TE Vwgh Erkenntnis 1990/11/26 90/10/0127

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Veröffentlicht am 26.11.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §52 Abs2;
AVG §52;
LMG 1975 §50;
LMG 1975 §7 Abs1 litc;
LMG 1975 §8 litf;
LMKV §3 Z10;
VStG §24;
VStG §44a lita;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):90/10/0128

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Mag. Kirchner, über die Beschwerden des N gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Tirol

1.) vom 8. Mai 1990, Zl. Vd-San-14.796/1, (hg. Zl. 90/10/0127), und

2.) vom 8. Mai 1990, Zl. Vd-San-14.796/1a, (hg. Zl. 90/10/0128), jeweils betreffend Übertretungen des Lebensmittelgesetzes,zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 21.180,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 8. Mai 1990 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es

"als gemäß § 9 VStG 1950 für die Einhaltung des Lebensmittelgesetzes 1975 verantwortlich Beauftragter der Fa. A

Ges.m.b.H. in D zu verantworten, daß am 18. 1. 1989 ... ca.

9 kg Münchner Weißwürste vakuumverpackt zu ca. 0,820 kg, geliefert von der Fa. B, C, abgepackt durch die Fa. A Ges.m.b.H., D, in der Kühlvitrine im Verkaufslokal zum Verkauf bereitgehalten und somit in Verkehr gebracht wurden, obwohl die

amtlich entnommenen Proben (.... 4 Vakuumpackungen zu

ca. 0,820 kg Münchner Weißwürste) von der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung, Innsbruck, als falsch bezeichnet beurteilt wurden."

Der Beschwerdeführer habe dadurch gegen § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 lit. c LMG 1975 verstoßen. Über ihn wurde nach der erstgenannten Gesetzesstelle eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.500,-- (Ersatzarrest in der Dauer von zweieinhalb Tagen) verhängt.

2. Mit weiterem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 8. Mai 1990 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es

"als gemäß § 9 VStG 1950 für die Einhaltung des LMG 1975 verantwortlich Beauftragter der Fa. A Ges.m.b.H. in D zu verantworten, daß am 21. 12. 1988

1.

ca. 20 kg Frankfurter vakuumverpackt zu ca. 0,440 kg und

2.

ca. 26 kg Knacker vakuumverpackt zu ca. 0,450 kg, geliefert von der Fa. B, C, abgepackt durch die Fa. A Ges.m.b.H., D, in der Kühlvitrine im Verkaufslokal zum Verkauf bereitgehalten und somit in Verkehr gebracht wurden, obwohl die amtlich entnommenen Proben (1. 1 Vakuumpackung Frankfurter, 2. 1 Vakuumpackung Knacker) von der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in Innsbruck als falsch bezeichnet beurteilt wurden."

Der Beschwerdeführer habe dadurch gegen § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 lit. c LMG 1975 verstoßen. Über ihn wurden deshalb gemäß § 74 Abs. 1 LMG 1975 Geldstrafen in der Höhe von je S 1.500,-- (Ersatzarrest in der Dauer von je zweieinhalb Tagen) verhängt.

3. Nach der Begründung der angefochtenen Bescheide stützen sich die Schuldsprüche jeweils auf ein Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in Innsbruck (vom 5. bzw. vom 20. April 1989). Diesen Gutachten könne entnommen werden, daß die als Probe gezogenen Waren nach Ablauf des Lagerversuchs (Ende der angeführten Aufbrauchsfrist) Anzeichen eines beginnenden Verderbs, objektiviert durch die überhöhten Keimzahlen, aufgewiesen hätten. Die Ursache hiefür liege für den Gutachter in einer "zu lange deklarierten Aufbrauchfrist". Im erstangefochtenen Bescheid wird zusätzlich ausgeführt, neben der "zu lange deklarierten Aufbrauchfrist" liege die Ursache auch in dem Umstand, daß die Wurst laut Probenbegleitschreiben erst einen Tag und nicht unmittelbar nach der Lieferung verpackt worden sei, was die Haltbarkeit entsprechend verkürze.

In beiden Verfahren habe der Beschwerdeführer Gegengutachten von Dipl.Ing. E vorgelegt. Nach diesen Gutachten würden die als Gegenproben gezogenen Würste keinen Anlaß zur Bemängelung geben. Die Grenzwerte des Kodex seien eingehalten; Aussehen, Geruch und Geschmack hätten sich als entsprechend und einwandfrei erwiesen und auch die bakteriologische Untersuchung habe keinen Anlaß zur Bemängelung gegeben; die Kennzeichnung entspreche der LMKV.

Diese "Gegengutachten" wurden von der Behörde mit der Begründung nicht anerkannt, Dipl.Ing. E besitze keine Bewilligung gemäß § 50 Abs. 1 LMG 1975 für die entgeltliche Begutachung von Lebensmitteln und die Untersuchung von amtlichen Gegenproben nach dem LMG 1975. Aus diesem Grund müsse sich die Behörde auf die von der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in Innsbruck erstellten Gutachten stützen.

4. Gegen die unter Punkt 1. und 2. angeführten Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, in denen sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes der angefochtenen Bescheide als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete Gegenschriften, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

1. Gemäß § 74 Abs 1 LMG 1975 macht sich - sofern die Tat nicht nach § 63 Abs. 2 Z. 1 einer strengeren Strafe unterliegt - einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist mit einer Geldstrafe bis zu S 50.000,-- zu bestrafen, wer unter anderem Lebensmittel falsch bezeichnet oder Lebensmittel, die falsch bezeichnet sind, in Verkehr bringt.

Nach § 7 Abs. 1 lit. c LMG 1975 ist es unter anderem verboten, Lebensmittel in Verkehr zu bringen, die falsch bezeichnet sind. Gemäß § 8 lit. f LMG 1975 sind Lebensmittel unter anderem dann falsch bezeichnet, wenn sie mit zur Irreführung geeigneten Angaben über ihre Haltbarkeit in Verkehr gebracht werden.

2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich in seinen Beschwerden gegen die Richtigkeit der den angefochtenen Bescheiden jeweils zugrundeliegenden Annahme einer unrichtigen und damit irreführenden Angabe über die Haltbarkeit der gegenständlichen Lebensmittel. Er verweist dazu auf die dieser Annahme entgegenstehenden Gutachten des Dipl.Ing. E (vom 10. und 18. Februar 1989) sowie darauf, daß nach dem geltenden Handelsbrauch bei Waren der vorliegenden Art eine Mindesthaltbarkeit von 20 Tagen angenommen werde und daß diese Frist in den vorliegenden Fällen nur zu etwa zwei Dritteln ausgeschöpft worden sei.

2.2. Bei der Lösung der hier strittigen Frage der Richtigkeit der jeweils empfohlenen Aufbrauchsfrist (für Münchner Weißwürste bis 22. Jänner 1989, für Frankfurter bis 3. Jänner 1989 und für Knacker bis 30. Dezember 1988) ist davon auszugehen, daß eine unzutreffende Angabe über die empfohlene Aufbrauchsfrist im Sinne des § 3 Z. 10 LMKV zur Irreführung der Konsumenten geeignet ist und daher den Tatbestand der verbotenen Falschbezeichnung (§ 7 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit § 8 lit. f LMG 1975) erfüllt. Davon unabhängig ist die hier nicht näher zu erörternde Frage des Verschuldens zu beurteilen. Erst in diesem Zusammenhang wären die in der Beschwerde angesprochenen Fragen nach den Ursachen für die angeblich unrichtigen Angaben über die Haltbarkeit sowie über deren Vorwerfbarkeit von Bedeutung.

In Ansehung der hier strittigen Frage lagen der belangten Behörde Gutachten vor, denen unterschiedliche Ergebnisse von Untersuchungen der gegenständlichen Lebensmittel nach Ablauf der jeweils empfohlenen Aufbrauchsfrist zugrunde liegen. Während die Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in ihren Gutachten aufgrund der im bakteriologischen Befund jeweils angeführten Keimzahlen zu dem Ergebnis kommt, die Proben wiesen Anzeigen eines beginnenden Verderbes auf, spricht Dipl.Ing. E in seinen Gutachten betreffend die amtlichen Gegenproben nach Wiedergabe der ermittelten (wesentlich niedrigeren) Werte davon, daß die bakteriologische Untersuchung "ein entsprechendes Keimbild" zeige, das "keinen Anlaß zu einer Bemängelung" gebe. Bei der Bewertung dieser einander widersprechenden Gutachten im Rahmen ihrer Beweiswürdigung stellte die belangte Behörde allein darauf ab, daß Dipl.Ing. E keine Bewilligung gemäß § 50 Abs. 1 LMG 1975 besitze. Nach dieser Bestimmung bedarf, wer - abgesehen von den in den §§ 42 und 49 geregelten Fällen (das sind die Untersuchungsanstalten des Bundes, der Länder und der Gemeinden) - entgeltlich Untersuchungen durchführt und Gutachten im Sinne dieses Bundesgesetzes erstattet, hiezu einer Bewilligung des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz (nunmehr: Bundesminister für Gesundheit und öffentlichen Dienst). Im vorliegenden Fall bedarf es nicht der Klärung der zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens strittigen Frage, ob Dipl.Ing. E, dessen Eigenschaft als staatlich befugter und beeideter Zivilingenieur für Lebensmittel- und Gärungstechnologie auch die belangte Behörde nicht bestreitet, überhaupt einer Bewilligung nach der genannten Gesetzesstelle für die Erstattung der gegenständlichen Gutachten bedurfte oder ob er dazu nicht schon aufgrund des Ziviltechnikergesetzes befugt war. Denn selbst wenn er einer Bewilligung nach § 50 LMG 1975 bedurft hätte, berechtigte deren Fehlen allein die belangte Behörde nicht dazu, seine Gutachten von vornherein "nicht anzuerkennen" und bei ihrer Entscheidung allein die Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung zu berücksichtigen. Zwar haben die Verwaltungsbehörden nach dem auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG "nach freier Überzeugung" zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Dabei kommt aber gemäß § 46 AVG 1950 als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Der in dieser Gesetzesstelle verankerte Grundsatz der Unbeschränktheit und Gleichwertigkeit der Beweismittel gilt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch im Verwaltungsstrafverfahren (siehe die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

3. Auflage, unter E.Nr. 1.b. zu § 46 AVG angeführten Entscheidungen). Entsprechend diesem Grundsatz kann das Gutachten eines Sachverständigen nicht allein deshalb als untaugliches und damit unbeachtliches Beweismittel angesehen werden, weil der Sachverständige eine zur Erstattung von Gutachten allenfalls erforderliche behördliche Bewilligung nicht besitzt. In diesem Zusammenhang verweist der Gerichtshof auf seine ständige Rechtsprechung, wonach bei einander widersprechenden Gutachten eines amtlichen und eines nicht amtlichen Sachverständigen nicht schon die amtliche Eigenschaft des einen Sachverständigen, sondern allein der "innere Wahrheitswert" der Gutachten den Ausschlag geben kann (siehe die bei Hauer-Leukauf, aaO, unter E.Nr. 113 und 114 zu § 45 AVG angeführten Erkenntnisse). Die belangte Behörde hat es offensichtlich in Verkennung der dargelegten Rechtslage unterlassen, sich - allenfalls nach Einholung eines weiteren Gutachtens - mit dem "inneren Wahrheitswert" der ihr vorliegenden Gutachten auseinanderzusetzen, und sich statt dessen mit einer untauglichen Begründung damit begnügt, allein die Gutachten der Bundesanstalt für maßgebend anzusehen, die Gutachten des Dipl.Ing. E hingegen unberücksichtigt zu lassen. Die belangte Behörde hat dadurch Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anders lautenden Bescheid hätte kommen können, und daher die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet (§ 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG).

3. Die angefochtenen Bescheide sind weiters infolge mangelhafter Tatumschreibung mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet. Gemäß § 44a lit. a VStG 1950 hat der Spruch "die als erwiesen angenommene Tat" zu enthalten. Dies erfordert unter anderem, die Tat hinsichtlich der Tatumstände so genau zu umschreiben, daß die Zuordnung des Tatverhaltens zur verletzten Verwaltungsvorschrift in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Juni 1984, Slg. 11466 A). Im Falle eines Verstoßes gegen das Verbot des Inverkehrbringens falsch bezeichneter Lebensmittel (§ 7 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit § 8 lit. f LMG 1975) bedarf es dazu der Anführung jener Angaben, die zur Beurteilung der betreffenden Lebensmittel als "falsch bezeichnet" geführt haben. Sie bilden die insoweit für die Subsumtion des Tatverhaltens maßgebenden Tatumstände. In den vorliegenden Schuldsprüchen fehlen jene Angaben, die zur Beurteilung der Würste als "falsch bezeichnet" geführt haben. Statt dessen hat sich die belangte Behörde mit dem Hinweis begnügt, von der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung seien die Proben "als falsch bezeichnet beurteilt" worden. Daraus ist aber nicht ersichtlich, worin die "Falschbezeichnung" konkret bestanden hat.

4. Aus dem zuletzt genannten Grund sind die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Von der jeweils beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich jeweils auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

rechtswidrig gewonnener BeweisGrundsatz der GleichwertigkeitGrundsatz der UnbeschränktheitBeweiswürdigung Wertung der BeweismittelBeweismittel SachverständigengutachtenGutachten Überprüfung durch VwGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990100127.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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