TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/19 89/06/0156

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Veröffentlicht am 19.09.1991
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Index

L82000 Bauordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §39 Abs2;
AVG §40 Abs1;
AVG §41;
AVG §42 Abs1;
AVG §42;
AVG §43 Abs5;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde der M in L, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 17. Juli 1989, Zl. Ve-550-1564/1, (mitbeteiligte Parteien: 1. N-GmbH, 2. Stadtgemeinde L), betreffend Nachbareinwendungen gegen eine Baubewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Über das Ansuchen der erstmitbeteiligten Partei um die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage mit 38 Wohnungen und einem zweigeschoßigen Parkdeck auf den Grundparzellen 528/1 und 528/2, KG L, ordnete der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde für 16. Juni 1987 eine mündliche Verhandlung an Ort und Stelle an, zu der die Beschwerdeführerin persönlich und unter Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 42 AVG 1950 ordnungsgemäß als Nachbar geladen wurde. Überdies wurde die Verhandlung durch Anschlag an der Amtstafel der mitbeteiligten Stadtgemeinde nach § 41 Abs. 1 AVG 1950 bekanntgemacht. In der Verständigung bzw. Kundmachung über die Anberaumung der Verhandlung wurde gemäß § 42 Abs. 1 AVG 1950 auf die Möglichkeit, in die für das Verfahren eingereichten Pläne und sonstigen Behelfe bis zum Tag der Verhandlung beim Gemeindeamt der mitbeteiligten Stadtgemeinde Einsicht zu nehmen, hingewiesen.

In der am 16. Juni 1987 über diesen Gegenstand abgehaltenen mündlichen Verhandlung wurde unter anderem festgehalten, daß die geplante Wohnanlage in zwei Bauabschnitten, bestehend aus zwei hintereinander angeordneten Wohnblöcken errichtet werden solle. An der Westseite sei eine zweigeschoßige Garage als Verbindungstrakt der beiden Baukörper geplant. Jedes Haus werde mit zwei Stiegenhäusern ausgestattet, welche vom Kellergeschoß bis ins Dachgeschoß führten. Die Gebäude würden ein Grundrißmaß von 41,70 m x 15,25 m erhalten. Sie würden zur Gänze unterkellert und ein Erdgeschoß, drei Obergeschoße sowie ein ausgebautes Dachgeschoß erhalten. Schließlich wurde darauf hingewiesen, daß das Baugrundstück nach dem rechtsgültigen Flächenwidmungsplan im Bauland-Wohngebiet mit einer Bauweise von E + 3 liege und baureif erschlossen sei.

Die erschienenen Anrainer, darunter auch die Beschwerdeführerin, erklärten sich mit dem Bauvorhaben bei plan- und vorschreibungsgemäßer Ausführung einverstanden.

Über denselben Gegenstand ordnete der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde (in Fortsetzung der Verhandlung vom 16. Juni 1987) für 15. September 1988 eine mündliche Verhandlung im Stadtbauamt an, zu der die Beschwerdeführerin gleichfalls persönlich und unter Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 42 AVG 1950 ordnungsgemäß geladen wurde. Auch diese Verhandlung wurde überdies durch Anschlag an der Amtstafel bekanntgemacht. In der Verständigung bzw. Kundmachung über die Anberaumung der Verhandlung wurde wiederum gemäß § 41 Abs. 2 AVG 1950 auf die Möglichkeit, in die für das Verfahren eingereichten Pläne und sonstigen Behelfe bis zum Tag der Verhandlung beim Gemeindeamt Einsicht zu nehmen, aufmerksam gemacht.

In der Niederschrift über diese Verhandlung wurde festgehalten, daß in den Auswechslungsplänen auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 1987, in welcher von den unmittelbaren Anrainern das Ersuchen vorgetragen worden sei, mit der Erstmitbeteiligten in Verhandlungen zu treten, um eine Änderung der Höhenlage des ostseitigen Gebäudeteiles zu erwirken, folgende Änderungen beantragt würden: Das Erdgeschoßniveau des nordseitigen Baukörpers werde von + 1,57 m auf 0,77 m und jenes des südseitigen Baukörpers von 0,93 m auf 0,13 m, bezogen auf den Fixpunkt in der R-Straße, abgesenkt. Der Grenzabstand an der Ostseite werde auf 9,0 m erweitert. Der ostseitig des Stiegenhauses liegende Baukörper der Wohnblöcke A und B erhalte eine Bauweise von E + 2. Im Grenzabstandsbereich an der Ostseite würden keine baulichen Anlagen errichtet. Die Höhenlage des geplanten Gebäudes sei in einem Vermessungsplan durch Eintragung der Nachbarhäuser schematisch dargestellt. Daraus gehe hervor, daß die Traufenhöhen des geplanten Wohnblockes mit dem baulichen Bestand der Nachbarhäuser übereinstimmen und bei einer Bewilligung eine Beeinträchtigung des Ortsbildes nicht zu erwarten sei. Die Traufenhöhen könnten den Höhenmaßen, welche Bestandteil dieses Planes seien, entnommen werden.

Die Beschwerdeführerin erklärte sich in dieser Verhandlung mit dem abgeänderten Bauvorhaben bei plan- und bescheidgemäßer Ausführung einverstanden.

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde bewilligte mit Bescheid vom 9. November 1988 gemäß § 31 der Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. Nr. 43/1978, das im Befund näher bezeichnete Bauvorhaben bei bescheidgemäßer Ausführung und nach Maßgabe der vorgelegten und vidierten Pläne unter Vorschreibung von Auflagen. Dabei wurde unter anderem ausgeführt, daß die westlich des Stiegenhauses gelegenen Gebäudeteile jeweils ein Erdgeschoß, drei Obergeschoße und ein ausgebautes Dachgeschoß erhalten würden, während die ostseitig des Stiegenhauses gelegenen Baukörper nur mit einem Erdgeschoß und zwei Obergeschoßen errichtet würden. Der Grenzabstand an der Ostseite betrage 8,80 m. Innerhalb dieses Grenzabstandsbereiches würden keine baulichen Anlagen errichtet. Weiters wurden der Verfahrensverlauf und insbesondere auch die Zustimmung der Beschwerdeführerin wiedergegeben.

In der dagegen erhobenen Berufung legte die Beschwerdeführerin dar, sie sei bei der Abgabe ihrer Erklärung im Bauverfahren davon ausgegangen, daß die Feststellung des amtlichen Bausachverständigen richtig sei. Dieser habe ausdrücklich angeführt, daß die Traufenhöhe des geplanten Wohnblocks mit dem baulichen Bestand der dreigeschoßigen Nachbarobjekte übereinstimme. Nach neuerlicher Überprüfung der Planunterlagen und der vorhandenen Bauhöhe habe sie jedoch feststellen müssen, daß der geplante Bau wesentlich höher als die Nachbarobjekte sein werde. Hätte sie gewußt, daß der Bau höher als die Nachbarobjekte werde, hätte sie einem solchen Bauvorhaben nie zugestimmt.

Mit Schreiben vom 23. Jänner 1989 präzisierte die Beschwerdeführerin ihre Berufung (unter anderem) dahingehend, daß die Stellungnahme des Amtssachverständigen, die Traufenhöhe des geplanten Wohnblocks stimme mit dem Bestand der dreigeschoßigen Nachbarobjekte überein und eine Beeinträchtigung des Ortsbildes sei nicht zu erwarten, nur hinsichtlich des nördlich benachbarten Wohnblocks an der R-Straße zutreffe, bei dem die Traufenhöhe ca. 10 m, beim F-Gebäude ca. 10,60 m betrage. Hinsichtlich der anderen Objekte sei die Feststellung des Amtssachverständigen unzutreffend; die Mehrzahl der Nachbarobjekte weise nämlich Traufenhöhen um die 6 m auf.

Mit Schreiben vom 27. Jänner 1989 nahm die Beschwerdeführerin eine weitere Ergänzung ihrer Berufung vor. Dieser Berufung gab der Stadtrat der mitbeteiligten Stadtgemeinde mit Bescheid vom 22. Mai 1989 keine Folge und führte zur Begründung unter anderem aus, die Behauptung der Beschwerdeführerin, die Feststellungen des Amtssachverständigen seien nicht richtig gewesen, sei nicht nachvollziehbar. Bei der mündlichen Verhandlung am 15. September 1988 sei in Ergänzung des Bauantrages zusätzlich ein Katasterplan im Maßstab 1 : 1000 vorgelegen, in welchem die Höhenlage der Gebäude aufgenommen worden sei, welche an der Nordseite der R-Straße angrenzen. Die Höhenaufnahme habe sich auf einen Fixpunkt in der R-Straße (Schachtdeckel der Kanalanlage) als Ausgangsniveau bezogen. Diese Höhen seien mit den Umrissen der Gebäudekanten und der Dachflächen in den Fassadenplan des gegenständlichen Bauvorhabens übertragen worden, wodurch für die Anrainer eine Gegenüberstellung der Höhenanlage des geplanten Objektes zu den bestehenden Objekten möglich gewesen sei. Im rechtsgültigen Bebauungsplan der mitbeteiligten Stadtgemeinde, Änderungsnummer 60, sei für den Bereich der gegenständlichen Grundparzellen 528/1 und 528/2, KG L, später Grundparzelle 528/2, eine Bauweise mit E + 3 und Dachgeschoß festgelegt worden. Aus der Legende des Bebauungsplanes ergebe sich, daß bei dieser Bauweise eine Traufenhöhe von 13,0 m und ein Grenzabstand von 8,0 m einzuhalten wären.

In der dagegen erhobenen Vorstellung brachte die Beschwerdeführerin unter anderem vor, daß der von der Behörde festgesetzte Bezugspunkt für die Festlegung der Traufenhöhe jedenfalls ungeeignet sei. Die Höhen seien grundsätzlich auf das mittlere verglichene Niveau jenes Bereiches der Verkehrsfläche, der entlang des für die Bebauung in Betracht kommenden Grundstückes gelegen sei, zu beziehen. Wenn man von diesem Grundsatz abweiche und die Festlegung des Bezugspunktes in das Belieben des Konsenswerbers stelle, schaffe man die Möglichkeit, die Bebauungshöhe im Widerspruch zum Bebauungsplan nach Belieben zu verändern. Dies sei im gegenständlichen Fall erfolgt. Ausgehend vom angenommenen Bezugspunkt Kanaldeckel-R ergebe sich bereits eine Überschreitung der zulässigen Traufenhöhe. Im gegenständlichen Fall erfolge durch das gezielte Abgraben des Geländes eine Erhöhung der möglichen Traufenhöhe um 1,575 m. Gehe man davon aus, daß das Gelände von der Pustertaler Straße aus nach Osten abfalle, so wäre jedenfalls der Bezugspunkt für die Traufenhöhenermittlung bei strenger Beurteilung weiter westlich etwa in der Gebäudelängsachse des Felbertauerngebäudes anzusetzen. Durch diese gesetzlich nicht gedeckte Erhöhung der Traufenhöhe komme es zu einer architektonisch nicht vertretbaren Baukörpermassierung, und zwar derart, daß das Bauwerk auf ca. 1/4 seiner Länge E + 2 und auf 3/4 seiner Länge E + 3 1/2 ausgeführt werde. Unter Berücksichtigung der Topografie des Geländes könne daher keinesfalls von einer harmonischen Abstimmung mit der Umgebungsbebauung (überwiegend E +1 1/2) gesprochen werden. Schließlich habe die Behörde bei den beiden mündlichen Verhandlungen die Beschwerdeführerin nicht in der äußerst schwierigen technischen Materie aufgeklärt und habe somit die Manuduktionspflicht verletzt, welche in einem solchen Bauvorhaben zwingend vorgesehen sei, weil sich Laien nicht über die Tragweite ihrer Erklärungen im klaren sein hätten können.

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid die Vorstellung ab. In der Begründung wird neben der Wiedergabe des Sachverhaltes, der Absätze 1 und 2 des § 42 und des § 13 a AVG 1950 festgehalten, daß die Beschwerdeführerin sowohl zur mündlichen Verhandlung am 16. Juni 1987 als auch zur Verhandlung am 15. September 1988 persönlich und unter ausdrücklichem Hinweis auf § 42 AVG 1950 geladen worden sei. Die Ausschreibung dieser beiden Verhandlungen sei überdies durch Anschlag an der Amtstafel ordnungsgemäß kundgemacht worden. Laut Verhandlungsniederschrift habe sich die Beschwerdeführerin sowohl am 16. Juni 1987 als auch am 15. Dezember 1988 mit dem Bauvorhaben bei plan- und bescheidgemäßer Ausführung einverstanden erklärt. Sie habe demnach im Sinne des § 42 AVG 1950 keine Einwendungen gegen das Bauvorhaben vorgebracht. Es sei daher der Berufungsbehörde zuzustimmen, daß bezüglich der Beschwerdeführerin Präklusion eingetreten sei, die für das ganze weitere Verfahren vor der Baubehörde und auch vor der Aufsichtsbehörde verbindlich sei. Schließlich wurde ausgeführt, daß unter anderem das Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich der Ermittlung der Traufenhöhe auf Grund der eingetretenen Präklusionsfolgen nicht näher geprüft werden habe müssen. Zu der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Manuduktionspflicht der Baubehörde wurde dargelegt, daß die Beschwerdeführerin zu den Bauverhandlungen von der Behörde erster Instanz ordnungsgemäß unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG 1950 geladen worden sei. Von einer Verletzung der Bestimmung des § 13 a AVG 1950 könne daher nicht gesprochen werden, sei doch die Beschwerdeführerin ausdrücklich auf die Rechtsfolgen einer Präklusion aufmerksam gemacht worden. Eine gesetzliche Pflicht des Verhandlungsleiters zu einer (neuerlichen) Rechtsbelehrung nach § 13 a AVG 1950 bestehe nicht. Die Manuduktionspflicht gehe nicht soweit, daß eine Partei, die unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen zu einer mündlichen Verhandlung geladen worden sei, vom Verhandlungsleiter ausdrücklich zur Erhebung von Einwendungen und deren inhaltlicher Ausgestaltung angeleitet werden müßte. Es sei vielmehr Sache der Partei, sich erforderlichenfalls vor der Bauverhandlung um eine sachkundige Beratung zu bemühen. In diesem Zusammenhang sei (obwohl im Vorstellungsverfahren nicht vorgebracht) auch darauf hingewiesen, daß Feststellungen des Amtssachverständigen, seien sie nun richtig oder falsch, nicht geeignet seien, den Eintritt von Präklusionsfolgen zu verhindern. Für den Eintritt derartiger Folgen sei gemäß § 42 AVG 1950 lediglich erforderlich, daß die Partei ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen bzw. diese Ladung ordnungsgemäß kundgemacht worden sei und der Verhandlungsgegenstand mit dem in der Kundmachung aufscheinenden Gegenstand übereinstimme. Auf Grund all dieser Erwägungen erachte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in keinem Recht verletzt, weshalb die Vorstellung als unbegründet abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 3 Abs. 3 und 4 der Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. Nr. 33/1989, lautet:

"(3) Aufenthaltsräume sind Räume in Gebäuden, die zum ständigen oder längeren Aufenthalt von Menschen bestimmt sind.

(4) Vollgeschosse sind Geschosse, die zur Gänze über dem anschließenden Gelände liegen und über mindestens der Hälfte ihrer Grundfläche eine lichte Höhe von mindestens 2,30 Metern haben. Geschosse, in denen ausgebaute oder nicht ausgebaute Räume liegen, die das Dach berühren (Dachgeschosse), gelten auch dann als Vollgeschosse, wenn über mehr als der Hälfte der Grundfläche dieses Geschosses der Senkrechtabstand vom Fußboden zur Dachhaut mehr als 2,70 m beträgt. Wurde die Höhenlage des Geländes durch die Bauführung oder im Hinblick auf eine beabsichtigte Bauführung verändert, so ist von der Höhenlage vor dieser Veränderung auszugehen. Zur Berechnung der Bauhöhe sind auf die Anzahl der Vollgeschosse jedoch auch jene Geschosse anzurechnen, deren Deckenoberkante auch nur an einer Seite zum überwiegenden Teil mehr als 2 Meter über dem anschließenden Gebäude liegt."

Gemäß § 8 Abs. 1 TBO ergibt sich die zulässige Höhe von Gebäuden und anderen baulichen Anlagen aus den im Bebauungsplan festgelegten Maßen.

Nach § 29 Abs. 3 erster Satz TBO ist die Bauverhandlung mit

einem Augenschein an Ort und Stelle zu verbinden.

§ 30 Abs. 4 TBO lautet:

"(4) Wird von einem Nachbarn die Verletzung eines Rechtes behauptet, das in einer Bestimmung dieses Gesetzes oder einer Verordnung auf Grund dieses Gesetzes begründet ist, die nicht nur der Wahrung öffentlicher Interessen, sondern auch dem Schutz des Nachbarn dient (subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendung), so hat die Behörde über diese Einwendung abzusprechen, indem sie die Einwendung als unbegründet abweist, die Baubewilligung unter Bedingungen oder mit Auflagen erteilt oder die Baubewilligung überhaupt versagt. Subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendungen können insbesondere auf Vorschriften über die widmungsgemäße Verwendung von Grundstücken, insbesondere auf die §§ 12 bis 16 b des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1984, die Bauweise, die Bauhöhe, die Mindestabstände von baulichen Anlagen, die Beschaffenheit des Bauplatzes und den Brandschutz gestützt werden."

§ 13 a des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 (AVG) bestimmt:

"Die Behörde hat Personen, die nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten sind, die zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen in der Regel mündlich zu geben und sie über die mit diesen Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar verbundenen Rechtsfolgen zu belehren."

§ 42 Abs. 1 AVG 1950 lautet:

"(1) Wurde eine mündliche Verhandlung durch Anschlag in der Gemeinde oder auch durch Verlautbarung in der für amtliche Kundmachungen im Lande bestimmten Zeitung bekanntgemacht, so hat dies zur Folge, daß Einwendungen, die nicht spätestens am Tage vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht werden, keine Berücksichtigung finden und die Beteiligten dem Parteiantrag, dem Vorhaben oder der Maßnahme, die den Gegenstand der Verhandlung bilden, als zustimmend angesehen werden."

Dem Nachbarn steht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im baubehördlichen Bewilligungsverfahren nach den einzelnen Bauordnungen nur ein beschränktes Mitspracherecht, und zwar insoweit zu, als seine Rechtssphäre bei Bewilligung des Bauvorhabens beeinträchtigt werden könnte (vgl. dazu unter anderem das zur Steiermärkischen Bauordnung ergangene hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10317/A, und das das Salzburger Baurecht betreffende hg. Erkenntnis vom 11. April 1991, Zl. 89/06/0070).

In diesem Sinne ergibt sich auch aus § 30 Abs. 4 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 TBO, daß der Nachbar im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens nur ein beschränktes Mitspracherecht besitzt. Dieser wird überdies noch weiter durch eine allenfalls eingetretene Präklusion (§ 42 AVG) beschränkt.

Die Beschwerdeführerin wurde gemäß § 41 AVG 1950 sowohl zur mündlichen Verhandlung am 16. Juni 1987 als auch zur Verhandlung am 15. September 1988 persönlich und mit ausdrücklichem Hinweis auf § 42 AVG 1950 geladen. Sowohl die Verhandlung vom 16. Juni 1987 als auch diejenige vom 15. September 1988 sind durch Anschlag an der Amtstafel der mitbeteiligten Stadtgemeinde nach § 41 Abs. 1 AVG 1950 bekannt gemacht worden; die Beschwerdeführerin erklärte sich sowohl in der mündlichen Verhandlung am 16. Juni 1987 als auch in der vom 15. September 1988 mit dem Bauvorhaben bei plan- und bescheidgemäßer Ausführung einverstanden. Sie ist daher als dem konkreten Projekt zustimmend anzusehen und im Sinne des § 42 AVG 1950 mit allfälligen Einwendungen präkludiert.

Da die Rechtsfolgen der Präklusion auch dann eintreten, wenn irrtümlich keine Einwendungen erhoben wurden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1987, 86/06/0293, AW 86/06/0088), zieht die Unterlassung von Einwendungen durch die Beschwerdeführerin - selbst wenn sie auf einem durch den Verhandlungsleiter veranlaßten Irrtum beruht - die Präklusionsfolgen nach sich. Die belangte Behörde hat sich somit zu Recht auf die eingetretene Präklusion gestützt, die von den Verwaltungsbehörden und auch vom Verwaltungsgerichtshof zu beachten ist (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 22. September 1981, 06/2533/79, Slg. Nr. 10550/A, und vom 16. Oktober 1986, Zl. 85/06/0221).

Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, der mündlichen Verhandlung vom 15. September 1988 sei ein anderes Ansuchen als der Verhandlung vom 16. Juni 1987 zugrundegelegen, vermag der Verwaltungsgerichtshof aus nachstehenden Gründen nicht zu folgen. Sämtliche vor der Behörde erster Instanz durchgeführten Verhandlungen dienen insgesamt der Schaffung der Entscheidungsgrundlage und sind daher als eine Einheit zu betrachten, mag auch formell eine Vertagung nicht erfolgt sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1983, Zl. 82/05/0140). Dementsprechend weisen die Ladungen für die beiden mündlichen Verhandlungen denselben Gegenstand auf. Der Umstand, daß der Verhandlung vom 15. September 1988 Auswechslungspläne zugrunde gelegen sind, weist zwar auf eine Änderung des schon der ersten Verhandlung zugrunde gelegten Bauvorhabens hin, aus den eingereichten Plänen ergibt sich - wie oben dargestellt - aber keine Änderung des Bauvorhabens dergestalt, daß im Vergleich zum ursprünglichen Projekt eine andere Angelegenheit im Sinne der §§ 56 und 66 Abs. 4 AVG 1950 vorliegt. Dies vor allem deshalb, weil das ursprüngliche Objekt lediglich verringert (teilweises Weglassen eines Stockwerkes und Senkung des Niveaus) worden ist, abgesehen davon, daß eine Projektsänderung

1. Instanz diesen Beschränkungen gar nicht unterläge (hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1986, Zl. 85/06/0176, BauSlg. Nr. 634). Daher können dadurch auch Rechte der Beschwerdeführerin nicht verletzt worden sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 1981, Zlen. 81/06/0046, 0047, 0048, 0055, 0056 und 0057).

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin geht die Manuduktionspflicht nach § 13 a AVG nicht soweit, daß eine Person, die unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen gemäß § 42 (hier: Abs. 1) AVG 1950 zu einer mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen worden ist, vom Verhandlungsleiter ausdrücklich zur Erhebung von Einwendungen und zu deren inhaltlicher Ausgestaltung - was die belangte Behörde zu Recht ausgesprochen hat - angeleitet werden müßte (siehe die Erkenntnisse vom 13. November 1984, Zl. 84/07/0057, und vom 15. Oktober 1987, Zl. 87/06/0025, mwN). Die Manuduktionspflicht umfaßt lediglich Anleitungen betreffend das Verfahrensrecht; sich die für das Verständnis des Bauprojekts nötige Sachkunde zu verschaffen oder sich sachkundig vertreten zu lassen, ist hingegen ausschließlich Sache der Partei.

Wenn die Beschwerdeführerin rügt, daß die Baubehörde erster Instanz die mündliche Verhandlung über die "Austauschpläne" nicht an Ort und Stelle, sondern im Stadtamt der mitbeteiligten Stadtgemeinde durchgeführt und damit die Möglichkeit der Anrainer "beschnitten" habe, sich ein authentisches Bild von den Gegebenheiten bei Verwirklichung des Bauvorhabens zu machen, so ist darauf zu erwidern, daß die ohnehin an Ort und Stelle abgehaltene mündliche Verhandlung vom 16. Juni 1987, die - wie oben dargestellt - denselben Verfahrensgegenstand wie die mündliche Verhandlung vom 15. September 1988 betraf, der Beschwerdeführerin ohnehin eine hinreichende Möglichkeit geboten hat, sich mit den für sie maßgeblichen Sachverhaltselementen vertraut zu machen, zumal die Änderung ja nur eine Einschränkung des Bauvorhabens mit sich gebracht hat. Da sich die Modifikation des Projekts jedenfalls gegenüber der Beschwerdeführerin als unwesentlich darstellt, konnte sie sich durch die Unterlassung eines neuerlichen Lokalaugenscheins nicht beschwert erachten.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Niederschriften über die mündliche Verhandlung gäben den Inhalt des darin gesprochenen gerade hinsichtlich der für die Parteienrechte wesentlichen Punkte zumindest unvollständig wieder, stellt im Hinblick darauf, daß die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren Derartiges nie behauptet hat, eine nach § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung dar, weshalb auf diese Rüge nicht näher einzugehen war.

Darüber hinaus ist die Annahme der Beschwerdeführerin, aus der Niederschrift über die zweite Verhandlung ergebe sich die Unvollständigkeit der Niederschrift über die erste Verhandlung, weil Änderungen des Projekts auf Wunsch von Anrainern vorgenommen worden seien, insofern nicht schlüssig, als die Erstmitbeteiligte durch Änderung des Projekts offensichtlich außerhalb der Verhandlung erklärten Wünschen von Anrainern entgegenkam, ohne daß formelle Einwendungen bei der ersten Verhandlung erhoben worden wären.

Da die belangte Behörde daher zu Recht eine Präklusion der Beschwerdeführerin angenommen hat, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß die Verwaltungsbehörden - von der Beschwerdeführerin unbekämpft - davon ausgegangen sind, daß der am 1. April 1977 geänderte rechtswirksame Bebauungsplan der mitbeteiligten Stadtgemeinde gemäß § 24 Abs. 2 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1972, LGBl. Nr. 10, in der Fassung LGBl. Nr. 63/1976, ohne zusätzliche Festsetzung der Gebäudehöhe eine Bauweise mit E + 3 + Dachgeschoß ausweise. Dem entspricht aber das bewilligte Projekt. In Fragen des Ortsbildschutzes, auf den die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren besonders hingewiesen hat, hat ein Nachbar (abgesehen von der hier eingetretenen Präklusion) kein Mitspracherecht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1986, Zl. 85/06/0176, BauSlg. Nr. 634, und das zur Kärntner Bauordnung ergangene

hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1983, Zlen. 83/06/0055, 0056, BauSlg. Nr. 53).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Planung Widmung BauRallg3Bauverfahren (siehe auch Behörden Vorstellung Nachbarrecht Diverses) Diverses BauRallg11/4Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseIrrtum

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1989060156.X00

Im RIS seit

03.05.2001

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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