TE Vfgh Erkenntnis 1987/10/8 G47/87

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Veröffentlicht am 08.10.1987
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Index

61 Familienförderung, Jugendfürsorge
61/04 Jugendfürsorge

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
JWG §26 Abs2

Leitsatz

Zur Entwicklung des Rechtsinsituts "Vormundschaft"; vorläufige Maßnahmen der Erziehungshilfe (Zwangsausübung) durch die Bezirksverwaltungsbehörde als Vormund oder gesetzlicher Amtskurator (unter nachfolgender Genehmigung des Gerichts) - besonderer Bereich staatlicher Tätigkeit auf privatrechtlichem Gebiet; gewisse hoheitliche Befugnisse des Amtsvormundes ändern nichts an der grundsätzlich privatrechtlichen Stellung; kein Widerspruch des §26 Abs2 JWG zum Gebot der Trennung von Justiz und Verwaltung

Spruch

§26 Abs2 des Jugendwohlfahrtsgesetzes, BGBl. Nr. 99/1954, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Das BG vom 9. April 1954, BGBl. 99, womit Grundsätze über die Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge aufgestellt und unmittelbar anzuwendende Vorschriften über die Jugendwohlfahrt erlassen werden (Jugendwohlfahrtsgesetz - JWG), enthält in seinem zweiten Teil als unmittelbar anzuwendendes Bundesrecht Vorschriften über die Amtsvormundschaft (§§16 - 20), die sonstige Mitwirkung der Bezirksverwaltungsbehörde bei den Aufgaben des Vormundschaftsgerichts (§§21 - 24), die Anstaltsund Vereinsvormundschaft (§25), die gerichtliche Erziehungshilfe (§§26 und 27), die Erziehungsaufsicht und die Fürsorgeerziehung (§§28 - 33) und das dazu eingerichtete vormundschaftsgerichtliche Verfahren (§34) sowie die Jugendgerichts- und Jugendpolizeihilfe (§35).

Die Erziehungshilfe umfaßt alle Maßnahmen, die dem Ziel einer sachgemäßen und verantwortungsbewußten Erziehung dienen, wie Erziehungsberatung, anderweitige Unterbringung, Einweisung in einen Kindergarten, einen Hort, eine Tagesheimstätte, ein Jugendheim oder ein Erholungsheim (§9 Abs1). Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten (dh ohne deren Antrag oder ohne deren Zustimmung) kann sie nur durch Anordnung des Vormundschaftsgerichts gewährt und nur dann angeordnet werden, wenn sie deshalb geboten ist, weil die Erziehungsberechtigten ihre Erziehungsgewalt mißbrauchen oder die damit verbundenen Pflichten nicht erfüllen (§26 Abs1). Im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren zwecks gerichtlicher Erziehungshilfe (wie der Erziehungsaufsicht und der Fürsorgeerziehung) hat die Bezirksverwaltungsbehörde, wenn sie nicht - wie schon kraft Gesetzes bei unehelichen Kindern (§17) oder sonst durch Bestellung (§20) - Vormund ist, die Stellung eines besonderen Kurators des Minderjährigen und ist als solcher berechtigt und verpflichtet, die Einleitung des Verfahrens zu beantragen, wenn sie die Voraussetzungen dieser Maßnahme für gegeben erachtet (§21).

In diesem Sinne bestimmt §26 Abs3 JWG, daß die Bezirksverwaltungsbehörde die Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes zu beantragen hat, wenn sie als Vormund oder gesetzlicher Amtskurator Erziehungshilfe gegen den Willen der Erziehungsberechtigten für geboten hält oder eine mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten eingeleitete Maßnahme der Erziehungshilfe gegen deren Willen fortgesetzt werden soll.

Daneben sieht §26 Abs2 JWG aber vor:

"(2) Liegt Gefahr im Verzug vor, so kann die Bezirksverwaltungsbehörde als Vormund oder als gesetzlicher Amtskurator die erforderlichen Maßnahmen der Erziehungshilfe sofort treffen, sie hat jedoch unverzüglich, längstens binnen einer Woche nach Vollzug der getroffenen Maßnahmen, die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zu beantragen. Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde den Antrag nicht binnen dieser Frist oder verweigert das Vormundschaftsgericht die Genehmigung, so gilt die Maßnahme als widerrufen."

In ähnlicher Weise bleibt die mit Zustimmung des Erziehungsberechtigten eingeleitete Maßnahme bis zur Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes aufrecht, wenn der Antrag unverzüglich, längstens binnen einer Woche nach seinem Widerspruch gestellt wird; andernfalls gilt sie solange als widerrufen (§26 Abs3 letzter Halbsatz).

Beim VfGH ist seit 1. April 1986 zu B303/86 die Beschwerde ehelicher Eltern und ihrer drei minderjährigen Kinder gegen die vom Bezirksjugendamt für den 12. Bezirk in Wien am 14. Feber 1986 durchgeführte Abnahme der Kinder und deren Unterbringung im Zentralkinderheim der Stadt Wien anhängig, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet wird. Mit Beschluß vom 18. Juni 1986 ordnete in der Folge der Jugendgerichtshof Wien als Pflegschaftsgericht über Antrag des Jugendamtes vom 21. Feber 1986 die gerichtliche Erziehungshilfe an, setzte bestimmte Maßnahmen fest und verfügte die unverzügliche Entlassung der Kinder in den Haushalt der Eltern, genehmigte aber "die bis zur Entlassung erfolgte Unterbringung im Zentralkinderheim pflegschaftsbehördlich" (Pkt. 4 des Beschlusses) und wies den Antrag auf pflegschaftsbehördliche Genehmigung der weiteren Unterbringung in einem Heim ab (Pkt. 5 des Beschlusses). Dazu heißt es in der Begründung:

         ". . . Diese Abnahme war zum damaligen Zeitpunkt

jedenfalls gerechtfertigt, da der begründete Verdacht der Kindesmißhandlung und somit eines Erziehungsnotstandes mit akuter Kindesgefährdung bestand. Die Unterbringung war daher in dem im Spruch genannten Ausmaß pflegschaftsbehördlich zu genehmigen.

         Der Verdacht der Kindesmißhandlung bestätigte sich

jedoch in der Folge, trotz genauer Recherchen durch die Wr. JgH

nicht. . . ."

Der Rekurssenat des Jugendgerichtshofs gab dem von der Mutter gegen die Genehmigung der Unterbringung (Pkt. 4) erhobenen Rekurs am 21. Oktober 1986 keine Folge; er ging in seinem Beschluß davon aus, es habe

"Gegenstand des Rekursverfahrens ... also die Beurteilung zu sein, ob die Voraussetzungen für die Bezirksverwaltungsbehörde nach §26 Abs2 JWG bei der Vornahme der ihr erforderlich erscheinenden Maßnahme der Erziehungshilfe vorlagen und die Heimunterbringung bis 20. Juni 1986 andauern durfte (1 Ob 776/82), an welchem Tag - wie das Rekursgericht ergänzend erhob - die Kinder zu den Eltern entlassen wurden."

Ihren Revisionsrekurs wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 13. Jänner 1987, 2 Ob 724/86, mangels Vorliegens zulässiger Anfechtungsgründe zurück.

II. Aus Anlaß des bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens hat der VfGH am 10. Dezember 1986 von Amts wegen die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §26 Abs2 JWG beschlossen und seine Bedenken wie folgt dargelegt:

"Der VfGH stellt sich vorläufig auf den Standpunkt, von dem der Oberste Gerichtshof (OGH 3. November 1982 1 Ob 776/82) und der JGH Wien (siehe den in dieser Sache ergangenen Beschluß vom 21. Oktober 1986) offenkundig ausgegangen sind, daß nämlich §26 Abs2 JWG dem Pflegschaftsgericht nicht bloß aufträgt, für die Zukunft Maßnahmen zu verfügen; vielmehr hat das Vormundschaftsgericht anscheinend die bisher von der Bezirksverwaltungsbehörde gesetzten Maßnahmen derart zu 'genehmigen', daß es feststellt, ob die von der Verwaltungsbehörde getroffenen Anordnungen rechtmäßig waren oder nicht.

Kommt aber dem Gesetz tatsächlich dieser Inhalt zu, so liefe dies wohl auf eine - nach Art94 B-VG unzulässige Kontrolle der Verwaltung durch das Gericht hinaus (vgl. zB VfSlg. 5690/1968, 10452/1985)."

Die Bundesregierung verteidigt die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes mit dem Hinweis auf den privatrechtlichen Charakter der durch §26 Abs2 JWG eingeräumten Befugnisse der Bezirksverwaltungsbehörde.

III. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig.

Im Anlaßbeschwerdeverfahren wird der Gerichtshof zunächst zu klären haben, ob die Beschwerde gegen die Abnahme und Unterbringung der Kinder zulässig ist. Dabei wird zu prüfen sein, ob es sich bei dieser Maßnahme um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt handelt. Dafür ist es wiederum von Bedeutung, welche Aufgabe §26 Abs2 JWG den Gerichten überträgt. Diese Bestimmung wäre daher bei Erledigung der Beschwerde insgesamt anzuwenden.

Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen liegen vor.

IV. Die Bedenken des Gerichtshofs sind jedoch nicht begründet. §26 Abs2 JWG widerspricht nicht dem Gebot der Trennung von Justiz und Verwaltung.

1. Im Beschluß VfSlg. 9152/1981 hat der VfGH eine Beschwerde gegen eine Anhaltung Minderjähriger in einem Kinderheim mit der Begründung zurückgewiesen, es handle sich dabei um eine dem Vormundschaftsgericht zuzurechnende Maßnahme; die Aufhebung der Genehmigung dieser Maßnahme durch das Rekursgericht und die Zurückverweisung an den Erstrichter zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung habe an der Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Gerichtsbeschlusses nichts geändert und das Verfahren habe keine Überschreitung des darin liegenden Auftrages durch die Bezirksverwaltungsbehörde ergeben. Diese Entscheidung geht unausgesprochen von der Annahme aus, vor Zustellung des erstinstanzlichen Gerichtsbeschlusses wäre die Maßnahme von der Bezirksverwaltungsbehörde als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu verantworten gewesen.

Von dieser Annahme ist der VfGH auch bei Einleitung des vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahrens ausgegangen. Sie liegt offenbar auch der Bemerkung Walters (Verfassung und Gerichtsbarkeit, 1960) zugrunde, für §26 JWG werde sich eine verfassungsrechtliche Deckung kaum finden lassen (118); es fehle in diesem Fall jegliche verfassungsrechtliche Untermauerung (119).

2. Dieser Auffassung hält die Bundesregierung die These entgegen, die Bezirksverwaltungsbehörde handle in dem hier in Rede stehenden Bereich insgesamt privatrechtlich und unterliege deshalb ausschließlich der Kontrolle der Gerichte:

"Die §§137, 137a, 144 bis 150, 154, 154a, 166, 170, 172, 176 bis 178a ABGB enthalten Regelungen über die persönlichen Rechte und Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern. Hiezu gehören Pflege und Erziehung, gesetzliche Vertretung und Vermögensverwaltung. Die elterlichen Rechte und Pflichten werden meist unmittelbar durch das Gesetz begründet. Am häufigsten entstehen sie durch die Geburt eines Kindes, manchmal auch durch andere Tatsachen, wie Feststellung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind oder qualifizierte Behinderung eines Elternteils (§§145 Abs1 erster Satz und §145a ABGB). Es gibt aber auch zahlreiche Fälle, in denen das Gericht Entscheidungen bezüglich der persönlichen Rechte und Pflichten zu treffen hat (vgl. etwa §§145 Abs1 zweiter Satz, 176, 177 ABGB). Weiter sieht das ABGB vor, daß in denjenigen Bereichen, in denen nicht Eltern persönliche Rechte und Pflichten ihren Kindern gegenüber zukommen, Vormünder bzw. Sachwalter (auch Kuratoren genannt) tätig zu werden haben (§145b ABGB). Das ABGB sieht vor, daß Vormünder (§190 ABGB) und Sachwalter (§§269, 271 f.) vom Gericht zu bestellen sind. Diese Angelegenheiten gehören unbestritten zum Privatrecht.

Den Gerichten ist es aber immer schwer gefallen, genügend Personen zu finden, die geeignet und bereit gewesen sind, die erwähnten Rechte und Pflichten anstelle der Eltern zu übernehmen. Auf diese Schwierigkeiten weisen bereits die Erläuterungen zu §15 JWG - er stimmt mit dem geltenden §16 JWG überein - hin (RV 140 BlgNR VII. GP, 18):

'Die Amtsvormundschaft, die ihre Entstehung dem Mangel geeigneter Einzelvormünder verdankt ......'

Gleiche Probleme bestehen überdies auf dem Gebiet der gesetzlichen Vertretung und Vermögensverwaltung für geistig behinderte Personen. So führen die Erläuterungen zum Sachwalterschaftsgesetz folgendes aus (RV 742 BlgNR XV. GP, 13):

'Zu den immer wieder beklagten Mängeln des Pflegschaftswesens gehört das Fehlen geeigneter Personen zur Übernahme des Amtes eines Kurators oder Beistandes. Häufig stehen nahe Angehörige nicht zur Verfügung .....'

Aus diesem Grund war es nötig, geeignete und bereite Einrichtungen zu finden, die im Interesse der Kinder Aufgaben der Eltern übernehmen konnten. So sehen die §§16 und 17 JWG vor, daß für bestimmte, im Gesetz näher genannte Kinder die Vormundschaft ex lege eintritt, somit der Vormund nicht im Einzelfall vom Gericht zu bestellen ist. Mit den Aufgaben des Vormundes wird die Bezirksverwaltungsbehörde betraut.

Nach §18 JWG gelten für die Amtsvormundschaft die allgemeinen Vorschriften - des ABGB - über die Vormundschaft, doch hat die Bezirksverwaltungsbehörde bestimmte Vorzugsrechte, die die Aufsicht des Gerichtes über ihre Tätigkeit als Vormund gegenüber dem vom Gericht bestellten privaten Vormund einschränken, jedoch nicht völlig von dieser ausnehmen: Der Amtsvormund kann zwar ohne Genehmigung des Gerichtes auf Feststellung der Vaterschaft und Unterhalt klagen, seine Schadenersatzklage namens des Mündels bedarf aber - weil im §18 JWG nicht aufgezählt - der Genehmigung des Gerichtes. Auskünfte über Sozialversicherungs- und Gehaltsbezüge eines Unterhaltsschuldners kann der Amtsvormund nicht erzwingen (die auf §3 Abs5 und 6 JWG fußenden Ausführungsbestimmungen der Länder gelten nur für die öffentliche Jugendwohlfahrtspflege) der Amtsvormund muß sich ebenso wie der private Vormund die von ihm benötigten Informationen notfalls in dem im §186 AußStrG vorgezeichneten Weg (Anfrage durch das Gericht) beschaffen.

Die im §18 JWG angeführten Begünstigungen wurden nicht wegen einer vermeintlichen hoheitlichen Stellung des Amtsvormundes, sondern aus anderem Grund geschaffen: Der Vergleich zwischen §§17 f und §20 JWG zeigt, daß der Umfang der Begünstigungen, die einer Bezirksverwaltungsbehörde als gesetzlicher Vertreter eines minderjährigen Kindes zukommen, nicht davon abhängt, ob sie vom Gericht im Einzelfall bestellt oder von Gesetzes wegen mit den Aufgaben betraut worden ist: In beiden Fällen gilt §18 JWG zur Gänze. Die Sonderstellung der Bezirksverwaltungsbehörde nach §18 JWG wird aber eingeschränkt, wenn sie - nach §22 Abs1 und 2 JWG - zum Kurator eines Minderjährigen bestellt worden ist (§22 Abs3 JWG). Die Begünstigungen des gesetzlichen Vertreters nehmen somit ab, wenn die gesetzliche Vertretung nicht allumfassend, sondern - wie die Kuratel für Minderjährige - nur für bestimmte Bereiche gedacht ist (§145 b Abs1 ABGB). Würden die Begünstigungen aus einer hoheitlichen Stellung erklärbar sein, so müßten sie immer dann zutreffen, wenn die Bezirksverwaltungsbehörde als gesetzlicher Vertreter einschreitet; das ist aber nicht der Fall. Nach den Erläuterungen zu §16 JWG idF RV 140 BlgNR VII. GP - ihm entspricht der geltende §17 JWG - wird eine hoheitliche Funktion der Bezirksverwaltungsbehörde als Amtsvormund ausdrücklich ausgeschlossen (Erl. S. 19):

'... denn die Bezirksverwaltungsbehörde tritt hier nicht als Verwaltungsbehörde, sondern als Vormund des bürgerlichen Rechtes auf. ...'

Die Begünstigungen des geltenden §18 JWG erklären die Erläuterungen (zu §17 JWG idF der genannten RV) in folgender Weise (Erl. S. 19):

'Die besondere Stellung der Bezirksverwaltungsbehörde und die größere Befähigung ihrer auf dem Gebiet der Jugendwohlfahrtspflege tätigen Organe gegenüber dem Einzelvormund erfordern es, der Amtsvormundschaft eine Reihe von Vorzugsrechten einzuräumen ...'

Die Einschränkung der Aufsicht des Pflegschaftsgerichtes über die Bezirksverwaltungsbehörde beruht somit auf dem Grundsatz, daß das gleiche Maß an Aufsicht wie beim privaten Vormund deshalb nicht nötig ist, weil die auf dem Gebiet der Amtsvormundschaft tätigen Bediensteten in der Regel besser ausgebildet sind und gerichtliche Aufsicht nur dort angebracht ist, wo sie auch erforderlich ist. Auch die 'besondere Stellung' der Bezirksverwaltungsbehörde ist nicht als Hinweis auf eine hoheitliche Funktion zu verstehen: Sie ist vielmehr damit zu erklären, daß die mit den Kosten belasteten Rechtsträger (Länder und Statutarstädte) ein Interesse daran haben, unnötigen Verwaltungsaufwand bei den Bezirksverwaltungsbehörden durch Verfassung von Anträgen auf Genehmigung von Vertretungshandlungen an das Gericht in Routineangelegenheiten zu vermeiden. Dazu kommt, daß nach der Rechtsprechung (zuletzt OGH 12.6.1986, Österreichische Richterzeitung 1986, 217) das Bundesland für die Bezirkshauptmannschaft und die Statutarstadt für ihren Magistrat einzutreten haben, wenn das genannte Organ jeweils als gesetzlicher Vertreter Schäden schuldhaft herbeigeführt hat. Da von vornherein keine Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der genannten Rechtsträger angebracht sind - hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu manchem privaten Vormund - ist das Mündel zumindest sicher, daß es bestehende Schadenersatzforderungen wegen fehlerhafter Tätigkeit des gesetzlichen Vertreters auch hereinbringen kann. Gerade diesem Erfahrungsstand trägt aber §18 JWG - sowie die diesbezügliche Ausnahmebestimmung des §22 Abs3 JWG - Rechnung: In Angelegenheiten, die mit großer Häufigkeit vorkommen - wie Vaterschafts- und Unterhaltsangelegenheiten -, darf die Bezirksverwaltungsbehörde als gesetzlicher Vertreter immer ohne Genehmigung des Gerichtes tätig werden, in Angelegenheiten dagegen, die sehr selten vorkommen, oder ein großes Risiko beinhalten - wie z. B. die erwähnten Schadenersatzklagen - darf sie nur mit gerichtlicher Genehmigung vorgehen. Wird die Bezirksverwaltungsbehörde zum besonderen Sachwalter (Kurator) bestellt, so geschieht dies meist deshalb, weil der mit den sonstigen Angelegenheiten betraute gesetzliche Vertreter überfordert ist. Eben in einem solchen Fall darf die Bezirksverwaltungsbehörde nur die mit der Vaterschaftsfeststellung und Unterhaltsdurchsetzung verbundenen Standardaufgaben ohne Genehmigung des Gerichtes durchführen. Die Begünstigungen nach §18 Z. 6 und 7 JWG kommen ihr nicht zu, der Rechtsträger hat die diesbezügliche Verantwortung mit dem Gericht zu teilen.

Dies zeigt, daß die im §18 JWG enthaltenen Begünstigungen nicht darauf zurückgeführt werden können, daß die Bezirksverwaltungsbehörde als gesetzlicher Vertreter eine hoheitliche Tätigkeit entfaltet. Sie beruhen vielmehr auf für das Privatrecht typischen wirtschaftlichen Überlegungen: wo ein höheres Risiko herrscht, ist im Interesse des Pflegebefohlenen mehr Kontrolle angebracht. Ergibt sich aber, daß §18 JWG vom Regelungsinhalt her eine privatrechtliche Vorschrift ist, so ist es nicht zutreffend, aus ihr einen Behördencharakter des Amtsvormundes zu folgern.

Dementsprechend gehen Lehre und Rechtsprechung auch davon aus, daß die Haftung des Rechtsträgers, dem die Tätigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde als gesetzlicher Vertreter zuzuordnen ist, nicht auf dem Amtshaftungsrecht beruht (OGH 21.1.1965, EvBl. 1965/234; SCHRAGEL, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz252, mit weiteren dort angeführten Verweisungen).

Daran vermögen auch die vereinzelt gebliebenen Entscheidungen, in denen eine hoheitliche Stellung der Bezirksverwaltungsbehörde im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Amtsvormund eine Rolle spielte, nicht zu rütteln: Die Entscheidung des VwGH vom 20.2.1958, Slg 4611 A, die die Erlassung des Ladungsbescheides an den mutmaßlichen unehelichen Vater eines Kindes zwecks Erklärung des Anerkenntnisses der Vaterschaft zum Gegenstand hatte, sowie die Entscheidung des OGH vom 17.9.1963, EvBl 1964/118 (betreffend Strafbarkeit der Mutter, die unrichtige Angaben über den mutmaßlichen Vater macht), stehen beide in engem Zusammenhang mit der - selbstverständlich hoheitlichen - Beurkundung eines Anerkenntnisses über die Vaterschaft, das nach §29 des damals geltenden PStG, dRGBl. 1937 I, S 1146, im Zusammenhang mit §18 Z. 3 JWG in einen - ebenfalls hoheitlichen - Beurkundungsvorgang münden sollte. Es wäre aber nicht sachgerecht, aus der zur Vereinfachung geschaffenen Befugnis der Bezirksverwaltungsbehörde, bestimmte mit der Tätigkeit als Amtsvormund im Zusammenhang stehenden Erklärungen zu beurkunden (§18 Z. 3 JWG, §163c Abs1 Z. 2 ABGB), auf eine hoheitliche Stellung für ihren übrigen Tätigkeitsbereich als gesetzlicher Vertreter zu schließen.

Damit ergibt sich aber, daß §18 JWG auch in verfassungskonformer Weise dahingehend ausgelegt werden kann, daß - aus Gründen des Privatrechtes - eine Sonderstellung des Amtsvormundes und des Amtssachwalters gerechtfertigt ist. Somit ist es nicht nötig, §18 JWG mit dem verfassungswidrigen Ergebnis dahin zu interpretieren, daß eine Bezirksverwaltungsbehörde als gesetzlicher Vertreter eines minderjährigen Kindes immer gleichzeitig auch hoheitliche Aufgaben besorgt, und hiedurch der Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung (Art94 B-VG) verletzt wäre."

Gleiches gelte von den Maßnahmen, zu denen die in Prüfung stehende Bestimmung des §26 Abs2 JWG die Bezirksverwaltungsbehörde ermächtige:

"Der erste Satz spricht ausdrücklich davon, daß die Bezirksverwaltungsbehörde als 'Vormund oder als gesetzlicher Amtskurator' sofort Erziehungsmaßnahmen zu treffen hat. Für eine Beurkundungstätigkeit besteht kein Raum. Ihre Stellung ist dem Grund nach nicht anders, als wäre sie nach §§17, 20 JWG Amtsvormund oder nach §§21 f. JWG Amtskurator. Ihre Befugnisse eine Erziehungstätigkeit - leiten sich aus dem Privatrecht ab.

Zu den Aufgaben nach §26 Abs2 JWG gehört auch, unverzüglich das Gericht zu verständigen und die Genehmigung der Tätigkeit zu beantragen. Die Anrufung des Gerichtes in diesem Fall ist aus zweierlei Gründen notwendig: Einerseits kommt nach den eingangs genannten Gesetzesstellen den Eltern - oder anderen vom Gericht hiefür bestimmten Personen - das Recht zu, das betreffende Kind zu pflegen und zu erziehen. Nach §176 ABGB hat das Gericht die elterlichen Rechte soweit zu beschränken, als dies zur Sicherung des Wohles des Kindes nötig ist, wenn die Eltern oder Großeltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes gefährden. Die Entscheidung über den Fortbestand des Erziehungsrechtes der Eltern kommt daher dem Gericht zu. Folgerichtig hat daher auch das Gericht zu entscheiden, ob die Erziehungsrechte den Eltern oder der Bezirksverwaltungsbehörde zustehen, wenn ein Fall des §26 Abs2 JWG vorliegt, der wohl als Unterfall des §176 ABGB zu sehen ist. Andererseits hat auch der Vormund in wichtigen, die Person des Kindes betreffenden Angelegenheiten die Genehmigung des Gerichtes einzuholen (§216 Abs2 ABGB). Diese Bestimmung gilt nach §282 ABGB auch für den Sachwalter; sie würde - nach §22 JWG - auch für den Amtskurator (nicht für den Amtsvormund) gelten. Damit ist aber klargelegt, daß die Überprüfung der Tätigkeit eines Sonderkurators für Erziehungsaufgaben durch das Gericht auf einer privatrechtlichen Vorschrift beruht. Dies betonen auch die Erläuterungen zu §25 Abs1 und 2 JWG idF RV 140 BlgNR VII. GP, der inhaltsgleich mit dem geltenden §26 Abs1 und 2 JWG ist (S. 21 f.):

'Was unter Erziehungshilfe zu verstehen ist, wurde bereits zu §8 erläutert. Hiebei wurde erkannt, daß die Erziehungshilfe, solange sie im Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten angewendet wird, eine Angelegenheit der Jugendfürsorge, also des öffentlichen Rechtes ist. Dies ist im Sinne der Ausführungen im Eingang dieser Erläuterungen dann nicht mehr der Fall, wenn die Erziehungshilfe gegen den Willen der Erziehungsberechtigten des bürgerlichen Rechtes gewährt werden soll. Dann liegt ein Eingriff in das Zivilrecht vor. Es ist daher die dennoch notwendige Erziehungshilfe vom Zivilrecht zu regeln und den Gerichten zu übertragen. Um auch bereits sprachlich deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß diese Erziehungshilfe dem Zivilrecht angehört, während die im §8 geregelten, auf freiwilliger Basis beruhenden Maßnahmen eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts sind, soll die von den Gerichten zu verwaltende Erziehungshilfe 'gerichtliche Erziehungshilfe' genannt werden.

Wenn den im §39 aufgezählten unmittelbar Erziehungsberechtigten des bürgerlichen Rechtes auch weitere Verwandte und Verschwägerte ehelicher Kinder bis zum dritten Grad und die mütterlichen Großeltern des unehelichen Kindes gleichgestellt werden, obwohl ihnen ein Erziehungsrecht im engeren Sinne vom Gesetz nicht eingeräumt ist, so deshalb, weil sie doch wegen der aus dem Familienverband entspringenden engen Zusammengehörigkeit in einem zivilrechtlichen Naheverhältnis zum Kinde stehen. Dies erlaubt die Absteckung der gerichtlichen Erziehungshilfe in dem im Entwurf vorgesehenen Rahmen. Tatsächlich werden ja auch den genannten Personen der weiteren Familie häufig Erziehungsrechte gegenüber dem Kind übertragen. Auch von der Rechtsprechung wurde wiederholt das Bestehen positiver Familienrechte bestätigt, wenn etwa den Großeltern ein Besuchsrecht zuerkannt wurde. Es leuchtet übrigens aus dem Umstand, daß gewisse Angehörige des erwähnten Personenkreises nach gesetzlicher Vorschrift eine subsidiäre Unterhaltspflicht trifft, die Bejahung der familienrechtlichen Natur der verwandtschaftlichen Beziehungen durch den Gesetzgeber hervor.

Das gerichtliche Verfahren muß, auch wenn es sich um Außerstreitsachen handelt, nach gewissen Regeln vor sich gehen, wozu insbesondere der Grundsatz der Anhörung der Gegenseite gehört. Daher wird nicht immer die Gewähr geboten sein, in Fällen unmittelbarer Gefahr für das Kind mit der notwendigen Schnelligkeit einzugreifen. Es ereignet sich täglich, daß Kinder sofort aus ihrer bisherigen Umgebung weggebracht werden müssen. Hiefür schafft der Abs2 die Möglichkeit, daß die Bezirksverwaltungsbehörde bei Gefahr im Verzug die erforderlichen Maßnahmen der Erziehungshilfe selbst sofort treffen kann. Sie tut dies aber auch hier nicht als Behörde, sondern in ihrer Eigenschaft als Amtsvormund oder als gesetzlicher Amtskurator. Dies entspricht dem Gedanken, daß auch der Einzelvormund kraft seines Amtes verpflichtet wäre, sofortige Schritte zu unternehmen, wenn sich sein Mündel in einer Gefahr befindet.'

Die Tätigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde nach §26 Abs2 JWG ist somit auch aus dieser Sicht keine hoheitliche; die Bezirksverwaltungsbehörde wird als Vormund oder als gesetzlicher Amtskurator nach §26 Abs2 JWG nicht als 'Verwaltungsbehörde' tätig; sie agiert als gesetzlicher Vertreter kraft privaten Rechtes. Werden ihre Erziehungsrechte gestört, so kann sie diese nicht mit eigenem behördlichen Imperium selbst durchsetzen, sondern muß sich nach §146b ABGB im Zusammenhang mit §§216 Abs1 oder 282 ABGB der Hilfe der Behörden und Organe der öffentlichen Aufsicht bedienen, im Streitfall sogar das Pflegschaftsgericht wegen der Herausgabe des Kindes anrufen. Es ist daher nötig, daß die Bezirksverwaltungsbehörde nach §26 Abs2 JWG der Überprüfung durch das Gericht unterliegt und geklärt werden kann, wem (den Eltern oder der Bezirksverwaltungsbehörde) die Erziehungsrechte zukommen."

3. Der VfGH pflichtet der Schlußfolgerung der Bundesregierung bei, daß die Absicht des Gesetzgebers auf die Regelung einer Tätigkeit im Bereich des Privatrechts gerichtet war und die getroffene Regelung dieser Absicht auch voll entspricht. Sie ist auch in der familienrechtlichen Literatur so verstanden worden (vgl. Wentzel-Piegler bei Klang2, Kommentar zum ABGB I/2, 1962, 354).

Die entscheidende Frage des vorliegenden Verfahrens geht freilich nach der verfassungsrechtlichen Beachtlichkeit dieser Vorgangsweise des Gesetzgebers. Ist doch die Abnahme von Kindern und ihre anderweitige Unterbringung gegen den Willen der Erziehungsberechtigten offenkundig die Ausübung von Zwang und die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt geradezu das Kennzeichen hoheitlicher Tätigkeit. Es kann aber nicht im Belieben des Gesetzgebers stehen, Zwangsakte von Verwaltungsbehörden einfach zu privatrechtlichen Tätigkeiten zu erklären und so das Verbot der Trennung von Justiz und Verwaltung zu unterlaufen.

Indessen ist die Ausübung unmittelbaren Zwanges auch dem Privatrecht nicht ganz fremd. Die Ausübung von Eigenmacht zur Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche ist nur verboten, wenn sie unter Hintansetzung der durch die Gesetze bestimmten Behörden oder unter Überschreitung der Grenzen zulässiger Notwehr erfolgt (§19 ABGB). So gehört "zu den Rechten des Besitzes" auch das Recht, "in dem Falle, daß richterliche Hilfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben" (§344 ABGB). Zur Sicherung des Rechtes der Eltern, soweit Pflege und Erziehung es erfordern, auch den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, haben die Behörden und Organe der öffentlichen Aufsicht auf Ersuchen eines berechtigten Elternteils, falls das Kind sich woanders aufhält, notfalls auch bei der Zurückholung des Kindes mitzuwirken (§146b ABGB) und das heißt, der Ausübung von Zwang durch die Eltern (zu dem von §145 in der Stammfassung noch ausdrücklich formulierten Zweck, die Kinder "... mit obrigkeitlichem Beistand zurückzubringen") den allenfalls nötigen Nachdruck zu verleihen. In diesen Rahmen fügt sich ein Recht des Vormundes (Kurators), das seiner Sorge unterstellte Kind bei Gefahr im Verzug den ihre Erziehungsgewalt mißbrauchenden oder die damit verbundenen Pflichten nicht erfüllenden Eltern mit behördlicher Hilfe eigenmächtig wegzunehmen, ohne weiteres ein.

Zweifelhaft ist die Zulässigkeit der privatrechtlichen Einkleidung dieser Zwangsausübung nur deshalb, weil hier der Verwaltungsbehörde selbst die Aufgaben eines Vormundes (Kurators) übertragen sind. Das ist aber schon im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bundesverfassung als Fortentwicklung des Privatrechts verstanden worden:

Die Einführung der Anstalts- und Generalvormundschaft durch die I. Teilnovelle zum ABGB, RGBl. 276/1914, hat nach dem Vorbild des Hofdekretes aus 1822, JGS 1888, dem Vorsteher einer Zwangsarbeits- oder Besserungsanstalt oder einer der Fürsorgeerziehung gewidmeten öffentlichen oder privaten Anstalt zugleich die Befugnisse und Obliegenheiten eines Vormundes übertragen (§207 ABGB idF d I. TN) und darüber hinaus die Möglichkeit geschaffen, in Ermangelung geeigneter Vormünder oder zur wirksamen Wahrung der Rechte und Interessen unbemittelter Pflegebefohlener die Vormundschaft oder einzelne Rechte und Pflichten des Vormundes einem geeigneten Organ der öffentlichen Verwaltung (oder einer Vereinigung für Jugendschutz) zu übertragen (§208 ABGB idF d I.TN). Dabei sollte es sich nach wie vor um Einrichtungen des privaten Vormundschaftsrechts handeln. So führt etwa Bartsch (bei Klang, Kommentar zum ABGB1 I, 1933, 1006) aus, die der Generalvormundschaft eingeräumte Gewalt sei kein dem Betroffenen unerwünschter Polizeizwang, sondern das privatrechtliche, in der Bevölkerung seit uralter Zeit eingelebte und geachtete Institut der Vormundschaft; Träger der Vormundschaft sei hier die Gebietskörperschaft (oder juristische Person der Vereinigung für Jugendschutz), die sich zur Ausübung der vormundschaftlichen Rechte und Pflichten des Jugendamtes (bzw. Organes der juristischen Person) bediene (so auch Wentzel-Piegler aaO 295 und 328; vgl. dort auch 336 und 348). Der schon nach dem Recht der I. Teilnovelle stets mögliche Austausch von Einzelvormund und Anstalts- oder Generalvormund (§§207 und 208 ABGB jeweils Abs2), der sich in der Befugnis des Gerichts fortsetzt, den Amtsvormund durch einen Einzelvormund zu ersetzen (§19 JWG) oder eine Einzelvormundschaft oder Kuratel ausnahmsweise der Bezirksverwaltungsbehörde zu übertragen (§§20,22 JWG) sowie die Gleichartigkeit der beiden Formen der Generalvormundschaft (§208 ABGB, idF d I.TN) und von Anstaltsund Vereinsvormundschaft (§25 JWG) ohne Rücksicht auf den öffentlichen oder privaten Charakter ihres Rechtsträgers legen es in der Tat nahe, die Stellung des Generalvormundes oder Amtsvormundes (Amtskurators) auch inhaltlich als bloßen Sonderfall der allgemeinen Vormundschaft (Kuratel) zu regeln und damit einen besonderen Bereich staatlicher Tätigkeit auf privatrechtlichem Gebiet zu schaffen. Insbesondere scheint es dem VfGH überaus naheliegend, die Amtsvormundschaft (Amtskuratel) derselben Art der Kontrolle zu unterwerfen, wie die Vormundschaft sonst. Es wäre nämlich höchst unzweckmäßig, die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts einzig und allein deshalb, weil staatliche Organe an die Stelle sonst privater Sachwalter getreten sind, zur Ausübung jener Kontrolle zu berufen, die sonst dem Vormundschaftsgericht obliegt. Daß der Gesetzgeber dem Staat die Rolle des privaten Sachwalters zuweist und ihn damit grundsätzlich auf die Möglichkeit der Antragstellung bei Gericht beschränkt (§§21 und 26 Abs3 JWG), muß daher als folgerichtige, sachlich gerechtfertigte Entwicklung verstanden werden, der nicht der Vorwurf mißbräuchlicher Gestaltung gemacht werden kann.

Daß der Amtsvormund (Amtskurator) ungeachtet seiner privatrechtlichen Stellung auch noch mit gewissen hoheitlichen Befugnissen ausgestattet ist (vgl. schon Bartsch aaO 1012 zur Generalvormundschaft), ändert nicht nur - wie die Bundesregierung treffend bemerkt - nichts an seiner grundsätzlich privatrechtlichen Stellung, sondern zwingt den Gesetzgeber auch nicht, seine Tätigkeit insgesamt im Bereich der Hoheitsverwaltung anzusiedeln. Der österreichischen Rechtsordnung ist die Erscheinung, daß das selbe staatliche Organ im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung auftritt, das im Rahmen der Hoheitsverwaltung zur Entscheidung berufen ist, nicht fremd.

Es steht einer privatrechtlichen Einordnung aber auch nicht im Wege, daß gerade die in Prüfung stehende Maßnahme nur der Bezirksverwaltungsbehörde, nicht aber sonstigen Vormündern oder Kuratoren eingeräumt ist. Das Privatrecht kennt eben vorläufige Maßnahmen dieser Art in Gestalt der Selbsthilferechte, und die Beschränkung auf die Behörde ergibt sich hier aus der Natur der Sache, weil zur Gewährung von Erziehungshilfe im Sinne des Gesetzes allein sie in Betracht kommt; es ist daher nur geboten, ihr die eigenmächtige Inangriffnahme der Maßnahme bei Gefahr im Verzug zu gestatten. Diese wird deshalb nicht zur Ausübung hoheitlicher Zwangsgewalt. Daß der Bezirksverwaltungsbehörde zur Durchsetzung ihrer Maßnahme eine vergleichsweise stärkere Macht zur Verfügung steht, verschlägt nichts. Sofern sie sich der Organe der öffentlichen Aufsicht bedient, gilt für deren Einschreiten ohnehin nichts anderes als für ihre Mitwirkung bei ähnlichen Maßnahmen der Eltern nach §146b ABGB. Wenn Bartsch (an der angeführten Stelle 1012 Z3) ausführt, es könne "außerdem .... Abhilfe mit den Mitteln des Verwaltungsrechts im Instanzenzug gesucht und wegen Verletzung subjektiver Rechte nach Erschöpfung des Instanzenzuges Beschwerde beim VwGH erhoben werden", so kann das nur auf jenen Teil der Tätigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde bezogen werden, der mit hoheitlichen Mitteln besorgt wird. Die in Prüfung gezogene Vorschrift enthält selbst eine Ermächtigung zum hoheitlichen Einschreiten jedenfalls nicht.

Entgegen dem in VfSlg. 9152/1981 eingenommenen, damals allerdings nicht zum Tragen gekommenen Standpunkt, gelangt der Gerichtshof somit bei abermaliger Prüfung der Rechts- und Verfassungslage zum Ergebnis, daß die Bezirksverwaltungsbehörde nach §26 Abs2 JWG auch ohne Deckung durch einen Gerichtsbeschluß als Vormund oder gesetzlicher Amtskurator im Bereich des Privatrechts einschreitet und dieses Einschreiten nur vor dem Vormundschaftsgericht, nicht aber vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes zu verantworten hat.

Damit erweist sich die Prämisse der im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken als nicht zutreffend.

§26 Abs2 JWG sieht keine hoheitliche Maßnahme vor, deren Kontrolle unter Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung den Gerichten zugewiesen wäre. Ein solcher Verstoß kommt nicht in Betracht; die Bedenken sind unbegründet. Darum ist auszusprechen, daß die in Prüfung gezogene Vorschrift nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.

Schlagworte

Jugendfürsorge, Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Zivilrecht, Vormundschaftsrecht, Kindschaftsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G47.1987

Dokumentnummer

JFT_10128992_87G00047_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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