TE Vfgh Erkenntnis 1988/2/25 V144/87, V145/87, V153/87

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Veröffentlicht am 25.02.1988
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litb
AutomatenV des Gemeinderates der Stadt Murau vom 23.06.82
Stmk GdO 1967 §42 Abs2
GewO 1973 §52 Abs4

Leitsatz

Bloß demonstrative Aufzählung der im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu besorgenden Angelegenheiten würde Bezeichnungspflicht nicht entsprechen Art119 Abs2 B-VG, §42 Abs2 Stmk. Gemeindeordnung; Angelegenheiten des §52 Abs4 GewO fallen in den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde - Erlassung der AutomatenV fällt in die Zuständigkeit des Bürgermeisters AutomatenV des Gemeinderates der Stadt Murau vom 23.06.82; von unzuständiger Behörde erlassen - Aufhebung der ganzen Verordnung

Spruch

Die V des Gemeinderates der Stadt Murau vom 23. Juni 1982 "über die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten im näheren Umkreis von Schulen" wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim VfGH ist zu B496/87 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 27. März 1987 richtet. Mit diesem Bescheid wurde einer Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 30. April 1986 keine Folge gegeben, mit welchem der Bf. wegen der Verwaltungsübertretung nach §367 Z15 GewO iVm der V des Gemeinderates der Stadt Murau vom 23. Juni 1982 (künftig: AutomatenV) mit einer Geldstrafe von S 3.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Arreststrafe in der Dauer von 6 Tagen, bestraft wurde.

Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerde am 26. September 1987 beschlossen, die Gesetzmäßigkeit des Wortes "Grazerstraße," der AutomatenV von Amts wegen zu prüfen. Dieses Verfahren ist zu V144/87 protokolliert.

1.2. Weiters ist zu B737/87 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark anhängig, mit welchem der Bf. wegen der Verwaltungsübertretung nach §367 Z15 GewO iVm der AutomatenV mit einer Geldstrafe von S 2.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Arreststrafe in der Dauer von 3 Tagen, bestraft wurde.

Auch aus Anlaß dieser Beschwerde hat der VfGH am 26. September 1987 beschlossen, die Gesetzmäßigkeit des Wortes "Grazerstraße," der AutomatenV von Amts wegen zu prüfen; der Akt trägt die Zahl V145/87.

1.3. Beim VfGH ist weiters eine zu B992/87 protokollierte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark anhängig, mit welchem der Bf. als gewerberechtlicher Geschäftsführer der Metzler Automaten Ges.m.b.H. wegen der Verwaltungsübertretung nach §367 Z15 GewO iVm der AutomatenV mit einer Geldstrafe von S 3.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Arreststrafe in der Dauer von 5 Tagen, bestraft wurde.

Der VfGH hat am 28. November 1987 aus Anlaß dieses Verfahrens beschlossen, die Gesetzmäßigkeit der Worte "Friedhofgasse," und "Grazerstraße," der AutomatenV von Amts wegen zu prüfen. Dieses Verfahren ist zu V153/87 protokolliert.

2.1. Die AutomatenV - die in Prüfung gezogenen Worte sind hervorgehoben - lautet:

"Verordnung

der Stadtgemeinde Murau vom 23. Juni 1982 über die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten im näheren Umkreis von Schulen.

Der Gemeinderat der Stadt Murau hat in der Sitzung vom 22. 6. 1982 beschlossen:

Auf Grund des §52, Abs4 der Gewerbeordnung 1973 in der Fassung des ArtI, Z. 3 der Gewerbeordnungsnovelle 1981, BGBl. Nr. 619, wird verordnet:

Zum Schutze von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben, untersagt die Stadtgemeinde Murau die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, in den folgenden Teilbereichen des Stadtgebietes von Murau:

Friedhofgasse, Heiligenstatt, Grazerstraße, Bundesstraße von der Stolzalpenkreuzung bis zur Roseggerkreuzung, Schwarzenbergstraße, Tieranger, Schillerplatz, Bahnhofstraße, Bahnhofbereich und Lichtensteinstraße.

Diese V tritt mit dem Tage ihrer Kundmachung in Kraft."

2.2. Der in der AutomatenV zitierte §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973, BGBl. 50/1974 idF der Gewerbeordnungs-Nov. BGBl. 619/1981, ermächtigt die Gemeinde,

"soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, ... durch V die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,

1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,

2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,

3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,

4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder

5. im näheren Umkreis der in Z4 angeführten Plätze und Räume"

zu untersagen.

2.3. Der VfGH hat seine Bedenken gegen die AutomatenV wie folgt umschrieben:

"4.3.1. Gemäß Art118 Abs2 zweiter Satz B-VG haben die Gesetze Angelegenheiten, die nach dem ersten Satz des Abs2 in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen, ausdrücklich als solche zu bezeichnen. Gemäß Art119 Abs2 erster Satz B-VG sind die Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches vom Bürgermeister zu besorgen.

4.3.2. Diesen Verfassungsbestimmungen trägt die Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 Rechnung. §42 Abs2 ordnet an, daß die Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches vom Bürgermeister zu besorgen sind, §43 Abs1 leg. cit. legt fest, daß die Beschlußfassung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches dem Gemeinderat obliegt, soweit sie nicht ausdrücklich anderen Organen vorbehalten ist.

4.3.3. Die in Prüfung gezogene V stützt sich auf §52 Abs4 GewO. Eine Aussage, daß es sich bei den in dieser Gesetzesstelle genannten Angelegenheiten um solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde handle, findet sich weder in dieser Bestimmung noch in §337 GewO, der - Art118 Abs2 zweiter Satz B-VG Rechnung tragend - jene Angelegenheiten der Gewerbeordnung aufzählt, die von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu erledigen sind. Der VfGH meint daher (vgl. VfSlg. 5409/1966, 6944/1972), daß die Angelegenheiten des §52 Abs4 GewO in den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen; dafür sprechen auch die Ausführungen in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage der GewO-Nov. 1981 (798 BlgNR XV.GP S.9). Damit scheint die vom Gemeinderat beschlossene V (Verordnungsstelle) von einer unzuständigen Behörde erlassen worden zu sein (vgl. dazu VfGH 22. 6. 1987 V35/87).

5. Der VfGH hegt daher Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsstelle.

Im Hinblick auf die vorausgehenden Ausführungen (s. 4.3.1. bis 4.3.3) wird im Prüfungsverfahren auch zu erörtern sein, ob eine allfällige Aufhebung i.S. des Art139 Abs3 B-VG über die präjudizielle Stelle hinaus in Betracht kommt."

3. Die Verfahren sind zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Stellen der AutomatenV zweifeln ließe.

4. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat bekanntgegeben, daß er von einer Äußerung Abstand nimmt.

Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Murau äußerte sich im wesentlichen - wie folgt:

"...

Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß auch die Bestimmung des §52 (4) der Gewerbeordnung in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde und nicht in den übertragenen fällt, weil es sich bei der aus §52 (4) ergebenden Ermächtigung der Gemeinde - durch V die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten zu untersagen - um eine solche handelt, die im ausschließlichen oder zumindest überwiegenden Interesse der örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden.

...

... Gem. §337 der Gewerbeordnung 1974, BGBl. Nr. 50 i. d.g.F. sind die in diesem BG festgelegten Aufgaben der Gemeinde mit Ausnahme der Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens solche des eigenen Wirkungsbereiches. Der Gemeinderat ist der Meinung, daß der Gesetzgeber mit dieser Formulierung seine Absicht unzweifelhaft kundgetan hat, alle Angelegenheiten und nicht nur die, die im Klammerausdruck dieser Gesetzesstelle angeführt sind, mit Ausnahme des Verwaltungsstrafverfahrens als solche des eigenen Wirkungsbereiches an die Gemeinde zu übertragen. ...

Diese Rechtsansicht des Gemeinderates ist ... auch deshalb folgerichtig, weil der Gesetzgeber bei den Beratungen über die Gewerbeordnungsnovelle 1981 im Falle einer Änderung seiner Absicht, sämtliche Aufgaben im Rahmen der Gewerbeordnung dem Gemeinderat als solche des eigenen Wirkungsbereiches zuzuweisen, im Interesse der Klarheit des Gesetzestextes verpflichtet gewesen wäre, die ursprüngliche Formulierung im Sinne der bereits ergangenen Ausführungen abzuändern. Da der Gesetzgeber bei Beratung und Erlassung der Gewerbeordnungsnovelle 1981 von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machte, ist der Schluß gerechtfertigt, daß damals alle Aufgaben der Gemeinde im Rahmen der Gewerbeordnung unverändert als solche des eigenen Wirkungsbereiches betrachtet wurden. ...

...

Wenn der VfGH nun meint, daß die Angelegenheiten des §52 (4) der Gewerbeordnung in den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen und ... die Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches gem §42 (2) der Gemeindeordnung vom Bürgermeister zu besorgen sind ..., so läßt der VfGH dabei aber außeracht, daß der übertragene Wirkungsbereich im Auftrag und nach den Weisungen der Bundes- und Landesorgane zu besorgen ist. Daraus folgt aber nach Ansicht des Gemeinderates, daß dieser übertragene Wirkungsbereich sich auf die Vollziehung, d.h. auf die Besorgung von Aufgaben behördlicher Art beschränkt und dem Bürgermeister auf Grund der Weisungsunterworfenheit und des Handelns im Auftrag der zuständigen Organe auch kein wie immer geartetes normatives Recht zur Schaffung von generell verbindlichen Normen zusteht. ..."

5. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:

Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Murau hält den im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken die Ansicht entgegen, bei den Angelegenheiten des §52 Abs4 GewO handle es sich um Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde; der aus Art118 Abs2 zweiter Satz B-VG erfließenden Pflicht des Gesetzgebers, diese Angelegenheiten ausdrücklich als solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zu bezeichnen, sei in §337 GewO Rechnung getragen, und zwar dadurch daß eine - wenn auch bloß demonstrative - Aufzählung der Aufgaben erfolge, die im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu vollziehen seien. Dazu genügt es, den Gemeinderat darauf zu verweisen, daß der Verfassungsgesetzgeber mit der in Art118 Abs2 zweiter Satz vorgesehenen Bezeichnungspflicht die Absicht verfolgte, der Gesetzgeber möge zweifelsfreie Regelungen treffen (vgl. die RV zur B-VG-Nov. 1962, 639 BlgNR IX.GP S. 17). Dem würde mit einer bloß demonstrativen Aufzählung von Angelegenheiten nicht entsprochen. Zudem wird nochmals (wie im Einleitungsbeschluß) auf die Ausführungen in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage der GewO-Nov. 1981 (798 BlgNR XV.GP S. 9) verwiesen.

Der Ansicht des Gemeinderates der Stadtgemeinde Murau, der Bürgermeister könne keine generellen Normen erlassen, vermag der VfGH ebensowenig zu folgen.

Festzuhalten bleibt, daß Bedenken gegen §52 Abs4 iVm §337 GewO auch aus Anlaß des vorliegenden Falles nicht entstanden sind (s. nochmals die RV zur B-VG-Nov. 1962 S. 17: "Es kommt nicht darauf an, wie die Sachlage in concreto, sondern wie sie in abstracto gestaltet ist").

Der VfGH sieht somit keinen Anlaß, von seiner ständigen Rechtsprechung, wonach die Angelegenheiten des §52 Abs4 GewO in den übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen, abzugehen (vgl. VfSlg. 11391/1986 und 11396/1986).

Da die AutomatenV Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches zum Gegenstand hat, die gemäß §42 Abs2 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 vom Bürgermeister zu besorgen sind, sie aber dennoch vom Gemeinderat beschlossen wurde, ist sie von einer unzuständigen Behörde erlassen worden. Gemäß Art139 Abs3 litb B-VG ist daher die ganze V als gesetzwidrig aufzuheben.

6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsumfang, Gewerberecht, Gemeinderecht, Wirkungsbereich übertragener

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:V144.1987

Dokumentnummer

JFT_10119775_87V00144_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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