TE Vwgh Erkenntnis 1991/2/19 90/08/0008

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Veröffentlicht am 19.02.1991
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §67 Abs10 idF 1986/111;
ASVG §67 Abs10;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
BAO §80;
BAO §9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Puntigam, über die Beschwerde des L gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29. November 1989, Zl. MA 14 - L 20/88, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei:

Wiener Gebietskrankenkasse in Wien 10,

Wienerbergstraße 15-19,), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde von der mitbeteiligten Partei mit Bescheid vom 17. Juni 1988 als Geschäftsführer der N-Gesellschaft m.b.H. (in der Folge: Gesellschaft) gemäß § 67 Abs. 10 ASVG zur Bezahlung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren im Betrage von S 138.500,96 zuzüglich Verzugszinsen verpflichtet. Diesem Bescheid lag ein von der mitbeteiligten Partei am 13. Juni 1988 ausgefertigter Rückstandsausweis, betreffend das Beitragskonto der Gesellschaft, über den genannten Betrag zugrunde, wonach sich dieser aus einem restlichen Beitrag für Oktober 1987, den Beiträgen für November 1987 bis April 1988, den bis 13. Juni 1988 berechneten Verzugszinsen und Nebengebühren zusammensetzte.

In seinem Einspruch erklärte der Beschwerdeführer, der Rückstand von S 138.500,96 werde nicht bestritten. Die persönliche Haftung des Geschäftsführers sei aber davon abhängig, daß diesen ein Verschulden an der verspäteten Zahlung treffe. Dieses folge aber nicht allein schon aus der Verspätung der Zahlung, sondern setze voraus, daß den Geschäftführer eben tatsächlich ein persönliches Verschulden an der Nichtzahlung treffe. Dies sei immer dann ausgeschlossen, wenn die notwendigen Mittel im Zeitpunkt der Fälligkeit nicht zur Verfügung stünden. Diese Situation sei im gegenständlichen Fall gegeben, weil durch Einbringungsschritte von dritter Seite die vorgesehene Zahlung der Krankenkassenbeiträge nicht termingerecht habe erfolgen können. Außerdem seien Gehälter in der Gesamthöhe von S 210.887,67 nicht zur Auszahlung gebracht worden.

Im Einspruchsverfahren trug der Beschwerdeführer unter anderem zunächst vor, ab Jänner 1988 seien mit Ausnahme der Verbindlichkeiten gegenüber der Gebietskrankenkasse keinerlei Zahlungen an andere Gläubiger erfolgt. Er legte sodann das Kassabuch der Gesellschaft für das Jahr 1988 vor, das folgende Ausgaben bzw. Einnahmen der Gesellschaft ausweist:

    Jänner  1988 S  34.938,20 - S  44.234,01

    Februar 1988 S  43.215,99 - S  43.750,81

    März    1988 S 100.536,30 - S 100.536,48

    April   1988 S  10.879,60 - S  10.913,18

    Mai     1988 S  22.499,14 - S  22.506,54

Der Beschwerdeführer gab dazu an, daß die Ausgaben der Gesellschaft tatsächlich - abweichend von den im Kassabuch ausgewiesenen Beträgen - im Jänner 1988 S 15.183,20, im Februar 1988 S 28.215,99, im März 1988 S 13.273,78, im April 1988 S 2.287,18 und Mai 1988 S 10.156,54 betragen hätten. Die Abweichungen zu den im Kassabuch ausgewiesenen Beträgen ergäben sich aus Fehlbuchungen sowie aus dem Umstand, daß die Gesellschaft ein mit ihrer Organgesellschaft W-gesellschaft m.b.H. gemeinsames Kassenbuch geführt habe, in dem auch die die letztere betreffenden Einnahmen und Ausgaben verzeichnet worden seien.

Der Beschwerdeführer legte weiters eine Liste der Lieferantenverbindlichkeiten der Gesellschaft zum 31. Dezember 1987, der in der Zeit von 31. Dezember 1987 bis 31. Juli 1988 fällig gewordenen Wechselverbindlichkeiten derselben, den Zeitraum 1. Jänner 1988 bis 30. Juni 1988 betreffende Kontonachrichten des Finanzamtes für Körperschaften sowie ein Bankkonto der Gesellschaft betreffende Kontoauszüge vor. Er brachte weiters vor, die Gehälter der Angestellten B. für den Zeitraum Jänner bis April 1988 seien nicht von der Gesellschaft, sondern von der Organgesellschaft geleistet worden; lediglich das im Mai 1988 angefallene Gehalt habe die Gesellschaft bezahlt.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch teilweise statt und stellte die Haftung des Beschwerdeführers für auf dem Beitragskonto der N-GmbH rückständige Sozialversicherungsbeiträge im Betrage von S 113.224,84 zuzüglich Verzugszinsen seit 18. November 1989 in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, berechnet von S 95.469,43, fest. Nach Darlegung der Rechtslage vertrat die belangte Behörde die Auffassung, im Hinblick darauf, daß die Dienstnehmerin B. jedenfalls ihr Entgelt aus den der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Mitteln bis Mai 1988 zur Gänze erhalten habe und kleinere Ausgaben ebenfalls zu 100 % befriedigt worden seien (siehe auch Kassabuch), die Mitbeteiligte hingegen einen derart hohen Befriedigungsgrad für die in Haftung gezogenen Sozialversicherungsbeiträge, die mit Ausnahme des Beitrages für Dezember 1987 zur Gänze unberichtigt geblieben seien, nicht erhalten habe, sei das schuldhafte Verhalten des Beschwerdeführers für die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen bei Fälligkeit und damit die Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG zu bejahen gewesen. Die von der Beitragsschuldnerin geleistete, auf die Beiträge Oktober 1987 bis Dezember 1987 angerechnete Zahlung von S 40.000,-- habe den dem Beschwerdeführer vorzuschreibenden Haftungsbetrag auf die im Spruch genannte Gesamtsumme vermindert.

Die vorliegende Beschwerde richtet sich erkennbar gegen den nicht stattgebenden Teil des angefochtenen Bescheides. Sie macht Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil der Sachverhalt einer Ergänzung bedürfe, sowie Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, haften die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge aus Verschulden des Vertreters nicht bei Fälligkeit entrichtet werden. Nach § 83 ASVG gelten unter anderem die Bestimmungen über die Haftung entsprechend für Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze bei zwangsweiser Eintreibung.

Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 9. März 1989, G 163/88 und Folgezahlen, die Worte "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die" in § 67 Abs. 10 ASVG als verfassungswidrig auf und sprach aus, daß die Aufhebung mit Ablauf des 28. Februar 1990 in Kraft tritt. Da der dem Beschwerdefall zugrunde liegende Tatbestand jedoch vor der Aufhebung verwirklicht wurde und es sich um keinen Anlaßfall handelt, ist die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Gesetzesstelle im Beschwerdefall gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG weiterhin anzuwenden.

Im Beschwerdefall ist nicht strittig, daß der Beschwerdeführer im relevanten Zeitraum Geschäftsführer der Gesellschaft war, für deren Beitragsschulden er herangezogen wird, daß er im Rahmen seiner Vertretungsmacht verhalten war, die der Gesellschaft nach den §§ 35 Abs. 1, 58 Abs. 2 ASVG obliegenden Pflichten zur richtigen, vollständigen und rechtzeitigen Entrichtung der mit dem angefochtenen Bescheid in Haftung gezogenen Beiträge, die am jeweils letzten Tag (§ 58 Abs. 1 ASVG) der Monate Dezember 1987 bis April 1988 fällig waren, zu erfüllen, und daß die mit dem angefochtenen Bescheid in Haftung gezogenen Beiträge im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Beschwerdeführers zur Gänze unberichtigt aushafteten.

Der Beschwerdeführer wendet sich - der Erklärung nach sowohl unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch der Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil der Sachverhalt einer Ergänzung bedürfe - gegen die Feststellung, die Dienstnehmerin B. habe bis Mai 1988 ihr Entgelt aus den der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Mitteln zur Gänze erhalten; er vertritt die Auffassung, lediglich die Zahlung des Gehaltes für Mai 1988 sei durch die Gesellschaft, die Zahlungen der Gehälter für Jänner bis April 1988 hingegen durch deren Organgesellschaft erfolgt. Der Gehaltszahlung für Mai 1988 stehe eine Zahlung von S 40.000,-- an die Mitbeteiligte "für den gleichen Zeitraum" gegenüber.

Diese Ausführungen können der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 13. März 1990, Zlen. 89/08/0198 und 89/08/0217, und vom 24. April 1990, Zl. 89/08/0290, und die darin jeweils zitierte Vorjudikatur) können für die Frage des Verschuldens des Vertreters an der Nichtentrichtung der Sozialversicherungsbeiträge sinngemäß die von Lehre und Rechtsprechung zu den §§ 9 und 80 BAO entwickelten Grundsätze herangezogen werden.

Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 19. Juni 1985, Slg. 6012/F, vom 25. Mai 1986, Slg. 6123/F, und vom 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0063) ist es auch im sozialversicherungsrechtlichen Haftungsverfahren Sache des haftungspflichtigen Geschäftsführers, darzulegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, daß die Beitragsschulden rechtzeitig (zur Gänze) entrichtet wurden, und dafür entsprechende Beweisanbote zu erstatten. Denn ungeachtet der grundsätzlich amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde trifft denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt - über die ihn stets treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus - die besondere Verpflichtung, darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls angenommen werden darf, daß er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0217).

Es hatte somit nicht die belangte Behörde das Ausreichen der Mittel zur Beitragsentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogene Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel. Außerdem hatte dieser darzutun, daß er die Beitragsforderungen bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt hat (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0063, und die darin zitierte Vorjudikatur).

Die mit dem angefochtenen Bescheid in Haftung gezogenen Beiträge hafteten im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Beschwerdeführers zur Gänze unberichtigt aus; dem Gebot, die Beitragsschulden nicht schlechter zu behandeln, als andere Verbindlichkeiten, hätte der Beschwerdeführer somit nur entsprochen, wenn - entsprechend seiner Behauptung im Einspruch - der Gesellschaft im Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit der in Haftung gezogenen Beiträge keinerlei Mittel zur Verfügung gestanden wären und sie daher auch ihre anderen Verbindlichkeiten nicht - auch nicht teilweise - befriedigen hätte können.

Diesen Beweis hat der Beschwerdeführer aber nicht erbracht; vielmehr widerlegen die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel die Behauptung der vollständigen Mittellosigkeit der Gesellschaft, da aus ihnen hervorgeht, daß die Gesellschaft einen Zahlungsverkehr abgewickelt hat, was das Vorhandensein entsprechender Mittel voraussetzt. Davon abgesehen bieten diese Beweismittel, die sich ausschließlich auf die Bareinnahmen, den Zahlungsverkehr und die Verbindlichkeiten der Gesellschaft beziehen, keinen Aufschluß über deren gesamte Vermögens- und Liquiditätslage in den relevanten Zeitpunkten. Bei dieser Sachlage konnte die belangte Behörde schon deshalb, weil der Beschwerdeführer den ihm obliegenden Nachweis des Fehlens von Mitteln für die Entrichtung der Beiträge nicht erbrachte, davon ausgehen, daß der Gesellschaft diese Mittel zur Verfügung standen.

Der Beschwerdeführer wendet sich auch nicht gegen die Feststellung des angefochtenen Bescheides, wonach "kleinere Ausgaben zu 100 % befriedigt wurden". Schon daraus ergibt sich im Zusammenhalt mit dem Umstand, daß die in Haftung gezogenen Beiträge bei Fälligkeit zur Gänze unberichtigt aushafteten, daß sich der Beschwerdeführer auch nicht mit Erfolg darauf hätte berufen können, die Beitragsschulden bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt zu haben. Die belangte Behörde durfte daher ohne Rechtsirrtum eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen.

Bei dieser Sachlage ist nicht wesentlich, ob die im Zeitraum Jänner bis April 1988 fällig gewordenen Gehälter der Dienstnehmerin B. aus Mitteln der Gesellschaft oder ihrer Organgesellschaft berichtigt wurden.

Der Beschwerdeführer kann sich, was den Grund seiner Haftung betrifft, auch nicht mit Erfolg auf die nach seiner Inanspruchnahme als Haftender erfolgte Zahlung eines Betrages von S 40.000,-- durch die Gesellschaft berufen. Eine nach der Verwirklichung der in § 67 Abs. 10 ASVG angeführten Tatbestandsmerkmale und der Konkretisierung der Haftung durch Erlassung des Haftungsbescheides erfolgte Zahlung ist nicht bei der Beurteilung der Haftung des Vertreters dem Grunde nach zu berücksichtigen, weil haftungsbegründend die schuldhafte Nichtentrichtung der Beiträge bei Fälligkeit ist; die durch die Zahlung der Gesellschaft eingetretene Verminderung der Verbindlichkeit der Gesamtschuldner (der Gesellschaft und des Haftenden) der Höhe nach hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ohnedies berücksichtigt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990080008.X00

Im RIS seit

19.02.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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