen schon zufolge ihrer sprachlichen Fassung untrennbar sein dürften."

3. Das Verfahren ist zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Stellen der Verordnung zweifeln ließe.

4. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie hat im Verfahren eine Äußerung erstattet, der Bürgermeister von Maria Alm hat die Verordnungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch abgesehen.

Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie nimmt zu den Bedenken des VfGH wie folgt Stellung:

"Grundsätzlich teilt das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie die Bedenken des VfGH. Durch die Bestimmungen des §52 Abs4 Z1 bis 5 GewO 1973 werden dem Verordnungsgeber bestimmte räumliche Grenzen gezogen, innerhalb deren er die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, untersagen kann.

Durch eine Verordnung gemäß §52 Abs4 Z1 GewO 1973 kann auch jene Wegstrecke erfaßt werden, die von den Schülern auf ihrem Weg von oder zur Schule zurückgelegt werden muß sofern diese Wegstrecke im näheren Umkreis einer Schule liegt, die von unmündigen Minderjährigen besucht wird. Der VfGH hat in seinem Erkenntnis vom 16. 6. 1984, GZ B410/83, eine Verbotszone von 150 m im Umkreis von Volksschulen als zulässig angesehen. Erfolgt die Bestimmung des 'näheren Umkreises' durch Abschätzung einer gerade noch mit der gesetzlichen Ermächtigung im Einklang befindlichen Entfernung einerseits und durch Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der Zielsetzung des §54 Abs4 GewO 1973 andererseits, erscheint auch die Annahme eines über die Entfernung von 150 m hinausgehenden Abstandes von der betreffenden Örtlichkeit vertretbar.

Was die im Hinblick auf Kindergärten erlassenen Regelungen betrifft, kommt die Ermächtigung des §52 Abs4 Z5 GewO 1973 als gesetzliche Grundlage in Frage. Es wäre auch in diesem Fall denkbar, daß die Errichtung einer über die unmittelbare Umgebung des Kindergartens hinausreichenden Verbotszone dann nicht von vornherein als unzulässig erachtet werden könnte, wenn Kinder beim Aufsuchen des Kindergartens oder beim Verlassen desselben den näheren Umkreis des Kindergartens durchqueren müssen. Nicht selten kommt es auch vor, daß unmündige Minderjährige Kinder in den Kindergarten begleiten oder sie von dort abholen. Ob dies jedoch auch für den vorliegenden Fall zutrifft, kann ohne Kenntnis der lokalen Umstände nicht gesagt werden.

2. Weiters hat der VfGH das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Verordnung dem Einleitungssatz des Abs4 des §52 GewO 1973 widerspricht, wonach die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit mittels Automaten nur untersagt werden dürfe, soweit dies für die im Gesetz genannten Zielsetzungen 'erforderlich' sei (vgl. hiezu VfGH 16. 6. 1984, B410/83). Es sei nämlich nicht einsichtig, daß ein solches Erfordernis im Umkreis von 1 km von den in der Verordnung genannten Orten gegeben sei.

Auf Grund der örtlichen Verteilung der Wohnorte der unmündigen Minderjährige und der Lage der Schule bzw. des Kindergartens ist es im Einzelfall nicht völlig undenkbar, daß auch noch an der Peripherie eines Umkreises von 1 km von einer Volksschule bzw. einem Kindergarten die Aufstellung von Automaten so vor sich geht, daß unmündige Minderjährige zu unüberlegten Geldausgaben verlockt werden, wenn sie sich von zu Hause auf den Weg machen oder nach Hause zurückkehren. Mangels konkreter Ortskenntnis kann jedoch dazu nichts weiter bemerkt werden.

Im Hinblick auf das Vorgesagte sieht das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie im vorliegenden Verfahren von einer konkreten Antragstellung ab."

5. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:

Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken erweisen sich als begründet:

Der Sache nach hat der VfGH gegen diese AutomatenV dieselben Bedenken geäußert, die ihn im Fall VfSlg. 10594/1985 zur Aufhebung der dort geprüften Verordnung bewogen haben. In diesem Erkenntnis hat der VfGH zur Frage, was unter "näherem Umkreis" verfassungskonform zu verstehen ist, folgendes ausgeführt:

"Sicher wird an die Einschätzung einer Gemeinde, in welchem Ausmaß eine Untersagungsverordnung erforderlich ist, kein allzu strenger Maßstab anzulegen sein, solange die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß Kinder, um deren Schutz es dem Gesetzgeber geht, den Aufstellungsort eines Warenautomaten von den im Gesetz genannten Orten aus, an denen sie sich erfahrungsgemäß häufig aufhalten, leicht, also ohne besondere Mühe und ohne besonderen Zeitaufwand, (was einer Distanz von höchstens 200 m entspricht) erreichen können. Die Festlegung eines Umkreises von 300 m scheint dem VfGH in jedem Fall als zu weitgehend, da sich der Automat in einem solchen Fall nicht mehr in einer solchen Nahebeziehung zu den von Kindern am häufigsten frequentierten Plätzen befindet."

Der VfGH sieht keinen Anlaß, von dieser Auslegung des §52 Abs4 GewO abzugehen. Auch der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie konnte nicht begründen, warum im konkreten Fall die Festlegung eines Umkreises von 1 km gerechtfertigt sein sollte.

Daraus ergibt sich, daß die geprüften Verordnungsstellen nicht dem Gesetz entsprechen.

6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Gewerberecht, Automaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:V15.1986

Dokumentnummer

JFT_10139073_86V00015_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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