TE OGH 1987/1/13 2Ob724/86

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Veröffentlicht am 13.01.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Rene T***, geboren am 13. Februar 1981, Andreas T***, geboren am 13. Dezember 1981 und Richard T***, geboren am 3. November 1983, infolge Revisionsrekurses der Mutter Maria T***, Raumpflegerin, Böckgasse 2-4/9/19, 1120 Wien, vertreten durch Dipl.Kfm.Dr. Heinrich Jandl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgerichtes vom 21. Oktober 1986, GZ. 15a R 41/86-18, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 18. Juni 1986, GZ. 26 P 189/86-13, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Am 14. Februar 1986 wurden die drei Kinder vom Bezirksjugendamt für den 12. Bezirk im Zentralkinderheim der Stadt Wien untergebracht. Am 21. Februar 1986 beantragte das Bezirksjugendamt für den 12. Bezirk die Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe hinsichtlich der drei Kinder gemäß § 26 Abs.2 JWG. Zur Begründung wurde im wesentlichen vorgebracht, die Kinder würden laut Mitteilung von Hausbewohnern mißhandelt; von Sozialarbeitern sowie im Städtischen Kindertagesheim sei festgestellt worden, daß die Kinder häufig blaue Flecken aufwiesen, es bestehe der massive Verdacht wiederholter Mißhandlungen. Bei einer Vorsprache beim Jugendamt habe die Mutter erklärt: "Ich kann meine Kinder totprügeln und dafür ins Häfen gehen, es geht dies niemanden etwas an". Die Eltern lehnten jede Einflußnahme auf ihren Erziehungsstil ab und reagierten mit unmotivierten Aggressionen. Die Verhältnisse eskalierten in letzter Zeit derart, daß die Kinder auf das Äußerste gefährdet seien, weshalb sie zu ihrem Schutz aus dem Milieu hätten entfernt werden müssen.

Die Eltern bestritten, die Kinder mißhandelt zu haben. Das Erstgericht ordnete hinsichtlich der drei Kinder die gerichtliche Erziehungshilfe an, verfügte verschiedene Maßnahmen (monatliche ärztliche Kontrolle, Unterbringung der Kinder in einem Kindergarten, therapeutische Gespräche, Kontrolle durch eine Sozialarbeiterin und das Bezirksjugendamt), ordnete die sofortige Entlassung der Kinder in den Haushalt der Eltern an, genehmigte die bis zur Entlassung erfolgte Unterbringung im Zentralkinderheim und wies den Antrag auf Genehmigung der weiteren Heimunterbringung ab. Das Erstgericht führte aus, die Abnahme der Kinder sei zum damaligen Zeitpunkt gerechtfertigt gewesen, weil der begründete Verdacht der Kindesmißhandlung und somit des Erziehungsnotstandes mit akuter Kindesgefährdung bestanden habe. Die bisherige Unterbringung der Kinder im Zentralkinderheim sei daher zu genehmigen. Der Verdacht der Kindesmißhandlung habe sich jedoch in der Folge trotz genauer Recherchen durch die Wiener Jugendgerichtshilfe nicht bestätigt. Zunächst belastende Aussagen seien später zurückgenommen bzw. weitgehend entschärft worden, die übrigen zum Teil anonymen Anschuldigungen hätten nicht objektiviert werden können. Es stehe allerdings fest, daß die drei Kinder ein "starkes entwicklungsmäßiges Defizit" aufwiesen, sie seien sprachlich "stark retardiert", Rene und Andreas näßten zeitweise ein, Rene und Richard seien wegen Fußkrankheiten im Zentralkinderheim Schachteleinlagen verordnet worden. Diese Situation weise zwar nicht auf eine völlige Erziehungsunfähigkeit der Eltern, wohl aber auf eine Erziehungsschwäche hin. Zur Sicherung des Wohles der Kinder sei daher die gerichtliche Erziehungshilfe anzuordnen gewesen. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter, mit dem lediglich die Genehmigung der Unterbringung der Kinder im Zentralkinderheim der Stadt Wien bekämpft worden war, nicht Folge. Obwohl die Mutter die Heimunterbringung der Kinder in der Vergangenheit bekämpfe, könne ihr ein rechtliches Interesse nicht abgesprochen werden, weil sie behaupte, in einem Grundrecht verletzt worden zu sein. Nach den Ergebnissen der Erhebungen des Jugendamtes sei Erziehungsnotstand vorgelegen, das Wohl der Kinder sei durch das Verhalten der Eltern gefährdet gewesen, die als Sofortmaßnahme angeordnete Heimunterbringung sei daher als Maßnahme der gerichtlichen Erziehungshilfe nach § 26 Abs.2 JWG gerechtfertigt. Daran könne es nichts ändern, daß sich der Verdacht der Kindesmißhandlung nicht bestätigt habe. Auch aus dem Bericht der Wiener Jugendgerichtshilfe ergebe sich ein auffallendes Verhalten der Eltern, nämlich ein grober Umgang mit den Kindern. Die Eltern hätten ihr angespanntes Verhältnis mit dem Jugendamt nicht bestritten, die Mutter habe sogar zugegeben, dem Jugendamt gedroht zu haben, den nächsten Beamten, der "überfallsartig" komme, hinauszuwerfen. Sie räumten auch Verletzungen der Kinder ein, die sie allerdings nicht verursacht hätten. All dies zeige, daß die Sofortmaßnahme der Heimunterbringung im wohlverstandenen Interesse der Kinder begründet gewesen sei. Dazu komme das entwicklungsmäßige Defizit der Kinder, das die angefochtene Entscheidung ebenfalls rechtfertige.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Rekurs der Mutter ist nicht zulässig. Ein Rechtsschutzinteresse der Mutter ist zwar - wie das Rekursgericht zutreffend ausführte - zu bejahen (1 Ob 776/82), der Revisionsrekurs wäre jedoch nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 AußStrG zulässig.

Zum Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit führt die Mutter im wesentlichen aus, die Kindesabnahme, die wegen Mißhandlungsverdachts und nicht wegen eines Entwicklungsdefizits verfügt worden sei, sei nicht berechtigt gewesen, jedenfalls hätte die Heimunterbringung schon früher widerrufen werden müssen, weil es in kurzer Zeit möglich gewesen wäre, festzustellen, daß der Mißhandlungsvorwurf nicht berechtigt sei. Überdies hätten andere Maßnahmen als die Abnahme der Kinder angeordnet werden können. Als Nichtigkeit macht die Mutter Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Es sei ihr zwar formell die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben worden, das Gericht habe sich mit der Stellungnahme aber nicht auseinandergesetzt und habe die vorgelegten Beweismittel nicht beachtet.

Mit diesen Ausführungen macht die Mutter keinen der im § 16 Abs.1 AußStrG angeführten Anfechtungsgründe geltend. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann, und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde oder wenn das Gericht gegen ein Grundprinzip des Rechts, etwa im Pflegschaftsverfahren die gänzliche Außerachtlassung des Wohles des Pflegebefohlenen, verstoßen hätte (EFSlg. 47.208 uva). Im Gesetz fehlt eine nähere Bestimmung jener tatsächlichen Umstände, auf die im Einzelfall das Vorliegen der gesetzlichen Erfordernisse der Anordnung einer gerichtlichen Erziehungshilfe, nämlich Mißbrauch der Erziehungsgewalt und Nichterfüllung der damit verbundenen Pflichten, gestützt werden kann. Beurteilen die Vorinstanzen auf Grund der getroffenen Feststellungen, daß im konkreten Fall die Voraussetzungen zur Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe ausreichen, dann könnten offenbare Gesetzwidrigkeiten nur dann vorliegen, wenn diese Anordnung in Mißachtung des Grundprinzips des Wohls der Kinder oder unter Ermessensmißbrauch (Willkür) erfolgt wäre. Solche Voraussetzungen sind aber nach den getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Sofern bestritten wird, daß Gefahr im Verzug vorlag, so ist auch hier mangels genauer gesetzlicher Definition, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, daß eine solche Gefahr angenommen werden kann, davon auszugehen, daß bei Vorliegen von Umständen, die die Verwaltungsbehörde zur Annahme einer solchen Gefahr führten, offenbare Gesetzwidrigkeiten nur bei Außerachtlassung des Kindeswohls oder Willkür anzunehmen sein wird (EFSlg. 42.350). Dafür, daß bei Unterbringung der Kinder im Kindertagesheim der Stadt Wien willkürlich vorgegangen wurde oder daß hiebei das Kindeswohl außer acht gelassen wurde, besteht kein Anhaltspunkt. Auch mit der Behauptung, die notwendigen Erhebungen hätten schon zu einem früheren Zeitpunkt abgeschlossen werden können, wird eine offenbare Gesetzwidrigkeit nicht aufgezeigt. Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil die Mutter vom Erstgericht vernommen wurde und sie überdies durch ihren Rechtsvertreter mehrere schriftliche Stellungnahmen abgab. Daß auf ihre Stellungnahmen nicht Rücksicht genommen worden sei, ist unzutreffend, zumal das Erstgericht zu dem Ergebnis gelangte, der Verdacht der Kindesmißhandlung habe sich nicht bestätigt. Mit dem Vorbringen, Beweismittel seien nicht beachtet worden, werden Verfahrensmängel behauptet. Solche können in einem außerordentlichen Revisionsrekurs aber mit Erfolg nur geltend gemacht werden, wenn sie das Gewicht einer Nichtigkeit erreichen (EFSlg. 42.385 uva). Davon kann im vorliegenden Fall indes keine Rede sein.

Mangels Vorliegens gesetzlich zulässiger Anfechtungsgründe war der außerordentliche Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.

Anmerkung

E09961

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00724.86.0113.000

Dokumentnummer

JJT_19870113_OGH0002_0020OB00724_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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