TE Vwgh Erkenntnis 1990/4/24 89/08/0290

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Veröffentlicht am 24.04.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §67 Abs10 idF 1986/111;
AVG §45 Abs2;
BAO §167 Abs2;
BAO §80;
BAO §9;
FinStrG §98 Abs3;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3;

Betreff

N gegen Landeshauptmann von Wien vom 12. Juni 1989, Zl. MA 14-F 8/89, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse)

Spruch

Punkt I des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 26. Jänner 1989 stellte die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse fest, daß der Beschwerdeführer, Dkfm AB und Dkfm DE gemäß den §§ 67 Abs. 10 und 83 ASVG zur ungeteilten Hand verpflichtet seien, der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse die auf dem Beitragskonto der Beitragsschuldnerin U GmbH rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 20. Jänner 1989) im Betrag von S 2,916.880,42 zuzüglich Verzugszinsen seit 21. Jänner 1989 in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das seien derzeit 10,5 %, berechnet von S 2,272.746,64 binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen. Nach der Bescheidbegründung stehe folgender Sachverhalt fest: Auf dem Beitragskonto der Beitragsschuldnerin (der U GmbH) bestünden derzeit für den Zeitraum vom April 1986 bis einschließlich Dezember 1987 Beitragsrückstände in der Höhe von S 24,694.151,90. Davon entfielen auf die Beitragsabrechnungen April und Mai 1986 laut dem beiliegenden Rückstandsausweis vom 20. Jänner 1989 insgesamt S 2,916.880,42. Die Dienstnehmerbeitragsanteile für diesen Zeitraum seien beglichen. Am 2. Juli 1986 sei über das Vermögen der Beitragsschuldnerin das gerichtliche Ausgleichsverfahren eröffnet worden, das am 31. Oktober 1986 in ein Anschlußkonkursverfahren übergegangen sei. Der Beschwerdeführer und Dkfm B seien in dem hier maßgeblichen Zeitraum April bis Juni 1986 Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin gewesen. Ursprünglich sei zwischen den beiden Geschätsführern eine Agendenaufteilung in der Form vereinbart worden, daß der Beschwerdeführer nur für den technischen Bereich und Dkfm B für die übrigen Belange zuständig gewesen sei. Der Aufgabenbereich des Beschwerdeführers sei dann geändert worden, sodaß entsprechend dem Organisationsplan (Organigramm) vom 1. Juli 1985 beide Geschäftsführer für die finanziellen Agenden zuständig gewesen seien. Dkfm F sei Gesamtprokurist und als Finanzdirektor gemeinsam mit den Geschäftsführern für den Finanzbereich zuständig gewesen. Um eine drohende Überschuldung abzuwenden, sei am 14. März 1986 mit einem aus der G-Bank, der H-Bank AG, der J AG, dem Bundesministerium für soziale Verwaltung und der Gemeinde Wien bestehenden Konsortium eine Sanierungsvereinbarung (genannt Vertrag) abgeschlossen worden. Danach wären mit 15. April 1986 80 Millionen Schilling von den Mitgliedern des Konsortiums der Beitragsschuldnerin zur Verfügung zu stellen gewesen. Tatsächlich seien im Laufe des Monats Mai nur ca. 15 Millionen Schilling von den Konsorten und 5 Millionen Schilling von den Gesellschaftern der Beitragsschuldnerin überwiesen worden. Die Beitragschuldnerin habe unter anderem die Löhne der Dienstnehmer für April und Mai 1986 termingerecht gezahlt. Weiters seien "die für die Aufrechterhaltung der Produktion erforderlichen Lieferanten prompt oder teilweise sogar gegen Vorauszahlung beglichen" worden, ebenso die für die Übersiedlung eines Teilbetriebes von der K-Gasse nach M angefallenen Kosten. Von den Ende April 1986 fällig gewordenen Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von S 2,045.464,20 und Mai 1986 in der Höhe von S 2,034.242,03 seien lediglich die Dienstnehmeranteile bezahlt worden. Am 19. Juni 1986 hätten die Konsorten wegen Änderung der Geschäftsgrundlage ihren Rücktritt vom Vertrag erklärt. Diesen Sachverhalt beurteilte die mitbeteiligte Partei nach Zitierung des § 67 Abs. 10 ASVG dahin, daß die Voraussetzungen einer Haftung nach dieser Gesetzesbestimmung gegeben seien. Der Beschwerdeführer, Dkfm B und Dkfm F hätten nämlich als Vertreter der Beitragsschuldnerin dadurch, daß sie Löhne, laufende Produktionskosten und die anläßlich der Übersiedlung auflaufenden Kosten zur Gänze bezahlt und die gleichzeitig bzw. vorher fällig gewordenen Sozialversicherungsbeiträge nur zum Teil (Dienstnehmerbeiträge) beglichen hätten, den Grundsatz, Sozialversicherungsverbindlichkeiten nicht schlechter zu behandeln als die übrigen Verbindlichkeiten, schuldhaft verletzt.

In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch bestritt der Beschwerdeführer das Vorliegen der Voraussetzungen einer Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG im wesentlichen aus folgenden Gründen: Er sei mit der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen nie befaßt gewesen und habe darauf auch keinen Einfluß nehmen können. Sowohl der Prokurist Dkfm F als auch der Beschwerdeführer als angestellter Geschäftsführer seien dem eigentlichen Eigentümer und geschäftsführenden Gesellschafter Dkfm B untergeordnet gewesen. Dieser habe bereits im Frühjahr 1985 ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die Schwierigkeiten der Beitragsschuldnerin in den Griff zu bekommen. Danach sei aber das gesamte Rechnungswesen, die Buchhaltung, die Betreuung der Debitoren und Kreditoren weiterhin bei Dkfm F bzw. seinem Vorgesetzten Dkfm B geblieben. Das sogenannte Organigramm habe nur die Aufgabe gehabt, dem Beschwerdeführer die zur Durchführung der empfohlenen Maßnahmen notwendige Kompetenz einzuräumen, selbstverständlich immer unter Kontrolle des geschäftsführenden Gesellschafters Dkfm B. Am sonstigen bisherigen Zustand habe sich dadurch nichts geändert. Da die Sozialversicherungsbeiträge von Dkfm F, der seinerseits wieder dem geschäftsführenden Gesellschafter Dkfm B unterstellt gewesen sei, pünktlich abgeführt worden seien, habe für den Beschwerdeführer auch keine Veranlassung bestanden, diesbezügliche Kontrollen durchzuführen; dies hätte auch nichts erbracht, weil der Beschwerdeführer darauf auf Grund der Kompetenzverteilung überhaupt keinen Einfluß hätte nehmen können. Bei den "Sanierungsgesprächen" sei er selbstverständlich als technischer Leiter anwesend gewesen, weil die Aufrechterhaltung der Produktion und die Verlegung der Produktionsstätte in seinen Kompetenzbereich gefallen sei. Sodann befaßt sich der Beschwerdeführer im Einspruch mit den Sanierungsbemühungen und vertritt die Auffassung, daß auch dem Dkfm F und dem zweiten Geschäftsführer Dkfm B kein Verschulden zur Last falle. Schließlich weist er darauf hin, daß seine Geschäftsführertätigkeit am 23. Juni 1986 geendet habe.

Mit dem Einspruch verband der Beschwerdeführer den Antrag, dem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Bei dem vom Haftungsbescheid umfaßten Betrag handle es sich um eine Summe, die er weder jetzt noch in späterer Folge als unselbständig Erwerbstätiger aufzubringen in der Lage sei. Sein derzeitiges Dienstverhältnis sei befristet. Bei einer zwangsweisen Eintreibung des Haftungsbetrages werde er seinen Arbeitsplatz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verlieren und als Arbeitsloser der öffentlichen Hand zur Last fallen. Die Zwangsvollstreckung würde für ihn und seine Familie einen unwiederbringlichen wirtschaftlichen Schaden bringen. Durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei die Einbringlichkeit des Haftungsbetrages eher gewährleistet, weil dadurch sein Arbeitsplatz erhalten bleibe. Deshalb spreche das öffentliche Interesse eher für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Mit Punkt I des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde den Einspruch des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet ab und bestätigte den bekämpften Bescheid der mitbeteiligten Partei. Mit Punkt II des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 412 Abs. 2 ASVG als unbegründet ab.

Zu Punkt I führte die belangte Behörde in der Bescheidbegründung aus, es sei nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 67 Abs. 10 ASVG Sache des Geschäftsführers, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihm obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen, widrigenfalls von der Behörde eine schuldhafte Pflichtverletzung des Geschäftsführers angenommen werden dürfe. Bezüglich der Haftung für Beitragsschulden sei nun nicht die Schuldlosigkeit des Geschäftsführers an den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen der GesmbH zu beweisen, sondern die Gleichbehandlung der Beitragsschulden mit anderen Verbindlichkeiten in bezug auf ihre Bezahlung. Im Gegenstand ergebe sich auf Grund der Aktenlage, insbesondere der übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers, des Dkfm LF und des Dkfm B (gemeint: in der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 1989), daß seitens der U GmbH im Haftungszeitraum z. B. die Leasinggebühren für die Maschinen und auch die Energielieferanten sowie Personalabfertigungskosten nicht bezahlt worden seien, daß jedoch die im Betrieb tätigen Dienstnehmer sowie jene Lieferanten, welche auf Barzahlung bestanden hätten, zur Gänze bezahlt worden seien. Auf Grund dieses Umstandes müsse davon ausgegangen werden, daß eine Gleichbehandlung der Beitragsschulden mit anderen Verbindlichkeiten der U GmbH in bezug auf ihre Bezahlung nicht erfolgt sei, weshalb eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG angenommen werden müsse. Wenn vom Beschwerdeführer vorgebracht worden sei, daß er niemals im kaufmännischen oder finanziellen Bereich tätig geworden sei und insbesondere nicht mit der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge zu tun gehabt habe, sei festzuhalten, daß aus den Angaben von Dkfm B sowie Dkfm F in den Niederschriften vom 14. Juni 1988 und 10. Mai 1989 Gegenteiliges hervorgehe. Sie hätten nämlich - diesbezüglich befragt - erklärt, daß es eine Aufgabenaufteilung zwischen den Geschäftsführern Dkfm B und dem Beschwerdeführer im Sinne einer strikten Trennung in einen technischen und kaufmännischen Teil nicht gegeben habe. Diese Angaben seien auch deshalb glaubhaft, weil seitens der Beitragsschuldnerin am 8. Jänner 1986 an die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse ein Ratenansuchen gestellt worden sei, das sowohl vom Beschwerdeführer als auch von Dkfm F unterfertigt worden sei. Es habe somit die Haftung des Beschwerdeführers gemäß § 67 Abs. 10 ASVG bejaht werden müssen.

Zu Punkt II des angefochtenen Bescheides verwies die belangte Behörde darauf, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Aufschiebungsantrag mangels Konkretisierung ohne weiteres Verfahren abzuweisen sei, wenn die Behörde mangels jeglicher Angaben über die Einkünfte und Vermögensverhältnisse des Antragstellers nicht in der Lage sei zu beurteilen, ob durch die vorzeitige Vollstreckung für den Antragsteller ein nicht wiedergutzumachender Schaden einträte. Die Behörde sei in einem solchen Fall nicht verpflichtet, den Antragsteller aufzufordern, seine Behauptungen über den im Sinne des § 412 Abs. 2 ASVG nicht wiedergutzumachenden Schaden zu ergänzen oder selbst von Amts wegen Ermittlungen in der Richtung vorzunehmen. Da der vorliegende Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung keinerlei Darstellung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers enthalte, entspreche er dem bestehenden Gebot zur Konkretisierung des Antrages nicht, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluß vom 26. September 1989, Zl. B 895/89, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

I. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, haften die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge aus Verschulden des Vertreters nicht bei Fälligkeit entrichtet werden. Nach § 83 ASVG gelten unter anderem die Bestimmungen über die Haftung entsprechend für Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze bei zwangsweiser Eintreibung.

Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 9. März 1989, G 163/88 und Folgezahlen, die Worte "die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und" im § 67 Abs. 10 ASVG als verfassungswidrig auf und sprach aus, daß die Aufhebung mit Ablauf des 28. Februar 1990 in Kraft tritt. Da der dem Beschwerdefall zugrunde liegende Tatbestand jedoch vor der Aufhebung verwirklicht wurde und es sich um keinen Anlaßfall handelt, ist die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Gesetzesstelle im Beschwerdefall gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG weiterhin anzuwenden.

Zu den im § 67 Abs. 10 ASVG genannten "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen" gehören auch die Geschäftsführer von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (vgl. das Erkenntnis vom 19. September 1989, Zlen. 88/08/0283, AW 89/08/0010).

Der Beschwerdeführer, der unbestritten bis 23. Juni 1986 gemeinsam mit Dkfm B Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin war, wendet gegen seine Heranziehung zur Haftung zunächst folgendes ein: Dkfm B sei alleinvertretungsbefugter, geschäftsführender Gesellschafter gewesen, Dkfm F habe für den kaufmännischen und finanziellen Bereich zu sorgen gehabt, er (der Beschwerdeführer) sei hingegen auf Grund der Dienstverträge nur für den technischen Bereich zuständig gewesen, selbstverständlich auch zur Leistung von Unterschriften für Alltagsgeschäfte, wenn der alleinvertretungsbefugte Gesellschafter und Geschäftsführer Dkfm B nicht anwesend gewesen sei. Im Gegensatz zu diesem sei der Beschwerdeführer nur angestellter und kollektivzeichnungsberechtigter Geschäftsführer gewesen. Die Abfuhr der Beiträge sei immer von Dkfm F erfolgt. Die Weisung auf Zurückhaltung der Beiträge für April und Mai (also die Reihung) sei vom alleinvertretungsbefugten geschäftsführenden Gesellschafter Dkfm B ergangen. Davon habe der Beschwerdeführer gar keine Kenntnis gehabt. Selbst dann, wenn eine solche Kenntnis vorhanden gewesen wäre, hätte er auf Grund seiner rechtlichen und tatsächlichen Position keine Möglichkeit gehabt, die vom Eigentümer vorgenommene Reihung, die nur auf die Erfüllung des Vertrages abgestellt habe, in irgendeiner Form abzuändern.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die Erkenntnisse vom 19. September 1989,

Zlen. 88/08/0283, AW 89/08/0010, vom 25. April 1989, Zl. 89/08/0013, und vom 14. April 1988, Zl. 88/08/0025) können im Hinblick darauf, daß sich die Regelung des § 67 Abs. 10 ASVG an jene der §§ 9 und 80 BAO anlehnt, für die Frage des Verschuldens des Vertreters an der Nichtentrichtung der Sozialversicherungsbeiträge sinngemäß die von Lehre und Rechtsprechung zu den genannten Bestimmungen der BAO entwickelten Grundsätze herangezogen werden.

Mit der Haftung mehrerer Geschäftsführer einer GesmbH für Abgabenverbindlichkeiten hat sich der Verwaltungsgerichtshof wiederholt befaßt (vgl. dazu unter anderem die Erkenntnisse vom 28. Mai 1986, Zl. 84/13/0246, vom 24. Juni 1982, Zl. 81/15/0100, vom 26. Jänner 1982, Zlen. 81/14/0083, 0169, und vom 5. November 1958, Slg. Nr. 1905/F). Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so haften grundsätzlich alle für die Erfüllung der ihnen als gesetzlichen Vertretern der GmbH auferlegten Pflichten. Allerdings können im Innenverhältnis die Aufgaben der Geschäftsführung unter ihnen verteilt werden. Besteht zwischen mehreren potentiellen Haftungspflichtigen eine solche Aufgabenverteilung dergestalt, daß eine oder mehrere Personen mit den Abgabenangelegenheiten betraut sind, so können im Regelfall die mit diesen Angelegenheiten nicht befaßten Personen nicht zur Haftung herangezogen werden. Wenn Agendenverteilungen oder abgrenzende Vereinbarungen nicht bestehen oder nicht festgestellt werden können, ferner dann, wenn wohl Abgrenzungsabreden bestehen, aber der mit den steuerlichen Angelegenheiten nicht Befaßte seine eigenen Pflichten dadurch grob verletzt, daß er trotz Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten Bestellten nichts unternahm, um Abhilfe zu schaffen, ist auch dieser haftbar, es sei denn, daß er triftige Gründe vorbringt, die ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich machten.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides festgestellt, daß es eine Aufgabenaufteilung zwischen den Geschäftsführern im Sinne einer strikten Trennung in einen technischen und einen kaufmännischen Teil nicht gegeben habe und der Beschwerdeführer auch tatsächlich mit der Abführung unter anderem der Sozialversicherungsbeiträge befaßt gewesen sei. Diese Feststellungen hat die belangte Behörde unter anderem auf die Aussagen des Dkfm B und des Dkfm F in der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 1989 gestützt und insofern der (allerdings nur zum Teil entgegenstehenden) Aussage des Beschwerdeführers keinen Glauben geschenkt. Dkfm B erklärte, der Beschwerdeführer habe die Tagesgeschäfte zu besorgen gehabt, während er selbst bei allen grundsätzlichen Fragen maßgeblich beteiligt, aber auch über das Tagesgeschehen informiert gewesen sei. Er habe sich darüber immer mit dem Beschwerdeführer abgesprochen. Die Finanzgebarung sei seines Erachtens von den Tagesgeschäften nicht herauszulösen gewesen. Das Rechnungswesen habe Dkfm F durchgeführt, eine ausdrückliche innere Geschäftseinteilung, bei der der Beschwerdeführer von jeder abgabenrechtlichen Verantwortung entbunden gewesen sei, habe es aber nicht gegeben. Dkfm F schloß sich diesen Ausführungen an und ergänzte, daß er gerade in den heiklen Übergangsmonaten ab Abschluß des Vertrages an beide Geschäftsführer herangetreten sei, um Anweisungen darüber zu erhalten, wie die vorhandenen Mittel zu verwenden seien. Er könne sich nicht vorstellen, daß der Beschwerdeführer auf Grund der Besprechungen, die zwischen ihm, Dkfm B und dem Beschwerdeführer stattgefunden hätten, nichts von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen gewußt habe. Da die Beitragsschuldnerin bestrebt gewesen sei, die Bedingungen des Vertrages zu erfüllen, sei immer die Frage im Raum gestanden, wie die offenen Forderungen im Hinblick auf die Vertragserfüllung befriedigt werden sollten. Richtig sei, daß er sich in erster Linie an Anweisungen von Dkfm B gehalten habe. Auch die Weisung, in den beiden Monaten keine Sozialversicherungsbeiträge (richtig: soweit sie über die Dienstnehmeranteile hinausgingen) zu zahlen, sei von Dkfm B gekommen. Der Beschwerdeführer erklärte dazu, in der Praxis sei Dkfm F mit den Abgabenangelegenheiten betraut gewesen. Er habe sich jedoch auf seine Zuverlässigkeit verlassen können. Im April habe er von der Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen nichts gewußt; ob dies auch für Mai zutreffe, könne er nicht genau sagen, weil "wir" zu dieser Zeit mit Zahlungsverbindlichkeiten zu kämpfen gehabt hätten. Richtig sei, daß er dann, wenn es Probleme mit den Zahlungen, unter anderem auch mit Zahlungen an die Wiener Gebietskrankenkasse, gegeben habe, damit befaßt gewesen sei. Dies sei aber nur im Jänner 1986 der Fall gewesen. Schließlich erklärte er zur Frage, ob eine Abhilfe bei Kenntnis der Verletzung der abgabenrechtlichen Vorschriften versucht worden sei, daß er sich mit Dkfm F zur G-Bank begeben habe, um das "Fließen" der im Vertrag zugesagten Mittel zu erreichen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. unter anderem das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) schließt die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG 1950 eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Beweiswürdigung in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d.h. ob sie unter anderem den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen, weshalb wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung zur Aufhebung des Bescheides führen. Ob aber der Akt einer Beweiswürdigung richtig in dem Sinne ist, daß z. B. eine den Beschwerdeführer belastende Darstellung und nicht seine Version den Tatsachen entspricht, kann der Verwaltungsgerichtshof auf Grund seiner (eben dargestellten eingeschränkten) Prüfungsbefugnis in einem Verfahren über eine Bescheidbeschwerde nicht überprüfen.

Auf dem Boden dieser Rechtslage vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid deshalb mit Rechtswidrigkeit belastet hätte, weil sie ihren Feststellungen die (teilweise) von den Angaben des Beschwerdeführers abweichenden, jedoch in sich widerspruchsfreien Aussagen des Dkfm B und des Dkfm F zugrunde gelegt hat, spricht doch seine eigene Aussage in der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 1989 (Bemühen um Abhilfe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, zumindest einmalige Befassung mit rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen) gegen die von ihm behauptete interne Aufgabenteilung. Ihr widerspricht auch seine Vernehmung als Beschuldigter im Strafverfahren vom 1. März 1988, in der er erklärte, er habe "immer Anweisung gegeben, daß die DN-Anteile zu bezahlen sind und ist dies bis einschließlich Mai 1986 auch so gewesen".

Zu seinen Beschwerdeausführungen, er hätte selbst dann, wenn er eine Kenntnis von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen gehabt hätte, auf Grund seiner rechtlichen und tatsächlichen Position keine Möglichkeit gehabt, auf die "Reihung" der Erfüllung der Verbindlichkeiten Einfluß zu nehmen, ist zu bemerken, daß ihn eine derartige faktische Behinderung seiner Geschäftsführerbefugnisse nicht zu exkulpieren vermochte (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 19. September 1989, Zlen. 88/08/0283, AW 89/08/0010, und vom 26. Jänner 1982, Zlen. 81/14/0083, 0169).

Begründet ist die Beschwerde aber insoweit, als sie sich gegen die aus der gänzlichen Bezahlung von Verbindlichkeiten der Beitragsschuldnerin und der nur teilweisen Erfüllung der Beitragsschulden abgeleiteten Verletzung der Gleichbehandlungspflicht dieser Schulden wendet. Diesbezüglich verweist der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf sein Erkenntnis vom 13. März 1990, Zlen. 89/08/0217, AW 89/08/0044, mit dem der die Haftung des Dkfm B bejahende Einspruchsbescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wurde. Da sich auch der Beschwerdeführer hinsichtlich der finanziellen Situation im Haftungszeitraum den Angaben des Dkfm B in der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 1989 anschloß, hätte die belangte Behörde - im Sinne des zitierten Vorerkenntnisses - auch vor Ausspruch der Haftung des Beschwerdeführers weitere Klärungen vornehmen müssen. Ebenso mangelhaft ist der angefochtene Bescheid hinsichtlich der im Haftungsbetrag enthaltenen Zinsen, wozu im Beschwerdefall noch kommt, daß der Beschwerdeführer nach der Aktenlage nur bis 23. Juni 1986 Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin war.

Aus diesen Gründen war Punkt I des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II. Die Beschwerde richtet sich zwar nach Beschwerdepunkt und Antrag auch gegen Punkt II des angefochtenen Bescheides, ohne daß allerdings die behauptete Rechtswidrigkeit dieses Bescheidpunktes dargetan würde. Da die Begründung dieses Bescheidpunktes der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht (vgl. außer dem zitierten Erkenntnis vom 31. Jänner 1985, Zl. 83/08/0121, zuletzt die Erkenntnisse vom 24. Oktober 1989, Zlen. 89/08/0257, AW 89/08/0051, und vom 22. September 1988, Zl. 88/08/0203), war die Beschwerde, soweit sie sich gegen diesen Bescheidpunkt richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

III. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und 6 VwGG abgesehen werden.

IV. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Hinsichtlich der zitierten, nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

Die Beendigung des Beschwerdeverfahrens, für dessen Dauer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wurde, macht einen Abspruch über diesen Antrag entbehrlich.

Schlagworte

freie BeweiswürdigungSachverhalt Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989080290.X00

Im RIS seit

12.02.2002

Zuletzt aktualisiert am

31.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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