TE Vwgh Beschluss 1992/2/27 92/17/0034

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Veröffentlicht am 27.02.1992
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Index

L10013 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt
Niederösterreich;
L34003 Abgabenordnung Niederösterreich;
L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Umgebungslärm Niederösterreich;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13 Abs1;
AVG §57 Abs2;
AVG §61 Abs2;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
BauO NÖ 1976 §14;
B-VG Art119a Abs5;
B-VG Art132;
EGVG Art2 Abs2 A Z1;
EGVG Art2 Abs5;
GdO NÖ 1973 §61 idF 1000-3;
GdO NÖ 1973 §61 idF idF 1000-3 ;
GdO NÖ 1973 §61;
LAO NÖ 1977 §70 Abs3 litb;
LAO NÖ 1977 §70 Abs3;
LAO NÖ 1977;
VwGG §27;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer und Dr. Wetzel als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Lebloch, in der Beschwerdesache der Dr. H in W, gegen die Niederösterreichische Landesregierung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht i.A. Grundsteuer den Beschluß gefaßt:

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Aus der vorliegenden Beschwerde und den ihr angeschlossenen Beilagen ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit Bescheid vom 27. Dezember 1989 setzte der Bürgermeister der Marktgemeinde X gegenüber der Beschwerdeführerin für eine näher bezeichnete Liegenschaft den Grundsteuerjahresbetrag fest.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit Bescheid vom 22. November 1990 wies der Gemeinderat der Marktgemeinde X als Abgabenbehörde zweiter Instanz diese Berufung als unbegründet ab. Dieser Bescheid enthält folgende Rechtsmittelbelehrung:

"Diese Berufungsvorentscheidung wirkt gemäß § 276 BAO wie eine Entscheidung über die Berufung, es sei denn, daß innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsvorentscheidung bei dem umseits bezeichneten Amt der Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenhörde zweiter Instanz gestellt wird. ..."

Mit Schriftsatz vom 8. Jänner 1991 richtete die Beschwerdeführerin an die Marktgemeinde X einen "Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz". Darin heißt es:

"Ich beantrage innerhalb offener Frist unter Hinweis auf meine in der am 26. Jänner 1990 eingebrachte Berufung gegen den Grundsteuerbescheid vom 27.12.1989 angeführte Begründung, welche ich vollinhaltlich aufrecht halte, die Entscheidung im Sinne der Rechtsmittelbelehrung

Im übrigen bestreite ich, daß der zugestellte Bescheid vom "Gemeinderat der Marktgemeinde X als Abgabenbehörde zweiter Instanz" erlassen wurde.

Außerdem ist unter "Betr.: Grundsteuerbescheid - Berufungsentscheidung" das Wort "Berufungsentscheidung" angeführt, in der Rechtsmittelbelehrung jedoch das Wort "Berufungsvorentscheidung"."

Mit Schriftsatz vom 20. Juni 1991 erstattete die Beschwerdeführerin hiezu noch weiteres Vorbringen.

Mit Schreiben an die Beschwerdeführerin vom 24. Oktober 1991 wies der Vizebürgermeister der Marktgemeinde X die Beschwerdeführerin darauf hin, daß der Gemeinderat mit Bescheid vom 22. November 1990 ihre Berufung gegen den Grundsteuerbescheid vom 27. Dezember 1989 als unbegründet abgewiesen habe. Diese Entscheidung habe nach wie vor Rechtsgültigkeit.

In der nunmehr erhobenen Säumnisbeschwerde wird die Niederösterreichische Landesregierung als belangte Behörde bezeichnet. Die Beschwerdeführerin bringt vor, ihr Antrag vom 8. Jänner 1991 sei im Hinblick auf die unrichtige Rechtsmittelbelehrung im Bescheid vom 22. November 1990 jedenfalls als Vorstellung zu werten, über die bisher nicht entschieden worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 132 B-VG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war.

Unabdingbare Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Beschwerde ist es, daß jene Behörde, der Säumnis zur Last gelegt wird, verpflichtet war, über den betreffenden Antrag (das Parteienbegehren) zu entscheiden. Die Pflicht zur Entscheidung kann aber nur eine Behörde treffen, die zum Abspruch über das Parteienbegehren sachlich und örtlich zuständig ist (vgl. hiezu den hg. Beschluß vom 2. Dezember 1987, Zl. 87/13/0216, und das Erkenntnis vom 2. Dezember 1988, Zl. 88/17/0123).

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht mehr, daß der Gemeinderat der Marktgemeinde X mit Bescheid vom 22. November 1990 über die Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 27. Dezember 1989 entschieden hat. Objektiv gesehen war daher der Vorlageantrag der Beschwerdeführerin vom 8. Jänner 1991 verfehlt. Als säumig und damit als belangte Behörde im vorliegenden Verfahren könnte daher die Niederösterreichische Landesregierung nur dann gelten, wenn der Schriftsatz vom 8. Jänner 1991 tatsächlich, wie die Beschwerdeführerin vermeint, richtigerweise als Vorstellung gegen den Berufungsbescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde X hätte aufgefaßt werden können.

Dies trifft jedoch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu. Grundsätzlich ist es bei antragsbedürftigen Verwaltungsakten unzulässig, entgegen dem erklärten Willen der Partei ihrem Begehren eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar erschlossen werden kann. Allerdings ist für die Beurteilung eines Anbringens nicht dessen allenfalls unrichtige Bezeichnung, sondern ihr wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen läßt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend. Der Grundsatz der Beachtung des erklärten Willens der Partei kann nur im Fall eines eindeutig deklarierten Parteiwillens zum Tragen kommen, also dann, wenn sich aus Rechtsmittelerklärung und -antrag unmißverständlich das Begehren der Partei nach einer Berufungsentscheidung durch die im Instanzenzug übergeordnete Behörde ergibt (vgl. hiezu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 4, Seite 166, wiedergegebene Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Dasselbe muß auch im Falle eines Vorlageantrages nach § 206 der NÖ LAO, LBGbl. 3400-2, gelten.

Ein so gelagerter Fall liegt hier vor. Aus dem oben wiedergegebenen Inhalt der Eingabe der Beschwerdeführerin vom 8. Jänner 1991 ergibt sich unmißverständlich ihr AUSSCHLIESZLICHES Begehren, ihre Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorzulegen. Dies geht insbesondere auch daraus hervor, daß die Beschwerdeführerin im genannten Schriftsatz BESTRITTEN hat, der zugestellte Bescheid sei vom Gemeinderat der Marktgemeinde X als Abgabenhörde zweiter Instanz erlassen worden. Auch hat die Beschwerdeführerin dort ausdrücklich "die Entscheidung im Sinne der Rechtsmittelbelehrung" im Bescheid vom 22. November 1990 beantragt. Nichts deutet darauf hin, daß die (rechtskundige) Beschwerdeführerin in Wahrheit die Entscheidung der Niederösterreichischen Landesregierung als Vorstellungsbehörde angestrebt hätte.

Mangels einer an sie gerichteten Vorstellung war daher die Niederösterreichische Landesregierung zur Entscheidung über den Schriftsatz vom 8. Jänner 1991 unzuständig. Eine Entscheidungspflicht für sie hat daher nicht bestanden. Da es damit der Beschwerdeführerin an der Berechtigung zur Erhebung der vorliegenden Beschwerde mangelte, war die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich jedoch zu folgendem Hinweis veranlaßt:

Gemäß § 61 Abs. 1 NÖ Gemeideordnung 1973 in der Fassung der Novelle LGBl. 1000-3 kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen, von der Zustellung des Bescheides an gerechnet, dagegen eine mit einem begründeten Antrag versehene Vorstellung bei der Aufsichtsbehörde erheben. Auf diese Möglichkeit ist in den letztinstanzlichen Bescheiden der Gemeindeorgane hinzuweisen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 13. Oktober 1980, Zl. 2683, 2624/80, und vom 13. November 1987, Zl. 86/17/0176, dargelegt hat, trifft die Niederösterreichische Gemeindeordnung 1973 für das Verfahren vor der Vorstellungsbehörde zwar einzelne Anordnungen, regelt jedoch nicht, welches Verfahrensgesetz in Vorstellungsverfahren grundsätzlich anzuwenden ist. Der Gerichtshof gelangte im zuletzt genannten Erkenntnis aufgrund näher ausgeführter Überlegungen zum Ergebnis, daß mangels besonderer gesetzlicher Bestimmungen die Vorstellungsbehörde die Niederösterreichische Abgabenordnung anzuwenden hat, wenn das Verfahren vor der Gemeindebehörde (wie hier) Abgaben betrifft.

Im zuletzt zitierten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof weiters folgendes ausgeführt:

"Aufgrund des eben Gesagten ist im vorliegenden Fall die Frage, welche Rechtswirkungen das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung im Bescheid des Gemeinderates...hat, auf der Grundlage der Bestimmungen der NÖ. Abgabenordung zu lösen.

Gemäß § 70 Abs. 3 lit. b des letztzitierten Landesgesetzes hat der Bescheid eine Belehrung, ob ein Rechtsmittel zulässig ist, zu enthalten; bejahendenfalls ist...

Enthält der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung oder keine Angabe über die Rechtsmittelfrist oder erklärt er zu Unrecht ein Rechtsmittel für unzulässig, SO WIRD GEMÄSZ ABS. 4 DIESER

GESETZESSTELLE DIE RECHTSMITTELFRIST NICHT IN LAUF GESETZT.

Unter dem Wort "Rechtsmittel" im Sinne des § 70 Abs. 3 lit. b der NÖ Abgabenordnung ist im Hinblick auf § 61 Abs. 1 letzter Satz NÖ GO 1973 in der Fassung der Novelle

LBGl. Nr. 1000-3 auch die Vorstellung zu verstehen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 1985, Zl. 85/17/0053, das erkennbar von derselben Rechtsauffassung ausging)."

Dasselbe gilt auch hier. Der Umstand, daß die Rechtsmittelbelehrung im Bescheid des Gemeinderates vom 22. November 1990 fälschlicherweise auf die Möglichkeit eines Vorlageantrages (anstatt einer Vorstellung) hinwies, ist dem Umstand gleichzuhalten, daß der Bescheid überhaupt keine Rechtsmittelbelehrung enthielt; denn es fehlte jedenfalls der zutreffende Hinweis auf die Möglichkeit der Einbringung einer Vorstellung.

Damit wurde auch im Beschwerdefall die Frist zur Einbringung einer Vorstellung gegen den Bescheid vom 22. November 1990 nicht in Lauf gesetzt.

Schlagworte

Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche AngelegenheitenInhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)Berufungsrecht Begriff des Rechtsmittels bzw der Berufung Wertung von Eingaben als BerufungenVerletzung der Entscheidungspflicht durch Gemeindebehörden und VorstellungsbehördenInhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992170034.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

17.10.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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